100 JAHRE KIRCHENGESANGVEREIN WÄDENSWIL

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1988 von Richard P. Müller-Hauser
 
Es ist Karfreitag, 1. April 1988. Ich sitze mit meiner Frau in der guten Stube – draussen regnet es; auf dem Etzel waren vor dem Eindunkeln bereits weisse Schneekappen zu sehen: Die Bauernregel «Grüne Weihnachten – weisse Ostern» - wird 1988 wieder einmal stimmen. Wir haben die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach aufgelegt: Wir lauschen der Wiedergabe durch den Thomanerchor, unter den Solisten ist u. a. Marga Höffgen als Altistin, die bei uns ja auch manches Konzert mitgestaltet hat. Und so kommen die Erinnerungen an die eigenen Aufführungen in den Jahren 1950 und 1968 in der Kirche Wädenswil unter Rudolf Sidler, den der Berichterstatter in seiner Rückschau auf hundert Jahre Kirchengesangverein Wädenswil natürlich als zentrale Figur während dessen gesamter Chorleitungszeit erlebt hat. Unter Rudolf Sidler haben wir die grössten Werke der Chorliteratur singen dürfen, und für die älteren Sänger ist er natürlich in bester Erinnerung.

DIE ANFÄNGE SIND ÄLTER ALS MAN GLAUBT

Doch nun zurück ins Jahr 1888, in die Vorzeit, in das sogenannte Gründungsjahr des Kirchengesangvereins. Wenn man von den «Anfängen» berichtet, dann ergibt sich oft aus Nachforschungen, dass ein bislang gesichertes Erstdatum durch noch ältere Belege über- oder unterboten wird. So steht es auch mit dem Kirchengesangverein, der offiziell auf das Jahr 1888 zurückgeht; darum wurde schliesslich heuer das hundertjährige Bestehen gefeiert. Dieser frühere Beleg ist ein Inserat aus dem «Anzeigern
des Jahres 1844 mit folgendem Wortlaut:
«Diejenigen verehrten Herren und Frauenzimmer, welche sich für den neu gestifteten Kirchengesang-Verein unterzeichnet haben oder jetzt noch demselben beizutreten geneigt sind, werden freundlichst eingeladen, nächsten Sonntag, den 28. Januar, nachmittags um halb 3 Uhr, sich im Schulhaus Dahier einzufinden, zur Beratung der nötigen Bestimmungen und Bestellung einer Vorsteherschaft…»
 
1894
Im ältesten erhaltenen Protokollband, betitelt «Copies de Lettres», finden sich, anfänglich noch in deutscher Schrift, Briefe, so etwa ein Briefwechsel des Korrespondenzaktuars E. Hürlimann-Weber mit dem Männerchor, bzw. mit dem «löblichen Gemeinderat Wädensweil». Es ging um einen Beitrag zur Anschaffung eines eigenen Klaviers.
 
Hans Scheidegger, langjähriges Vorstandsmitglied und mit seiner Frau Regula versierter Betreuer der «grossen» Konzerte, hat in der Jubiläumsschrift der Kirchgemeinde Wädenswil 1967, zum 200jährigen Bestehen der Grubenmannkirche, schon berichtet, dass dieser Verein leider nach wenigen Jahren wieder einging.
Männerchor und Gemischter Chor teilen sich in der Folgezeit in die Aufgabe des aufgelösten Vereins, «ohne jedoch regelmässig zu singen». Glücklicherweise amtet dann bald, und zwar jahrzehntelang, Pfarrer und Dekan Johann Jakob Pfister in Wädenswil, der vor Weihnachten 1888 die Aufführung einer vom damaligen Organisten J. J. Nater komponierten Cantate ermöglicht. Ein Kirchengesangverein wäre der richtige Chor für ein solches Werk, findet er, und wirklich, auf ein Rundschreiben melden sich fast fünf Dutzend Sängerinnen und Sänger. So kann das Werk mit über 100 Mitwirkenden aufgeführt werden. Aus dem Jahresband 1888 der «Nachrichten vom Zürichsee» ist dem Konzertbericht von J. M. in Nummer 151 zu entnehmen: «Am hl. Weihnachtstage wurde in hiesiger Kirche die von J. Nater componirte Weihnachtscantate, ein bedeutendes Musicwerk, aufgeführt. Der zirka 100 Stimmen zählende Chor war seiner Aufgabe vollständig gewachsen; auch waren die Solis vortrefflich. Speziell sei aber Hrn. Nater gedankt, in welchem wir nicht nur einen tüchtigen Organisten, sondern auch einen ganz bedeutenden Componisten sehen.» Der Kirchengesangverein war öffentlich dokumentiert und wird mit Statuten vom Januar 1889 etabliert.

ÄRA DEKAN JAKOB PFISTER

Dekan J. J. Pfister präsidiert in der Folge den Chor während dreissig Jahren und hat schon damals richtungweisend für die Tätigkeit des Kirchengesangvereins, neben der Bereicherung der Fest-Gottesdienste, an die Aufführung grosser Werke gedacht, ein Ziel, das stets verfolgt wird und bis heute gilt. Ein paar Beispiele
aus den ersten Vereinsjahrzehnten seien aufgeführt:
1909: Der Messias (Georg Friedrich Händel)
1910: Die Jahreszeiten (Joseph Haydn)
1916: Die Schöpfung (Joseph Haydn)
1921: Stabat Mater (Franz Schubert)
1922: Requiem (Luigi Cherubini)
1929: Acis und Galathea (Georg Friedrich Händel)
1931: Kantaten (von Johann Sebastian Bach)

1916
Brief der Aktuarin Louise Wyssling an die Dampfbootverwaltung Zürich Wollishofen: «Da wir auch auf Musikfreunde überm See Rücksicht nehmen müssen, so fragen wir Sie höflich an, ob Sie nicht das Schiff, das kursgemäss 7.57 (d. h. 19.57, Red.) in Wädenswil abfährt, erst 8 1/4 wegfahren lassen könnten.» Dem Gesuch wird entsprochen, und der Chor sorgt für ein entsprechendes Inserat in der Zeitung.
Die Sparkasse schenkt dem Chor aus Anlass ihrer 100. Jahresrechnung 500 Franken, mit der Bitte, «von einer öffentlichen Verdankung Umgang zu nehmen».
Die Brauerei schickt 20 Franken, «als Beitrag an Ihr erlittenes Defizit».
 
Dekan Jakob Pfister ist es auch, der am 24. Februar 1907 jene denkwürdige, «versöhnliche Ansprache» – Streitfrage war: Mit oder ohne Konzert-/Turnhalle? – an die Schulgemeindeversammlung in Wädenswil hält, die daraufhin einen Kredit von 408 000 Franken zum Bau des neuen (Glärnisch-)Dorfschulhauses samt Turn- und Konzerthalle bewilligt. (80 Jahre später kann der Berichterstatter bei der Foyer-Eröffnung ähnliche Freude erleben…)

Dekan Johann Jakob Pfister (1849-1935), Bürger von Schönenberg, Präsident des Kirchengesangvereins.

50. GEBURTSTAG DES VEREINS

Am 11. Dezember 1938, zum 50. Geburtstag des Vereins, wird der Messias von Georg Friedrich Händel unter der Direktion von Heinrich Funk aufgeführt. Als Solisten wirken mit: Margrit Flury, Sopran, Nina Nüesch, Alt, Albert Wettstein, Tenor, und kein Geringerer als Hermann Schey als Bassist. Heinrich Funk zahlt persönlich einen schönen Teil des Honorars für diesen berühmten Sänger; er will den Chor an grössere Aufgaben heranführen und weiss, dass dann auch entsprechende Solisten mit zum Ansporn und zum Gelingen beitragen.

HÖHEN UND TIEFEN IM VEREINSLEBEN

So sieht es zum fünfzigsten Jubiläum aus, während im 25. Vereinsjahr mit nur noch drei Herren eher ein Tief zu verzeichnen gewesen war. Der Chor war da eine Zeitlang sozusagen ein Frauenchor. Aus dem Jahre 1919 liegt vom 12. Dezember sogar ein Statutenentwurf vor, der zum Ingress erwähnt, dass der Kirchengesangverein fortan «Gemischter Chor» heissen werde. Am 19. Januar 1920 wird aber beschlossen, dass der Name «Kirchengesangverein Wädenswil» beibehalten werde. Das gleiche Thema sollte genau zehn Jahre später wieder zur Sprache kommen. Ob die erste Frau als Präsidentin des Kirchengesangvereins, Frau A. Huber-Isler, deshalb schon eine gute Woche darauf den Hut nimmt und in lakonischer Kürze mitteilt: «Tit. Kirchengesangverein Hier. Hiemit erkläre meinen Austritt aus dem Vorstand und zugleich Übertritt zu den Passiven. Hochachtend A. Huber-Isler.», ist nicht mehr ausfindig zu machen. Frau A. Huber war am 22. August 1918 als Nachfolgerin von Dekan und Präsident J. J. Pfister gewählt worden. Dieser war als hervorragende, ja glänzende Persönlichkeit schon 1892 zum Ehrenbürger von Wädenswil ernannt worden. Nach seinem Rücktritt vom Pfarramt (1917) musste er wegen Wohnungsschwierigkeiten nach Luzern übersiedeln, wo er weiterhin Studien zur Lokalgeschichte von Wädenswil betrieb.
 
1922
Der Vorstand hat beschlossen, dass Aktivmitglieder, welche mehr als die Hälfte der Proben unentschuldigt gefehlt haben, an der Aufführung nicht teilnehmen dürfen.

So veröffentlichte er noch 1930 eine «Geschichte der Pfarrei Wädenswil». Er starb hochbetagt anno 1935. Dekan Pfister, wie auch nachfolgend Frau A. Huber, stand übrigens eine hervorragende Aktuarin zur Seite, nämlich Louise Wyssling (bei welcher der Berichterstatter seine ersten Englischkenntnisse geholt hat!). Als Frau Pfarrer Meier Wyssling, am Töbeliweg, ist sie sicher noch manchem Dorfgenossen in bester Erinnerung.
 
1921
Gesuch an beide Kirchenpflegen, am Konzerttag auf das Betzeitläuten vor halb 3 Uhr zu verzichten, «da es schade wäre, wenn der Genuss der Musik (es war das 'Requiem' von Cherubini) von einem Geläute unterbrochen würde».
 
Nach der Demission von Frau Huber, die zum Ehrenmitglied ernannt wird, leitet interimistisch Dr. Adolf Stutz das Vereinsschiffchen, bis dann nach «reger Wahlschlacht» mit Carl Laue-Decoppet ein neuer Präsident erkoren wird. Seine Präsidentenzeit, 1921 bis 1924, und jene seines Nachfolgers, Ernst Fleckenstein, 1925 bis 1929, waren eher zwei kurze Abschnitte, die aber meist von Friedrich Fisch vorbildlich protokolliert worden sind. Der langjährige Aktuar Fisch war Architekt und hat als solcher u. a. das Haus von Sekundarlehrer Walter Bleuler selig und von Dr. René  Fatzer auf der Fuhr sowie das Pfarrhaus am Rotweg gebaut.

ÄRA DIREKTION FRITZ STÜSSI

Was die Chordirektion betrifft, hat mit Fritz Stüssi ein Vierteljahrhundert lang ein ganz besonderer Stern geleuchtet: Fritz Stüssi wurde am 6. April 1874 in Käpfnach-Horgen geboren und besuchte nach der Sekundarschule in Horgen das Literargymnasium in Zürich, dass er mit der Maturität abschloss, um sich dann am Konservatorium auszubilden. Als gewandter Pianist leitete er nach seinem Abschluss auch lange Jahre das Akademische Orchester Zürich und war zudem ein gefeierter Dozent an der Volkshochschule.
Am 1. September 1898 kommt Fritz Stüssi nach Wädenswil, wo er den Männerchor «Eintracht» und gleichzeitig den Kirchengesangverein übernimmt. Sekundarlehrer Max Greutert, der oft auch als Dirigent einspringt, rühmt seine Tätigkeit als Dirigent der beiden Chöre. Als Pianist und Veranstalter von Konzerten verdankt ihm Wädenswil den grössten Teil seiner musikalischen Kultur. Er hat eine Reihe von weltberühmten Künstlern zu uns gebracht und uns auf diese Art Kunstgenüsse verschafft, um die uns oft andere Gemeinden beneidet haben.
1921 sind gleich zwei Konzerte unter Fritz Stüssi zu vermelden: im Mai das Stabat Mater von Franz Schubert, im November ein Konzert mit Bach-Kantaten, ferner Werken von Josef Rheinberger, Felix Mendelssohn und - 
Musikdirektor Fritz Stüssi, 1874−1923.
von Fritz Stüssi komponiert - dem 28. Psalm für Soli, Chor und Orgel. Das «Requiem» von Luigi Cherubini, aufgeführt am 30. April 1922, sollte Stüssis letzte Interpretation und zugleich sein eigenes Requiem werden; denn eine Krankheit nötigt ihn zum Unterbruch, zu Anfang des Jahres 1923 zu einem Kuraufenthalt in Degersheim, wo ihn am 14. März 1923 der Tod ereilen sollte. Er war nicht einmal fünfzig Jahre alt geworden.

BESTÜRZUNG NACH DEM TOD VON FRITZ STÜSSI

Wädenswil und sein musikalisches Leben müssen wie von einem Donnerschlag getroffen gewesen sein. Die öffentliche Trauerfeier am Sonntag darauf, nachmittags 14 Uhr, gestaltete sich zu einer Kundgebung, wie man sie in dieser Art und in diesem Umfang in unserer Gemeinde noch nie erlebt hatte: «Unter feierlichem Glockengeläute und begleitet von den langsamen, tief-ernsten Klängen des bekannten Chopin'schen Trauermarsches, von den uniformierten Musikern der, Harmonie' eindrucksvoll vermittelt, bewegte sich der lange Zug mit den zwei Trauerwagen, die eine reiche Fülle herrlicher, das Andenken des Toten in hohem Masse ehrenden Kranzspenden bargen, und den sieben schwarzumflorten Vereinsbannern von der Höhe der leidtragenden Fuhr hinunter zum Gotteshause, das mit seinen zirka 1700 Sitzplätzen dem Andrang der vielen Besucher der Trauerfeier nicht zu genügen vermochte.» So lautet einer der vielen Presseberichte.
Die ganze Sängerwelt der engeren und weiteren Heimat trauert um ihren bedeutenden Führer; denn Fritz Stüssi vereinigte in sich gediegene musikalische Kenntnisse, ein ursprüngliches Gemüt und ein bedeutendes erzieherisches Geschick. Im Zunfthaus zur Saffran kommen die Vertreter der Sängervereine am Zürichsee, des Männerchors Männedorf, des Liederkranz' Uster, des Kirchengesangvereins und der «Eintracht» Wädenswil sowie der Sängervereine Richterswil und Lachen zu einer Trauerfeier zusammen. An diesem 7. Juli 1923 wird nicht nur eine fünfstellige Summe zusammengetragen und die Errichtung eines Grabmals aus rotem Tessinermarmor – «Fritz Stüssi 1874-1923 / von seinen Sängern» – beschlossen, sondern auch vereinbart, Frau Stüssi mit der Restsumme bei der Erziehung ihrer fünf Kinder beizustehen.
Einladung des Kirchengesangvereins zum Unterhaltungsabend vom 13. Januar 1923, mit Liedvorträgen, Rezitation, Dialektlustspiel und Schnitzelbank.
Fünf Jahre später, am 4. November 1928, ist die Konzerthalle bei einer Gedächtnisfeier für Fritz Stüssi vollbesetzt. Musikdirektor Dr. Georg Graf, der auch den Orchesterverein Zürich leitet, spielt mit diesem die «Unvollendete» von Franz Schubert, und der Kirchengesangverein mit Solisten interpretiert Werke von Fritz Stüssi, so u. a. «Der Frühling» und «Selig sind die Toten» aus dem Oratorium «Werden und Vergehn».
Wenn in einem der neusten Vorstandsprotokolle des Kirchengesangvereins zu lesen ist: «Ein gewisser Herr Stüssi, dessen Tochter in Barcelona verheiratet ist, hat uns angefragt, ob wir Interesse an einer Reise nach Spanien hätten, mit Auftritt in einer Kirche in Barcelona», dann handelt es sich genau um Nachkommen des grossen Dirigenten Fritz Stüssi!

ZWISCHENSPIELE: KARL MATTHAEI UND DR. GEORG GRAF

Selbstverständlich muss für diesen hervorragenden Dirigenten ein würdiger Nachfolger gefunden werden: Der Basler Karl Matthaei aus Leipzig wird sowohl für die «Eintracht» als auch für den Kirchengesangverein zu Probedirektionen und von beiden Vereinen «nach stramm geführter Probe» einstimmig zum Direktor bestellt.
Ein Konzert mit Bachkantaten, wohl 1924, und eine Aufführung des «Messias» am 17. Februar 1925 unter Matthaei sind Zeugnisse der fortgeführten Tradition. Mit der Berufung von Karl Matthaei nach Winterthur ist dieses kurzfristige Gastspiel mit einer letzten Probe am 4. Februar 1926 in den Annalen vermerkt.
Dr. Georg Graf, der schon im Zusammenhang mit der Fritz-Stüssi-Gedächtnisfeier genannt worden ist, siegt dann nach Probedirektionen gegen den bereits auch schon bestens bekannten Heinrich Funk, und zwar recht knapp mit 18 zu 14 Stimmen.
Musikdirektor Karl Matthaei.
Er wird provisorisch für ein Jahr gewählt. Diese Wahl hat bereits der neue Präsident, Ernst Fleckenstein, vorgenommen. Dr. Graf macht sich sofort an ein Programm, das am Palmsonntag, 10. April 1927, dargeboten wird. Chorisch werden neben einer Buxtehude-Kantate ein Oratorium von Giacomo Carissimi († 1674 in Rom), «Judicium Salomonis» – Präsident Ernst Fleckenstein singt den Salomo – und von Jean Philippe Rameau eine fünfstimmige Motette, «Laboravi» – bearbeitet von Georg Graf – vorgetragen. Beide Werke werden als «schweizerische Erstaufführungen » angekündigt. An der Orgel wirkt Heinrich Funk. Der Protokollauszug von F. Fisch sagt: «Brauchen wir uns zu schämen, wenn wir eingestehen müssen, dass diese hohe Musik unsere Herzen weich und unsere Augen mit feuchtem Glanz überzog? 0 nein, und abermals nein.»
 
Von den verschiedenen Direktoren:

Karl Matthaei
In einem der fast wöchentlich noch geführten Probenprotokolle ist bereits 1923 einmal vermerkt: «Der Direktor sieht sich zu einer Rüge veranlasst, da leider nur 2 Tenöre anwesend sind. Es geht aber trotzdem leidlich.»
 
Dr. Georg Graf
Ich erinnere mich, wie er am Flügel sitzt und uns die Wichtigkeit der grossen Terz für Dur, der kleinen Terz für den Moll-Dreiklang demonstrieren will. Mit gehaltenem Pedal schlägt er sämtliche C- und G-Töne auf dem Flügel an und setzt für den Dur-Dreiklang theatralisch ein einziges E, bei einem zweiten Durchgang für den Moll-Dreiklang ein einziges Es, dazu. Mit zurückgeworfenem Kopf und gespitzten Lippen kommentiert er: «Sie gsehnd, öb dur oder moll – der Akkord isch vollll!»
 
Am 20. Oktober und 2. November des gleichen Jahres steht «Orpheus», von Chr. Willibald Ritter von Gluck, auf dem Programm, dem, laut Zeitungsberichten, ein voller künstlerischer Erfolg und auch bei der zweiten Wiedergabe ein volles Haus beschieden ist. Das Pastorale «Acis und Galathea» von G. F. Händel ist die letzte Dirigententätigkeit Georg Grafs; denn − grosse Überraschung und «böses Blut» − am 12. Februar 1930 reicht der Dirigent laut Protokoll «zehn Minuten vor der Generalversammlung» seine Demission ein. Der Vorstand hatte seinen Anstellungsvertrag auf der Traktandenliste und fühlt sich überrumpelt.
Wie der Berichterstatter im Nachhinein eruieren konnte, war Dr. Georg Graf ein Heimkehrer aus Russland. Von diesem «Russland-Graf», wie wir ihn nannten, habe ich nicht nur das Cello, sondern auch meine ersten Künste auf diesem Instrument, und zwar aus der Zeit, als er Hilfsmusiklehrer am Kantonalen Lehrerseminar in Küsnacht war.
An der gleichen Generalversammlung wird vom neuen Präsidenten, Valentin Baumann, der neuerliche Vorschlag auf Abänderung des Namens in «Gemischter Chor» diskutiert. In der schriftlichen Umfrage bei den Passiven waren 85 dafür, 16 dagegen. Interessant ist der Protokollvermerk, dass bei den 16 Neinstimmen «einige sehr gewichtige Voten sind», wie zum Beispiel dasjenige von Gemeindepräsident Felber und Pfarrer Pfister, Dekan. In der Versammlung wird denn auch ein Resultat von 32 zu 7, bei 5 Enthaltungen, für die Beibehaltung des Namens «Kirchengesangverein» erreicht. Unter Valentin Baumann werden auch jene Statuten verfasst, die bis 1970 ihre Gültigkeit hatten.

ÄRA HEINRICH FUNK

Heinrich Funk (12. 4. 1904 bis 4.2. 1977)
Was liegt näher, als den von seinen Orgelbegleitungen her bestens bekannten Heinrich Funk als neuen Direktor zu wählen? Als Marcel Dupré-Schüler ist er bestens ausgewiesen, und Heinrich Funk ist es in den folgenden Jahren zu verdanken, dass dieser international berühmte Improvisator und Bachspieler, der Direktor des Conservatoire de Paris, zu etlichen Konzerten nach Wädenswil kommt.
 
Heinrich Funk
Aus der Lobhymne» über Heinrich Funk und seine Braut Trudi Bertschmann, mehrstrophig an der GV 1943 gesungen: «Det änne, bis Bertschmes, im Merkurhus, det lueget es Meitschi zum Fänster us,
und s Funke i der Flora händ au en Bueb, wo immer güggele tuet: holio u etc.»
 
«Probieren wir es noch einmal», so habe Heinrich Funk freundlich und unerschütterlich aufgefordert, wenn etwa eine Passage nicht gelingen wollte. So berichtet Hanna Stocker, die über 40 Jahre aktiv war und von 1942 bis 1975 in unermüdlicher und gewissenhafter Kleinarbeit die Chorbibliothek vorbildlich betreute.
 
Es war Kriegszeit. Nach der Probe sitzt man in der «Krone». Da ertönt Fliegeralarm, und der liebe Luftschutzsoldat Heiri muss sofort ins «Schloss» hinauf einrücken.
 
Am 5. März 1930 wird die erste Probe unter ihm abgehalten. Leider sind – vielleicht noch Nachwehen von der Ära Graf – einige schlechte Probenbesuche vermerkt, so etwa unter dem 28. Mai 1930:
Musikdirektor Heinrich Funk, 1904–1977.
«Ganz blöder Besuch bei den Herren, deshalb fällt die Probe aus, ebenso der Gesang am Himmelfahrtstag.»
So ist auch erst vom 10. Mai 1931 ein Konzert mit vier Bachkantaten bezeugt.
Die Geselligkeit kommt nie zu kurz, lautet doch ein Eintrag nach der Generalversammlung vom 17. März 1934:
«Nach der GV folgt der gemütliche Teil und dauert bis um 2 Uhr. Trotzdem, dass eine drohende Gewitterwolke über uns lastete, so nahm der Abend mit Gesang, Spiel und Tanz ein schönes Ende.»
Der Kirchengesangverein unter Heinrich Funk während eines Gottesdienstes in der Aktivdienstzeit 1940.

Allerdings muss auch irgendwie Ungeselliges vorgekommen sein; denn im gleichen Jahr muss eine nur zwanzigminütige ausserordentliche Generalversammlung in der Person von Notar Walter Wild einen neuen Präsidenten erküren. Mitgliederwerbung steht nun zuoberst auf dem Tätigkeitsprogramm des Vorstandes, und Heinrich Funk erlässt im Kirchenboten zu Anfang 1935 einen Aufruf:
«Ursprünglich ein grosser Chor, hat der Kirchengesangverein im Laufe der Jahre nicht nur Höhepunkte, sondern auch Tiefpunkte erlebt... Immer hat er versucht, seiner Aufgabe gegenüber der Kirche so gut wie möglich gerecht zu werden… Der Zweck dieser Zeilen ist, auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die es zu überwinden gilt. Deshalb bitten wir die kirchliche Gemeinde, uns zu helfen und uns zu unterstützen... Wir bitten deshalb alle stimmbegabten jungen und älteren Leute, welche am Kirchengesang und einem frohen Lied Freude haben, unserem Verein als aktive Sänger beizutreten ... Nur dann können wir unsere Aufgabe zur Zufriedenheit der Kirchgenossen erfüllen und vielleicht gelegentlich wieder einmal daran denken, mit einem grösseren Werk vor die Öffentlichkeit zu treten.»
Der Erfolg bleibt nicht aus. Sind es Ende 1934 nur 37 Aktive, so werden Ende 1935 bereits deren 45 registriert.
1939 waren es dann 72. Zum «grossen Werk» dauert es aber noch bis zum 12. Dezember 1937: Mit 90 Sängerinnen und Sängern werden die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Am 6. Juni hatte der Orchester- und Kirchengesangverein bereits bei der Amtseinset zung von Pfarrer Richard Schwarz «unter der sicheren Hand von Heinrich Funk» die kirchliche Feier umrahmt. Am 11. Dezember 1938 wird der «Messias» aufgeführt. Damals hat der 24jährige Rudolf Sidler als Kritiker bereits im «Anzeiger» vom 9. Dezember 1938 mit den Worten geschlossen:
«Möge die Aufführung nicht nur ein kräftiger Schlussstein einer treuen 50jährigen Tätigkeit, sondern auch der Auftakt zu weiterem freudigem Wirken des Vereins zu Nutz und Frommen der Gemeinde sein. Unsere herzlichen Glückwünsche begleiten ihn in die Zukunft.»
An der anschliessenden Jubiläumsfeier nehmen die Kirchenpflege fast vollzählig sowie die beiden Pfarrherren Schreiber und Schwarz teil. Die Zufriedenheit der kirchlichen Organe kommt in Rede und Gegenrede in schöner Weise zum Ausdruck.

DIE ZWEITEN 50 JAHRE

1939: Kriegsbeginn. Heinrich Funk schlägt vor, zusammen mit dem Männerchor ein kleines Liederkonzert für einen Zweig der Soldatenfürsorge – für die Wehrmannskinder aus Wädenswil – durchzuführen, über welchen Vorschlag der Männerchor «sehr erfreut» ist. Die Mobilmachung vereitelt die Aufführung der eingeübten «Schöpfung», und die zweite Mobilisation vom Mai 1940 ist mitschuld, dass erst am 2. Dezember 1940 ein Schubert/Brahms-Liederkonzert veranstaltet werden kann; Rudolf am Bach, der eben am Genfer Musikwettbewerb den ersten Preis errungen hat, wirkt als Klaviersolist mit. Eintrittspreis 1 Franken. – Glücklicherweise kann in der Folge für die Proben ins Kirchgemeindehaus übersiedelt werden, wo der Stiftungsrat zudem einen Flügel zur Verfügung stellt.
1941 zeichnen Männerchor und Orchesterverein, alle auch unter Heinrich Funks Leitung, als «Unternehmer» des Mozart/C.M. von Weber/Lortzing Konzertes; der Kirchengesangverein wird unter den Mitwirkenden vermerkt.
 
Heinrich Funk verlor sehr früh seinen Vater und wuchs − so quasi à la Gottfried Keller − mit Mutter und Schwester auf. Es heisst, dass er vor Konzerten grauenhaft aufgeregt war. Die beiden Frauen mussten auf Pikett, wenn er seinem Kragenknöpfchen oder seiner Krawatte nachjagte.
Ein Schüler von ihm berichtet, dass er bei der Klavierstunde immer eine Tasse Kaffee neben sich hatte. Gern nahm er den jungen Mann auch zum Schlitteln auf den Etzel mit, damit er einen Steuermann hatte und er nicht bange sein musste um seine «Orgelbeine» . Bei einer Rückkehr mit der «Einsiedleri», wie die SOB damals genannt wurde, trafen sie einmal eine Menge Leidleute, und Heiri realisierte mit Entsetzen, dass er eine Beerdigung vergessen hatte.
Bei einem der geselligen Ausflüge auf den Jochpass hob Heiri Funk nicht den Taktstock, sondern sein linkes Bein in legerer Art auf das Brünneli vor dem Gasthaus und hätte es ohne fremde Hilfe nicht mehr heruntergebracht.

1942, im September, wird erstmals eine Messe, und zwar die Nr. 6 in Es-Dur, von Franz Schubert, in der Kirche aufgeführt (was übrigens zu einem tadelnden Brief eines Sängers führt). Heinrich Funk bringt zum verstärkten Kirchengesangverein ein Orchester von Berufsmusikern und berappt aus der eigenen Tasche ein Solistenhonorar, wieder, um ein grosses Werk und ein grosses Gelingen zu ermöglichen. Als Veranstalter von vielbeachteten Abonnementskonzerten hat er natürlich grösste Erfahrung in diesen Belangen. So ist als hervorragendes Solistenensemble zu vermelden: Maria Stader, Sopran, Nina Nüesch, Alt, Ernst Häfliger und Ernst Hörler, Tenöre, und Dr. Hans Müller, Bass (deren Honorare bewegen sich zwischen 150 und 250 Franken).
 
Bei einem Konzert sang die hochgewachsene Altistin Nina Nüesch neben der zierlichen Maria Stader. Heiri Funk sorgte mit einem Schemel für einen gewissen Ausgleich, und Maria Staders lange Robe kaschierte das Requisit elegant.
 
Ende 1942 tritt Heinrich Funk als Organist in Wädenswil zurück, da er als Nachfolger von Ernst Isler, der unter anderem auch Musikreferent der «Neuen Zürcher Zeitung» war, ans Fraumünster, an die Tonhalle und zudem als Lehrer ans Konservatorium in Zürich berufen wird. Er wird auch den Kirchengesangverein abtreten müssen. Er nimmt sich aber quasi das schönste Abschiedsgeschenk aus Wädenswil mit, nämlich seine Gemahlin. Von der Vorstandssitzung vom 6. Februar 1943 in der «Rosenau», dem Heim des Präsidenten Notar Wild, wird berichtet, dass dieser dem Brautpaar Heinrich Funk – Fräulein Bertschmann (Tochter des Wädenswiler Gemeindeschreibers) einen besonderen Willkomm entbietet und «die Verlobung des Dirigenten mit der Quästorin als einzigartige Begebenheit in der Geschichte des Kirchengesangvereins» bezeichnet. Eine Woche später, an der Generalversammlung, löst Hans Christener Notar Wild im Präsidium ab, und für Heinrich Funk wird als Stellvertreter Rudolf Sidler gewählt.
Militärdienst und Verpflichtungen in Zürich bringen es mit sich, dass Heinrich Funk sein letztes Wädenswiler Konzert, die «Schöpfung» von Joseph Haydn, erst am 24. September 1944 durchführen kann. An der Generalversammlung vom 1. Oktober 1944 wird Rudolf Sidler, bereits beim Männerchor «Eintracht» bewährt, als Nachfolger gewählt.

ÄRA RUDOLF SIDLER

Rudolf Sidler (30. 6. 1914 bis 10. 9. 1978)
Rudolf Sidler durchlief in seiner Vaterstadt Luzern, «einer wunderbaren Kleinstadt, prächtig gelegen am unteren Seebecken des Vierwaldstättersees», die Schulen bis zur Matura und wandte sich neben dem Klavier und Cello vor allem der Orgel zu, die sein Lebensinstrument werden sollte. 1935 begann er seine organistische Tätigkeit an der neuerbauten protestantischen Lukaskirche in Luzern. Das Studium am Konservatorium erlaubte ihm trotzdem noch Stellvertretungsdienste am Berner Münster für seinen Freund und Lehrer Prof. Ernst Graf. Über Thalwil (1938) kam er dann «zwei Tage vor dem Einrücken» im Jahr 1942 durch Heinrich Funk nach Wädenswil. Der Mitgliederbestand betrug damals 64 Aktive und 68 Passive.
Am 15. Juli 1945, bereits wieder in Friedenszeiten, gestaltet der neue Dirigent die Einsetzungsfeier für Pfarrer Walter Angst, der jahrzehntelang ein treuer Freund für die Belange des Chores und mein lieber Mitsänger − hört ihr den kräftigen Tenor von «Hurrah», wie ihn seine Kommilitonen nannten?! − sein sollte. Auch die Amtseinsetzung von Pfarrhelfer Hans Suter fällt in diese Zeit.
Musikdirektor Rudolf Sidler, 1914−1978.

Am 9. Dezember 1945 wird das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach aufgeführt mit Else Stüssi als glänzender Konzertmeisterin des Orchesters aus Mitgliedern des Tonhalleorchesters in Zürich. Sie ist die Tochter des einstigen Dirigenten unseres Chores.
Der 8. Dezember 1946 verdient trotzdem eine besondere Erwähnung. Neben den berühmten Solisten für die «Jahreszeiten» von Joseph Haydn wird zum erstenmal das Stadtorchester Winterthur engagiert. Es sollte zur Tradition werden. Das Konzert bringt in jeder Hinsicht einen vollen Erfolg, seitens der Kirchenpflege indessen einen kleineren Rüffel ein: «Es lebe der Wein, der edle Wein, der Grillen und Harm verscheucht; sein Ruhm erschalle weit und breit ... »; so war in den «Jahreszeiten» jubiliert worden. Diese bacchantische (unchristliche?) Stimmung war offenbar nicht ganz nach dem Geschmack der Kirchenpflege, die darum mitteilen lässt, man möge inskünftig vorerst fragen, was; man (mit ihrer Unterstützung!) im nächsten Konzert jeweils zu singen gedenke.
In der Diaspora, und zwar diesmal in der reformierten Kirche Einsiedeln, werden am 5. Januar 1947 Teile aus diesem Oratorium gesungen, wobei dann eine bewährte Korrepetitorin, Fanny Rusterholz († Frühling 1988), als Sopranistin zum Zuge kommt. Singen in der Diaspora, meistens zur Bereicherung des Gottesdienstes, ist für unsern Dirigenten, der in Luzern den «herzerfrischenden liberalen Luftzug über den klerikalen Gewässern» von Jugend auf schätzen gelernt hat, ein Herzensanliegen.
 
Ruedi Sidler
Ausflug nach Oberägeri. Vorprobe zum Gottesdienstsingen in der Kirche: Fatalerweise fehlen die Partitumoten. Preisfrage: Wer vom Ehepaar holt diese wohl zu Hause?!
Die farbigen Scheiben in der Kirche haben es Rudolf Sidler nicht angetan. So fordert er den Chor einmal auf: «So, singed emol äso schmätternd, dass es die elende farbige Schiibe äntli emol usejagt!»
Ein kleines, älteres Fräulein singt oft recht laut und... leider ein bisschen falsch. Heikle Sache. Eine der Sopranistinnen berichtet: Wir drehten es so, dass wir ihr vor der Hauptprobe sagten, sie möchte ihre starke Stimme etwas schonen, damit sie am Schluss, «wenn wir dann müde sind ... », den Part durchtragen könne. Sie befolgte den Rat grossartig, und das Konzert war gerettet.
«Stönd nöd da wie pangsionierti Mönch!» tadelt Ruedi einmal lachend.
Als Rudolf Sidler für 1949 «Ein deutsches Requiem» von Johannes Brahms plante, waren die Musiknoten noch nicht käuflich zu erwerben. Sie mussten von Hamburg entlehnt werden.
 
Abendmusiken, Passionskonzerte, Führung und zeitweise Leitung des Jugendchores − für den Nachwuchs! −, Darstellung des gesamte Bachsehen Orgelwerkes an Orgelabenden und Vespern sind nur ein paar Stichworte der Tätigkeiten Rudolf Sidlers. Im Jahrbuch 1978 hat Hans Scheidegger dessen Leben − Rudolf Sidler starb am 10. September 1978 ganz unerwartet − gewürdigt; 1975 war seine Tätigkeit, 40 Jahre im Organistenamt, im «Anzeigern resümiert worden.
Mit «Le Laudi» von Hermann Suter, dem «Sonnengesang des hl. Franziskus von Assisi», wird am 27. November 1947 ein Werk eines Schweizer Komponisten mit grossem Erfolg zu Gehör gebracht. Rudolf Sidler leitet alle seine Konzerte und dazu die Gottesdienstbereicherungen mit dem Chor mit einer Begeisterung, die ihresgleichen sucht. Seine Frau Mia ist ihm dabei Stütze, Beraterin, Korrepetitorin, Regisseurin und – ganz selten vielleicht einmal – lieber Blitzableiter. Der Chorpräsident hatte daneben vergleichsweise eine weit leichtere Bürde.
Präsident Hans Christener wird 1951 von Walter Habersaat abgelöst und zum Ehrenmitglied ernannt. Walter Habersaat stellt in seinem ersten Jahresbericht fest: «Der Kirchengesangverein hat zwei Übel: keine Chordisziplin und kein Geld.» Vermerkt ist in diesem Jahresbericht auch die musikalische Umrahmung der Generalversammlung des Pestalozzivereins, eine Tradition, die bis zu Dekan Pfisters Zeiten zurückverfolgt werden kann.
1953 wird von keinem Konzert berichtet; aber am 13. Februar 1953 veranstalten die vereinigten Männerchöre Lachen, Sängerbund Thalwil und «Eintracht» Wädenswil, der Kirchengesangverein − alle unter Sidlers Leitung und der Orchesterverein Wädenswil immer noch unter der Leitung von Heinrich Funk ein Wohltätigkeitskonzert zugunsten der wassergeschädigten Bevölkerung Hollands.
81 mitwirkende Chormitglieder seien wieder einmal vermerkt. An grossen Namen von Solisten finden sich in den folgenden Jahren wieder oder neu: Eduard Müller, Organist aus Basel, Maria Stader, Agnes Giebel, Ursula Buckel, Barbara Geiser-Peyer, Edith Mathis, Elisabeth Speiser, Julius Patzak, Werner Ernst, Heinz Rehfuss, Jakob Stämpfli, John Mitchinson, Kurt Widmer, u. a., Peter Lukas Graf als Flötist, Ellen Widmann als Hexe von Endor in Honeggers «Roi David» (1958), Peter Rybar und später Abraham Comfort als Konzertmeister der «Winterthurern.
 
Bassist H. St. möchte sich bei Ruedi entschuldigen und sagt ihm, dass er wegen seines Knies nächstesmal wahrscheinlich nicht zur Probe kommen könne. Ruedis Antwort: «Warum , mein lieber Hans? Seit wann singst du mit dem Knie?»
 
Eine Rückschau auf 100 Jahre muss aber immer noch Lücken aufweisen; Ruedi Sidlers Wirken würde allein schon den verfügbaren Platz sprengen. Dank seinen – fast persönlichen – Gönnern, den Herren Willi und vor allem Paul Blattmann, können auch moderne Werke gewagt werden: Le Laudi (Hermann Suter), Das Gesicht Jesajas (Willy Burkhard), War Requiem (Benjamin Britten).
Die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach aufzuführen, ist ein Höhepunkt in der Vereinsgeschichte. 1960 wird das Werk vom verstärkten Kirchengesangverein und vom verstärkten Stadtorchester Winterthur aufgeführt (Maria Stader, Marga Höffgen, Herbert Handt, Heinz Rehfuss). Die «Neue Zürcher Zeitung» spricht von einer «imponierenden Wiedergabe unter Rudolf Sidlers Leitung».

Wenn das Winterthurer Orchester − anfänglich noch nicht derart motorisiert − jeweils am Samstag vor dem Konzert zur Hauptprobe kam, wurden die Musikanten und Solisten bei Wädenswiler Familien einquartiert. (Daraus haben sich übrigens über Jahre hinaus nette Verbindungen ergeben.) Ein Rundschreiben des Vorstandes an die Gastfamilien bittet einmal, man möge den Musikanten ein geheiztes Zimmer zur Verfügung stellen ... Als frisch erkorener Präsident wurde meiner Familie Edith Mathis, «Luzern und Köln», zugeteilt. Der NZZ-Kritiker Rudolf Wipf schrieb damals: «Die jugendliche Sopranistin Edith Mathis schenkte ihren herrlichen Arien jubelnden Glanz und tiefes Erleben.» Diese Arien und Koloraturen übte die Künstlerin am Sonntagmorgen in ihrem Zimmer. Unsere drei Maitli, wohl Klavier- und Streicherklänge gewohnt, staunten nicht wenig, und unsere kleine Beatrice wunderte sich: «Was macht au die do obe?»
 
1961 geht das Chorpräsidium von Walter Habersaat an Richard Müller über. Er hat das Vergnügen, eine Auführung des «Roi David» in Genua mit in die Wege zu leiten. Trotz den Beziehungen Sidlers, auch zum Schweizerkonsul in Genua, Max Corti, und der Unterstützung durch die Stiftung PRO HELVETIA, kann die Intendantin Celeste Lanfranco das Theater, das wegen Kriegsschäden geschlossen werden muss, nicht öffnen. Hoffnung auf später?!
 

75 JAHRE KIRCHENGESANGVEREIN, 1963

Drei Ereignisse prägen das Jahr:
1. Festkonzert mit der ungekürzten Fassung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach: 24. März 1963
und gleichentags
2. Ein Festakt auf der Halbinsel Au mit Nachtessen und Jubiläumsfeier mit dem Chor, der Kirchenpflege, Gemeindevertretern, mit Gemeindepräsident Fritz Störi an der Spitze, zeitweise auch Sponsor − wie man heute sagt − unseres Vereins, Delegierten befreundeter Vereine, einigen Solisten, Vertretern des Orchesters und unserem Gönner Paul Blattmann.
3. Ein Festgottesdienst am Chilbisonntag mit zwei Bachkantaten, gestaltet von Pfarrer Walter Angst; 23. August 1963. Der Chor zählt einen Höchststand von 120 Sängern, der evangelische Jugendchor 30 Kinder. Die Kirchenpflege mit Präsident Dr. D. Iselin schenkt dem Chor als Jubiläumsgabe zwei Kesselpauken mit Gehäuse.
1967 ist mit der Feier 200 Jahre Barockkirche Wädenswil ein weiterer Markstein für unsere Gemeinde und so auch für unsern Chor. Die «Missa solemnis» von Ludwig van Beethoven wird aufgeführt, ein Traumwerk und -ziel für einen Dirigenten. Rudolf Sidler bringt seinen Kammerchor Zürcher Oberland mit, und unter Mitwirkung der Wädenswiler wird am 4. Februar 1968 als Dank an die Oberländer die Missa in Wald wiederholt. Am üblichen Bankett nach dem Konzert berichtet Maria Stader, dass sie vor 30 Jahren erstmals in Wädenswil gesungen habe.
Drei Ereignisse prägen das Jahr:
1. Festkonzert mit der ungekürzten Fassung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach: 24. März 1963
und gleichentags
2. Ein Festakt auf der Halbinsel Au mit Nachtessen und Jubiläumsfeier mit dem Chor, der Kirchenpflege, Gemeindevertretern, mit Gemeindepräsident Fritz Störi an der Spitze, zeitweise auch Sponsor − wie man heute sagt − unseres Vereins, Delegierten befreundeter Vereine, einigen Solisten, Vertretern des Orchesters und unserem Gönner Paul Blattmann.
3. Ein Festgottesdienst am Chilbisonntag mit zwei Bachkantaten, gestaltet von Pfarrer Walter Angst; 23. August 1963. Der Chor zählt einen Höchststand von 120 Sängern, der evangelische Jugendchor 30 Kinder. Die Kirchenpflege mit Präsident Dr. D. Iselin schenkt dem Chor als Jubiläumsgabe zwei Kesselpauken mit Gehäuse.
1967 ist mit der Feier 200 Jahre Barockkirche Wädenswil ein weiterer Markstein für unsere Gemeinde und so auch für unsern Chor. Die «Missa solemnis» von Ludwig van Beethoven wird aufgeführt, ein Traumwerk und -ziel für einen Dirigenten. Rudolf Sidler bringt seinen Kammerchor Zürcher Oberland mit, und unter Mitwirkung der Wädenswiler wird am 4. Februar 1968 als Dank an die Oberländer die Missa in Wald wiederholt. Am üblichen Bankett nach dem Konzert berichtet Maria Stader, dass sie vor 30 Jahren erstmals in Wädenswil gesungen habe.
Programm für das Festkonzert «200 Jahre Barockkirche Wädenswil», 26. November 1967.
Ein Singwochenende in Valbella/ Lenzerheide hat auch für diese Aufführungen die nötige Kleinarbeit gefördert, und die Haussolisten – etwa die Damen Marianne Sieber, Heidi Kobel, Silvia Schulthess und Eva Bär oder die Herren Walter Habersaat und Peter Friedli – werden als versierte Korrepetitoren eingesetzt. «Nicht geselliges Beisammensein, sondern ernsthafte Probenarbeit sei unsere Losung», erinnert sich Elisabeth Locher, langjährige verdiente und fröhliche (Schnitzelbänke!) Aktuarin aus einem Probeplan Ruedi Sidlers. Dass er aber mit seinem urchigen Luzerner Humor einen ernsthaft vorgetragenen Tadel wieder glätten kann, ist genau so verbürgt, wie seine köstlichen Darbietungen an Generalversammlungen: Da singt er im gemütlichen zweiten Teil − vor dem «Fernsehzeitalter», wie ich es nennen möchte, noch mit Theater und Gesang − ein Fiakerlied, oder, wenn er sich eine Tageszeitung bringen lässt, vertont er zum Beispiel ein Inserat für Leitern aus dem Stegreif als Arie und begleitet sich selber «frei nach Mozart, Bach oder Richard Wagner».
Ebenso vergnügt kann Ruedi sein, wenn er sich vor oder nach einer Probe oder einem Kirchendienst im «Du Lac» ein Schöpplein gönnt, dazu eine Toscani geniesst und dabei bestimmt bereits wieder neue musikalische Pläne ausheckt.

JUBILÄUM 25 JAHRE RUEDI SIDLER

Der 15. August 1969 vereinigt auf einer Abendrundfahrt auf dem Zürichsee eine Gratulationsschar von über 120 Teilnehmern. Aktive, Passive, Ehrenmitglieder, Behördevertreter mit Gemeindepräsident Fritz Störi und Kirchenpflegepräsident Albert Meier sind an Bord zur Feier des 25-Jahr-Jubiläums von Rudolf Sidler, und ein paar Wochen später jubilieren genau gleich Dekan Walter Angst und Sigrist Alfred Bodmer, unermüdlicher und dienstbereiter Helfer bei allen Organisationsproblemen.
 
Von einer Korrepetitorin gehört: Wir haben selber bei Ruedi in den Proben etwa gestöhnt und sind uns gelegentlich geschunden vorgekommen. Am Konzert aber, da waren wir wie hypnotisiert; wir genossen es und hingen wie an geheimnisvollen Fäden gezogen, wenn Ruedi unsere Sopranistinnengruppe dirigierte.
 
Enkel Moritz erinnert sich eines launigen Ausspruches seines Grossvaters Ruedi Sidler. «Weisst du, was schlimmer ist als ein Orgelkonzert?» – ??? – «Zwei Orgelkonzerte!» 
 
 

HÖHEPUNKT FÜR DEN CHOR

Wahrscheinlich der Höhepunkt in der Tätigkeit von Chor und Dirigent ist dann der 29. Januar 1970: Benjamin Brittens «War Requiem» wird erstmals in der deutschsprachigen Schweiz aufgeführt. Die Ehre fällt Rudolf Sidler zu, eine zweite, dass das Tonhalleorchester Zürich «auswärts» geht und das Werk sowohl in der Tonhalle als auch in Wädenswil aufgeführt werden kann. Die Komposition war 1962 zur Einweihung der wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry geschaffen worden. Zusammen mit dem Kammerchor Zürcher Oberland erzielt Rudolf Sidler einen grossartigen Erfolg, der u. a. in einem halbseitigen NZZ-Bericht des international geschätzten Musikrezensenten Willi Schuh seinen Niederschlag findet. Felix Schudel hat bei diesem War Requiem bereits den Jugendchor dirigieren können.
Für Herbst 1973 ist als neue Einstudierung das «Deutsche Requiem» von Johannes Brahms auf dem Programm, aber ein Spitalaufenthalt und anschliessende Rekonvaleszenzzeit unseres Dirigenten Rudolf Sidler bringen eine Verschiebung auf Frühling 1974. Im November des gleichen Jahres kann nicht nur in Wädenswil, sondern zudem in der St. Michaelskirche in Zug «Das Gesicht Jesajas» von Willy Burkhard aufgeführt werden. Anfangs 1975 schreibt mir Ruedi Sidler: «Für mich ist das Plansoll mit der überaus geglückten Wiedergabe des Brahms-Requiems bestens erfüllt.»
Ein gleiches ergibt sich auf die Generalversammlung vom 23. Januar 1976: Prof. Richard P. Müller tritt als Präsident zurück, wird zum Ehrenpräsidenten befördert, und René Fatzer wird sein Nachfolger.
Im Februar 1976 wird für Lü, die Patengemeinde der Stadt Wädenswil, ein Benefizkonzert veranstaltet; die Kollekte von 1070 Franken geht an die Münstertaler Berggemeinde. 1977 wird die f-Moll-Messe von Anton Bruckner, zusammen mit dem Kammerchor Oberland, zu einem vollen Erfolg: Drei Aufführungen, nämlich in Hinwil, Wädenswil und Winterthur, können veranstaltet werden. Im Dezember erklärt aber unser Dirigent seinen Rücktritt auf Frühling 1978. Ein «Probenbesuch unter 40 Prozent» und anderes mehr im Sommersemester 1977 liess letztlich den Geduldsfaden unseres Ruedi reissen. In seinem Schreiben dankt er dem «kleinen Häuflein der immer Zuverlässigen» und «den stets bereiten Zuzügern von nah und oft sehr fern, besonders aber der nimmermüden Schreiberin Frau H. Vollenweider». So möchte er sich «auf die Orgelbank (und den Männerchor) zurückziehen und dort noch einige Jahre still verbleiben». Mit Präsident und Vorstand hatten sich zudem einige Meinungsverschiedenheiten ergeben. − Die Stelle wird zur Neubesetzung ausgeschrieben.
 
1977
schreibt Rudolf Sidler in einem etwas erzürnten Brief an den Präsidenten den trostreichen Satz: «Der Kirchengesangverein war doch wohl mein liebstes Kind.»
 
Eine Dirigentenwahlkommission unter Vizepräsident Simon Dijkstra zieht von 13 Bewerbern vier in die engere Wahl, und von diesen macht Felix Schudel, seit 1976 bewährter Dirigent des Kammerorchesters Wädenswil, das Rennen. Die ausserordentliche Generalversammlung vom 5. Mai 1978 sanktioniert «mit grossem Mehr» diese Wahl.
Am 10. September 1978 dann stirbt Rudolf Sidler ganz unerwartet. Die Bestürzung ist weitherum gross. Ich glaube, was die Kirchenpflege am 14. September 1978 als Ingress zum Nekrolog im «Anzeiger vom Zürichsee» schreibt, umspannt den ganzen Freund und Menschen:
«Sein Leben galt der Musik. Er ist ein von Gott beschenkter Musiker gewesen. Die Orgel gehörte zu seinem Leben. Zu innerst ist er ein gläubiger Mensch gewesen. Er wusste, dass jede Gabe Gottes in den Dienst der Mitmenschen zu stellen ist. Deshalb galt sein Wirken der Gemeinde. Über die Grenzen der Konfession hinaus hat er das Lob Gottes gespielt. Er wollte die Menschen in ihrer Seele erheben, sie trösten und fröhlich machen. Und das ist ihm in reichem Masse gelungen.»

NEUESTE ÄRA FELIX SCHUDEL

Bereits amtet Felix Schudel als Dirigent des Kirchengesangvereins Wädenswil. Im Herbst 1978 muss er beim Kammerchor Zürcher Oberland einspringen, der noch unter der Leitung von Rudolf Sidler steht. Seine (bisherige) Laufbahn: Felix Schudel (* 11. Oktober 1946) ist in einer musikalischen Familie aufgewachsen: Sein Vater Oskar ist nicht nur Bratschist und Präsident des heute auch von Felix Schudel dirigierten Kammerorchesters Wädenswil (früher «Orchesterverein» genannt); er organisiert auch jedes Konzert, eine Arbeit, die vor ihm Simon Dijkstra während Jahren ebenso mustergültig bewältigt hat. Oskar Schudel ist heuer für 50 Jahre Mitsingens geehrt worden. Die Schwester Regine hat bei Ruedi Sidler ihre ersten Auftritte erlebt und ist heute geschätzte Sopranistin in Berlin.
Felix hat bereits den Geschmack bekommen, die erste Geige zu spielen, als der Berichterstatter noch Sekundarlehrer (bis 1963) in Wädenswil war und ihn im Schulorchester als jungen «Konzertmeister» ans erste Pult setzte.
Felix Schudel liess sich in Küsnacht zum Primarlehrer ausbilden, wo er heute als Hauptlehrer für Musik angestellt ist. Das Geigendiplom hat er berufsbegleitend bei Abraham Comfort, dem damaligen Konzertmeister «unseres» Stadtorchesters Winterthur, erworben. Als Zuzüger in diesem Orchester und heute als Stammusiker beim Glarner Musikkollegium lernte er, grosse Dirigenten zu beobachten. Gesangsstudien bei Frau H. Haefeli und Andreas Juon und Zusammenarbeit mit Ruedi Sidler bringen ihm wertvolle eigene Erfahrung auf diesem Sektor. Hieraus resultiert wohl auch die Vorliebe für unbegleitete kleinere Chorstücke, sogenannte a-cappella-Musik, die chortechnisch eine besonders schulende Wirkung haben.
«Neue Besen kehren gut», stellt Dr. Fatzer in seinem Jahresbericht fest, und der neue Dirigent sieht nach 1 1/2 Jahren mit Befriedigung, dass auch hinsichtlich Mitgliederzusammensetzung eine neue Chorgemeinschaft zusammenwachsen konnte. So kann Felix Schudel an ein Aufgreifen der jahrzehntelangen Tradition von Oratorienaufführungen in Wädenswil denken, und mit dem «Messias», letztmals 1961 hier aufgeführt, wird 1979 eine «gute Händel-Aufführung», wie es in der Presse heisst, erreicht. Aus der Ansprache am Abschlussabend des Konzertes ist ersichtlich, dass die Witwe von Rudolf Sidler weiterhin mithilft: «Glücklicherweise ist der Chor jedoch nicht allein. Seit vielen Jahren hilft uns Frau Mia Sidler, indem sie in unübertrefllicher Weise mit dem Klavier uns hilft, die Harmonik zu finden» (Dr. René Fatzer, 16. November 1980).
 
Mia Sidler ging nicht gern zum Arzt. Ein hartnäckiger Husten gebot aber doch einmal eine Konsultation. Bei der Untersuchung soll der auskultierende Arzt gesagt haben: «Ich höre da lauter Männerchorstimmen!»
 
«Strahlender Klang» heisst es schon beim Chorkonzert 1981 und «eindrückliche Kirchenmusik» ein Jahr später. Ruth Kostezer, eine der am längsten aktiven Sängerinnen und langjähriges Vorstandsmitglied, berichtet, wie sie es erlebt hat:
«Am 19. Mai 1978 tritt Felix Schudel zum ersten Mal vor die gelichteten Reihen gutwilliger, erwartungsvoll gespannter Sänger, beinahe als Jüngster und erst noch im, eigenen Vaterland'. Er findet sofort den Ton, den guten Ton, und wir merken, dass wir einen Vollblutmusiker vor uns haben. Seither mühen wir uns in ungezählten Proben, unseren guten Ton zu finden. Singen ist vor allem eine Sache der Freude, und Felix Schudel weiss, Freude am Üben zu wecken und zu übermitteln. Mit bewundernswerter Geduld, mit viel pädagogischem Gespür, Fantasie und grosser kabarettistischer Begabung gibt er erstaunliche Hilfen.
 
Das Unterbringen der Musikanten des Winterthurer Stadtorchesters brachte den Kindern der Gastgeber ungekannte Hochgefühle. Sie durften so etwa ein Fagott anrühren oder ein Horn in die Hand nehmen und haben sich sicher genauso königlich gefreut wie die Kinder in den Gwattwochen jetzt mit Felix Schudel, wenn etwa im Orchester mitgestrichen werden darf.
 
Felix Schudel, Dirigent des Kirchengesangvereins seit 1978.
Trotzdem sind wir bald ,Ofenröhren‘, bald ,bauchige Flaschen‘ oder ,automatisch aufspringende Schirme‘ und anderes mehr. Freude am Erfolg beflügelt. Dies erleben wir besonders intensiv an Wochenendproben und in den bisher vier Musikwochen in Gwatt am Thunersee. Die Teilnehmer aus dem Wädenswiler Chor − 90 bis 100 Aktive − und Orchester sowie aus dem Kammerchor Zürcher Oberland bilden jeweils zusammen mit ihren Familien und Zugewandten aus verschiedenen Regionen der Schweiz ein begeisterungsfähiges Ensemble.
In Gwatt, wie in Wädenswil, gibt es nicht nur ernsthafte Probenarbeit, sondern auch unbeschwerte Geselligkeit hat ihren wichtigen, festen Platz.»
Von den Konzertaufruhrungen macht Jakob Henzi − wie schon zu Ruedi Sidlers Zeiten − stets hervorragende Bandaufnahmen, welche den Mitwirkenden Rück- und Einblicke in ihre eigene Tätigkeit und Interpretation geben.
Vom Juni 1986 ist von den sehr regen kirchlichen Einsätzen des Jahres der Pfarreinsatz von Pfarrer Konrad Müller vermerkt.
 

NEUE PRÄSIDENTIN: URSULA BOSSHARDT

Die 100. Generalversammlung vom 11. April 1987 im Hotel «Du Lac» lässt nicht nur auf ein erfolgreiches Musikjahr Rückschau halten; sie bringt auch einen Wechsel im Präsidium: Mit Ursula Bosshardt übernimmt die zweite Frau in der Geschichte des Vereins − wie dieser Bericht zeigt − das Steuer des Vereinsschiffchens; Dr. René Fatzer tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Gleichrangig mit den «grossen Konzerten» entwickelt sich die Chortätigkeit in und für die Gemeinde. Eine ganze Seite umfasst jeweils Felix Schudels Programm der musikalischen Beiträge zu den Gottesdiensten: Familiengottesdienste, Konfirmationen, hohe Feiertage, Reformationssonntag usw. bringen dem Dirigenten und der neuen, tüchtigen Organistin Ursula Hauser ein vollgerüttelt Mass an Vorbereitungen und Durchführungsarbeit. Die Kirchenpflege und die Pfarrherren haben indessen unlängst gewünscht, dass statt lateinischer eher deutscher Texte in den Gesangsvorträgen gewählt würden und diese zudem volksnaher, «einfacher» und weniger konzertant sein sollten.
 
«Blechpauli», der Vater unseres verehrten Gönners Paul Blattmann, der unsern Chor zu seinen Lebzeiten mit einem sehr hohen, sechsstelligen Betrag unterstützt hat, spielt im Orchester, das den Chor begleitet, die Bassgeige. Um mit den Intervallen sicher zu sein, markiert er sie auf dem schwarzen Griffbrett mit Kreide.
Spassvögel verschoben ihm diese einmal vor einem Kirchenchorkonzert, und die Intonation muss nicht gerade überwältigend gewesen sein ...
 
Für das laufende Jahr steht als Grossaufgabe das «Stabat Mater» von Antonin Dvorak auf dem Programm mit je einer Aufführung in Wädenswil und Winterthur. Am 15. Mai 1988 wird der 100. Geburtstag unseres Kirchengesangvereins mit einem festlichen Kantaten-Gottesdienst, anschliessendem öffentlichem Aperitif im Kirchgemeindehaus und einem Festanlass im Landgasthof Halbinsel Au gefeiert.
Brigitte Poltera, auch «zweite Präsidentin», wie Ursula Bosshardt für den Kirchengesangverein, des Gemeindeparlamentes nämlich − Amtsjahr 1986/87 −, berichtet im «Anzeiger» u. a. darüber: «Jubiläen setzen Marksteine, verbinden gegenwärtiges Schaffen mit dem kulturellen Erbe, setzen Glanzlichter. Als solch glücklicher Höhepunkt, als Fest, wurde das Jubiläum '100 Jahre Kirchengesangverein' empfunden, das am Sonntag (15. Mai 1988) mit einem Kantatengottesdienst in der Kirche gefeiert wurde.»
 
Blechpauli spielt zuverlässig, glaubt aber einmal, als in seiner Stimme «G.P.» vermerkt war, das bedeute «grosse Pauke», und mächtig streicht er seinen Bass in diese Generalpause hinein.
 
Kantatengottesdienst in der reformierten Kirche Wädenswil zum Jubiläum «100 Jahre Kirchengesangsverein Wädenswil», am 15. Mai 1988.

Unter der Leitung von Felix Schudel musizieren über 70 Sänger und Sängerinnen mit dem Kammerorchester, mit Regine Schudel, Sopran, mit Trompetentrio (Chef der vortreffliche «Einheimische» Fritz Bachofner), Oboen und Fagott (der Wädenswiler Hansjürg Stocker). Pfarrer Andreas Boller beschreibt in seiner Festpredigt über Ap. 16, Verse 25 und 26, die grosse Kraft, die aus Lobliedern und aus der Musik strömt, eine Kraft, die Türen öffnen kann. Unsere Barockkirche ist − wieder einmal − sozusagen bis auf den letzten Platz besetzt, und nicht nur der stets hilfsbereite Sigrist Werner Streuli, die ganze Bevölkerung freut sich mit. Fröhlichkeit und Begeisterung äussern sich auch in lebhaften Gesprächen beim Apero, der, von der Kirchenpflege gespendet, rund um die Kirche bei strahlendem Sonnenschein im Freien angeboten wird.
 
Wer vom Chor kennt nicht die Autonummer ZH 1297? Das ist doch unsere Frau Emmy Hürlimann-Streuli auf der Fuhr, die jahrzehntelang mitgesungen hat. Zwischen 1/4 vor und 8 Uhr konnte man sie am Freitagabend in den Rotweg einbiegen sehen, hier anhaltend, dort anhaltend, um noch eine Mitsängerin zur Probemitzunehmen. «Gave her a lift», würde man heute «modern» sagen.
 
Programm für den Festgottesdienst «100 Jahre Kirchengesangverein Wädenswil», 15. Mai 1988.
Im Landgasthof Halbinsel Au versammelt sich die Festgemeinde, wo Ursula Bosshardt umsichtig das Szepter führt. Stadtpräsident Walter Höhn, der Vizepräsident der Kirchenpflege, Ueli Müller, die frischgewählte Gemeinderatspräsidentin Maria/Maja Christener − die Tochter unseres einstigen Präsidenten Hans Christener und das Gönnerehepaar Ernst Blattmann figurieren unter den Ehrengästen. Der «zehnjährige» Dirigent Felix Schudel gibt mit seinem Chor ein paar hervorragende Proben von a-capella-Stücken, so etwa das humorvoll nostalgische «Wer hat das erste Lied erdacht», komponiert vor ungefähr 100 Jahren von einem Wädenswiler, Johann Caspar Willi, und als imponierenden Gegensatz das moderne «Salve mundi, Domine» des Luzerners Hansruedi Willisegger. Ansprachen und Unterhaltungsbeiträge werden aufgelockert durch ein vorzügliches Klavierquintett Franziska Szalatnay, Marianne Meierhofer, Elmar Heinzli, Ursula und Antonio Mordasini-Egli (letzterer am Klavier), die mit Wiener Kaffeehausmusik aus der Jahrhundertwende für zeitgenössische Stimmung sorgen.
Der «hundertjährige» Berichterstatter kann sich  nach dreizehn Kilogramm Aktenstudium all den Wünschen anschliessen und seinen Rückblick, der ihn ein- und umsichtig(er) gemacht hat, mit den Worten schliessen: Ad multos annos!