Wädenswil 1916 – eine Zeitreise

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2016 von Mariska Beirne / Christian Winkler

Hermann Gattiker und die Wädenswiler Beizen

Die Wädenswiler Beizen
Das gesellschaftliche Leben fand früher zu einem grossen Teil im Wirtshaus statt. Eng damit verbunden waren die zahlreichen Vereine, die über ihr jeweiliges Stammlokal verfügten und nach den Versammlungen, Proben und körperlichen Ertüchtigungen hier einkehrten. An Wochenenden oder Feiertagen waren die Gaststuben voll, es gab Musik und es wurde getanzt. Zu den ältesten Gasthöfen in Wädenswil gehörten das Gemeindehaus bei der Kirche, das 1821 abgebrochen wurde, die «Krone», der «Engel» und der «Hirschen». Von der Bedeutung der Beizen zeugt auch die Zahl der ausgestellten Wirtschaftspatente. Es wurden 6 Gasthof-, 40 Wirtschafts- und 25 Kleinverkaufspatente erteilt.

Restaurant Schiffli, abgebrochen 1931.

Hermann Gattiker vor seinem Restaurant.

Hermann Gattiker und das «Schiffli»
Hermann Gattiker (1876–1967) machte eine Konditorlehre und übernahm nach einem Auslandaufenthalt 1901 von seinen Eltern das «Schiffli», was ihm den Übernamen «Schiffli-Gattiker» eintrug. Er betrieb das Restaurant bis das Gebäude 1931 für den neuen Bahnhof abgebrochen wurde. Von 1911 bis 1916 war er zudem der Pächter des Gasthofs auf der Halbinsel Au. Dort nahm die Zahl der Ausflugsgäste wegen des Kriegs immer mehr ab. Hermann Gattiker engagierte sich in der Stiftung zur Erhaltung der Burgruine Alt-Wädenswil, im Verkehrsverein und fast 45 Jahre im Fasnachtsverein «X-Gesellschaft».

Der «Engel»
Der 1878 erbaute Engelsaal war während Jahrzehnten ein viel genutzter und beliebter Versammlungsort. Hier fanden Bankette, Generalversammlungen, Musikfeste und Theateraufführungen statt. Aber auch die Turner präsentierten hier ihr Können an den Kränzchen und nutzten die gesamte Höhe des Saals. Witwe Pauline Meyer-Schoch erbte 1895 den Gasthof von ihrem verstorbenen Mann, der seit 1883 hier gewirtet hatte. Sie führte den Betrieb zusammen mit dem Sohn bis 1918.
 
Weinlieferung für den «Hirschen»
Im «Hirschen» fand zu Silvester 1916 ein rauschendes Fest statt. Denn die 400 Liter Traubensaft, die der Wirt Karl Kessler im Bündnerland für den beliebten Sausersonntag bestellt hatte, wollten einfach nicht gären. So kam es, dass es nach vielen Wochen erst um Weihnachten in den Fässern «rauschte», worauf im «Anzeiger» sofort zum grossen Sauserfest eingeladen wurde.
 
Abstinenzbewegung
Am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand die Alkohol-Abstinenzbewegung auch in der Schweiz grossen Anklang. Durch den Verzicht auf Alkohol versprach man sich die Lösung für zahlreiche gesellschaftliche Probleme und die Hebung der Sittlichkeit. Einer der Vordenker der Abstinenzbewegung war Auguste Forel. Er gehörte im Schloss Au bei Fanny Moser-Sulzer zu den gern gesehenen Gästen.

«Einmal empfing sie sogar eine Abordnung des Internationalen Kongresses des Guttempler Ordens. Der lange Demonstrationszug mit Forel an der Spitze marschierte vom Bahnhof die Allee entlang und rund um den Rasenplatz vor das Haus. Und Mama bewirtete alle.»

Fanny Moser-Sulzers Tochter Mentona

In Wädenswil gab es 1916 drei Vereine, welche die Abstinenz propagierten: das Blaue Kreuz, der Allianz-Abstinentenbund und die Guttemplerloge. In der Zeitung erschienen immer wieder Anzeigen, die für ihre Anliegen warben. Gegendarstellungen liessen oft nicht lange auf sich warten.
 
Alkoholfreier Gasthof «zur Sonne»
im Jahr 1911 eröffnete Robert Matzinger den alkoholfreien «Gasthof zur Sonne» als erste Lokalität dieser Art auf dem Land im Kanton Zürich. Hier fanden zahlreiche Vorträge zu Themen rund um die Gefahren des Alkoholismus statt.

Gasthof Hirschen, abgebrochen 1975.

Werbung für den Alkoholfreien Gasthof zur Sonne.




Mariska Beirne




Christian Winkler