Wädenswiler Knabenschiessen

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Ernst Hiestand
 
Wie es dazu kam und warum es heute nicht mehr durchgeführt wird. In der Stadt Zürich aufgewachsen, nahm ich mit Begeisterung in all den Jahren, in denen ich teilnahmeberechtigt war, am Knabenschiessen im Albisgüetli teil. Ich schoss nie schlecht und wäre beim letzten Mal sogar Schützenkönig geworden, wenn ich in der Aufregung des in Aussicht stehenden Erfolges nicht den letzten Schuss ins Zentrum der falschen Scheibe geknallt hätte. Diese Niederlage sollte ihre Folgen haben. Bis es aber soweit war, zogen die Jahre ins Land. 1930 übernahm ich im Schulhaus Ort meine Lebensstelle als Lehrer. 1951 war es endlich soweit, dass mein inzwischen herangewachsener Sohn als Bürger der Stadt Zürich am Knabenschiessen unserer Vaterstadt hätte teilnehmen können. Meine Anmeldung wurde aber abgewiesen mit der Begründung, dass heutzutage nicht mehr das Bürgerrecht zähle, wie es seit altersher gewesen war, sondern nur noch das Wohnortprinzip gelte. «Dann wird eben ein Wädenswiler Knabenschiessen ins Leben gerufen, damit mein Sohn schiessen kann!» war für mich die einzig mögliche Folgerung.
Bei den Kameraden der Schützengesellschaft Au fanden meine Pläne begeisterte Zustimmung. Jede nur mögliche Unterstützung wurde mir zugesagt, wenn ich die gesamten Vorbereitungen, die Durchführung und Leitung dieses Anlasses übernehme. Im Kleinkaliberstand Hangenmoos sollte der erste Versuch gewagt werden. Mit Feuereifer machte ich mich ans Werk. Ein Anmeldeformular wurde entworfen, ein Bettelbrief an die Gabenspender aufgesetzt, behördliche zivile und militärische Bewilligungen mussten eingeholt werden, nichts durfte vergessen werden, was zum Gelingen nötig war. An die Verpflegung aller Teilnehmer musste gedacht werden: Wer lieferte Brot, Wurst und Most? Die Gewehre mussten bestellt, geholt und nach dem Schiessen wieder ins Zeughaus zurückgebracht werden. – Standblätter, Standblattausgabe, Rangierung und alles Finanzielle erledigte von Anfang an gewissenhaft und zuverlässig mein Schützenkamerad Walter Leuthold. Ich bin ihm zu grossem Dank verpflichtet.
Am ersten Septembersamstag des Jahres 1951 war es soweit. 66 Knaben vom Ort, von Wädenswil und Schönenberg hatten sich angemeldet. Im Stand der Kleinkaliberschützen im Hangenmoos erwarteten vereinseigene Instruktoren mit ihren Gewehren die jungen Schützen. Rechnungsbüro, Gabentisch und Verpflegungsabgabe waren im Schiesstand Steinacher untergebracht. Vereinseigene Schreiner hatten den Gabentisch gezimmert, auf dem Schützenfrauen die von mir eingesammelten Gaben fein geordnet und gezählt bereitgelegt hatten. Keine überdimensionierten Gaben waren es, aber jeder sollte etwas mitheimnehmen können. So lautete die Devise. Abend für Abend hatte ich nach der Schule bei den Spendern in der Au und im Dorf vorgesprochen. Ausnahmslos wurde ich überall mit grossem Verständnis und zustimmender Freude aufgenommen. Mit dem vollgepackten Veloanhänger brachte ich die Gaben ins Schulhaus, wo sie auf den Festtag warteten. Das erste Wädenswiler Knabenschiessen gelang zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Die Begeisterung war so gross, dass beschlossen wurde, fortan jedes Jahr ein Knabenschiessen durchzuführen, aber vom nächsten Jahre an auf 300 m im Steinacher. 1952 waren es schon 126 Knaben. Goldschmied Küffer hatte inzwischen eine schöne Wanderkanne gestiftet, und Malermeister Estermann spendete jedes Jahr für jeden Jahrgangersten einen schön bemalten Holzteller. Name, Punktzahl und Jahrgang wurden während der Rangierung noch eingetragen. Die Teilnehmerzahl wuchs von Jahr zu Jahr. Bald konnte ich die Gaben nicht mehr selber einsammeln. Aber immer wieder fand ich Helfer in den Reihen der Schützengesellschaft Au, die mich unterstützten. Ich bin ihnen allen von Herzen dankbar, denn ohne ihre treue Hilfe wäre es mir unmöglich gewesen, diesen Anlass durchzuführen. 1967 waren es 247 Knaben. Der Schützenstand Steinacher war bei der Rangverkündigung und der Gabenverteilung zum Bersten voll. Jedermann wollte dabei sein, wenn der Schützenkönig mit Wanderkanne, Holzteller und der selbst erwählten Gabe in den Händen vor Freude strahlte. Bis dann der Allerletzte sein Gäblein vom leergewordenen Gabentisch mit nach Hause nehmen konnte, war längst die Dunkelheit hereingebrochen. In den letzten Jahren war auch eine Lautsprecheranlage und eine Beleuchtung notwendig geworden. Wie würde es wohl weitergehen? 1968 waren die Vorbereitungen bereits getroffen. Der Schiesstag war bestimmt, sämtliche Vereine hatten im Laufe des Sommers ihre Schiesspflicht erfüllt, nur das Knabenschiessen und die verschiedenen Endschiessen standen noch auf dem Programm. Da kam, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die üble Kunde: Der Schiessstand Steinacher wird aberkannt und darf ab 1. September 1968 nicht mehr benützt werden. Seltsam, höchst seltsam. Bis alle Vereine ihre Bedingung geschossen hatten, war es nicht gefährlich gewesen. Das Knabenschiessen war der erste gefährliche Schiessanlass! Wer der eigentliche Urheber dieses üblen Spieles war, weiss ich heute noch nicht. Für mich bedeutete es das Ende einer schönen, erfolgreichen, von mir geschaffenen Tradition zur Freude der schiessfreudigen Jugend von Wädenswil. Man machte mir zwar den lächerlichen Vorschlag, mit den 250 Knaben und allem Drum und Dran ein einer Nachbargemeinde den Anlass weiterzuführen . . . In grimmigem Zorn entschloss ich mich, alles aufzugeben und selber keinen Schuss mehr abzugeben, bis das Dorf Wädenswil wieder einen eigenen Schiesstand hat! Das war 1968! Heute schreiben wir 1976! Wie lange dauert dieser klägliche Zustand noch an? Wehmütig denke ich an die Zeiten zurück, als es das Wädenswiler Knabenschiessen noch gab!




Ernst Hiestand