Das Grabmal von Karl Stamm

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1990 von Peter Ziegler / Dr. Adolf Stutz

LEBENSLAUF VON KARL STAMM

1890   Karl Stamm wird am 29. März in Wädenswil als sechstes von neun Kindern des Kaufmanns Jakob Stamm-Schoch (1860-1920) geboren.
1898   Tod der Mutter.
1904   Erstes Gedichtbüchlein, illustriert mit eigenen Zeichnungen. Karl sollte die Kunstgewerbeschule in Zürich besuchen; er aber will Schriftsteller werden.
1906   Eintritt ins Lehrerseminar Küsnacht.
1908/09   Ferienreisen nach Paris, Mailand und Venedig.
1910   Karl Stamm übernimmt eine Lehrstelle in Lipperschwendi im Tösstal.
1911   Erste Fassung von «Das Hohelied».
1913   «Das Hohelied» erscheint, illustriert mit einer Radierung des Freundes Eduard Gubler.
1914   Ein Stellenwechsel bedingt die Übersiedlung an die Gartenhofstrasse in Zürich. Die Einberufung zum Grenzdienst und die innere Auseinandersetzung mit dem Krieg lösen eine schwere Krise aus.
1915   Karl Stamm veröffentlicht das Gedichtbändchen «Aus den Tornistern».
Karl Stamm (1890−1919).
1917   Achtwöchiger Spitalaufenthalt in Quarantäne wegen Scharlachfieber. Befreiung vom Grenzdienst. Das Bilderbuch «Die Kinder im Schlaraffenland » erscheint, mit Versen von Karl Stamm und Illustrationen von Hans Witzig.
1919   Die Gedichtsammlung «Aufbruch des Herzens» erscheint. Karl Stamm erkrankt an Grippe, stirbt am 21. März und wird am 25. März in Wädenswil beerdigt.




Peter Ziegler


EINWEIHUNG DES DENKMALS AUF DEM FRIEDHOF, 1944

Im Frühling 1944 jährte sich der Todestag des Lyrikers Karl Stamm zum 25. Mal. Im Herbst des gleichen Jahres wurde auf dem Friedhof Wädenswil ein Grabmal eingeweiht. Da es mit Unterstützung der Lesegesellschaft geschaffen worden war, hielt der Präsident der Lesegesellschaft, Dr. Adolf Stutz, die Gedenkrede. Das Manuskript hat sich in den nachgelassenen Schriften erhalten. Es wird hier im Wortlaut veröffentlicht:
Ich freue mich herzlich, Sie alle im Namen des Vorstandes und des Arbeitsausschusses der Lesegesellschaft Wädenswil hier oben auf dem schön gelegenen Friedhof unserer Heimatgemeinde willkommen heissen zu dürfen. Anlass zu unserem Zusammenkommen bildet die Übergabe des Grabmals für unseren frühvollendeten Dichter Karl Stamm.
Als im März dieses Jahres (1944) der Todestag des Dichters sich zum 25. Male jährte, da betrachtete es unsere Lesegesellschaft als eine Ehrenpflicht, in einer Gedenkfeier an die Person des Dichters und seines Werkes zu erinnern. Armin Ziegler aus Zürich hatte damals die Freundlichkeit, uns den Lebensweg Karl Stamms, über dem schon sehr früh recht düstere Wolken hingen, zu schildern und in formvollendeter Art Proben seiner Muse zu geben. Seine damals gesprochenen Worte, die ein Trio mit Beethovenscher Musik umrahmte, sind wohl heute bei allen, die dem Anlass beiwohnten, in frischer, lebhafter Erinnerung. Meine Aufgabe kann heute deshalb lediglich sein, Ihnen eine kurze Schilderung der Entstehungsgeschichte des Grabmals zu geben, das bei diesem Anlass in die Obhut der Gemeinde Wädenswil übergehen soll.
Als im vergangenen Jahr (1943) im Zuge der temporären Räumung eines Gräberfeldes unseres Friedhofs auch die Ruhestätte Karl Stamms berührt wurde und die Gefahr bestand, dass mit der Wegnahme des Grabsteines das letzte äussere Erinnerungszeichen verschwinden und damit die Person des Dichters − nicht für seine Zeitgenossen, wohl aber für ihre Nachfahren − der Vergessenheit anheimfallen würde, da erwachte die Freundschaft und Verehrung für Karl Stamm zu neuem Leben.
In richtiger Erkenntnis der Sachlage setzte sich Eduard Gubler aus Zürich, ein Intimus von Karl Stamm, mit seinen Gesinnungsfreunden und im Einverständnis der Geschwister des Dichters mit dem Vorstand unserer Gesellschaft in Verbindung, um die Schaffung einer bleibenden Ruhestätte für Karl Stamm in die Wege zu leiten. Es war für unseren Vorstand nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern ein Bedürfnis, diesem Vorhaben seine Unterstützung angedeihen zu lassen.
Die Gemeindebehörde, mit der wir uns in Verbindung zu setzen hatten, brachte unserem Wunsche volles Verständnis entgegen und stellte uns einen schön gelegenen Platz zur Verfügung, worauf die Exhumierung der Überreste vorgenommen werden konnte. Damit waren die Voraussetzungen für die Errichtung des Grabmals erfüllt, und nun konnte ans Werk geschritten werden. Dieser Aufgabe unterzog sich Eduard Gubler, und ich stelle heute mit dankbarer Freude und Genugtuung fest, dass er es trefflich verstanden hat, hier die richtigen Kräfte einzusetzen.
Schon vor Jahresfrist bekamen wir ein Holzmodell zu Gesicht, das uns mit der Idee und der Auffassung, die im Grabmal verkörpert werden sollten, bekannt machte. Es fand unseren ungeteilten Beifall. Dann wurde es still für uns. Umso emsiger und eifriger war aber Ernst Keller, dem wir den Entwurf des Grabmals zu verdanken haben, am Werk. Ich bin ausserstande, Ihnen zu sagen, wie viele Ausführungsentwürfe entstanden sind und wieder vernichtet wurden. Ich weiss nur, dass sie zahlreich waren, bis einer Gnade vor dem kritischen Auge seines Schöpfers fand. Später erhielten wir Bericht, dass der Jurakalkfelsen, aus welchem das Monument gemeisselt werden sollte, in Wettingen eingetroffen sei, und dass nun der ausführende Künstler, ein Freund Karl Stamms, der Bildhauer Spörri, die Arbeit in Angriff genommen habe.
Das 1944 eingeweihte Grabmal von Karl Stamm auf dem Friedhof Wädenswil.
Mittlerweile zog der Herbst ins Land, und am 7. Oktober 1944, einem wunderschönen Sonnentag, konnte dann das Grabmal, nach Überwindung von allerlei Hemmnissen technischer Art, gestellt werden. Und nun steht es in seiner ganzen Grösse und vornehmen Schlichtheit vor uns und spricht zu uns.
Hätte, so möchte ich fragen, der frühe Tod, das durch die Umstände bedingte tragische Sterben Karl Stamms sinnvoller zum Ausdruck gebracht werden können, als es Keller mit dem zusammenbrechen den Pegasus tut? Ich glaube kaum!
Wohl wird uns durch den zusammenbrechenden Pegasus das Sterben eines Dichters versinnbildlicht. Eines Dichters – betrachten Sie nur die kraftvollen Flügel der Figur – der seinen Mitmenschen noch vieles zu sagen gehabt hätte. Aber noch mehr. Dieser sehnige Pferdeleib mit dem elastisch federnd anmutenden Rückgrat deutet an, dass hier eine Kreatur, nicht aus eigener physischer Schwäche, wohl aber unter dem Einfluss verderbenbringender Umgebung zu Boden gedrückt und in den Tod gestossen wird. Es ist der in den Sielen sterbende, vom Tod überraschte Dichter, der hier im Grabmal vor uns steht. Ich glaube nicht, dass die uns sich so darstellende Situation trefflicher und prägnanter zum Ausdruck hätte gebracht werden können als mit dem Dichter eigenen Worten: «Du wusstest nicht, wie tief Du Dich vollendet!»
So stehen wir vor einem glücklich vollendeten Werk, das in seiner Komposition künstlerische und in seiner vortrefflichen Ausführung kunsthandwerkliche Vollkommenheit ausstrahlt. Beide Künstler haben hier ihr Bestes gegeben. Und das zählt doppelt, wenn man weiss, dass sie das im Bewusstsein getan haben, dass ihnen für ihr hingebendes Schaffen kein klingender Lohn winkt. Im Namen der Angehörigen Karl Stamms, im Namen der Freunde des Dichters danke ich den Herren Keller und Spörri aufs Herzlichste für diese edle Freundestat!
Mein Dank gilt aber auch allen jenen, die in irgendeiner Weise dazu beigetragen haben, unserem lieben Karl Stamm eine bleibende Ruhestätte zu bereiten. Und nun möchte ich Herrn Gemeindepräsident Dr. Weber bitten, das Grabmal in die treue Obhut der Gemeinde zu nehmen, in die Obhut der Heimatgemeinde des Dichters. Ich zweifle nicht, dass dieser Bitte entsprochen werden wird, durften wir doch das grosse Verständnis, das unsere gegenwärtige Behörde für das dichterische Schaffen Karl Stamms besitzt, in reichem Masse wahrnehmen.




Dr. Adolf Stutz