100 Jahre Kaufmännischer Verein Wädenswil, 1879–1979

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1979 von Ruth Knobel / Bruno Ern / Otto Pfenninger

Einleitung

Am 1. Oktober 1979 konnte der Kaufmännische Verein Wädenswil auf sein 100jähriges Bestehen zurückblicken. Die Kaufmännischen Vereine sind zusammengefasst im Schweizerischen Kaufmännischen Verband. Jede Sektion betreut ihre Mitglieder innerhalb eines bestimmten Gebietes. Zurzeit umfasst das Sektionsgebiet des Kaufmännischen Vereins Wädenswil die Gemeinden Wädenswil, Richterswil, Hütten und Schönenberg sowie die schwyzerischen Orte Bäch und Wollerau. Bis vor kurzem gehörten zum Vereinsgebiet weite Teile der schwyzerischen Seebezirke, der March und der Höfe.
Nach der Gründung der Sektion Ausserschwyz − mit Zentrum in Lachen − erfolgte die Einschränkung auf die oben erwähnten Orte. Die angrenzenden Sektionen sind: Einsiedeln, Ausserschwyz, Rapperswil, Zürichsee rechtes Ufer und Horgen. Seit 1884 gehört unsere Sektion dem Schweizerischen Kaufmännischen Verband an, weIcher heute als Dachorganisation für 106 Sektionen mit total 81 095 Mitgliedern waltet (Stand: 1. Juni 1979).

Wesen und Zweck der Kaufmännischen Vereine

Der Kaufmännische Verein ist die Berufsorganisation der Handels- und Büroangestellten, des technisch/kaufmännischen Personals und des Verkaufspersonals im Innen- und Aussendienst. Die Sektionen setzen sich für ihre Mitglieder bei Unstimmigkeiten im Arbeitsverhältnis ein, helfen ihnen bei Bewerbungen und Rechtsproblemen und unterstützen sie mit Rat und Tat. Schwerpunkte der Aktivitäten der Kaufmännischen Sektionen sind die Berufspolitik, das Bildungswesen, verschiedenste Dienstleistungen zugunsten der Mitglieder sowie die Förderung gesellschaftlicher Veranstaltungen. Innerhalb der Berufspolitik nehmen die Kaufmännischen Vereine die beruflichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber Arbeitgeberorganisationen und Behörden wahr. In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Kaufmännischen Verband werden durch gesamtschweizerische, regionale und branchenmässige Verträge der Schutz der Angestellten gefördert und die Arbeitsbedingungen vereinheitlicht. Die Kaufmännischen Vereine sind Träger vielfacher Bildungsinstitutionen. In ihren Berufsschulen vermitteln sie das theoretische Wissen für die berufliche Ausbildung. Sie fördern die Weiterbildung durch Vermittlung von Fortbildungskursen zur Erlangung der höheren, eidgenössischen Fachprüfuriger mit Diplom, zum Beispiel als Bankbeamte, Bücherexperten, Buchhalter, Direktionssekretärinnen, EDV-Analytiker, Einkäufer, Handelsreisende und Agenten, Immobilientreuhänder und Korrespondenten. Die lokalen Sektionen organisieren im weiteren öffentliche Lehrkurse und allgemeinbildend, Veranstaltungen. Die Kaufmännischen Vereine vermitteln die vielfältiger Dienstleistungen und Institutionen des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes, wie zum Beispiel Arbeitslosenkasse, Krankenkasse, Solidaritätsfonds Sozial- und Bildungsfonds, Kasse für Stipendien, Darlehen und Zuwendungen, Hilfswerk des Schweizerischer Kaufmännischen Verbandes, Unfallversicherung, Ferien- und Reisevergütung.

Die Entwicklung des Kaufmännischen Vereins Wädenswil

Vor 100 Jahren fanden sich unter dem ersten Präsidenten, Herrn Jacob Suter, 24 junge Kaufleute zusammen und gründeten den «Verein Junger Kaufleute, Wädensweil». Die Gründungsversammlung fand im Saale zur «Eintracht» am 1. Oktober 1879 statt. Wie aus den Jahresberichten hervorgeht, waren die ersten Jahre nicht leicht. Doch dank wertvoller Unterstützung seitens der Behörden, Prinzipale und Lehrerschaft meisterten die initiativen Vereinsleiter die ihnen übertragenen Aufgaben und wurden für ihre zielstrebigen Bemühungen belohnt. Man war sich bewusst, dass ein berufliches Vorwärtskommen fundierte Kenntnisse voraussetzt. So galt es also, die jungen Kaufleute dazu zu bewegen, sich vermehrtes Wissen anzueignen. Man begann mit Sprachkursen in Französisch, Englisch und Italienisch.
Bezeichnend war für den Anfang, dass nur Aktivmitglied sein durfte, wer auch Kurse belegte. Das Kursgeld betrug – für 15 Wochen, das heisst 15 Unterrichtsstunden − Fr. 5.50, wobei bei regelmässigem Besuch Fr. 1.50 zurück vergütet wurden. Die Kurse wurden im heutigen Gewerbeschulhaus Wädenswil erteilt, und wir finden im 1. Jahresbericht − «erstattet der Generalversammlung am 27. Novbr. 1880» − folgenden Vermerk: «Der Iöbl. Gemeindrath, der uns die Lokalitäten wie auch das Gas im Secundarschulgebäude unentgeltlich zur Verfügung stellte, empfange für diese so grosse Erleichterung unserer Existenz unseren aufrichtigsten Dank. Möge er uns diese Unterstützung auch fernerhin zu Theil werden lassen.» Schon nach drei Jahren wurde das Angebot an Sprachkursen ergänzt durch Buchhaltungslektionen. Später folgten KaIIigraphie und Stenographie. Recht bald erkannte man die Wichtigkeit der Weiterbildung des kaufmännischen Personals. Für seine Kurse konnte der Verein deshalb schon früh die Unterstützung, zuerst der Schulpflege, später der Gemeinde erhalten.
Sekundar- und Gewerbeschulhaus Wädenswil, erbaut 1867. 1879 fanden hier die ersten Kurse des Kaufmännischen Vereins statt.

Eine Arbeitszeit von 12 bis 13 Stunden täglich war damals keine Seltenheit. Trotz allem kam aber auch die Geselligkeit nicht zu kurz. So wird immer wieder berichtet von Abendunterhaltungen, Sauserbummeln, Vereinsausflügen ...
Andere, ebenfalls sehr wertvolle Dienstleistungen waren die Vorträge und Diskussionsabende sowie die Eröffnung einer eigenen Bibliothek. Ursprünglich benützten die Mitglieder die Bibliothek der hiesigen Lesegesellschaft. Da das Interesse der Kaufleute eher auf dem Gebiet der beruflichen Fachliteratur lag, bildete die neugeschaffene Bibliothek des Kaufmännischen Vereins Wädenswil eine wertvolle Bereicherung des lokalen kulturellen Lebens. Durch regelmässige Anschaffungen und Schenkungen wurde der Bücherbestand laufend ergänzt und erweitert. Die Bibliothek war ab 1880 im Erdgeschoss zum «Sonnenhof» eingerichtet, ab 1891 wurde dem Verein von der Dorfschulpflege das Parterrezimmer im Alten Eidmattschulhaus dafür zur Verfügung gestellt. 1901 übersiedelte die Bibliothek ins Sonnental (alte Sparkasse), wo sie während 20 Jahren untergebracht war. Ab 1921 nahm das umgebaute alkoholfreie Gemeindehaus «zur Sonne» den Verein und die Bibliothek auf. Interessant ist die Tatsache dass auch ein reichhaltiges Sortiment an Tageszeitungen zur Bibliothek gehörte.
Anfangs 1893 wurde die Handelsschule gegründet, denn recht bald einmal wurde eingesehen, dass das vorgegebene Lernziel nur durch systematische Lehrgänge erreicht werden konnte. Der Schulbesuch wurde für Lehrlinge obligatorisch, und in den folgenden Jahren wurden erstmals Lehrabschlussprüfungen durchgeführt. Allgemeine Bildung und Weiterbildung waren sehr gefragt. Ob wohl damals die erstmalige Beteiligung von Schülerinnen die Kaufleute zusätzlich beflügelte?
Schon damals − so kann man verschiedentlich nachlesen − war die Mitgliederbewegung recht lebhaft, doch erfreulicherweise vergrösserte sich der Verein von Jahr zu Jahr. Um die Jahrhundertwende waren bereits zirka 50 Aktivmitglieder eingeschrieben. In den Jahren 1958/60 erreichte der Verein mit beinahe 300 Aktiven die höchste Mitgliederzahl. In den letzten Jahren hat sich der Bestand bei etwa 240 stabilisiert. Zurzeit zählt unser Verein 6 Mitglieder, welche auf eine über 50-jährige Zugehörigkeit zurückblicken können.
Die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die erweiterten Aus- und Weiterbildungswünsche der Mitglieder erforderten Anpassungen in Verein und Schule, welche ihren Niederschlag auch in den Statuten fanden. Bereits 1884 wurden die Gründungsstatuten und das Schulreglement das erste Mal angepasst. Weitere Statutenrevisionen wurden notwendig in den Jahren 1892 (Namensänderung in Kaufmännischer Verein Wädenswil), 1909, 1928, 1949, 1961 und 1977.
Das heutige Vereinsleben hat sich nicht allzu sehr verändert. Radio, Fernsehen und Reisen bieten heute weiten Kreisen vielfältige Zerstreuungsmöglichkeiten. Die grosse berufliche Beanspruchung mindert das Engagement im gesellschaftlichen Bereich. Das lokale Vereinsleben konzentriert sich deshalb heute vornehmlich auf die berufsspezifischen Aktivitäten.
Während den letzten 100 Jahren amteten als Präsidenten des Kaufmännischen Vereins Wädenswil folgende Mitbürger:

Kaufmännische Berufsschule

Nachdem der Verein seit 1879 auf privater Basis verschiedene Kurse durchführte, wurde schon bald die Notwendigkeit erkannt, die praktische Ausbildung der Lehrlinge durch theoretisches Wissen zu erweitern. 1897 wurde die erste Verordnung für den obligatorischen Schulbesuch für Lehrlinge in Kraft gesetzt. Bereits im 14. Vereinsjahr findet man den 1. Bericht der Handelsschule. Das stete Anwachsen der Schülerzahlen verlangte mehr Lehrkräfte. Diese konnten fast ausschliesslich in Wädenswil und Richterswil gefunden werden. Primar- und Sekundarlehrer, aber auch Praktiker wirkten Jahrzehnte an der Berufsschule des Kaufmännischen Vereins Wädenswil. Anfänglich wurde der Unterricht nach abends 8 Uhr und auf Sonntagvormittag angesetzt. Es brauchte grosse Anstrengungen, bis wir in Etappen zur heutigen zeitlichen Stundenplangestaltung gelangten.
Von 1933 bis 1965 war Herr Walter Bleuler nicht nur Sprachlehrer, sondern auch nebenamtlicher Schulleiter. Ihm, der heute an der Fuhrstrasse in Wädenswil seinen Lebensabend verbringt, sei hier für seinen grossen Einsatz zum Wohle der Kaufmännischen Schule Wädenswil besonders herzlich gedankt. 1964 trat Herr Alfred Zemp als erster, hauptamtlicher Handelslehrer in die Schule ein, der er dann auch von 1965 bis 1971 als Leiter vorstand. Sein Nachfolger, und zugleich auch letzter Schulleiter, war Herr Hubert Schlegel. Ab 1966 begannen die Schülerzahlen zu sinken. Grund: Der Kanton Schwyz hatte verfügt, dass Lehrlinge mit Lehrorten in den Bezirken March und Höfe die Berufsschule in Einsiedeln zu besuchen hätten. Auf Frühjahr 1971 wurde die Gewerbliche Berufsschule in Wädenswil aufgehoben. Die vom BIGA verlangte Klassenteilung in S = Sekretariat und R = Rechnungswesen konnte für die Kaufmännische Berufsschule Wädenswil mangels genügender Schülerzahlen nicht verwirklicht werden. Unsere Schule wurde mit derjenigen von Horgen vereinigt. Am 21. März 1975 war letzter Unterrichtstag.

Ausblick

Nach der «Industriellen Revolution» im letzten Jahrhundert stehen wir heute mitten in der «elektronischen Revolution». Mikroprozessoren, Kleincomputer und andere elektronische Hilfsgeräte gehören zunehmend zum Arbeitsfeld des kaufmännischen Personals. Arbeitsgänge werden laufend automatisiert. Das Erfordernis weiterer Aus- und Weiterbildung stellt sich zunehmend für alle Personalkategorien. Die Aufgabe der Kaufmännischen Vereine ist es, auch diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Zu hoffen bleibt, dass die Arbeit nicht eintöniger, sondern interessanter und verantwortungsvoller wird, und dass die Entwicklung in Richtung Mikrocomputer mit allen ihren sozialen Nebenwirkungen (Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen) ohne brüske Veränderungen verkraftet werden kann.




Ruth Knobel





Bruno Ern





Otto Pfenninger