Wädenswiler Mode und Mannequins

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1998 von Peter Weiss

Wädenswil ist für vieles weitherum bekannt geworden. Wer aber weiss, dass auch im Bereich der Mode wesentliche Anregungen und Impulse von unserem Dorf ausgegangen sind?

DAS «WULLESTÜBLI» AM CENTRALPLATZ

In den Dreissigerjahren führte Fräulein Christener in Wädenswil eine «Wullestube», in der sie Strickwolle zur Anfertigung von Socken, Pullovern, Jacken usw. anbot. Sie begann ihre Tätigkeit im «Hesshaus», hüpfte von dort quer über die Strasse in die «Krone», in der ihr eigentlicher Geschäftsbeginn erfolgte. Ein Sprung war's später hinüber in das Haus «Frieden» und von dort etwas zurück in das «Engelstübli». Dann starb die Gründerin. Knapp ein Jahr später schien auch dem Geschäft das Sterbeglöckein zu läuten, war doch der Totalausverkauf schon publiziert.
In jenen Tagen, es war Frühjahr 1942, schrillte in der Firma Ott, einem der ersten Spezialgeschäfte für Wollsachen in Zürich, das Telefon. Margrit Egli, die erste Verkäuferin, nahm die Meldung entgegen und gab sie ihrer Chefin, Frau Ott, weiter: «In Wädenswil gibt es im Hotel Engel ein Wullestübli, dessen Inhaberin Fräulein Christener plötzlich gestorben ist. Hätte die Firma Ott nicht Interesse, dieses Geschäft zu übernehmen?» «Das wär doch öppis für Sii, Fräulein Egli», meinte Frau Ott.

In der Mitte des «Restaurant-Cafe Central» an der Seestrasse 113 das «Wullestübli» von Margrit Egli. Rechts das Schuhhaus Stiep.

Tatsächlich hatte Margrit Egli, die in der Firma Ott eine zweieinhalbjährige Lehre absolviert und anschliessend mit Begeisterung sich in allen Sparten weitergebildet und bis zur ersten Verkäuferin emporgearbeitet hatte, sich auch schon Gedanken gemacht, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Doch dies war während des Krieges nicht gestattet, da Wolle und Textilien der Rationierung unterworfen und nur gegen entsprechende Marken erhältlich waren. Ein bestehendes Geschäft hingegen durfte übernommen und weiter geführt werden.
Margrit Egli fuhr nach Hause. Sie wohnte in Stäfa, wo sie 1917 geboren wurde und aufgewachsen war. Schon als Kind hatte sie eine ausgesprochene Neigung und Freude, Wolle zu kaufen und eigene Sachen zu stricken. Ihr Vater wollte sie zwar zur Hausbeamtin ausbilden lassen:

«Lisme, das isch ken Pruef!» Margrit jedoch ging ihren eigenen Weg. Zu Hause erzählte sie ihrem um fünf Jahre jüngeren Bruder Walter – der Vater war kurz zuvor gestorben – von ihrem Vorhaben und er wurde ihr Berater. «Guet», sagte er, «morn am Morge gömmer mit em Sibni-Schiff uf Wättischwil.» Im Fenster des Wullestüblis im Hotel Engel hing ein Zettel mit der Aufschrift: «Wegen Inventur geschlossen» und der Hinweis, man müsse sich bei Frau Notar Wild an der Zugerstrasse erkundigen.
Für Frau Notar Wild war Margrit Egli keine Unbekannte, stammte sie doch selbst aus Stäfa und wusste, wer die Egli's waren. Sie führte Margrit zusammen mit ihrem Bruder in die Gemeinderatskanzlei Wädenswil und empfahl sie dort als tüchtige und fähige Fachfrau. Margrit Egli erhielt die Zusage, das verwaiste Geschäft zu übernehmen und weiter zu führen. Zwar musste sie noch ein neues Ladenlokal suchen, wurde jedoch bald fündig: Im «Central», neben dem bekannten Schuhaus Stiep, konnte sie für Fr. 70.– im Monat von Maler Wanger ein kleines Ladenlokal mieten.
Nun galt es, noch die nötigen Finanzen zu beschaffen. Neben eigenem Erspartem erhielt sie von ihrem Onkel und Götti ein Darlehen von Fr. 3 000.–, vom einen Bruder Fr. 1000.–, von ihrer Schwester in der Schneiderinnenlehre Fr. 500.– und vom jüngsten Bruder, der in der Rekrutenschule war, ebenfalls Fr. 500.–.

Margrit Egli in ihrem «Wullestübli». Auf dem Ladentisch liegen Ringbücher mit Strickmustern, hinten befinden sich Gestelle mit Wollstrangen und -knäueln.

MARGRIT EGLIS «WULLESTÜBLI» – SPEZIALGESCHÄFT FÜR HANDSTRICKWOLLE

Am 16. September 1942 konnte Margrit Egli im Haus «Central» an der Seestrasse 113 ihr Wullestübli eröffnen. (Siehe «Geschäftsempfehlung», die sie am 14. und 19.September 1942 im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» veröffentlichte). Der kleine Laden war auf drei Seiten mit gefächerten Gestellen ausgestattet, die vom Boden bis zur Decke reichten und aus denen einem die Wollestrangen und – knäuel in den verschiedensten Farben entgegen leuchteten. Ein eigenartiger Wollgeruch erfüllte den Raum.
 
Geschäftsempfehlung zur Eröffnung des «Wullestübli» am 16. September 1942. Das Inserat erschien am 14.und 19. September 1942 im «Allgemeinen Anzeiger vom Züirichsee».
 
Dank ihrer insgesamt siebenjährigen Lehr- und Ausbildungszeit verfügte Margrit Egli über genügend Fachkenntnisse und ein sicheres Urteil, um die Kundinnen gut zu beraten und zu bedienen. «Mein Ziel ist es, gutes Material und aparte Muster zu führen und denen, die es wünschen, mit klaren und passsichern Anleitungen zu dienen. Soweit das zu verarbeitende Material in meinem Geschäft gekauft wird, ist jede Anleitung und Beratung gratis, für andere Arbeiten berechne ich eine einmalige, bescheidene Gebühr von 50cts pro Arbeit. Sie finden in meinem Atelier auch diverse Zubehör, Nadeln, Knöpfe und ähnliche Dinge.»
Zahlreich kamen die Kundinnen und liessen sich von Margrit Egli Anleitungen für die verschiedensten Wollsachen geben, die sie zu stricken vorhatten: Sportpullover für Damen und Herren, Damenjäckli, Herren-Airdress, Damenblüsli, Herren-Westen mit und ohne Ärmel, jede Art von Pullover für Knaben und Mädchen, Westli, Jäckli, Röckli, Mänteli mit dazu passender Kapuze für Kinder, Socken, Kappen, Fäustlinge, Bettsocken, Unterleibchen, Spiel- und Strampelhösli für Kleinkinder, Wagendecke mit Kapuzen-Jäckli usw.

STRICKMUSTER VON MARGRIT EGLI

Längsstreifen-Durchbruchmuster.
Streifenmuster.
Versetztes Biesenmuster.
Lochmuster.
Patentstreifenmuster.
Jeden Dienstag-Nachmittag war das Wullestübli geschlossen. Dann erteilte Margrit Egli Strickkurse. Ihre Lehrtöchter und Verkäuferinnen begleiteten sie. Solche Kurse fanden nicht nur in Wädenswil statt. Im Schönenberg versammelten sich die Frauen im Hinterstübli des Restaurant «Sonne», in Stäfa in der Gemeindestube, aber auch Männedorf war ein beliebter Kursort.
Die Frauen strickten anschliessend zu Hause eifrig nach Margrit Eglis Angaben, Mustern und Ausrechnungen, kamen aber hie und da wieder in den Laden, um ihre Werke zu zeigen oder um Rat zu holen.
 

MARGRIT EGLIS MODELLE IN DER GANZEN SCHWEIZ

Margrit Egli erfand stets neue Muster und Modelle. Sie liess sie in einem Heft mit dem Titel «Gestricktes macht Freude» veröffentlichen. Im Dezember 1945 wurde der Ringier-Verlag in Zofingen auf sie aufmerksam und fragte sie an, ob er einige der Modelle aus ihrem Heft im «Blatt für alle» publizieren könne. In ihrem Antwortbrief vom 31. Januar 1946 lesen wir: «In der Beilage sende ich Ihnen somit 10 Fotos, die ich selbst bei meinem Fotograf machen liess. Ich hoffe gerne, dass sie Ihnen gefallen werden und Ihren Anforderungen voll entsprechen werden. Da ich jetzt wieder fortwährend neue Modelle. entwerfe, und dies besonders im Frühjahr und Sommer zu tun gedenke, würde es mich interessieren, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Bedingungen Sie solche Modelle in Ihrem Blatt «Blatt für Alle» erscheinen lassen würden.»

Kinder-Westli mit dazu passendem Käppli für 5 bis 6 Jahre. Mannequin: Annette Bär.

Sommer-Pulloverli für 9 bis 11 Jahre. Mannequin: Janine Guelbert.
Pro Strickanleitung, die unter dem Namen «Modell Egli» erschien, wurden Ihr Fr. 25.– versprochen. Doch die Zahlungen blieben aus. Ein Buchhalter der Firma Ringier hatte sie unterschlagen! Darauf erfolgten neue Verhandlungen. Man bot ihr pro Strickanleitung Fr. 50.- an, falls sie künftig unter der Bezeichnung «Modell Ringier» publiziert werden konnten. Margrit Egli willigte ein. Ihr Bruder tippte ihr die Texte, da sie selber nicht Maschineschreiben konnte. So fand jede Woche eine ihrer Strickanleitungen mit Bild über das «Blatt für Alle» und das «Gelbe Heft» den Weg in unzählige Schweizer-Stuben.

MODESCHAU IM «ENGEL»-SAAL

Alle zwei Jahre führte Margrit Egli im Saal des Hotels Engel zusammen mit den Firmen Mantel (Bekleidung), Sport-Bär, Vollrath (Uhren, Bijouterie) und Stiep (Schuhe) eine Ausstellung und Modeschau durch, zu der sie diesseits und jenseits des Zürichsees einlud: Eintritt 50 Rappen. «D Schiff vo Stääfe uf Wättischwil sind omig voll gsii.» Auf eine solche Mode-Revue hin entwarf Margrit Egli regelmässig um die zweihundert neue Modelle. «Zwölf Strickerinne händ genau glismet, was ich ine uufgschribe ha.» Unter ihren Augen montierten die Lehrtöchter und Verkäuferinnen die Rücken, Vorderteile, Ärmel und Kragen zu einem Ganzen. «Ken Stich und e kes Mäschli, wo nüd gstume hett.»
Mit seinem Jeep transportierte Margrit Eglis Bruder die zahlreichen Koffer zum «Engel». Unten auf der Rechnung, die er ihr dafür ausstellte, stand: «Zahlbar im Himmel». Die verschiedenen Ausstellungsmodelle wurden jeweils verkauft.

Bunter Kinderpullover. Mannequin und Dressman: Brigitte und Walter Hornberger.

Knaben-Airdress. Dressman: Roger Guelbert.

Töchtern-Pullover mit Dreiviertel-Ärmeln. Mannequin: Trudi Kunz.

Bettjäckli mit einfacher Stickerei. Mannequin: Silvia Denzler.

Sportgarnitur für «Sie» und «Er». Mannequin: Odette Langendorf-Fürst. Dressman: Hansheiri Hürlimann vom «Buck».

Herrenweste. Dressman: Fotograf Fritz Langendorf.

Ärmellose Herrenweste. Dressman: Walter Gut.

Links: Kimono-Pullover mit einfacher Stickerei. Mannequin: Vreni Fürst. Ihr Bruder Cornel öffnet ihr die Türe des Peugeot 203 von Fotograf Fritz Langendorf. Rechts: Herrenweste. Dressman: Noldi Harder.

DREI MODEHEFTE MIT 180 STRICKANLEITUNGEN

Herr Jakob von der Firma Leuthold – Wolle in Wädenswil fragte Margrit Egli an, ob sie für ihn nicht 60 Strickanleitungen für Wollsachen entwerfen könne, die er in einem Heft je mit Bild zu publizieren gedenke. Gleichzeitig benötige er von jedem Modell sechs Exemplare, um sie den Detaillisten und den Frauen, die ein Wullestübli führten, zeigen und zur Verfügung stellen zu können. Margrit Egli überlegte es sich lange, sprach mit ihren Strickerinnen, ob sie gewillt seien, eine derart grosse Arbeit auf sich zu nehmen, und sagte schliesslich zu: «Aber eis will ich ine säge, ich La mich e ken Franke trucke!» So entwarf sie sechzig Modelle für Leuthold-Wolle und von jedem Modell wurden sechs Exemplare angefertigt. Das erste Heft mit farbigem Titelblatt und dem Schriftzug «Leuthold-Wolle» erschien 1951/52 und kostete Fr. 1.20 inkl. Wust. Ebenfalls auf dem Titelblatt ist zu lesen: «Entwerferin und Herstellerin der Modelle: Margrit Egli, Wullestübli Wädenswil».
Unerschöpflich schien Margrit Eglis Fantasie und Ideenreichtum im Entwerfen neuer Modelle. «Doch wen ich uusglauget gsii bi, bin ich omi uf Züri». Mit dem Notizblöcklein in der Hand ging sie von Schaufenster zu Schaufenster der zahlreichen Modegeschäfte, studierte die neusten Kreationen, Muster und Farbkombinationen, sammelte Ideen und Anregungen, die sie in neue Strickmodelle einfliessen liess. So entstanden 1952/53 und 1953/54 nochmals je ein Heft a sechzig Strickanleitungen mit Bild, herausgegeben von der Firma «Leuthold Wolle», Wädenswil, mit dem Aufdruck: «Entwerferin und Herstellerin der Modelle: Margrit Egli, Wullestübli, Wädenswil». Alle drei Hefte fanden reissenden Absatz und waren überaus weit verbreitet. Alles in allem hat Margrit Egli in ihrer Wädenswiler Zeit etwa 1500 Modelle samt Strickanleitungen entworfen.

MANNEQUINS UND DRESSMAN AUS WÄDENSWIL

Entscheidend für den Erfolg neuer Modelle in der Mode war, dass sie gezeigt und vorgestellt werden konnten, sei dies durch Mannequins und Dressman in natura oder im Bild. In Fritz Langendorf (1905–1955), dem gelernten Berufsfotografen aus Wädenswil, fand Margrit Egli den Fachmann, der ihre Modelle ansprechend und genau abzulichten verstand. Die Frauen und Männer, Jugendlichen und Kinder, die die Modelle präsentierten, stammten zum grossen Teil aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis von Fritz Langendorf und Margrit Egli, auch Lehrtöchter des Wullestübli fanden sich unter ihnen. Als Mannequins und Dressman aus Wädenswil stellten sich zur Verfügung: Annette Bär, Silvia Denzler, Vreni und Cornel Fürst, Dorli Fürst, Janine und Roger Guelbert, Walter Gut, Brigitte und Walter Homberger, Noldi Harder, Erika Huber, Hansheiri Hürlimann, Trudi Kunz, Fritz und Odette Langendorf-Fürst, Erika und Max Roth, Edi Wälti sowie die Lehrtöchter Susi Egger und Heidi Feusi u. a.

ALLES DING HAT SEINE ZEIT

Nach 13 Jahren Wullestübli Wädenswil zog Margrit Egli im Jahre 1955 nach Stäfa zurück, um dort ein Modegeschäft mit breitem Sortiment zu eröffnen. Das Wullestübli in Wädenswil führte ihre ehemalige Lehrtochter Klärli Walz weiter. In den kommenden Jahren ging die eigentliche Blütezeit des Selbstgestrickten allmählich zur Neige, und Margrit Egli, «die mit ihrem ganzen Herzen in die Wolle verstrickt gewesen war», verzichtete in ihrem Modehaus in Stäfa später vollständig auf den Verkauf von Wolle.



Peter Weiss