HANS SCHEIDEGGER (1931-1998)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1998 von Peter Ziegler

Mit dem Tod von Hans Scheidegger am 8. Mai 1998 verlor Wädenswil einen engagierten Mitbürger, dem die Gemeinde viel zu verdanken hat. Hans Scheidegger, Ende Dezember 1931 in Wädenswil geboren, verbrachte seine Kindheit zusammen mit zwei jüngeren Geschwistern im Meierhofquartier. Detailreich, farbig und humorvoll wusste er von dieser glücklichen Zeit zu erzählen. Sein Vater, Gärtner von Beruf, lehrte ihn das geduldige, liebevolle Beobachten - eine Qualität, die ihm lebenslang in hohem Masse eigen war.
Auf den Rat eines Sekundarlehrers hin besuchte er das Seminar Küsnacht. Auch das war eine reiche und schöne Zeit, geprägt von Theaterbesuchen, der Mitwirkung als Statist am Zürcher Schauspielhaus unter Oskar Wälterlin und vor allem durch Lektüre und Musik. Vom Taschengeld, das er sich während der Ferien mit Hilfsarbeit in der Brauerei verdiente - bei einem Stundenlohn von Fr. 1.70 bis Fr. 2.30 - 

Hans Scheidegger, 1985.

kaufte sich der Seminarist antiquarisch in möglichst wohlfeilen Gesamtausgaben viele Werke der deutschen Klassiker und der grossen Schweizer Autoren.
Auch die Musik bedeutete Hans Scheidegger viel. Der Wädenswiler Organist und Chorleiter Rudolf Sidler wusste dies zu nutzen und gewann den reinen, hellen Tenor für seinen Kirchenchor. Und dem bleib Hans Scheidegger während mehr als zwanzig Jahre als Aktivmitglied treu und wirkte mit bei anspruchsvoller Musik für den Gottesdienst und den alljährlichen Aufführungen der Oratorienwerke grosser Komponisten.
Nach Abschluss des Oberseminars 1952 folgten Vikariate als Primarlehrer in verschiedenen Gemeinden des Kantons Zürich und im Jahre 1953 eine Anstellung im Schulhaus Ämtler in Zürich-Wiedikon. Dort lernte Hans Scheidegger seine Frau Regula Fischer aus Küsnacht als Kollegin kennen. Der Wunsch, in seinem Geburtsort Wädenswil zu unterrichten, erfüllte sich im Frühling 1959, ein Jahr nach der Heirat. Hier kamen auch die drei Kinder des Ehepaar zur Welt: Vreni, Martin und Peter.
Hans Scheidegger übte seinen Beruf als Primarlehrer mit grosser Freude und Begeisterung aus. Seinem ersten Schulzimmer im zweiten Stock des alten Eidmattschulhauses blieb er bis zur Pensionierung treu. Neue Wege des Lehrens und Lernens vorausspürend, durchdachte er seinen Lehrstoff immer wieder neu, suchte andere Zugänge zur Übermittlung des „zündenden Funkens“ - fasziniert gleichermassen vom Kind in seiner Entwicklung wie vom Stoff, den es zu vermitteln galt. Hans und Elly Glinz schätzten den erfahrenen Schulmann als Mitarbeiter am „Schweizer Sprachbuch“. Modern war auch sein Geschichtsunterricht, welcher der Alltagsgeschichte - dem Leben in früherer Zeit - hohe Priorität einräumte.

Ortsmuseum und Heimatkundekurse

Bald wurden Anliegen der Öffentlichkeit an den initiativen Lehrer herangetragen. Mit der ihm eigenen Gründlichkeit setzte er sich ein. So etwa als Lesegesellschaft in den frühen 1960er Jahren ihre Bibliothek zur modernen Freihandbibliothek umgestaltete, als Wädenswil gegen Ende dieses Jahrzehnts das Ortsmuseum zur Hohlen Eich zu planen und einzurichten begann oder als Mitglied der Baukommission der Primarschulpflege bei der Planung der Schulanlage Untermosen.
Zusammen mit Professor Dr. Albert Hauser und dem Kustos Peter Friedli half Hans Scheidegger in unzähligen Freizeitstunden die Räume des Wädenswiler Ortsmuseums einzurichten, das bei seiner Eröffnung im Jahre 1970 zu den modernsten im Kanton Zürich zählte. Und auch bei der Gestaltung der verschiedenen Wechselausstellungen - etwa «Pilz, Chrut und Beeri», «Die Halbinsel Au», «Saure Wochen, frohe Feste», «Wädenswil auf alten Ansichtskarten», «Lesen und Schreiben» – war auf seine Mithilfe zu zählen. Dazu kamen zahlreiche Museumsführungen für Lehrkräfte, Schulklassen und weitere Interessierte.
Die Vermittlung ortgeschichtlicher Kenntnisse an seine jüngeren Kolleginnen und Kollegen war Hans Scheidegger ein grosses Anliegen. Während vielen Jahren organisierte er zusammen mit Marlis Beck Heimatkundekurse, mit Wanderungen durch Dorf, die Au und den Wädenswiler Berg, mit Exkursionen zu den Schanzen an der Grenze Zürich/Schwyz oder auf die Ufnau, mit Vorträgen von Fachleuten aus den verschiedensten Wissensgebieten oder Betriebsbesichtigungen. So waren Einblicke und Kenntnisse zu gewinnen, die in den Heimatkundeunterricht einfliessen konnten.
 

Historische Aufsätze

Während mehr als zwanzig Jahren engagierte sich Hans Scheidegger in der Natur- und Heimatschutzkommission Wädenswil. Dort wurden sein kritisches Urteil, seine Orts- und Sachkenntnis sehr geschätzt. Die Verbundenheit mit seiner Wohngemeinde kam auch in zahlreichen historischen Aufsätzen zum Ausdruck. Er schrieb kurze Führer zu den Sonderausstellungen im Ortsmuseum und berichtete unter dem Kürzel -hsc- wiederholt im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee», so im September 1985 in einer mehrteiligen Artikelfolge zum Thema «150 Jahre altes Eidmattschulhaus».
Auch das «Jahrbuch der Stadt Wädenswil» durfte von Hans Scheideggers Mitarbeit profitieren. 1978 schrieb er den Nachruf auf Rudolf Sidler, 1979 berichtete er über «Kinder spielen Theater», 1980 über die Renovation des alten Eidmattschulhauses. Es folgten Beiträge zu den Themen «Kinder machen Musik» (1985), «Wädenswiler Originale» (1992), «Schriftsteller Paul Felix» (1993), «De Zäänerli-Blattme» (1995) und «Eine Sammlung von Ansichtskarten aus Wädenswil» (1997).

Primarlehrer Hans Scheidegger, auf der Schulreise 1971.

Hier stellte Hans Scheidegger seine umfangreiche Sammlung alter Ansichtskarten von Wädenswil vor, in die er bereits früher in zahlreichen Dia-Vorträgen an Vereinsanlässen Einblick gegeben hatte. Dass diese einmalige Dokumentation seinem Wunsch gemäss der Öffentlichkeit erhalten bleiben soll, ehrt Hans Scheidegger über den Tod hinaus.
 

Schwere Zeiten

Die Jahre nach Hans Scheideggers Pensionierung im Sommer 1992 – nach 40 Jahren ununterbrochener Lehrtätigkeit – brachten Schweres. Was zu Anfang lediglich wie Erschöpfung nach langer Berufstätigkeit ausgesehen hatte, erwies sich als bösartiger Tumor, der im Mai 1994 die Entfernung des linken Lungenflügels nötig machte. Trotz geglückter Operation war die Erholung schwierig, die Atemluft knapp, die Lebensmöglichkeit eingeschränkt. Ohne Hadern fügte er sich, suchte seiner Situation das Bestmögliche abzugewinnen. Lektüre, Eisenbahnreisen, die Wiederaufnahme eines über Jahre hin stillgelegten Modell-Eisenbahn-Projektes, die Beschäftigung mit seiner Ansichtskarten-Sammlung und vor allem lebendige Gesprächskontakte mit den erwachsenen Kindern und ihren Lebenspartnern, mit den beiden Enkelkindern David und Simon, mit Verwandten und Freunden hielten seine Lebensfreude trotz eingeschränktem Aktionsradius wach. Spitalaufenthalte unterbrachen diese Aktivitäten. Der Aufenthalt im Paracelsus-Spital in Richterswil von Anfang Mai 1998 sollte sein letzter sein.
 




Peter Ziegler