BLUNTSCHLI, ALFRED FRIEDRICH (1842-1930)

Quelle: Architektenlexikon der Schweiz 19./20. Jahrhundert (Isabelle Rucki und Dorothee Huber (Hrsg.), im Birkhäuser Verlag Basel, 1998
 
* 29. Januar 1842 in Zürich, † 27. Juli 1930 in Zürich, Architekt.
Nachdem sein Vater das Zürcher Regierungsamt aufgegeben hatte und Professor für Privat- und Staatsrecht in München und 1861 Professor für Staatswissenschaften in Heidelberg geworden war, wuchs Bluntschli in Deutschland auf und kam erst zum Studium am Eidg. Polytechnikum für längere Aufenthalte in die Schweiz zurück. Er immatrikulierte sich in Zürich für Herbst 1860 an der Ingenieurschule. Nach dem ersten Semester wechselte er an die Bauschule und schloss sein Studium bei Gottfried Semper, Architektonisches Entwerfen, und bei Ernst Georg Gladbach, Baukonstruktion, jeweils mit der Bestnote ab. 1863 bestand er mit einer Arbeit zum Thema Kunstmuseum das Diplom. 1864-66 studierte er in der Fachklasse Questel an der Ecole des Beaux-Arts in Paris weiter und erhielt dort eine Medaille 2. Klasse. 1866-70 arbeitete er als Architekt in Heidelberg und gründete dann mit seinem Poly-Mitstudenten Karl Jonas Mylius in Frankfurt a.M. ein gemeinsames Atelier. Es bestand bis zu Bluntschli’s Berufung an das Eidg. Polytechnikum in Zürich als ordentlicher Professor für Architektur (1881-1914). 1895 wurde unter seiner Präsidentschaft der Verein Künstlerhaus in Zürich gegründet. Dessen erster Vizepräsident war Gustav Gull. 1901/02 präsidierte Bluntschli die Eidg. Kunstkommission. Nach der Wahl seines Nachfolgers Karl Moser wirkte er an der ETHZ weiter bis 1928. Er starb hochgeehrt 1930.
Berlin, Wettbewerbsprojekt Reichstag, 1872.

Sein eigenständiges Werk begann mit seiner Diplomarbeit, einer Auseinandersetzung mit Gottfried Sempers Gemäldegalerie in Dresden. Bluntschli zeigte in dieser Arbeit akribisch die Problemstellungen im Werk seines Lehrers (überhohe Durchfahrt im Erdgeschoss mit daraus resultierender Höherlegung des Zentralraums im 1. Obergeschoss, asymmetrische Führung der Treppe etc.). Neben der Diplomarbeit sind weitere Arbeiten des Studenten Bluntschlis, auch aus seiner Pariser Zeit, erhalten. In seiner Heidelberger Zeit entstand dort 1867 das Wohnhaus seiner Eltern. Im Wiener Rathaus-Wettbewerb holte er sich 1869 mit einem grossartigen Zitat des ETH-Hauptgebäudes einen 2. Preis. Erfolge begleiteten ihn weiter bei den folgenden Wettbewerben: 1872 erhielt er einen 1. Preis für den Berliner Reichstag, 1877 für das Hamburger Rathaus (1. Wettbewerb), 1878 einen 2. Preis für das Strassburger Universitätsgebäude, einen 2. Preis 1880 für den Zentralbahnhof in Frankfurt, 1882 eine Auszeichnung am 2. Berliner Reichstagswettbewerb; 1885 gewann er die Erweiterung des Berner Bundeshauses, allerdings ohne den Bauauftrag zu erhalten. Im 2. Wettbewerb um das Parlamentsgebäude (1891) entsprach die Ausgangslage nicht mehr der von 1885, und so musste Bluntschli hinter seinem Konkurrenten Hans Wilhelm Auer ein zweites Mal zurückstehen. 1899 errang Bluntschli eine 1. Preis im gigantischen Universitäts-Campus-Wettbewerb in Berkley, Kalifornien.
Zürich-Enge, Ref. Kirche Bühl, 1887-94.
Auch ausserhalb von Wettbewerben entstanden wichtige Projekte, v.a. 1897-99 die Planung und Überbauung des Stadthauses (heute Bürkliplatz) und des Sechseläutenplatzes in Zürich.
Dem Atelier Mylius und Bluntschli in Frankfurt a.M. war von Anfang an Erfolg beschieden: Aufgrund eines Wettbewerbserfolges legten die beiden 1870-74 den Zentralfriedhof in Wien an, in den folgenden Jahren bauten sie in Frankfurt a.M. das Bankhaus Goldschmitt, das Hotel Frankfurter Hof, das Schloss Holzhausen und die Villa Cosel.
Neben seiner Zürcher Professur leitete Bluntschli zwischen 1880 und 1900 manche Baustellen seiner Projekte in Zürich: Villa Bleuler, Parkvilla Rieter, Villa Wegmann-Schoch, Villa Stehli-Hirt. Zusammen mit Georg Lasius baute er 1883-87 das Chemiegebäude und 1887-89 das Physikgebäude der ETHZ. 1887-94 wurde sein wohl bekanntestes Werk, die ref. Kirche in Zürich-Enge errichtet. Auch in diesem Bau richtete er sich nach einem als «Prototyp» verstandenen Semperschen Projekt, der kat. Kirche in Winterthur. Er verhalf Zürich mit seiner Kirche zu einem wichtigen Wahrzeichen.
Um 1900 war sein Zenit wohl überschritten. Nun wurden nur noch kleinere, meist plastische Werke realisiert: Bluntschli war 1901 an Gottfried Kellers Grabmal auf dem Zürcher Sihlfeld-Friedhof beteiligt, ferner entwarf er Brunnenanlagen, u.a. die am Eingang zum Zürcher Arboretum (1908). 1906/07 blieben die Pläne für einen Universitätswettbewerb in Zürich völlig erfolglos. Sie führten zum Zürcher Universitätswettbewerb von 1907. Bluntschli betreute 1911-15 die innere Umgestaltung der Zürcher Neumünsterkirche, eines Hauptwerks von Leonhard Zeugheer.
Bluntschli wirkte oft als Mitglied oder Präsident von Preisgerichten, so 1885 beim ersten Postwettbewerb der Schweiz, dem für die Post an der Seebrücke in Luzern, 1889 für eine Bebauungsplan in St. Gallen, 1891 für die Fraumünsterpost in Zürich u.a.m.
Bluntschli galt zu seiner Zeit als das Haupt der Semper-Schule und trat noch bei seinen letzten Diplomanden für die «Reinheit der Lehre» Sempers ein. Er teilte das Schicksal seiner Mitschüler, das Gedankengut Sempers starr formal weitergeben zu wollen, anstatt – wie etwa Hendrik Petrus Berlage – dessen Reformgehalt ernst zu nehmen und in die Bewegung «de Stijl» einfliessen zu lassen.

Werkkatalog (Auswahl)

Mylius und Bluntschli: Heidelberg, Haus der Eltern Bluntschli (1867/68); Wien, Zentralfriedhof (1870-74); Frankfurt a.M., Bankhaus Goldschmitt (1872/73); Hotel Frankfurter Hof (1873/74; Schloss Holzhausen (1874-77); Villa Cosel (1875/76); Mannheim, Rheinische Kreditbank (1877); Heidelberg, Schloss Langenzell (1880/81).
Friedrich Bluntschli: Worms, Palais Heyl (1881-84); Zürich, Chemiegebäude ETHZ (1883-87, mit Georg Lasius); Bern, Wettbewerb Erweiterung Bundeshaus (1. Preis 1885, nicht ausgeführt); Zürich, Villa Bleuler (1884-86); Villa Rieter (1886-88), Villa Wegmann-Schoch (1886-90); Physikgebäude ETHZ (1887-89, mit Georg Lasius); Ref. Kirche Bühl (1887-94); Villa Stehli-Hirt, Utoquai (1895/96); Innenumbau Kirche Neumünster (1911-15).


Lit. [Auswahl]

HBLS 2; SKL 1; Thieme-Becker 2; SL 1; Allg. Künsterlexikon 11; SB 96 (1930), 62, 86 [Nekrolog]; Die Bauschule am Eidg. Polytechnikum 1855-1915, Arbeitsberichte der Architekturabteilung der ETHZ (A 11), Zürich 1971, 49-76; Meyer 1973, 165f.; Fröhlich: Semper (Diss.) 1974, 185; Guex, François: Ref. Kirche Zürich-Enge (Schweiz. Kunstführer), Basel 1978: Fröhlich, Martin: Die Villa Bleuler als Baudenkmal, in: Das Schweiz. Institut für Kunstwissenschaft in der Villa Bleuler, Schweiz. Institut für Kunstwissenschaft (Hg.), Zürich 1994, 32-43.
 

Nachlass

gta/ETHZ.


[martin fröhlich]