Emmy Hürlimann, Harfenistin

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2001 von Peter Weiss
 
Emmy Hürlimann wurde am 4. Juli 1914 in der Villa Raibach an der Einsiedlerstrasse 24 in Wädenswil geboren. Zusammen mit den beiden älteren Brüdern Ernst und Hugo und ihrer jüngeren Schwester Annie und den im ersten Stock wohnenden vier fast gleichaltrigen Kindern der Direktorsfamilie Borsdorff erlebte sie eine sehr lebhafte und glückliche Jugendzeit.
Ihr Vater war Geschäftsmann mit ausgeprägtem Arbeitswillen und strebsamer Tatkraft, sportlich und musikalisch begabt. Mama Hürlimann setzte sich voll und ganz für das Wohlergehen der Familie ein. Sie war die Seele des gemütlichen Heims und später des stattlichen Hauses zum Lindenhof, eine begabte Kochkünstlerin, die den grossen Kreis der Gäste, die ein und aus gingen, aufs Vorzüglichste bewirtete. Zur Familie gehörten auch die beiden Dienstmädchen und der Knecht „Hälli“. Alle sassen miteinander am grossen, langen Tisch und assen dieselben gutbürgerlichen Speisen. Die Eltern lebten beide in einem überzeugten Glauben und suchten den Charakter ihrer Kinder vor allem durch ihr eigenes Vorbild zu stärken.
Vom sechsten Lebensjahr an erhielt Emmy Hürlimann Klavierunterricht. Nach Feierabend wurde oft musiziert. Papa Hürlimann spielte Geige und Bratsche und lernte zudem noch Cello spielen. „Das stärkste musikalische Erlebnis in meiner frühen Jugendzeit“, schreibt Emmy Hürlimann, „war, den berühmten Pariser Organisten Marcel Dupré in der reformierten Kirche Wädenswil spielen zu hören. Dupré gab mehrere Jahre hindurch Orgelkonzerte von höchstem Niveau. Was mich damals unerhört beeindruckte: dass jedes Mal eine Improvisation das Programm beschloss. Marcel Dupré galt als Meister dieser Musikform. Er bat einen der Zuhörer um ein Thema, welches er dann in allen Varianten verarbeitete und in einer grossen Fuge beendete. Diese Interpretationen von Marcel Dupré haben mich überwältigt und blieben mein Leben lang unvergessen.“
Emmy Hürlimann besuchte die Schulen zunächst in Wädenswil, von 1926 an, als die Familie in den neu erbauten Lindenhof umgezogen war, in Richterswil. Nach beendeter Sekundarschulzeit zog Emmy Hürlimann für ein Jahr ins Institut Montmirail bei Neuenburg, um sich in der französischen Sprache weiter zu bilden. Sie erhielt dort auch Klavier- und Orgelunterricht in der kleinen Kapelle.

AUSBILDUNG AUF DER HARFE

1931, nach ihrer Rückkehr aus dem Welschland, begann Emmy Hürlimann Harfe zu spielen. Sie nahm Privatstunden bei Corinna Blaser-Potenti in Zürich. Im selben Jahr zog sie noch für sechs Monate nach Florenz zur Erlernung der italienischen Sprache, nahm Harfenunterricht und bildete sich in Kunstgeschichte weiter.
Im Frühjahr 1932 trat Emmy Hürlimann in die Berufsschule des Konservatoriums für Musik in Zürich in die Harfenklasse von Frau Blaser ein. Daneben wirkte sie im Tonhalle- und Theaterorchester zur Erlangung der Orchesterpraxis als Volontärin und zweite Harfenistin, bis sie im März 1936 ihre Studien am Konservatorium Zürich mit dem Diplom als Orchestermusikerin abschloss. Es folgte ein Studienaufenthalt in London, wo sie neben der Sprachschule Kontakte mit den beiden Harfenistinnen des BBC-Orchesters pflegte.
Zu ihrer solistischen Ausbildung weilte Emmy Hürlimann in den Wintermonaten 1938/39 in Paris bei Henriette Renié, der weltberühmten Harfe-Virtuosin, Pädagogin und Komponistin. Auch in späteren Jahren suchte sie sie immer wieder zur Weiterbildung auf. Henriette Renié verbrachte ihre Sommerferien einmal im Lindenhof. Unvergesslich, wie sie jeweils am Tisch vor dem Essen das Pendel aus der Tasche zog und es über ihrem Teller kreisen liess um herauszufinden, welche Speisen ihr zuträglich, welche ihr schädlich sein könnten!
Im Jahre 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, überschattete der allzu frühe Tod von Mama Hürlimann das Leben auf dem Lindenhof.

LEHR- UND WANDERJAHRE

All die Engagements von Emmy Hürlimanns Lehr- und Wanderjahren aufzuzählen, die sie in zahlreiche Städte und grössere Ortschaften in der Schweiz, in Deutschland und Österreich führten, ist hier nicht möglich. Erwähnen möchte ich aber ihre mehrmalige Mitwirkung bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern, wo sie noch unter Arturo Toscanini musizierte, dann ihre Tätigkeit beim Collegium musicum unter der Leitung von Paul Sacher.
Während Jahren spielte sie unter Dr. Hermann Scherchen im Stadtorchester Winterthur und an den Sommerkonzerten in Gstaad, wirkte mit im Radioorchester Beromünster, beim Südwestfunk Baden-Baden oder bei den Internationalen Musiktagen in Konstanz. Immer wieder war sie in Zürich sowohl in der Tonhalle wie im Stadttheater tätig. Der Orchesterdiener musste öfters ihre Harfe mit seinem Veloanhänger von einem Haus zum andern über die Quaibrücke führen.

AUF DER HÖHE IHRES KÖNNENS

1950 gründete sie das «Zürcher Harfentrio» mit Willy Urfer, Soloflötist, und Walter Gerhardt, Solobratschist des Radioorchesters Beromünster.
1954 wurde Emmy Hürlimann Soloharfenistin des Tonhalle-Orchesters Zürich und fügte sich mit ihrem wohlklingenden Instrument in diesen grossartigen Klangkörper ein. Über 22 Jahre arbeitete und musizierte sie in dieser Gemeinschaft unter hervorragenden Dirigenten. Es folgten Auftritte im In- und Ausland, so auch 1967 an der Weltausstellung in Montreal in Kanada.
Edmond de Stoutz engagierte sie mehrmals als Solistin fürs Zürcher Kammerorchester. 1958 erfolgte ihr erster Auftritt fürs Schweizer Fernsehen auf Schloss Arenenberg mit einem Händelkonzert. 1968 gründete sie ein eigenes Harfenensemble. Seit Frühjahr 1972 kam die Lehrtätigkeit am Konservatorium und der Musikhochschule Zürich mit einer eigenen Harfenklasse hinzu, und verschiedene Schallplatten wurden eingespielt.

Das 1950 gegründete «Zürcher Harfentrio»: Willy Urfer (Flöte), Emmy Hürlimann (Harfe) und Walter Gerhardt (Bratsche).

Helferin in der Not
Kurz vor einem Konzertauftritt als Trio in Wien merkte ihr Partner, dass er weder Krawatte noch Fliege bei sich hatte. Emmy Hürlimann bückte sich, kramte in ihrer grossen, stets mit allen möglichen und unmöglichen Utensilien gefüllten Tasche, zog ein farbiges Seidentüchlein hervor und band es dem armen Musiker stilvoll um den Kragen. Niemand hätte auch nur das Geringste bemerkt!

Im Jahre 1983 wurde Emmy Hürlimann als Vizepräsidentin in die Kommission des World Harp Congress mit Sitz in den USA gewählt. 1988 gründete sie zusammen mit Rudolf Frick die «Schweizerische Harfenvereinigung», deren Präsidentin und Ehrenpräsidentin sie wurde. Ausserdem war sie während Jahren eine anerkannte und gefragte Expertin und Jurorin bei Examen und Wettbewerben.
Der Klang der Harfe, der Ton, die Musik erfüllte Emmy Hürlimann bis in ihr Innerstes und beglückte sie immer wieder von Neuem. Mit Zähigkeit und Ausdauer vervollkommnte sie ihr Spiel und stellte sich stets neuen Herausforderungen. In den Rezensionen ihrer Konzerte lesen wir: «Können, Geschmack und feinster Sinn», «gesanglicher Zauber, ausgehend vom virtuosen Spiel der Harfe», «tiefe Empfindung, vorzügliche Technik und prächtiges Stilgefühl», da ist die Rede von «holder Träumerei auf der Harfe», von «zu Herzen gehender Melodieführung» und «feinsinnigem Musizieren».
Ebenso war es ihr ein Anliegen, ihre Kenntnisse weiter zu geben, junge Talente zu fördern, deren Begabungen zu erkennen und zu entfalten. Sie hat zahlreiche talentierte, aber mittellose junge Musikerinnen und Musiker, vor allem aus Osteuropa, gefördert und auch finanziell unterstützt.
Gerne war sie bereit, andern aus ihrer reichhaltigen Sammlung Noten zur Verfügung zu stellen. Mehrmals erteilte sie Kompositionsaufträge, so zum Beispiel an Hugo Pfister und Peter Mieg, deren Werke sie dann uraufführte.

MENSCHLICHE BEGEGNUNGEN

Was ihr ebenfalls wichtig und kostbar war, das waren Begegnungen mit Menschen verschiedenster Herkunft. Der Schlüssel dazu waren ihre hervorragenden Sprachkenntnisse, aber auch eine einzigartige Weite des Herzens. Nicht nur war sie es, die in der weitverzweigten und über Länder und Meere verstreuten Familie Hürlimann die Fäden knüpfte, weit entfernte Verwandte ausfindig machte, sie besuchte oder in den Lindenhof einlud, auch mit ehemaligen Schülerinnen, Kollegen und Kolleginnen aus der ganzen Welt blieb sie zeitlebens verbunden.
«Unzählbar», so schreibt sie, «sind all die Musiker (Instrumentalisten, Sänger, Komponisten und Dirigenten), die bei uns im Lindenhof verkehrten. Auch Künstler aus anderen Kunstsparten wie Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Schauspieler gaben uns die Ehre.»
Neben der Musik waren es tiefsinnige Gespräche, der Austausch von Gedanken, Wissen und Erfahrungen, aber auch das gemütliche Beisammensein und das Erzählen von Anekdoten, was ihrem Leben Farbe und Freude gab. Wie spannend konnte sie doch berichten, unterhalten, andere begeistern und – wie z.B. damals, als sie mitten in einem Konzert feststellte, dass ihre Füsse in zwei verschiedenartigen Schuhen steckten – über sich selber lachen!

Emmy Hürlimann in den 1960er Jahren.

Auf einer Schifffahrt des ehrwürdigen Tonhalleorchesters Zürich holte sie auf einmal ihre Handorgel hervor und begann als würdevolle Dame der Harfe, als die man sie kannte, zum Erstaunen der Anwesenden Ländler und «Hudigäggeler» zu spielen!

Wie Papa Hürlimann seine Enkelkinder unterhielt
Emmy Hürlimann hatte eine besondere Vorliebe für Schuhe. Wo sie auch hinreiste, wo überall sie ein neues Modell entdeckte, sie konnte nicht widerstehen und kaufte es. So sammelten sich in den Wandschränken des Korridors im oberen Stock des Lindenhofs unzählige Paare, die einen vielleicht nur einmal getragen, andere noch jungfräulich in der Schachtel verpackt.
Wenn es an trüben Regentagen den Enkeln etwa langweilig war, fragten sie Grossvater Hürlimann: «Wämmer wider emal der Tante Emmy iri Schue go zele?» Ein begeistertes «Ja», die Treppe hoch, die Wandkasten aufgemacht, alle Schuhe herausgenommen, an einen riesigen Haufen geworfen und tüchtig durcheinander gemischt.
Dann mussten die Kinder die zueinander passenden Schuhe suchen und in Reih und Glied dem Korridor entlang aufstellen. Am Schluss wurden sie gezählt und wieder in die Wandschränke gestellt.
Gerne bastelte Papa Hürlimann mit seinen Enkeln auch Pfeilbogen. War der Bogen im Wald geschnitten und gut vorbereitet, ging es darum, ihn mit einer entsprechenden Sehne zu bespannen. Papa Hürlimann suchte mit den Kindern das Zimmer auf, in dem die Harfen seiner Tochter standen, hielt die Bogen an eine der Harfen und schnitt mit seinem Sackmesser die für die Pfeilbogen geeignetsten Saiten kurzerhand aus der Harfe heraus. Noch heute schwärmen die Enkel von der unübertrefflichen Qualität ihrer damaligen Pfeilbogen!
 
Emmy Hürlimann und der Polizist
Es war in Zürich. Emmy Hürlimann war wieder einmal in Eile und überquerte trotz eindeutigen Haltezeichens des Polizisten unbekümmert die Strasse. Dieser, empört darüber, dass sie sich nicht an seine Weisung hielt und sich wie ein Huhn auf die Fahrbahn begab, rief ihr zu: «Frölein, si händ e Fädere verloore!»
Mit ernsthaftester Miene ging Emmy Hürlimann auf den Polizisten zu, musterte vor ihm ihr Kleid von oben bis unten und bat ihn: «Säged Si mer doch bitte, wo?»
 

FASZINATION AUTO

„Wie freuten wir uns, Annie und ich, wenn wir bei einem Ausflug im Auto auf der Fahrt über den Klausenpass jedem Strassenarbeiter ein Päckchen Stumpen aus dem offenen Wagen zuwerfen durften und ihr Staunen und ihre Freude sahen.“ Papa Hürlimann war es ein Anliegen, dass die oft von Gewittern und Regen ausgespülten Strassen gut in Stand gehalten wurden, war er doch ein leidenschaftlicher Autofahrer.
Diese Begeisterung fürs Autofahren hat Emmy Hürlimann offenbar von ihm geerbt. Sie war erst 15-jährig, als ihr Papa diese Kunst im offenen Packhard mit seinen 28 Pferdestärken beibrachte. „Im Sommer 1932, fünf Tage nach meinem 18. Geburtstag, bestand ich die Fahrprüfung, nachdem ich meinen Papa während drei Jahren auf Besuchen zu seiner Kundschaft und auch auf Ausflügen zusammen mit Mama in der ganzen Schweiz herum und über die meisten Pässe chauffiert hatte.“
Auf einer solchen Autofahrt erlaubte sich Papa Hürlimann hin und wieder eine kritische Bemerkung zur Fahrweise seiner Tochter. Selbstbewusst, wie sie war, erklärte sie ihrem Vater: „Wennt jetzt nüd rueig bisch, chasch uusschtiige oder de gömer hei!“ Papa Hürlimann entgegnete ihr in einer Seelenruhe: „Also gömer hei.“ Das war nun ganz und gar nicht im Sinne seiner Tochter! Sie räusperte sich, fuhr weiter und schwieg fortan ergeben, wenn Vater etwas zu bemängeln hatte.
Ein Auto, das sie besonders liebte, war der Chrysler Imperial, der sich auch bestens als Transportmittel für die königliche Harfe eignete. Mit ihm fuhr sie öfter vor dem Radiogebäude des Studios Zürich vor. Kein Geringerer als Rolf Liebermann, der spätere Opernintendant von Hamburg und Paris, taufte ihr edles Gefährt in „Harfen-Omnibus“ um!

INNIGE BEZIEHUNG ZUR NATUR

Typisch für Emmy Hürlimann ist auch ihre tiefe Beziehung zur Natur. «Die Eltern Hürlimann waren sich zweifellos bewusst, dass für den Menschen der Kontakt zur Natur und zu den Tieren, ja zur ganzen Schöpfung Gottes, von grösster Wichtigkeit ist, viel wichtiger als alle materiellen Werte», schreibt sie rückblickend. Auf dem zum Lindenhof gehörigen Bauerngut «Schönau» lebten Pferde, Kühe, Rinder, Schweine, Schafe, Hühner, Katzen, ein Esel, ein Berner Sennenhund, zahme Rehe, ja sogar Äffchen. Zu all diesen Tieren hatte sie eine geradezu freundschaftliche Beziehung. Wie liebevoll und einfühlsam schildert sie in ihren Tiergeschichten ihre Verbundenheit mit diesen Mitgeschöpfen!
Gerne arbeitete sie auch im Garten. Darüber erzählt sie: «Zwei ältere Damen sahen mich mit umgebundener Gärtnerschürze, klobigen Schuhen und zerzausten Haaren beim Umgraben im Gemüsegarten. Ganz verblüfft guckten mich beide an: «Sie sind aber nicht Fräulein Hürlimann, die Harfe spielt?!» Lachend bestätigte ich ihnen das, mit der aufklärenden Bemerkung, ich könne meine Gartenarbeit und meine Tätigkeit auf dem Podium schliesslich nicht im gleichen Tenü bewältigen.»
Die Verbundenheit mit der Erde, säen, pflegen, ernten, das Beobachten des Wachstums, das Staunen über den Kreislauf der Natur, das waren Dinge, die wesenhaft zu Emmy Hürlimann gehörten.


Emmy Hürlimann mit dem englischen Harfenisten David Watkins, 1993.

AUSKLANG

In den letzten Jahren musste sie schmerzlich erleben, wie ihre Kräfte abnahmen und ihr Körper immer schwächer wurde. Ihr Geist aber blieb hell und klar bis in ihre letzten Tage.
 
Glückwunsch zum 80. Geburtstag
«Was für eine Freude ist es für mich, Dir anlässlich Deines 80. Geburtstages wieder einmal zu sagen, wieviel Zuneigung ich Dir entgegenbringe. Grosse Dame der Harfe, von allen anerkannt und geschätzt, bist Du doch ganz einfach und menschlich geblieben. Du wolltest sehr bald, dass wir uns duzen und hast so die Türe zu einem offenen Dialog, geprägt von Freundschaft und Grosszügigkeit, weit aufgemacht.»
«Jede unserer Begegnungen ist ein Moment intensiven Austauschs. Du bist voller Ideen und klugem Urteil und bringst Deine Person voll mit ein, indem Du Artikel schreibst, Informationen durchgibst, einen Komponisten-Wettbewerb subventionierst... Dein Enthusiasmus ist beständig. Du liebst das Leben, und das Leben meint es deshalb auch gut mit Dir. Und selbst wenn Du Dich manchmal beschwerst, schneller müde zu werden als früher, möchtest Du doch stets noch mehr machen.»
(Schluss im Originaltext:) «Porte-toi bien et, surtout, merci pour ta présence, qui est pour nous le plus beau des cadeaux.
Je t’embrasse affectueusement
Chantal Mathieu

(Aus «Schweizer Harfen - Journal», Winter 1994/95, verfasst von Chantal Mathieu, welsche Harfenistin und Nachfolgerin von Emmy Hürlimann als Präsidentin der Schweizerischen Harfen - Vereinigung)
 
Es war nicht ihre Art, zu klagen. «Ich kümmere mich nicht um Enttäuschungen, ich halte mich an das Positive, an die Harmonie der Musik und an die Schönheit der Natur.» Ein besonders wertvolles Geschenk, das sie noch im Alter für ihre Familienangehörigen angefertigt hat, ist das schmucke Bändchen «Erinnerungen an den Lindenhof», in welchem sie von eindrücklichen Erlebnissen und Begegnungen erzählt.
Zahlreich waren die Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler, die Emmy Hürlimann besuchten und ihr etwas von der Herzlichkeit, Wärme und Liebe, die sie von ihr empfangen hatten, zurück brachten.

Besuch im Spital
Wie innig sich Kollegen mit Emmy Hürlimann verbunden fühlten und wie dankbar sie ihr gegenüber waren, zeigt folgende Begebenheit:
Die beiden erstklassigen amerikanischen Harfenisten Paul Horst und David Watkins nahmen am Internationalen Harfenkongress in Wien teil. Dort erfuhren sie, dass Emmy Hürlimann in Zürich im Spital liege. Statt in die Staaten zurück, flogen die beiden nach Zürich, begaben sich ins Spital auf dem Zollikerberg und spielten vor Emmys Zimmer während zweier Stunden wunderschönste Harfenmusik. Wen wunderts, dass auch alle andern Zimmertüren sich öffneten und Patienten wie Angestellte sich über dieses einmalige Konzert von Herzen mitfreuten!


Dank fürsorglicher Angehöriger konnte sie noch lange Zeit in ihrer Wohnung bleiben, musste aber für ihre letzten Monate ins Krankenheim Riesbach übersiedeln. Dort wurde sie von Schwester Benedicta, einer ehemaligen Harfenschülerin aus dem Benediktinerinnenkloster Orselina, während ihrer letzten zwei Wochen Tag und Nacht fürsorglich begleitet und betreut. Am Montag, 28. Mai 2001 wurde Emmy Hürlimann von ihren Altersbeschwerden erlöst und heimgerufen. Über die von ihr selbst verfasste Todesanzeige setzte sie die ihr Leben so trefflich kennzeichnende letzte Strophe aus dem Gedicht „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff:

«Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.»



Peter Weiss