GEFÄLLIGE BILDER FÜR DAS AUFSTREBENDE BÜRGERTUM

Der Wädenswiler Landschaftsmaler Johann Gottfried Steffan (1815-1905)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2002 von Adrian Scherrer

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Wenn sich im Jahr 2005 Johann Gottfried Steffans Todestag zum hundertsten Mal jährt, wird man eines zu Lebzeiten ausserordentlich erfolgreichen Künstlers gedenken, der heute kaum mehr bekannt ist. Auch in der kunsthistorischen Literatur wird Steffan nur selten genannt. Neben einigen älteren, eher biografischen Publikationen, wird er nur in wenigen Ausstellungskatalogen erwähnt. Als einzige überlieferte Quelle liegt ein 1909 im Neujahrsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft publizierter Aufsatz von Steffans Sohn Rudolf vor. Darin wird ausführlich aus einem Manuskript mit dem Titel «Mitteilungen an meine Kinder» zitiert, die Steffan einige Jahre vor seinem Tod verfasst haben soll. Warum geriet der Landschaftsmaler Steffan trotz seiner Popularität und seines grossen handwerklichen Könnens schon bald nach seinem Tod in Vergessenheit?
Johann Gottfried Steffan wurde am 13. Dezember 1815 in Wädenswil geboren. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Darauf zog seine Mutter mit ihrem einzigen Sohn zu ihren Eltern. Bei seinen Grosseltern und weiteren Verwandten wuchs der Junge in einer auch für damalige Verhältnisse streng religiösen Umgebung auf, die ihm kaum Freiheiten liess und ihn ständig zu fleissigem Arbeiten ermahnte.1
Johann Gottfried Steffan, 1815−1905.
Wie das für Halbwaisen vorgeschrieben war, hatte er zudem einen Vormund. Dieser war es, der seine Begabung erkannte. Er besorgte ihm eine Lehrstelle beim Lithografen Friedrich Allamand, der 1828 in Wädenswil eine Werkstatt eröffnet hatte, sich aber gegen die alteingesessene Konkurrenz nicht behaupten konnte und deshalb 1836 nach Horgen umzog.2 Als Steffan ausgelernt hatte, stellte sich die Frage nach künstlerischer Weiterbildung. Und da hatte er Glück: Seine Mutter war mit der Familie Bodmer in Hombrechtikon bekannt, deren Sohn Gottlieb Bodmer (1804–1837) Teilhaber an der renommierten lithografischen Anstalt Zach und Bodmer in München war. Über diese Beziehung erhielt Steffan eine Lehrstelle in München.

ALLEIN IN MÜNCHEN

Als Johann Gottfried Steffan im Frühjahr 1833 nach München kam, war die bayerische Hauptstadt eine der bedeutendsten Kunstmetropolen Europas. Zahlreiche Ausstellungen fanden statt, wer Rang und Namen hatte, unterrichtete an der Akademie der Künste und das Wittelsbacher Königshaus sammelte eifrig Werke in der Glyptothek und den Pinakotheken. Der künstlerische Aufschwung ging auf die Initiative des damaligen bayerischen Königs, Ludwig I., zurück. Er verstand die bildende Kunst, und insbesondere die Architektur, als Strategie, sich und sein Land gegenüber den grösseren Staaten ins rechte Licht zu rücken.3
Anfänglich fühlte sich Steffan keineswegs wohl in München.4 Er musste sich mit bescheidenen Mitteln durchschlagen, wurde schliesslich aber vom Lithografen Friedrich Hohe (1802–1870) engagiert, um an einem grösseren Projekt mitzuarbeiten: der Herausgabe von «Neue Malerwerke aus München» mit Lithografischen Reproduktionen zeitgenössischer Kunstwerke. Damit verdiente er erstmals Geld und kam ins Geschäft. Nebenher bildete er sich an der Akademie der Künste und am Polytechnikum zeichnerisch weiter. 1837 beantragte er seine Aufnahme in den Münchner Kunstverein, einer Vereinigung von Künstlern − neben Kunstmalern auch Lithografen und Kunsthandwerkern − ausserhalb der Akademie. Der Kunstverein sollte ein Gegengewicht zur Akademie und zur königlichen Kunstpolitik sein, indem er seinen Mitgliedern ermöglichte, ihre Werke auszustellen und dem bürgerlichen Publikum zu verkaufen.5
Auch privat ging es aufwärts: Im Sommer 1839 besuchte Steffan seine Mutter in Wädenswil. Diese hatte inzwischen den damaligen Gemeindepräsidenten Johannes Hofmann geheiratet. An dessen Tochter Emilie − seiner Stiefschwester − fand Steffan gefallen. Er verlobte sich mit ihr und blieb ein ganzes Jahr in Wädenswil.6 Als Gast im Haus Hofmann hatte Steffan wohl kaum etwas zu tun. Vermutlich deshalb begann er zu malen. Seine Anfänge als Maler sind demnach autodidaktisch, auch wenn seine Bewunderung für den Münchner Landschaftsmaler Carl Rottmann (1797–1850) überliefert ist.7
Einige seiner frühen Werke entstanden in der Umgebung von Wädenswil. Es sind unscheinbare, wie zufällig anmutende Wirklichkeitsausschnitte, von denen die meisten bestimmte Stimmungen am See wiedergeben: Abenddämmerung, Nebel oder Morgengrauen. Manche dieser frühen, kleinformatigen Kabinettbilder strömen auch heute noch eine lichte Farbigkeit und atmosphärische Frische aus.
Abendbeleuchtung am Zürichsee, Blick gegen die Voralpen, 1846 Öl auf Papier über Leinwand, 20.5 x 33.5 cm.

IM GESCHMACK DES PUBLIKUMS

Schliesslich kehrte Steffan aber doch nach München zurück − zusammen mit Emilie Hofmann (1816–1886), die er im November 1840 heiratete. Neun Monate später kam ihr erstes Kind zur Welt. Nach seiner Rückkehr nach München stellte Steffan seine Landschaftsbilder im Kunstverein aus, die entweder in Wädenswil oder aber später in München aufgrund von Skizzen aus Wädenswil entstanden waren. Die Ausstellung verlief erfolgreich, einige seiner Werke konnte er verkaufen.8 Steffan hatte offensichtlich den Geschmack der Zeit getroffen.
Zürichsee bei Wädenswil, 1842, Öl auf Papier auf Leinwand geklebt, 20 x 35 cm.

Trübe Stimmung, Weg zur Grimsel mit Wildbach, 1897, Öl auf Leinwand, 60 x 100 cm.

Das München jener Zeit schildert der Schriftsteller Gottfried Keller (1819–1890) in seinem Roman «Der grüne Heinrich». Er war 1840 nach München gereist, um sich als Maler weiterzubilden. Im Gegensatz zu Steffan war Keller aber erfolglos. Obwohl ebenfalls Mitglied des Kunstvereins fand er keine Käufer für seine Bilder und musste sie zum Trödler bringen. Glaubt man Kellers durchaus autobiografisch gefärbten Erzählungen im Roman, liegt dies am unterschiedlichen Selbstverständnis der Künstler:
Wer sich mit harter Arbeit nach dem Publikumsgeschmack richtet, kann seine Werke verkaufen; wer sich – wie Keller – als freier Künstler mit (zu) hohen Ansprüchen an sich und sein Werk versteht, scheitert. Nach zweieinhalb Jahren kehrte Keller erfolglos nach Zürich zurück.9
Keller und Steffan sind sich in München vermutlich nicht begegnet, zu unterschiedlich war ihr Lebenswandel. Keller kannte jedoch Steffans Werke. In der Besprechung einer Gruppenausstellung, die 1846 in Zürich stattfand, äusserte er sich bewundernd über Steffan: «Welche Sättigung, Kraft und Anmut in den Farben, welch ruhige Meisterschaft in Anordnung und Beleuchtung, welch ein angenehmer Vortrag!»10

ATELIER ALS TREFFPUNKT

Bereits nach kurzer Zeit gehörte Steffan zu den arrivierten Künstlern Münchens. Er war Teil der Schweizer Künstlerkolonie in der bayerischen Hauptstadt, denn zwischen 1850 und 1900 hielten sich mehr Schweizer Maler in München auf als in jeder Deutschschweizer Stadt. Darunter waren Künstler, die zu Lebzeiten weniger bekannt als Steffan waren, heute aber klingendere Namen haben: Wilhelm Rudolf Scheuchzer (1803–1866), Rudolf Koller (1828–1905), Johann Caspar Bosshardt (1823–1887) und Robert Zünd (1827–1909). 1854 nahm er den St. Galler Traugott Schiess (1834–1869) als Schüler in seine Werkstatt auf, der wie er selbst eine Lithografenlehre absolviert hatte. Schiess heiratete später Steffans Tochter.11
Auch Steffans Sohn Arnold (1848–1882) zählte zu seinen Schülern; sein bekanntester Schüler war aber der Solothurner Otto Frölicher (1840–1890), den er 1859 in seinem Atelier aufnahm. In dieser Zeit wurde Steffans Atelier an der Schillerstrasse 27 zu einem eigentlichen Begegnungsort der Schweizer Künstler in München. So nahm er 1858 beispielsweise Arnold Böcklin (1827–1901) für einige Monate in seiner Werkstatt auf, als dieser mittellos in München ankam. Die vielfältigen Bekanntschaften zeigen, dass sich die Schweizer Malerei in regem Austausch mit den künstlerischen Strömungen im benachbarten Ausland entwickelte.
Aus Steffans Aufzeichnungen geht hervor, dass er mit grossem Pflichtbewusstsein arbeitete.12 Seine Gemälde sollten offensichtlich primär ihn und seine Familie ernähren − eine Einstellung, die auf seine Erziehung, aber auch auf seine Ausbildung als Lithograf zurückgehen dürfte. Letztlich war Steffan auf diese Weise wohl mehr ein disziplinierter, ja vielleicht gelegentlich sogar pedantischer Handwerker als ein kreativer Künstler.

ZWISCHEN ATELIER UND FREILICHT

Steffan war Ateliermaler. In der Regel entstanden seine Werke in der Werkstatt aufgrund von Skizzen, die er zuvor im Freien angefertigt hatte. Sie können deswegen zwischen der akademischen Atelierkunst und der realistischen Freilichtmalerei angesiedelt werden. Seine Landschaftsgemälde sind zum grössten Teil Alpenbilder, über zwei Drittel seiner Werke zeigen Gebirgsmotive.13 Er profilierte sich zwar als detailgenauer Beobachter, aber nicht alle seine Werke können in der Realität einer Umgebung zugeordnet werden, denn der Künstler nahm sich durchaus die Freiheit, Motive von verschiedenen Skizzen nach klaren geometrischen Regeln zu einem einzigen Bild zu verschmelzen.
Ihr Fundament haben die Bilder zwar in der Romantik, indes handelt es sich nicht um jene pathetisch-heroische Alpenmalerei, die Künstler wie Alexandre Calame (1810–1864), Franccis Diday (1802–1877) oder Caspar David Friedrich (1774–1840) pflegten. Steffans Bilder entsprechen einer stärker realistischen Naturauffassung, die weit von den romantischen Sinnbildern entfernt ist, welche die Natur zu einer Spiegelung menschlichen Empfindens machten. Nicht die erhabenen Motive interessierten ihn, sondern die stimmungsvollen Naturausschnitte ohne gedanklich spekulative Überhöhungen. Insofern steht seine Malerei am Anfang einer neuen Naturauffassung der Münchner Schule, die Stimmungen, Atmosphäre, Licht und Luft zu einer neuen Raumerfahrung zusammenfügte. Zu Recht wehrte sich Steffan gegen die Bezeichnung «deutscher Calame», die ihm von Kunstkritikern verliehen worden war.14 Das Etikett brachte er aber nicht mehr los: Noch 1955 wurde er anlässlich einer Ausstellung im Kunsthaus Glarus als «Calame des Glarnerlandes» bezeichnet.15
Nebelstimmung am Zürichsee bei Wädenswil, 1846 Öl auf Karton über Leinwand, 33 x 46 cm.

Die meisten von Steffans Werken sind gefällige Naturausschnitte, die er zu abgerundeten Szenerien komponierte − häufig ergänzt mit pittoresken Versatzstücken wie einzelnen Schafen, Kuhhirten oder einsamen Wanderern.16 Die Gebirgsbilder leben von subtil abgestuften Farben, die Tiefenwirkung erzeugen, sowie geschickt eingesetztem Licht, das die Beschaffenheit der Natur gekonnt in Szene setzt. Neben seiner Spezialität, dem Gebirge, schuf Steffan auch zahlreiche Bilder von Seen. Zeitgenossen sahen darin «Bilder von poetischer Auffassung, grosser Naturwahrheit und anmutendem Kolorit, bisweilen von grossartigem, historischem Stil»17
 

TOURISTEN ALS KÄUFER

Im Lauf des 19. Jahrhunderts übernahm das Bürgertum die ökonomische und mit der Zeit auch die politische Macht in Europa. Diese neue, solvente Gesellschaftsschicht begann sich auch für die Kunst zu interessieren. Nur waren im Bürgertum selten eigentliche Sammler zu finden. Gekauft wurde, was gefiel. So entstand erstmals in der Geschichte der Malerei ein eigentlicher Kunstmarkt. der seinerseits wiederum den Publikumsgeschmack formte und auf diese Weise in der Öffentlichkeit einen gewissen Erwartungsdruck gegenüber den Malern weckte. Dies führte aber dazu, dass das Landschaftsgemälde von der einst verpönten Kunstgattung zum beliebtesten Genre des 19. Jahrhunderts wurde.18
Zürichsee bei Wädenswil, 1846, Öl auf Papier über Leinwand, 21 x 36.5 cm.

Während der Sommermonate hielt sich Johann Gottfried Steffan häufig in den Schweizer Alpen auf, um Skizzen zu sammeln, die ihm später als Vorlage für seine Ölgemälde dienten. Jahr für Jahr bereiste er in den 1850er- und 1860er-Jahren vor allem die Glarner, aber auch die Bündner und Berner Alpen. Zu jener Zeit wurde die Schweiz zum Reiseziel des aufsteigenden europäischen Bürgertums. Während mit der Industrialisierung die Städte rapide wuchsen und wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse den Alltag der Menschen umwälzte, wurden die Alpen als unverdorbene Naturoase hochstilisiert. Vorbereitet wurde diese Wiederentdeckung von der französischen Aufklärung und insbesondere vom Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), der in den Alpen und in der Bauernidylle eine heilsame Gegenwelt zur überlebten aristokratischen Kultur der Höfe erkannte. Da lag es nahe, dass das europäische Bürgertum, das sich selbst von der Aristokratie distanzieren wollte, die Alpen und die Schweiz als «Hort der Freiheit» entdeckte.19
Diese Touristen fanden Gefallen an Steffans Gemälden von Schweizer Landschaften und kauften sie als Reiseandenken. Der Künstler seinerseits stellte sich − wohl mit einem gewissen kommerziellen Kalkül − auf diesen Markt ein und wandte sich vermehrt der Gebirgsmalerei zu. Seine Rechnung ging auf: In den 1870er-Jahren gehörte Steffan zu den gesuchtesten Gebirgsmalern. Ganz dem Geschmack der Zeit entsprechend blendete er alles aus, was nicht beschaulich, unberührt und harmonisch war. Eisenbahnstrecken oder Strassen sind auf seinen Bildern nie zu sehen. Er konstruierte eine Welt, die so nicht (mehr) existierte.
Gottfried Keller kommentierte 1848 mit Blick auf das Interesse britischer Touristen an Bildern aus den Schweizer Bergen sarkastisch: «Unsere Schweizer Maler müssen sich zusammennehmen, wenn sie nicht zur Klasse der Gastwirte, Oberländer Holzschneider, Bergführer und aller jener Spekulanten herabsinken wollen, welche von nichts anderem träumen als von den Börsen der durchreisenden Teesieder.»20
Ironie des Schicksals: Steffan förderte einerseits mit seinen Gemälden von unberührten Gebirgen zweifellos den Alpentourismus, verabscheute aber andererseits touristisch genutzte Gegenden als «entheiligt». Zwar lebte er von eben jener Käuferschicht, die in die Berge reiste, verurteilte sie aber gleichzeitig. Seinem Sohn zufolge soll er sich beispielsweise in einem Zeitungsartikel sehr negativ über die abendliche Beleuchtung der Giessbach-Fälle im Berner Oberland geäussert haben.21

KÜNSTLERISCH IM ABSEITS

Mit grossem handwerklichem Können und einer eigenartigen Kontinuität schuf Steffan insgesamt über 500 Gemälde, die er nach ganz Europa verkaufen konnte. In seinem Werk ist kaum eine malerische Entwicklung festzustellen. Die Tatsache, dass in grösseren zeitlichen Abständen sehr ähnliche Arbeiten entstanden, zeigt, wie festgefügt Steffans künstlerische Bildwelt war.22 Zu den Atelierbildern kommen unzählige Ölstudien und Zeichnungen. Als er wegen altersbedingter Farbenblindheit mit 84 Jahren schliesslich den Pinsel aus der Hand geben musste, hatte er sich künstlerisch längst ins Abseits manövriert.
Zürichsee bei Wädenswil, 1843, Öl auf Papier auf Leinwand, 26.5 x 43.5 cm.

Abend bei Wädenswil, 1841, Öl auf Leinwand, 17.5 x 24 cm.

Steffan war einer der letzten Maler, der hoch in die Alpen stieg. Die meisten seiner Kollegen widmeten sich inzwischen tiefer gelegenen Landschaften, die weniger spektakulär, dafür − im eigentlichen Wortsinn malerischer waren. Steffans Schüler Ott Frölicher formulierte es so: «Die Kunst hat das Interesse im Malerisch-Schönen zu suchen und nicht das Schöne im Gegenständlich-Interessanten.»
Mit einer gewissen Verbitterung schrieb denn Steffan auch in den «Mittellungen an meine Kinder» kurz vor seinem Tod: «Je mehr ich aber durch die verschiedenen Studienreisen die Natur in ihren Details und Eigenarten kennenlernte ( .. .), desto mehr trat jene etwas überschwängliche Freiheit der ersten Zeit zurück.»23 Sein Sohn umschreibt es deutlicher: «Wenn ( ... ) das Weltbild, das er im Herzen trug, nicht mehr stimmte mit dem aktuellen Weltbild, konnten sich die Nebelschwaden tiefgehender Verstimmung auf sein Inneres senken.»24

KOMMERZIELL ERFOLGREICH

Aus heutiger Sicht scheint es, dass sich Steffan wegen seines kommerziellen Erfolgs − und möglicherweise auch wegen seiner pflichtbewusst-arbeitssamen Art − zu wenig künstlerische Freiheit zur Weiterentwicklung seines eigenen Werks liess. Er malte konsequent für den Markt. Als seine letzten Alpenbilder entstanden, lagen die Anfänge des Impressionismus bereits zwanzig Jahre zurück. Und es erscheint unwahrscheinlich, dass er in den Münchner Galerien nicht gelegentlich solche Bilder gesehen hat. Steffan deutet dies in den «Mitteilungen» selbst an.25 Möglicherweise behinderte auch Steffans bürgerlicher und auf Sicherheit bedachter Lebensstil ihn in seiner künstlerischen Weiterentwicklung: Sein Geschäft lief so erfolgreich, dass ihm Innovationen zu riskant erschienen.
Zürichsee bei Wädenswil, 1846, Öl auf Papier auf Leinwand geklebt, 24 x 33 cm.

Morgen bei Wädenswil, 1841, Öl auf Leinwand, 18 x 24 cm.

Vielleicht scheiterte Steffan auch an der Härte des Gebirges. Nachdem er Dutzende von Alpenbildern gemalt hatte, stand er als alter Mann seinen frühen Werken fremd gegenüber: «Es kommt mir selbst jetzt merkwürdig vor, wie damals und noch viele Jahre darnach meine Arbeiten, denen durchaus noch kein reiches, gereiftes Studienmaterial zugrunde lag, solche Anerkennung finden konnten.»26 Heute wirken diese frühen Bilder, die nicht im Gebirge, sondern in den Voralpen entstanden, moderner. Stilistisch stehen sie der französischen Pleinair-Malerei der Schule von Barbizon nahe und erinnern an die so genannten «paysages intimes» von Malern wie Barthelemy Menn (1815–1893), ein Zeitgenosse Steffans. Johann Gottfried Steffan starb am 16. Juni 1905 in München. Sein letztes Bild ist eine düstere, wolkenverhangene Alpenpassage an der Grimsel.
Heute sind Steffans Werke über ganz Europa verstreut. In vielen öffentlichen Kunstsammlungen befinden sich einige wenige Bilder, die zueinander selten in Beziehung stehen. Das grösste Ensemble besitzt das Kunsthaus Glarus. Diese 13 Ölbilder − ergänzt um einige Skizzen hefte − stehen miteinander aber nur insofern in einem Zusammenhang, als sie alle Darstellungen glarnerischer Landschaften sind. Die einzige Werkgruppe, die sich geschlossen in einer Hand befindet, besitzt die Stadt Wädenswil. Es handelt sich dabei um acht kleinformatige Bilder aus den Jahren 1841 bis 1846, die verschiedene Blicke auf den Zürichsee zeigen. Sie wurden der Stadt 1907 vom Sohn des Künstlers, Rudolf Steffan, aus dessen Nachlass geschenkt.27 Die Stadt besitzt zudem eines der letzten Werke Steffans von 1897.




Adrian Scherrer

ANMERKUNGEN

1 Jedlicka, Gotthard. Johann Gottfried Steffan: Landschaftsmaler. Wädenswil 1938 (9. Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil), S. 5 ff.
2 Stadtarchiv Wädenswil, Bestand IV B 98.20. Vgl. auch Leemann-van Elck, Paul. Druck, Verlag, Buchhandel im Kanton Zürich von den Anfängen bis um 1850. Zürich 1950 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 36, H. 1), S.117.
3 Huse, Norbert. Kleine Kunstgeschichte Münchens. München 1990, S. 117 ff.
4 Steffan, Rudolf. Johann Gottfried Steffan: Landschaftsmaler. Zürich 1909 (Neujahrsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft), S.13.
5 Huse, a.a.O., S. 132 f.
6 Jedlicka, a.a.O., S. 10 f.
7 Schuppli, Madeleine. Johann Gottfried Steffan, in: Glarner Kunstverein (Hg.). Die Sammlung. Glarus 1995, S. 181–187.
8 Steffan, a.a.O., S. 18.
9 Helbling, Regine. Gottfried Keller und seine Malerfreunde. Zürich 1994, S. 18 f.
10 Eva Sandor in Neue Zürcher Zeitung, 13.12.1965. Die Besprechung findet sich in Keller, Gottfried. Aufsätze zur Kunst, Sämtliche Werke, Bd. 22. Zürich 1948, S. 240.
11 Huber, Jörg. Zwischen Harmonie und Aufbruch: Das 19. Jahrhundert. Glattbrugg 1984 (Schweizer Malerei von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Bd. 2), S. 5.
12 Stemm, a.a.O., S. 8.
13 Schuppli, Madeleine. Wahl und Anordnung, in: Kunsthaus Glarus (Hg.). 0,073 ha Welt. Glarus 1994, S. 11.
14 Steffan, a.a.O., S. 8. - Huber, Vera. Schweizer Landschaftsmaler: Das intime Landschaftsbild im 19. Jahrhundert. Zürich 1949. Vgl. auch Ruhmer, Eberhard. Deutschland, in: Die Alpen in der Malerei. Rosenheim 1981, S. 253.
15 Brunner, Fritz. Johann Gottfried Steffan. Glarus 1955, S. 5.
16 Vgl. die Bildbeschreibungen in Glarner Kunstverein, a.a.O. – Gantner, Joseph, Reinle, Adolf. Kunstgeschichte der Schweiz: Die Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 4. Frauenfeld 1962, S. 247 f.
17 Nachruf im Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee, 7.7.1905.
18 Jörg Huber, a.a.O., S. 5 f.
19 Stutzer, Beat (Hg.). Der romantische Blick: Das Bild der Alpen im 18. und 19. Jahrhundert. Chur 2001, S. 20 ff. Schon im 18. Jahrhundert stellte Denis Diderot die These auf, dass Städter mit Landschaftsbildern den Naturverlust kompensieren würden. Vgl. Bätschmann, Oskar. Entfernung der Natur: Landschaftsmalerei 1750–1920. Köln 1989, S. 17–27.
20 Zit. nach Tavel, Hans Christoph von. Ein Jahrhundert Schweizer Kunst: Malerei und Plastik von Böcklin bis Alberto Giacometti. Bern 1969, S. 12.
21 Steffan, a.a.O., S. 20.
22 Glarner Kunstverein, a.a.O., S. 186.
23 Steffan, a.a.O., S. 24.
24 Steffan, a.a.O., S. 9.
25 Steffan, a.a.O., S. 24.
26 Steffan, a.a.O., S. 18.
27 Vgl. Allgemeiner Anzeiger vorn Zürichsee, 15.5.1907. Detailangaben zu frühen Reproduktionen: Schweizerisches Künstler-Lexikon, Bd. 3. Frauenfeld 1913, S. 231.