Zum Rücktritt von Pfarrer Walter Angst

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1984 von Albert Schoch
 
Sehr geehrter, lieber Herr Pfarrer
Am 30. September dieses Jahres sind Sie nach vierzigjähriger Tätigkeit als Gemeindepfarrer von Ihrem Amt zurückgetreten. Wieviel haben Sie in dieser Lebensspanne der Kirchgemeinde und der Stadt mit Ihren grossen Gaben geschenkt! Wie gross war der Wandel zwischen der kargen Kriegs- und Nachkriegszeit und der heutigen Wohlstandsgesellschaft, und wie gross sind neben diesen äusseren Veränderungen auch jene in geistiger und gesellschaftlicher Hinsicht!
Von Ihren aus bäuerlichen Verhältnissen im Rafzerfeld stammenden und in Seen einen handwerklichen Beruf ausübenden Eltern brachten Sie ein gutes Verständnis mit für die Gesinnung und Denkweise unserer Bevölkerung. Beste theologische Lehrer haben Sie für Ihr Amt trefflich vorbereitet und die Gemeinde zu Nutzniessern Ihres Studiums gemacht.
Durch ein Missgeschick von Pfarrer Richard Schwarz sind Sie als sein Vikar nach Wädenswil gekommen und durch Pfarrer K. 0. Hürlimann - wer hätte das besser tun können? - in Ihre Arbeit eingeführt worden. 33 Tage waren Sie Pfarrhelfer, dann hat die Kirchgemeindeversammlung Sie nicht nur einmütig, nein, sogar begeistert zum Pfarrer gewählt. Die Eindringlichkeit, mit der dieser Ruf erfolgte, haben Sie mit Treue zu dieser Gemeinde belohnt.
Ein geschriebener Lebenslauf in diesem Umfang kann niemals Ihre ganze Arbeit würdigen. Es kann nur nach einzelnen Schwerpunkten gesucht werden. Der gewichtigste ist wohl der, dass Sie vor allem und immer nur eines, aber das ganz sein wollten: Gemeindepfarrer. Gibt es etwas Höheres? Für alle wollten Sie dasein, und für alle mit Hingabe und Elan.
Auf der Kanzel waren Sie Verkünder Ihrer Überzeugung, dass Jesus Christus der persönliche Heiland, aber auch der Herr der Gemeinde und der Welt ist. In den Stuben im Berg, in der Au und im Dorf, aber auch an Krankenbetten und an Gräbern erwiesen Sie sich als tiefgründiger und verständnisvoller Seelsorger; in den Schulstuben schliesslich zeigten Sie sich als begabter Lehrer der Frohen Botschaft.
Neben dieser umfassenden ganzheitlichen Arbeit setzten Sie einige Akzente. Vier Jahrzehnte sind Sie dem Missionsverein vorgestanden. Hier lebten Sie Ihre Überzeugung, dass das, was hier gesät wird auf dem Feld der Mission, reifen muss. In all diesen Jahren, so wird angedeutet, hätte Wädenswil durch Sie der Mission anderthalb Millionen Franken zukommen lassen. Wahrhaftig, viele goldene Körner, die hier mit Eifer und Stetigkeit zusammengetragen wurden, um in fernen Landen Frucht zu bringen!
Worte auf der Kanzel sind unnütz, wenn sie nicht in christliche Handreichung umgesetzt werden. Nach diesem Grundsatz präsidierten Sie während dreissig Jahren den Fürsorgeverein. Ich kann mich weiterer Worte enthalten, denn im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» legten Sie Jahr für Jahr Rechenschaft ab über das, was die freien Fürsorge-Organisationen in der Gemeinde wirkten und wo sie neben der öffentlichen ihren Platz suchten und fanden. Beinahe zwei Jahrzehnte standen Sie zudem dem Pestalozziverein als Präsident vor und leiteten damals die noch sehr umfangreiche Tätigkeit im Dienste der Jugend und der Familien.
Walter Angst - der Prediger.
Keine Einseitigkeit! Was Sie dort für die Jugend leisteten, blieben Sie da den Alten nicht schuldig. Altersstube, Altersnachmittage, Andachten in den Alterssiedlungen, Gratulationen zum 80., 90. und x-ten Geburtstag, was noch? Natürlich, niemals zu vergessen die Altersreisen mit Bahn und Car, die Sie als nimmermüder Cicerone vorbereiteten und mit strahlender Heiterkeit selbst dann durchführten, wenn der Himmel voller Bindfäden hing und Nebelschwaden Berg und Tal verbargen.Seitdem es die Altersreisen gibt, besteht das Leben vieler älter gewordener Mitmenschen aus 364 gewöhnlichen Tagen und jenem 365sten, den Sie mit Humor und Spass, ausgeklügelter Organisation und guter Laune zum Tag der Alltage krönten. Unvergesslich!
Am wärmsten ums Herz wird mir persönlich, wenn ich an Ihre Arbeit als Leiter der Sonntagschule − so hiess sie damals noch − denke. In Stichworten: genaue Vorbereitung, ein Hinweis aus der Praxis, wie man dieses und jenes sich vorstellen müsse und es auch darstellen könne, ein Beispiel aus dem Erlebniskreis des Kindes, wie sich eine biblische Geschichte erhellen lasse und die Freiheit, die Sie den Laienlehrern zur Entfaltung persönlicher Initiative gaben. Eine schöne Zeit! Und dann Weihnachten! Der «Päcklimärt» auf der Pfarrhausdiele, das «Strüpfeln» der Kerzen, damit sie auch brennen, wenn Herr Bodmer die Funken in den Baum setzt. Die Feier selbst, das von den Kindern eingeübte «Programm», und dann Ihre «Geschichte» mit den mitgehenden jungen, mittelalterlichen und älteren Zuhörern. Die einen mit Ah und Oh und Zwischenrufen, die andern leise schmunzelnd und sich in die Vergangenheit zurücktastend. Als begabter Erzähler und Darsteller schlugen Sie alle in Bann, und immer servierten Sie irgendwann eine Cremeschnitte, einen Mohrenkopf oder ein Meringue − nur geistige natürlich, wegen der Bänke! −, aber das Wasser lief doch jedem im Munde zusammen bei soviel geschwungenem Nidel, Zuckerguss und ... und ... Glückliche Erinnerung!
Gemeindepfarrer waren Sie, haben wir eingangs festgehalten, das immer zuerst und vor allem! Um es zu bleiben, haben Sie ehrenvolle Ämter ausgeschlagen, einige wenige haben Sie angenommen. Was Sie als «praktizierender Pfarrern erfuhren und dachten, sollte auch leuchten im kleineren Vaterland der Zürcher Kirche. Synodale waren Sie, Präsident des Synodalvereins, Abgeordneter der Synode in den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund − wieviel beinhaltet diese nüchterne Aufzählung! und wieder zurück zum Bezirk, hier Dekan während zwanzig Jahren. Pfarreinsätze und − abschiede, Sitzungen der Bezirkskirchenpflege, Seelsorge an Amtsbrüdern, kurz ein Bündel voller Aufgaben, innerem Mitgehen und Begleiten!
Vier Jahrzehnte − was schliessen sie alles ein? Freude und Schmerz, Sorge und Ärger, wieviel noch? Selbst wenn vieles nicht am Schnürchen lief, Sie beschäftigte und belastete oder gar «über die Leber kroch» trotz allem, Ihr Wesen blieb heiter und fröhlich, nach aussen wenigstens. Immer wieder brach der Satz des Liedes «Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ, das was mich singen machet, ist was im Himmel ist» in Ihnen durch.
Das Wädenswiler Pfarrhaus der vergangenen Jahre wäre undenkbar ohne Ihre Frau. Was an Hoch und Tief durch Fenster und Türe ins Haus drang, wurde durch sie relativiert, ruhig und klug ausgeglichen und begradigt. Sie wirkte als Mutter von fünf Kindern, und als Pfarrfrau widmete sie sich der Führung der Missionsvereine, sie war Mitglied verschiedener kirchlicher Gruppen und langjährige Präsidentin der Frauenkommission der Oberstufe. Man spürte ihre Denkweise ohne dass sie viele Worte brauchte, sie war, schlicht und einfach gesagt, Verkörperung des zwar kurzen, jedoch grossen Satzes «nicht scheinen sein». Sie war einfach da so banal das tönt , da für Frauen, Mütter, die eigenen Kinder, ältere Gemeindeglieder und auch für die Clochards, die an der Klingel zogen, wenn sie mehr oder weniger abgebrannt durch unser Dorf zogen. Zuerst und zuletzt aber war sie als ruhender Pol immer und jederzeit da für ihren Mann.
Lieber Herr Pfarrer, wer vierzig Jahre an derselben Gemeinde wirkt, nützt sich auch ab, man kann ja schliesslich nicht jedes Mannes und jeder Frau «Typ» sein. Ich bin nur immer erstaunt, wie wenig Sie es taten. Ich will auch nicht den Anschein erwecken, als ob wir seinerzeit immer «das Heu auf derselben Bühne» liegen hatten, nein, wir hatten oft fest umrissene Meinungen. Aber die Gegensätze blieben an kleinem Ort und wurden immer wieder überwunden, weil uns die Kirche zusammenführte. Ihr galt unser Denken, unsere Sorge und unser Tun, und die Meinungsverschiedenheiten glichen Tropfen auf heissem Stein, sie hinterliessen keine Spuren.
Herr und Frau Pfarrer Angst.
Liebe Pfarrfamilie, Sie wirkten, gingen, andere werden kommen. Sie bleiben auch im Ruhestand der Stadt treu, wie könnten Sie anders, vier Jahrzehnte wird man schliesslich nicht von einem Tag auf den andern los. Wir freuen uns, dass Sie bleiben. Für all das, was Sie der Gemeinde an Bestem gegeben haben, sei Ihnen auch in diesem Jahrbuch herzlichst gedankt.



Ihr Albert Schoch



Pfarrer Walter Angst

Am 18. Dezember 1918 geboren in Winterthur als Sohn des Sattlermeisters Walter Angst und der Frieda, geborenen Heller.
1938 Besuch der Schulen in Seen und des Gymnasiums Winterthur. Abschluss mit der Maturität Typus A.
1938-1943 Theologiestudium an den Universitäten in Zürich und Basel. Professoren: E. Brunner, W. Zimmerli, L. Köhler, K. Barth, E. Thurneisen, O. Kullmann.
1939  Aktivdienst als Gefreiter.
14. November 1943 Ordination zum Pfarrer.
1. Mai 1944 Vikar für Pfarrer Richard Schwarz, Wädenswil.
12. Februar 1945 Wahl zum Prarrhelfer.
24. April 1945 Hochzeit mit Magdalena Debrunner.
3. Juni 1945 Wahl zum Pfarrer.
29. Januar 1950 Wahl in die Kirchensynode
1963-1980 Präsident des Synodal vereins und Mitglied des Büros der Synode.
24. September 1963 Dekan des Pfarrkapitels Horgen.
1972 Abgeordneter der Schweizerischen Evangelischen Kirchensynode.
30. September 1984 Rücktritt vom Pfarramt, aber Weiterarbeit als Verweser, bis ein Nachfolger gewählt werden kann.