KEIN LANDI-SAAL AUF DER AU

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2009 von Peter Ziegler
Der Landi-Saal heute.

AUF DEN SPUREN DER «LANDI»

Im Sommer 2009 veröffentlichte die «Zürichsee-Zeitung Bezirk Horgen» eine mehrteilige Artikelfolge über die Schweizerische Landesausstellung 1939 in Zürich, die legendäre «Landi». In einem Beitrag ging der Autor, Hans-Heiri Stapfer, den Spuren der Landi im Bezirk Horgen nach.1 Im Zentrum stand dabei der Landi-Saal auf der Halbinsel Au. Der Redaktor würdigte ihn unter anderem mit folgenden Worten:
«Der einzige bauliche Zeuge der Landesausstellung im Bezirk Horgen befindet sich auf der Halbinsel Au – als Annexbau zum Landgasthof. Es handelt sich um einen ehemals offenen Saal, welcher den Besucherinnen und Besuchern des rechtsufrigen Landi-Dörfli Schutz vor Regen und starker Sonnenbestrahlung bot. Der Saal mit seinen charakteristischen halbrunden Fensteröffnungen befand sich im Zürcher Stadtteil Riesbach. Noch immer birgt die Holzkonstruktion ihre Geheimnisse: So ist bis heute nicht bekannt, wo das Gebäude – nach seinem Abbruch im Landi-Dörfli – zwischengelagert worden war, bis es auf der Halbinsel seiner neuen Nutzung zugeführt worden war.»

WIDERSPRÜCHLICHE INFORMATIONEN

Als mich Hans-Heiri Stapfer um historische Angaben zum Landi-Saal auf der Halbinsel Au bat und wir uns mit dem Pächter Philippe Keller im Saal trafen, verfügten wir über unterschiedlichste Informationen. Ein Augenzeuge glaubte sich daran zu erinnern, dass er als Zwölfjähriger im Landi-Dörfli in diesem Saal gesessen habe. Gemäss anderer Auskunft soll der Bau nach der Landi zwischengelagert und erst später auf der Au wieder aufgebaut worden sein. Der Saal sei erst 1959 mit dem Neubau des Gasthofes erstellt worden, lautete eine andere mündliche Überlieferung.
Merkwürdigerweise enthielt weder der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee», noch die handschriftlichen Chronik 1939 der Lesegesellschaft oder das entsprechende «Jahrbuch vom Zürichsee» einen Hinweis auf einen Landi-Saal auf der Halbinsel Au. Auch in den Büchern über die Landi und auf den zahlreich erhaltenen Fotos fanden sich kein Hinweis und kein Bild des gesuchten Baus.

ENTSCHEIDENDE HINWEISE

Die widersprüchlichen Äusserungen lockten mich, nach den Ursprüngen des Saales zu forschen. Dass der Bau erst 1959 auf die Au versetzt worden sei, konnte bald ausgeschlossen werden. Zur Eröffnung des neuen Landgasthofes am Palmsonntag 1959 erschienen im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» verschiedene Berichte. Unter anderem erzählte Alfons Steinbrink, der seit 1944 auf der Au wirtete, einmal sei eine Hochzeitsgesellschaft in der Gartenwirtschaft vom Regen überrascht worden und habe sich dann in den Gartensaal geflüchtet, wo die Musik das Lied «Nach em Rääge, schiint d Sunne…» gespielt habe.2
Damit war klar, dass der Saal bereits in den 1940er Jahren bestand. Er hiess jedoch nicht Landi-Saal, sondern Gartensaal und gehörte funktional zur Gartenwirtschaft. Dies bestätigte mir auch die auf der Au aufgewachsene Tochter von Alfons Steinbrink, Renate Hürlimann. Sie spielte in den 1940er Jahren in diesem Saal, und ihr Vater renovierte und lagerte hier im Winter die Gartenmöbel. Während des Neubaus durch den Architekten Max Sütterlin wurde im Sommer 1958 in der Gartenhalle die Restauration aufrecht erhalten.3
Den entscheidenden Hinweis zur Klärung der Baugeschichte des Saales erhielt ich von Hansjakob Gattiker im Unterort Au. Er schickte mir eine Ansichtskarte aus Zeit um 1918, welche neben dem alten Hotel Au von 1866, am heutigen Standort, den jetzigen Saal mit den markanten Rundbogen zeigt.
Damit stand fest, dass der Saal viel älter war als bisher angenommen, und dass er mit der Landi 1939 nichts zu tun haben konnte. Dafür waren nun die Grundprotokolle und Lagerbücher der Brandassekuranz im Staatsarchiv Zürich (StAZH) zu konsultieren.
Der Gartensaal in den 1940er Jahren. Die Wand gegen die Gartenwirtschaft zeigt noch die ursprüngliche Architektur mit offener Arkade.

Bankett im Gartensaal auf der Au in den 1940er Jahren.

Die 1914 erstellte Wirtschafts- und Gartenhalle neben dem Gasthof auf der Au. Ansichtskarte um 1918.

«PENSION & CUR-ANSTALT AU»

Die Gebrüder Heinrich und Arnold Leuthold liessen 1865/66 auf der Kuppe des Au-Hügels ein Wohn-, Gast- und Kurhaus mit markantem Treppengiebel und zwei Zinnenanbauten erstellen. Zum Besitz gehörten 1876 eine Scheune (Vers.-Nr. 694) sowie ein nicht assekuriertes Kegelbahngebäude4 und 1879 eine zweite Scheune (Vers.-Nr. 808), ein Dampfschifflandesteg und ein Badehäuschen.5 Der neue Betrieb profitierte anfänglich vom aufkommenden Tourismus und wurde bald auch als Kurhaus für Molkenkuren und Bäder bekannt. Die Gebrüder Leuthold als «Propriétaires» warben schon bald mit einem Prospekt, in dem es unter anderem heisst: «Dieses Etablissement liegt 1400 Fuss über dem Meer und 150 Fuss über dem Zürichsee, mit der schönsten Aussicht auf diesen und die Gebirge. Reine Luft, Seebäder (auf Verlangen auch warme), Milch & Molken, gute Küche, Keller und Bedienung. Ausgangspunkt zu den verschiedenartigsten Spaziergängen u. Ausflügen: Ufenau, Einsiedeln, Zug, Rapperswyl etc., wozu die regelmässigen Dampfbootverbindungen täglich 10 bis 12 Mal die beste Gelegenheit geben: 1 Stunde Fahrzeit von Zürich. Pensionspreis Fr. 5.»
1875 teilten die Gebrüder Leuthold ihren Besitz. Arnold übernahm das untere Heimwesen (beim heutigen Weinbaumusem) und Heinrich wurde alleiniger Eigentümer des Gasthauses.6 Der Kurbetrieb entwickelte sich offensichtlich nicht so, wie es der Gastwirt erwartet hatte. Jedenfalls geriet Heinrich Leuthold, der zuletzt noch eine dritte Scheune (Vers.-Nr. 443) bauen liess, in Konkurs. Am 5. Februar 1883 brachte das Notariat Wädenswil als Verwalterin der Konkursmasse die Kurhaus-Liegenschaft Au auf die Gant. Den Zuschlag erhielt der Gläubiger Rudolf Schäppi-Hagenbuch in Hottingen für 132 050 Franken, was der Summe der Schuldbriefe entsprach.7
Schäppi wurde damit Eigentümer des Wohn-, Gast- und Kurhauses (Vers.-Nr. 971), von drei Scheunen (Vers.-Nrn. 694, 808, 443), eines nicht assekurierten Kegelbahngebäudes und von zirka 13 Hektaren Wiesen, Garten, Anlagen und Reben.
Johannes Schäppi-Hagenbuch starb Ende März 1888. Der Sohn Johannes Schäppi-Widmer erbte die väterliche Liegenschaft auf der Halbinsel Au.8 Er verhalf der «Pension & Cur-Anstalt Au» wieder zu Ansehen.
Die Trinkhalle neben dem Kurhaus auf der Halbinsel Au auf einem Prospekt um 1870/80.

«EINE TRINKHALLE Nr. 1699»

Zu einem Kurhotel für Milch- und Molkenkuren, wie sie die «Anstalt» auf der Halbinsel Au anpries, gehörte – wie andernorts auch – eine Trinkhalle. Eine solche gab es auch beim Hotel Au. Der hölzerne Bau erhob sich am Platz des heutigen Landi-Saals. Das Lagerbuch der Brandassekuranz vermerkt auf der Halbinsel Au unter der Assekuranznummer 1699 «eine Trinkhalle, bisher nicht versichert» als Eigentum von Johannes Schäppi-Widmer. Weiter ist zu erfahren, die Halle sei aus Holz konstruiert, trage ein Ziegeldach und habe 206 Kubikmeter Inhalt.9 Der zitierte Prospekt aus der Zeit um 1870/80 zeigt einen Teil dieser neben dem Hotel stehenden Trinkhalle in einer Ansicht gegen den Zürichsee. Der Grundriss ist auf der Wädenswiler Gemeindekarte von 1903 ablesbar.

BESITZ DES «AU-KONSORTIUMS»

Im Frühling 1911 entschloss sich Johannes Schäppi-Widmer in Zürich, seine Gasthof-Liegenschaft auf der Halbinsel Au zu verkaufen. Es bestand die Gefahr, dass das Gebiet parzelliert und überbaut würde. Dies zu verhindern, war das gemeinsame Ziel von
Edwin Brunner-Vogt, Kaufmann in Küsnacht
Hans Vogel-Fierz, Kaufmann in Fluntern Zürich
Alwin Leuzinger, Privatier in Thalwil
Jacques Weber, Privatier in Zürich 1
Fritz Weber, Brauereibesitzer in Wädenswil.
Diese fünf Herren traten als gleichteilige Käufer auf und erwarben die Gasthaus-Liegenschaft am 23. März 1911 zum Preis von 170 000 Franken, was der durch Schuldbriefe ausgewiesenen finanziellen Belastung entsprach.10
Unter den Verkaufsobjekten ausdrücklich erwähnt ist die Trinkhalle. Sie ist unter der Assekuranznummer 1699 für tausend Franken gegen Brand versichert.
Im Handelsblatt Nr. 234 vom 21. September 1911 wurde die Gründung der «Genossenschaft Au-Konsortium in Wädenswil» publiziert. An diese Genossenschaft verkauften die oben aufgeführten fünf Herren die Gast- und Kurhaus-Liegenschaft Halbinsel Au mit Datum vom 22. Februar 1912.11
Zum Besitz gehörten folgende Bauten (mit neuen Assekuranznummern) und Grundstücke:
Ein Wohn-, Gast- und Kurhaus mit zwei Zinnenanbauten (Nr. 1700)
Eine Scheune mit Einfahrt und zwei Schopfanbauten (Nr. 1698)
Eine Scheune mit Einfahrt und Keller und Anbau, zusammengebaut mit Nr. 1698
Eine Scheune (Nr. 1697)
Eine Trinkhalle (Nr. 1699)
Ein nicht assekuriertes Kegelbahngebäude
Zirka 13 Hektaren Wiesen, Garten, Anlagen und Reben
Eine Schifflände
Eine Landanlage
Ein Badehäuschen (Nr. 1696)
56 Aren Ried zwischen der Au und Naglikon gelegen
9 von 59 Teilrechten am Sennereigebäude (Nr. 1665) mit Wohnung der Senntengenosenschaft Au.
 

ERSATZ DER TRINKHALLE

Im Jahre 1912 kam das Au-Konsortium über die 1911 als Käufer der Au-Liegenschaft auftretenden Herren auch in den Besitz der seit 1895 auch urkundlich nachweisbaren Trinkhalle. Der Brandkataster führt sie 1912 und 1914 auf als eine 230 Kubikmeter grosse, freistehende Trinkhalle, 1/12 gemauert, 11/12 aus Holz und mit Ziegeldach.12
Dem Eintrag von 1914 ist zu entnehmen, dass das Au-Konsortium die hölzerne Trinkhalle abbrechen und durch einen grösseren Neubau ersetzen liess. Die Rede war nun von einer neuen freistehenden «Wirtschaftshalle», ebenfalls zu 1/12 gemauert und zu 11/12 aus Holz, aber mit 787 Kubikmeter Inhalt mehr als drei Mal geräumiger als der abgerissene Altbau.13
Im Bauamt Wädenswil sind die Pläne für das am 10. März 1914 bewilligte Bauprojekt archiviert. Aus den Grund- und Aufrissen geht hervor, dass es sich eindeutig um das heutige Gebäude handelt, allerdings ohne das projektierte und wohl nie ausgeführte Uhrtürmchen. Fritz Weber-Lehnert, der Präsident des Au-Konsortiums, vergab den Auftrag, und das Büro Müller u. Freytag in Thalwil plante den Bau und führte ihn aus.14 Diese Architekten haben in Wädenswil auch andere Bauten erstellt, so die Wohnhäuser Fuhrstrasse 38 (1910, abgebrochen 2001), Bürglistrasse 7 (1910), Schlossbergstrasse 35 (1911) und Fuhrstrasse 27 (1912).15
Bauprojekt für die Wirtschaftshalle auf der Au, datiert 10. März, 1914. Fassade gegen die Seestrasse.

WIRTSCHAFTSHALLE, GARTENHALLE, LANDI-SAAL

Das Au-Konsortium bezeichnete den hölzernen Bau, der die frühere Trinkhalle ersetzte, im Jahre 1914 als Wirtschaftshalle. Spätestens in den 1940er Jahren war die Rede vom Gartensaal. Wer den Namen Landi-Saal geprägt hat, ist nicht bekannt. Dies muss aber nach der Ära Steinbrink gewesen sein, das heisst nach 1967.
Heute präsentiert sich der Saal, der zu Unrecht die Bezeichnung Landi-Saal trägt, nicht mehr in seiner ursprünglichen Form. Zunächst wurden die Fensteröffnungen verglast, dann setzte man auf der einst symmetrisch gestalteten Seeseite Schiebetüren ein und fügte ein Vordach an.
In den 1980er Jahren machte der nicht heizbare Saal einen sehr rustikalen Eindruck. Als Beleuchtung dienten an Wagenrädern aufgehängte Bierflaschen, in denen eine Glühbirne brannte, und als Verzierung waren rot und weiss gemusterte kleine Vorhänge angebracht. Wenn man den grossen Saal für eine kleinere Veranstaltung unterteilte, behalf man sich mit aufgehängten ausgedienten Fensterläden.
Um 1990 suchte der Vorstand des Au-Konsortiums nach Möglichkeiten, wie der Saal intensiver für Anlässe zu nutzen wäre. Bisher konnte er nur im Sommer benutzt werden, denn er war schlecht isoliert und nur schwer heizbar. Auch die Innenausstattung befriedigte nicht mehr. 1992/93 wurde der Saal für eine ganzjährige Nutzung stilgerecht umgebaut. Wände und Dachuntersicht wurden getäfert, eine mobile Wand gestattete es fortan, den bis 280 Plätze fassenden Raum für kleine Anlässe zu unterteilen. Am nordwestlichen Saalende baute man neue WC-Anlagen ein; auch die Beleuchtung und das Mobiliar wurden erneuert. Beim Umbau legte das Au-Konsortium Wert darauf, dass die originale Tragkonstruktion weiterhin sichtbar blieb, als Zeugnis früherer Zimmermannskunst, nun datiert auf 1914.16




Peter Ziegler


Anmerkungen

1 «Zürichsee-Zeitung» Bezirk Horgen, 16. Juli 2009.
2 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 21. März 1959.
3 Brief von Renate Hürlimann-Steinbrink vom 9. Juli 2009.
4 StAZH, B XI Wädenswil 316, S. 439.
5 StAZH, B XI Wädenswil 318, S. 373, 626–629.
6 Emil Stauber, Die Halbinsel Au im Zürichsee, Zürich 1913, S. 70/71.
7 StAZH, B XI Wädenswil 320, S. 605 ff.  – StAZH, B XI Wädenswil 320, S. 343.
8 StAZH, B XI Wädenswil 324, S. 272.
9 StAZH, RR I 260k, Nr. 1699.
10 StAZH, B XI Wädenswil 333, S. 284–293.
11 StAZH, B XI Wädenswil 333, S. 482–485.
12 StAZH, RR I 260 k, Nr. 1699.
13 StAZH, RR I 260 l, S. 2085.
14 Bauamt Wädenswil, Bauprojekt Nr. 110, datiert 21. Februar 1914.
15 Urs Eberhard, Hugo Wandeler, Peter Ziegler: Stadt Wädenswil, Inventar der Denkmalschutzobjekte des 20. Jahrhunderts.
16 Peter Ziegler, Wädenswiler Gaststätten mit neuem Gesicht, in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1993, S. 21/22.