Otto Hauser - ein berühmter Bürger von Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1988 von Rudolf Drössler
 
Der Name Hauser hat in Wädenswil einen guten Klang. Bedeutende Persönlichkeiten dieses Namens sind hier geboren worden. Grossen Einfluss auf die Geschicke der Eidgenossenschaft erlangte Bundesrat Walter Hauser (1837–1902), der Sohn eines Wädenswiler Gerbereibesitzers. International wohl noch bekannter war Rudolf Otto Hauser, geboren am 27. April 1874 in Wädenswil, gestorben am 14. Juni 1932 in Berlin-Wilmersdorf.

HERKUNFT

Väterlicherseits konnte die Familie Otto Hausers auf eine 150-jährige Lehrertradition zurückblicken. Der Vater Eduard Hauser, 1840 in Esslingen-Egg geboren und 1914 in Esslingen gestorben, ergriff dagegen den Beruf des Kaufmanns. Die Mutter Otto Hausers, Susanna geb. Meier, kam 1846 in Männedorf zur Welt und starb 1898 in Wädenswil. Hier waren die jungen Eheleute, nachdem sie 1871 in Thalwil geheiratet hatten, ansässig geworden, und hier liess sich Eduard Hauser 1887 ins Bürgerrecht aufnehmen.
Das Geburtshaus Otto Hausers, der «Eisenhammer», Schönenbergstrasse 23, ist den meisten Wädenswilern bekannt. Vor wenigen Jahren renoviert, bietet das klassizistische Wohnhaus wieder einen stattlichen Anblick.

Das restaurierte Haus «Eisenhammer» in Wädenswil von Südosten; Geburtshaus des international bekannten Archäologen Otto Hauser (1874−1932).

JUGEND ZEIT UND STUDIUM

Otto Hauser blieb das einzige Kind der Familie. Es war ein Sorgenkind, denn durch eine Hüftgelenkentzündung, die den kleinen Otto bis zu seinem zehnten Jahr ans Bett fesselte, blieb sein Leben lange bedroht. Er gesundete zwar, aber sein rechtes Bein erlitt durch die Krankheit eine starke Verkürzung, die auch ein orthopädischer Schuh nicht ganz auszugleichen vermochte.
Wegen seiner Bettlägerigkeit erhielt Otto Hauser zunächst Privatunterricht. Höhere Bildung erwarb er sich von 1890 bis 1892 in einer Privatschule in Stäfa dem «Institut Ryffel in der Zehntentrotte», das internationalen Ruf besass.
Nach dem Besuch des Instituts Ryffel wurde Otto Hauser zum Wintersemester 1892 an der Philosophischen Fakultät der Universität Basel immatrikuliert, wo er bis zum Ende des Wintersemesters 1893/94 Altphilologie, Geschichte und Archäologie studierte. Seit dem 2. Mai 1894 war er Student an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Dort liess er sich Anfang Oktober 1900 exmatrikulieren. Seine Studien betrieb er aber wohl nur bis 1898.
Während seiner Kindheits- und Jugendjahre ist Otto Hauser von einer ganzen Reihe entscheidender Erlebnisse geprägt worden. Seine Krankheit, die eine zweimalige Operation erforderlich machte, weckte in ihm ein Gefühl des Bedroht- und Verfolgtseins, das er nie wieder verlor und das vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens fast wahnhafte Züge annahm.
Otto Hauser als 21jähriger Student.

Es verstärkte seine Überempfindlichkeit und leichte Reizbarkeit. Wegen der Gehbehinderung hegte er den Verdacht, als nicht so leistungsfähig und vollwertig wie andere angesehen zu werden. Dies stachelte wiederum seinen Ehrgeiz an, gerade deshalb durch besondere Taten und Erfolge hervorzutreten. Auf wirkliche oder vermeintliche Zweifel an seinen Ansichten und Arbeiten reagierte er empört und oft unbeherrscht. Wer ihn dagegen anerkannte und respektierte, konnte seiner Dankbarkeit und Unterstützung gewiss sein.

LEITBILDER

Die lange Krankheitszeit führte zu einer sehr engen Bindung Otto Hausers an seine Mutter. Sie wurde für ihn zur dominierenden Persönlichkeit. Wahrscheinlich hat er Frauen generell an ihr gemessen, was später seine drei Ehen belastet haben wird. Die Gedanken und Gefühle beherrschende Mutter bestimmte und stimulierte auch seine Neigungen und Interessen. Susanna Hausers Lieblingsgebiet war die Geschichte, eingeschlossen historische Grosstaten und Entdeckungen. Dafür begeisterte sie ebenfalls ihren Sohn. Sobald er die Krankheit überwunden hatte, durchstreifte er die nähere und weitere Umgebung des Heimatortes auf der Suche nach Zeugnissen aus der Vergangenheit. In der Schul- und Studentenzeit richtete er sein Hauptaugenmerk insbesondere auf die alte Geschichte. Vorlesungen des berühmten Geologen Albert Heim (1849–1937) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich brachten ihm vorgeschichtliche Probleme näher, und bei Jakob Heierli (1853–1912) hörte er dessen Spezialfach «Prähistorische Archäologie».
Ausser der Mutter standen Otto Hauser noch zwei weitere Leitbilder vor Augen. Das eine war Heinrich Schliemann (1822–1890), der Entdecker und Ausgräber der sagenumwobenen Stadt Troja an der Westküste der heutigen Türkei. In seinem Buch «Der Mensch vor 100‘000 Jahren» nahm Otto Hauser darauf Bezug: «Ich weiss mich noch genau zu erinnern, welchen unauslöschlichen Eindruck es auf mich, den Fünfzehnjährigen, machte, als meine gute, nun schon längst verstorbene Mutter an dem runden Tisch unserer Wohnstube im alten «Eisenhammer» zu Wädenswil mir zum erstenmal aus Schliemanns Trojawerk von den seltsamen Funden dieser grauen Vorzeit, von Priamos‘ Goldschmuck, vom Heldengrab des Achilles, von der ganzen grossen, unsterblichen Welt Homers ergriffen vorlas. In meiner Phantasie nahm das alles buntestes Leben an ... Die ganze Grösse der versunkenen Vorwelt stand mir nie so eindrucksvoll vor Augen, als wenn ich dann in mein Stübchen ging und den Blick über den alten Friedhof zu Füssen hinaus in die Ferne wandern liess, wo die schneebedeckten Gipfel der Glarner Alpen im glühenden Abendrot herabsahen, als Zeugen der Stärke, die die arme kleine Welt daneben überdauert. Damals nahm ich mir vor: auch ich will wie Schliemann Helden aus den Gräbern zum Leben erwecken, Städte wie Ilion wieder erstehen lassen, und was so der Jugendträume nach solcher Lektüre mehr sind!»
Das zweite Leitbild Otto Hausers war der alte Jakob Messikommer (1828–1917) in Robenhausen am Pfäffikersee. Dort hatte Messikommer 1858 im Robenhausener Ried Spuren von jungstein- und bronzezeitlichen Ufersiedlungen (den «Pfahlbauten» entdeckt, deren Erforschung er sich fortan verschrieb. Ihre Ausgrabung machte ihn berühmt und lockte zahlreiche Besucher aus der Schweiz und dem Ausland an. Für seine ausserordentlichen Verdienste verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Zürich 1893 die Ehrendoktorwürde.
Dieser faszinierende Mann, von Beruf Landwirt, machte Otto Hauser mit der Praxis der Ausgrabungen vertraut und nahm ihn bei seinen weiten Erkundungsgängen mit. Hauser schloss sich freundschaftlich auch Heinrich Messikommer (1864–1924) an, dem Sohn, der sich zum bekannten und geschätzten Antiquitätenhändler emporarbeitete und in Zürich ein Geschäft im ehrwürdigen Zunfthaus «Zur Meisen» und später im «Raben» eröffnete. Einige Jahre lang versorgte Otto Hauser Heinrich Messikommer mit eigenen und fremden archäologischen Funden und begab sich mit ihm zusammen auf Geschäftsreisen nach Frankreich und Deutschland.

ERSTE AUSGRABUNGEN

Schon als 21-jähriger Student begann Hauser mit eigenen Ausgrabungen. Um zu erfahren, an welchen Orten gute Aussichten auf Entdeckung von Spuren aus der Vergangenheit bestanden, hatte er einige tausend Fragebögen in deutscher, französischer und italienischer Sprache an Lehrer, Notare und Gemeindeschreiber verschickt. Nach den Antworten stellte er sich Karten verheissungsvoller Fundgebiete zusammen. Zu einer der ersten umfangreicheren Grabungen begab er sich 1895 nach Sarmenstorf in der Nähe des Hallwilersees. Auch bei Wettingen und Dättwil im Kanton Aargau, bei Meilen und Horgen im Kanton Zürich sowie in Niederwil bei Frauenfeld im Kanton Thurgau setzte er den Spaten an. Bald vereinigte er die Funde zu einer reichhaltigen Privatsammlung, die er seinen Professoren stolz zu Demonstrationszwecken zur Verfügung stellte.
Es reizte ihn auch, Grabungen, Entdeckungen und historische Vorgänge anschaulich zu schildern und für Laien verständlich zu erläutern. Bei Baden im Aargau hatte der dort ansässige Notar Alfred Meyer auf einem «Hasel» genannten grossen Feld die Grundmauern eines umfangreichen Bauwerks aus der Römerzeit freigelegt und dabei zahlreiche Fundobjekte geborgen. Darüber veröffentlichte Otto Hauser einen detaillierten und spannenden Bericht, der im Dezember 1896 im «Wochenblatt des Bezirkes Meilen» und 1898 als «Separatdruck» in der Buchdruckerei von E. Gull in Stäfa unter dem Titel «Ein römisches Militär-Hospiz» erschien. Notar Meyer, mit dem sich Hauser befreundete, illustrierte den Artikel mit Zeichnungen der entdeckten medizinischen und chirurgischen Instrumente.

AUF DEN SPUREN VON VINDONISSA

Im Sommer 1896 hielt sich Hauser im westlich von Baden gelegenen Dorf Windisch auf. Hier hatten die Römer im 1. Jahrhundert auf einem Plateau über dem trichterförmigen Zusammenfluss von Reuss und Aare das grosse Legionslager Vindonissa errichtet. Bei Bau- und Feldarbeiten kamen seine Überreste an vielen Stellen zutage. Otto Hauser wollte ebenfalls nach ihnen suchen.
Am 28. Oktober teilte er dieses Vorhaben seinem Geschichtsprofessor Wilhelm Oechsli mit. Von ihm erfuhr er, dass die «Schweizerische Gesellschaft für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler» beziehungsweise deren «Subkommission für römische Forschungen» Untersuchungen auf dem Gebiet des ehemaligen Legionslagers plante und dafür einen ehrenamtlichen Grabungsleiter zu gewinnen hoffte. Durch Vermittlung Wilhelm Oechslis stellte sich Otto Hauser sofort für diese Aufgabe zur Verfügung, und der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft, Dr. Karl Stehlin in Basel, bat ihn, alle verfügbaren Quellen und Nachrichten über Vindonissa in einem Bericht zu vereinen. Danach sollte entschieden werden, ob er mit einer versuchsweisen Grabung beauftragt würde. So rasch wie möglich entsprach Otto Hauser dem Wunsch Dr. Stehlins.
Inzwischen hatte jedoch Jakob Heierli in dem Städtchen Brugg (nahe Windisch) die Gründung einer Antiquarischen Gesellschaft angeregt, die am 15. März 1897 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentrat und sich dabei ebenfalls die Erforschung Vindonissas zum Ziele setzte. Hausers gleichgerichtete Bemühungen waren den Brugger Heimatfreunden ein Ärgernis.
Einen fremden Ausgrabungsleiter empfanden sie als unerwünschten Konkurrenten. Ausserdem fürchteten sie, dass der Eindringling aus Zürich die wertvollsten Funde dorthin verschleppen könnte. Um eine Klärung herbeizuführen und um Subventionen zu erbitten, wandte sich Pfarrer Ami Constant Pettermand, Vizepräsident der Antiquarischen Gesellschaft, mit einem Brief an seinen Freund Karl Stehlin, der am 4. Mai 1897 darauf antwortete:
«Mittlerweile ist uns die Nachricht von der Gründung Eurer Gesellschaft zugekommen und aufgrund davon war man in unserer letzten Sitzung einstimmig darüber, dass in Vindonissa nichts vorgenommen werden sollte ohne Verständigung mit Euch. Einen Auftrag von uns hat Hauser nicht, es handelte sich bis jetzt bloss darum, ob ihm eventuell ein solcher ertheilt werden könnte, Falls ein Subventionsbegehren von Euch eingeht, scheint es mir ausgeschlossen, dass Hauser von uns aus einen selbständigen Auftrag und Credit erhält, sondern es könnte sich wohl nur darum handeln, dass er als Mitarbeiter bei Eurer Unternehmung mitwirken würde, was in erster Linie davon abhängen würde, ob Ihr Euch mit ihm befreunden könnt.»
Da Otto Hauser von der Schweizerischen Gesellschaft nicht über diese Sachlage informiert wurde, vertraute er darauf, die Grabungsleitung zu erhalten, und machte aus dieser Erwartung auch kein Hehl. Er betonte aber, mit den Arbeiten auf eigene Rechnung anzufangen, wenn er die Leitung der Untersuchungen nicht bekäme.

Grabungen 1897 in Vindonissa. Otto Hauser legt eine römische Heizanlage frei.

FREILEGUNG DES AMPHITHEATERS VINDONISSA

So entstand eine konfliktgeladene Situation, in der sich die Kontrahenten misstrauisch belauerten und um vorteilhaftere Ausgangspositionen rangen. Zum Zeichen, wie ernst es ihm mit seinen Absichten war, begann Hauser am 4. Mai 1897 mit den Grabungen und wurde sofort fündig. Nun strebten beide Seiten danach, eine «Bärlisgrub» genannte Geländevertiefung südlich von Brugg zu pachten, weil man dort das einstige Amphitheater Vindonissas vermutete. Kurz vor Mitte Mai schnappte Hauser seinen Widersachern das betreffende Gelände vor der Nase weg, was diese in helle Empörung versetzte.
Mitglieder des Vorstands der Antiquarischen Gesellschaft stellten den kühnen Studenten am 19. Mai auf dem Grabungsgelände zur Rede. Der aufgestaute Zorn entlud sich in heftigen Wortwechseln und gegenseitigen Vorwürfen. Danach schilderten die Brugger Dr. Stehlin die Vorgänge aus ihrer Sicht; mit Otto Hauser wollten sie nun nichts mehr zu tun haben. Karl Stehlin pflichtete ihnen bei und versicherte; dass die Verhandlungen mit Otto Hauser abgebrochen würden.
Doch dieser liess sich nicht entmutigen. Zeitweilig beschäftigte er 28 Arbeiter bei seinen Grabungen. Am 4. August 1897 fand der erste Spatenstich in der «Bärlisgrub» statt. Bald stiess man auf die Arena und die Grundmauern des Amphitheaters.
Pachten, Löhne, Material- und Transportkosten verschlangen rasch viele tausend Franken. Das Geld erhielt Otto Hauser von seiner Mutter. Um nicht alle Lasten und Verantwortungen allein tragen zu müssen, gründete er mit Alfred Meyer sowie Jakob und Heinrich Messikommer die private Vereinigung «Pro Vindonissa». Die vielen Funde aus dem früheren Römerlager stellte das Konsortium in der Schule von Windisch und im Gasthof «Sonne» zur Schau. Von nah und fern strömten Fachleute und interessierte Laien zur Besichtigung der Schätze herbei.

Gelände des ehemaligen Römerlagers Vindonissa. Im Graben links vorn Notar Alfred Meyer.

DER KAMPF UM VINDONISSA

Erbittert verfolgten die Anhänger der Antiquarischen Gesellschaft diese Entwicklung. Als finanzielle Mittel standen ihnen nur die Beiträge von Anfang etwa 130 Mitgliedern und in gleicher Höhe Subventionen des Eidgenössischen Departements des Innern zur Verfügung. Ein Mäzen, der zusätzlich Geld spendete, fand sich in ihren Reihen nicht. Sie polemisierten jedoch in verschiedenen Zeitungen, «Pro Vindonissa» lägen nicht die Erkundungen des Römerlagers, sondern der eigene Geldbeutel und gute Geschäfte mit den geborgenen Objekten am Herzen.
Ihren Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Ringen um den Erhalt des Amphitheaters. Dessen Überreste waren noch in so gutem Zustand, dass sich Hauser und seine Freunde scheuten, entsprechend den abgeschlossenen Verträgen zu handeln, also die den Ackerbau behindernden Mauern abzutragen und die gewaltige Grube wieder zu verfüllen. Im gleichen Sinne schrieb auch die «Neue Zürcher Zeitung» am 30. Oktober 1897, dass es «wirklich schade» wäre, «wenn dieses für den Aargau und für die Schweiz so bedeutsame historische Monument nicht vollständig blossgelegt und der Nachwelt in geeigneter Form zugänglich gemacht und erhalten würde. Um das zu erreichen, müsste vor allem der nötige Grund und Boden erworben und gesichert werden. Der Bund hat ja für so vielerlei Sachen Geld, auch für alte und neue Kunst.»
Resignierend klang jedoch, was Dr. Heinrich Zeller-Werdmüller, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft, am 30. Dezember 1897 in der «Neuen Zürcher Zeitung» zum Ausdruck brachte. «Das Amphitheater von Vindonissa», hiess es da, «ist seit einiger Zeit Gegenstand eingehender Verhandlungen des Vorstandes der Gesellschaft für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler und dessen Subkommission für Römerbauten. Leider scheiterten bis jetzt die Bemühungen der Kommission an den alles Mass übersteigenden Ansprüchen der Bauern, welche sie dem Eidgenössischen Departement des Innern gegenüber nicht zu befürworten wagte, während mit dem Ausgrabungskonsortium eine Verständigung gesichert ist.» In Verhandlungen mit «Pro Vindonissa» war ein Vertragsentwurf zustande gekommen, der die Bedingungen für den Verzicht des Konsortiums auf alle Rechte am Amphitheater im Falle eines Kaufs durch die Eidgenossenschaft regelte.
Einem solchen Kauf stimmten die Mitglieder von «Pro Vindonissa» auch deshalb zu, weil sie sonst 2000 Franken für die Verfüllung des Monuments ausgeben mussten, nachdem sie schon 5000 Franken für die Freilegung der Ruine aufgewendet hatten. Andererseits standen sie wegen des Zudeckens unter Vertrag. Da sie nicht mehr an einen Kauf des Amphitheaters glaubten, wollten sie das ungewöhnlich warme Winterwetter nutzen und am 4. Januar 1898 mit der Zuschüttung der «Bärlisgrub» beginnen. Auf die Forderung der Antiquarischen Gesellschaft, diese Arbeit bis Ende Februar zu verschieben, antwortete das Konsortium, man würde den Bruggern «im Einverständnis mit den Grundbesitzern» und «in Anbetracht der Verpflichtung zur Bezahlung von Landentschädigungen für ein weiteres Jahr» noch «eine Frist bis zum Abend des zweiten Januar 1898» gewähren. Bis dahin sollte die Antiquarische Gesellschaft entscheiden, ob sie «für alle Folgen, die durch die zu späte Eindeckung entstehen könnten, sich haftbar» erkläre.
Unter dem Druck dieser Ereignisse versammelten sich am 2. Januar in Königsfelden Vertreter des Kantons Aargau, der eidgenössischen Behörden und der Antiquarischen Gesellschaft. Nun endlich beschlossen sie, alle notwendigen Schritte zum Kauf des Amphitheaters definitiv einzuleiten und die Landeigentümer davon in Kenntnis zu setzen. Diese nutzten ihre Chance auf ein glänzendes Geschäft und untersagten «Pro Vindonissa» jetzt, was sie vorher fristgemäss verlangt hatten: die Verfüllung des Monuments. Für das Gelände, auf dem sich das Amphitheater befand, erhielten sie schliesslich 21‘000 Franken.
Das Pokerspiel um den Erhalt des Denkmals bot den Gegnern Hausers Gelegenheit, ihm den Schwarzen Peter zuzuschieben. Samuel Heuberger behauptete am 25. Januar 1898 im «Aargauer Tagblatt», die Antiquarische Gesellschaft hätte das Amphitheater «vor dem Untergange» bewahrt, «den ihm Hausers Hände bereiten wollten». Den Sachverhalt verkürzend und verdrehend, erklärte auch Jakob Heierli (Vindonissa. 1. Quellen und Literatur.» 1905): «Da ging im Spätherbst des Jahres 1897 das Gerücht um, Hauser wolle die Mauern des Amphitheaters teilweise wegsprengen. Zuerst hielt man das einfach für undenkbar, dass ein Mann, der sich zu den Gebildeten zählte, so etwas zu tun wirklich imstande wäre, aber bald hiess es sogar, es sei vertraglich festgesetzt, dass die zu nah der Erdoberfläche liegenden Mauerteile weggeschafft werden sollen. Alles war darüber einig, dass das unbedingt verhindert werden müsse.» Jakob Heierli war zum Feind seines ehemaligen Schülers geworden, weil dieser im Kampf um Vindonissa gegen den Lehrer opponiert hatte.
Nach diesen bösen Erfahrungen stellte Hauser seine Grabungen auf Vindonissas Fluren im Frühjahr 1898 ein. Die Misshelligkeiten wegen seiner dortigen Tätigkeit verfolgten ihn jedoch weiter. Für die umfangreiche Vindonissa-Sammlung, die vom 3. bis 15. Dezember 1898 im «Helmhaus» in Zürich ausgestellt war, fand sich kein staatlicher oder privater Käufer, der sie insgesamt übernahm, und so wurde sie auseinandergerissen und zerstreut. 
Hausers wertvollster Fund, eine rund ein Kilogramm schwere, mit herrlichen Reliefs verzierte silberne Schöpfkelle (für Wein aus grossen Mischkrügen), die sein «Unteraufseher Schmied» am 10. August 1897 am Südwesteingang des Amphitheaters entdeckt hatte, wurde zweifelhafter Fundumstände und sogar als Fälschung verdächtigt. In der Schweiz wollte daher niemand die Schöpfkelle erwerben. So ging sie zunächst an einen französischen Sammler und nach dessen Tod an den amerikanischen Millionär John Pierpont Morgan, was in Hausers Heimatland dann doch Klagen auslöste.
Als schriftliche Zeugnisse für seine Grabungen in der Umgebung von Windisch veröffentlichte Hauser im Januar 1898 «Das Amphitheater Vindonissa. Verfasst als erste, vorläufige Publikation der Gesellschaft „Pro Vindonissa“», im März 1898 «Der Kampf um Vindonissa. Aktenmässige Darstellung» und 1904 das reich mit eigenen Fotos ausgestattete Buch «Vindonissa. Das Standquartier römischer Legionen».
Der Streit um das Römerlager bildete in Hausers Leben einen Wendepunkt. Er verstärkte das Gefühl, bedroht und angefeindet, verleumdet und geschädigt zu werden. Darauf reagierte er mit wachsender Aggressivität. Sein Ziel, die Ur- und Frühgeschichte seiner Heimat zu erforschen, schien ihm nun unerreichbar. Ausserdem wollten seine Eltern «vaterländischer Undankbarkeit» keine weiteren Gelder mehr opfern.

Die silberne Schöpfkelle, entdeckt am Südwesteingang des Amphitheaters Vindonissa.

GLÜCK UND UNGLÜCK IN DER EHE

Während dieser Jahre schlugen Hauser auch andere schwerwiegende Ereignisse in ihren Bann. Noch als Student in Basel war er Vater eines Sohnes geworden (Eduard Rudolf Otto, 4.1.1894–2.8.1918), den ihm Anna Seline Brändli (19.8.1869–3.2.1945) gebar. Mit der ebenfalls aus Wädenswil stammenden, fast fünf Jahre älteren Frau zeugte er zwei weitere Söhne: Friedrich Richard (27.11.1895–18.11.1931) und Karl Alexander (29.9.1898–28.2.1988). Otto Hauser und Anna Seline Brändli heirateten am 27. März 1895 in Wädenswil, wohnten dann in Zürich und zogen Ende März 1899 nach Rüschlikon am Zürichsee um. Ihr Haus, Villa «Belair», Seestrasse 86, weist noch heute an der Vorderseite diesen Namen und zwei Malereien auf, die römische Ruinen darstellen.
Villa Belair, Seestrasse 86, Rüschlikon.

Um 1900 arbeitete Hauser eng mit Heinrich Messikommer zusammen und lebte vom Verkauf archäologischer Funde. Nicht selten gab er für den Erwerb von Sammlungen hohe Summen aus. Wie es auch gekommen sein mag: Offenbar verlor er bei einem dieser Geschäfte sein gesamtes Vermögen. Verarmt, siedelte er Ende 1902 / Anfang 1903 mit Frau und Kindern nach München über. Es war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass er in finanzielle Not geriet, denn ganz im Gegensatz zu seinem berühmten Namensvetter Walter Hauser konnte er Zeit seines Lebens nicht klug und haushälterisch mit Geld umgehen.
Während dieser schwierigen Periode scheiterte auch seine Ehe; sie wurde am 19. Dezember 1903 geschieden. Vermutlich spielte eine andere Frau dabei die entscheidende Rolle, Magdalena Dietlmayr aus Straubing in Bayern (geb. 8.4.1874; Sterbedatum unbekannt), die Otto Hauser am 11. April 1904 in München heiratete. Seine Söhne wurden zumindest später in der Familie eines Lehrers in Teufen bei St. Gallen erzogen. Mit Magdalena hatte er keine Kinder.
In München war Hauser zunächst für die Versicherungsbank «Victoria» tätig, bevor er 1904 eine Kunst- und Antiquitätenhandlung eröffnete, die aber wohl nur kurze Zeit bestand. 1906 verzogen die Hausers nach Basel. Anscheinend hatte sich ihre finanzielle Lage vorübergehend stabilisiert. Dazu könnte der Verkauf der Villa «Belair» an Heinrich Messikommer beigetragen haben.

NEUER ANFANG IN SÜDWESTFRANKREICH

Nun wagte Otto Hauser als Archäologe einen neuen Anfang, jedoch nicht in der Schweiz, sondern in Südwestfrankreich. Dort waren im Tal der Vézère, eines Nebenflusses der Dordogne, bereits in den 1860er Jahren Wohnstätten, Waffen und Werkzeuge von Menschen der mittleren und jüngeren Altsteinzeit, die Mammute, Höhlenbären, Bisons, Pferde und Rene gejagt hatten, zum Vorschein gekommen. Anfang unseres Jahrhunderts entdeckte man in der Umgebung des Dorfes Les Eyzies de Tayac, das sich heute stolz «Hauptstadt der Urgeschichte» nennt, Höhlen mit Malereien und Gravierungen, die jene Beutetiere darstellten.
Hauser war schon im April 1898 im Vézèretal gewesen, um den Spuren der Altsteinzeitmenschen nachzugehen, und auch in den folgenden Jahren fuhr er immer wieder dorthin. An das «Paradies der Urzeit», wie er es später bezeichnete, hatte er sein Herz verloren. Umfassend war im Vézèeretal noch nicht gegraben worden; hier konnte er Pionierarbeit leisten.
Das nahm er sich schliesslich fest vor und begann 1906 mit systematischen Ausgrabungen. Zielstrebig pachtete er Anfang 1907 rund 20 Fundstellen, die er nach einheitlichen Gesichtspunkten untersuchen wollte. Dann beauftragte er den Konkordats-Geometer Theodor Baumgartner aus Seebach bei Zürich, den fundreichsten Teil des Vézèretals kartographisch aufzunehmen, die Altsteinzeitsiedlungen in ihrer Höhenlage über dem Meeresspiegel zu bestimmen, ihre Kulturschichten zu vermessen sowie Pläne und Profile von den wichtigsten urgeschichtlichen Niederlassungen zu zeichnen. Für diese Arbeit benötigte Baumgartner zwei Jahre. Die von ihm entworfenen Karten und Pläne liess Hauser drucken und an Museen und Interessierte in vielen Ländern verschicken.
Das Vézèretal vom Kamm des Hügels von la Micoque aus.
 

LA MICOQUE

Bei all dem scheute Otto Hauser keine Kosten. Er kaufte alte Gebäude und riss sie ab, wenn er unter ihnen ungestörte Kulturschichten vermutete. Auf La Micoque, der Grabungsstation Nummer 1, hoben seine Arbeiter einen 22 Meter langen und 8 Meter tiefen Graben aus. Im rechten Winkel dazu wurde ein 19 Meter langer und 2 Meter breiter Graben ausgesprengt, an dessen Wänden die verschiedenen Horizonte einer aus der mittleren Altsteinzeit stammenden Siedlung deutlich erkennbar waren. Dem oft steinhart versinterten Boden rückte man mit besonders gehärtetem Werkzeug aus der Schweiz zu Leibe. Die mineralogische Beschaffenheit der Feuersteingeräte und die Art der Beutetiere von La Micoque liess Hauser von Fachleuten in Zürich und Bern untersuchen.
Der 22 m lange und 8 m tiefe Graben auf La Micoque.
 
Vermessung des 2 m breiten Profilgrabens auf La Micoque.
 
Die Unkosten für seine Tätigkeit in Südwestfrankreich betrugen schon in wenigen Jahren viele zehntausend Francs. Es war kein eigenes, sondern geliehenes Geld, für das er meist Wucherzinsen bezahlen musste. Einige seiner Hauptgläubiger wohnten in Schaffhausen. Als Vermittler fungierte Dr. Jakob Nüesch (1845–1915), ein dort ansässiger Lehrer, der von 1891 bis 1894 das Schweizersbild ausgegraben hatte, ein Jägerlager der jüngeren Altsteinzeit. Nüesch besuchte Hauser in Les Eyzies Ende April 1906 und war von den gewaltigen Unternehmungen seines Landsmannes tief beeindruckt. Zudem fühlte er sich ihm verbunden, weil er, wie Hauser, in ständiger Fehde mit Jakob Heierli lag.

FREUNDE UND FEINDE

Unter den Franzosen erwarb sich Hauser ebenfalls zahlreiche Freunde. Dabei kam ihm zustatten, dass er 1907 in der Nähe von Les Eyzies ein Häuschen gemietet und dort sein «Standquartier» eingerichtet hatte. Für die Gemeinde von Les Eyzies wurde er ein wichtiger Steuerzahler und Arbeitgeber. Der Bürgermeister, der Gemeinderat und die meisten Einwohner des Ortes standen auf seiner Seite. Ausserdem konnte er auf die Unterstützung von Adrien de Mortillet (1853–1931), eines bekannten Professors für Urgeschichte in Paris, und auf die Hilfe der Prähistorischen Gesellschaft Frankreichs zählen.
Otto Hauser auf dem Bock seines zweirädrigen Wagens vor dem «Standquartier», um 1908/09.
 
Aber Hausers Grabungen fanden nicht nur Beifall; sie weckten auch Neid, Missgunst, Widerspruch und nationale Emotionen. Weltanschauliche Gegensätze spielten dabei gleichfalls eine Rolle. Im Sommer 1905 lernte Hauser den Mediziner, Zoologen und Botaniker Prof. Dr. Paul Girod (1856–1911) kennen. Er war Dekan der Medizinischen Fakultät an der Universität von Clermont-Ferrand und Direktor des dortigen botanischen Gartens. Stark an Urgeschichte interessiert, hatte Girod schon öfters im Vézèretal gegraben. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Abstammung des Menschen, von welcher Anthropologie und Prähistorie ein anderes Bild zeichneten als die Überlieferungen im Alten Testament, stand er in scharfem Gegensatz zu den Klerikern, insbesondere den Jesuiten.
Einer der Feinde Paul Girods war Abbé Hugo Obermaier aus Regensburg (1877–1946), der sich intensiv den altsteinzeitlichen Kulturen widmete. Da Otto Hauser zum Schüler Girods wurde, sich dessen wissenschaftliche und weltanschauliche Überzeugungen zu eigen machte und den Lehrer im Kampf gegen die «schwarze Gefahr» unterstützte, richteten sich die Angriffe bestimmter Kleriker bald auch gegen Hauser. Vor allem Hugo Obermaier beurteilte Hausers Grabungen in Südwestfrankreich ausserordentlich negativ. Zudem war er eng mit Jakob Heierli befreundet, der ihn ohne Zweifel gegen Hauser einnahm.
Schürfung auf La Micoque. Deutlich ist der orthopädische Schuh zu sehen, den Hauser wegen seines kürzeren rechten Beines trug.

Zu den vertrauten von Obermaier und Heierli gehörte der Lehrer von Les Eyzies, Denis Peyrony (1869–1954), der sich sehr engagiert für die Erkundung der altsteinzeitlichen Kulturen in seiner Heimat einsetzte und darüber zahlreiche Beiträge veröffentlichte. Hauser hatte dem Lehrer von 1898 bis 1907 viele Funde abgekauft. Als der Schweizer jedoch im Vézèretal eigenständig auf den Plan trat und durch Pacht, Kauf und Ausgrabung prähistorischer Wohnstätten zum Konkurrenten Peyronys wurde, führte das zwischen den beiden zu einer hasserfüllten Feindschaft. Gegenseitig bestritten sie sich die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit. Am heftigsten gerieten sie über die zeitliche und kulturelle Einordnung der Schichten und Artefakte von La Micoque miteinander in Streit.
So erwuchsen Hauser in Frankreich neben treuen Freunden auch einflussreiche Widersacher, die ihm schwer zu schaffen machten. Aber sie vermochten seine bedeutsamen Entdeckungen, für die er einen untrüglichen Spürsinn besass, nicht zu verhindern. 1907 zum Beispiel legte er im Abri Laugerie-Basse unter einer von ihm abgerissenen Scheune den Werkplatz von Knochenschnitzern aus der Endphase der jüngeren Altsteinzeit frei. Um einen mächtigen Felsblock herum hatten sie auf kleineren Steinen gesessen und aus den Gebeinen der Beutetiere Waffen und Geräte angefertigt.
Werkplatz der Knochenschnitzer im Abri Laugerie-Basse.
Schon damals musste es demnach eine Arbeitsteilung zwischen Feuersteinschlägern (deren Platz Hauser ebenfalls ermittelte) und Schnitzern gegeben haben − eine wichtige Erkenntnis, die vor der Fachwissenschaft bis heute nicht gebührend gewürdigt und berücksichtigt wurde.
Postkarte Otto Hausers mit Feuersteinwerkzeugen von La Micoque.
 

HAUSER ENTDECKT DEN MOUSTIER-MENSCHEN

Grösstes Aufsehen erregte dagegen der Fund eines Skeletts bei dem Dörfchen Le Moustier, vézèreaufwärts von Les Eyzies. Am 7. März 1908 tauchten hier in Hausers Grabungsstation 44 menschliche Bein- und Armknochen auf. Ihre plumpe, gekrümmte Form wies darauf hin, dass an diesem Ort das Skelett eines Altmenschen verborgen lag, der den «Neandertalern» zugerechnet werden konnte. Im Jahre 1856 waren nämlich im Neandertal bei Düsseldorf ein Schädeldach und andere Knochen geborgen worden, die sich im Unterschied zu denen des Heutmenschen durch urtümliche Merkmale auszeichneten. Für die Entwicklungsgeschichte des Menschen stellten sie ungemein wichtige Zeugnisse dar. Wenn nun in Le Moustier Schädel und Skelett eines solchen Altmenschen im Erdreich ruhten, kam dieser Entdeckung allergrösste Bedeutung zu.
Doch Otto Hauser erinnerte sich an die Verdächtigungen, die gegen die Echtheit der silbernen Schöpfkelle aus Vindonissa geäussert worden waren. Deshalb grub er nicht weiter, sondern sicherte die Fundstelle und liess sich am 10. April durch eine Kommission, der fünf Persönlichkeiten aus dem Departement Dordogne angehörten, die ungestörte Lage der Gebeine bestätigen. Dann versandte er, zusammen mit einer Broschüre über seine Tätigkeit («Fouilles scientifiques dans la vallée de la Vézère» − «Wissenschaftliche Ausgrabungen im Vézèretal») rund 1000 Einladungen zur Hebung des Skeletts: 600 an Gelehrte und an wissenschaftliche Gesellschaften in Frankreich sowie 400 nach Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und England. Die Reaktion darauf war freilich enttäuschend. Französische Fachleute kamen gar nicht (Girod hatte einen Schlaganfall erlitten und konnte deshalb nicht dabei sein). Nur aus Deutschland versammelten sich am 10. August 1908 zehn prominente Besucher, um der Ausgrabung der Altmenschenreste beizuwohnen.
Dass die Deutschen die weite Reise nach Le Mousticr auf sich nahmen, verdankte Hauser dem Arzt, Anthropologen, Anatomen und Ethnologen Dr. Hermann Klaatsch (1863–1916). Hauser hatte den in Breslau ansässigen Professor bereits im September 1899 kennengelernt, als die Teilnehmer an der Generalversammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft in Lindau zur Exkursion in die Nordschweiz gefahren waren und die Pfahlbauten bei Robenhausen sowie das Landesmuseum in Zürich besichtigten. Klaatsch verstand sich gut mit Nüesch, und dieser förderte den Kontakt zwischen dem Professor und Hauser.
Der auf zurechtgeschlagenen Feuersteinplatten ruhende Schädel des Neandertaler-Jünglings von Le Moustier kurz vor seiner Bergung.

Rekonstruktionsversuch des Schädels von Le Moustier durch Professor Hermann Klaatsch. Bemerkenswert sind die fliehende Stirn, das fliehende Kinn sowie die sehr gut erhaltenen Zähne.

Vom 3. bis 6. August 1908 fand in Frankfurt am Main die 29. Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft statt, auf der Klaatsch die hypothetische Rekonstruktion eines Neandertalerschädels vorstellte. Die Entdeckung Hausers verhiess ihm nun die Möglichkeit, seine Rekonstruktion zu überprüfen. Deshalb brach er nach Le Moustier auf und bewog einige Kollegen ebenfalls dorthin zu fahren. Auch Prof. Hans Virchow (1852–1940) war mit von der Partie, Sohn des berühmten Arzte und Pathologen Rudolf Virchow (1829–1902), der bestritten hatte, dass die Knochen aus dem Neandertal von einem Altmenschen abstammten. Stattdessen sollten sie zu einem an Rhachitis und Gicht erkrankten Menschen der Neuzeit gehört haben. Um 1900 konnte aber Hermann Klaatsch und sein Freund, der Strassburger Anatom Gustav Schwalbe (1844–1917), Rudolf Virchows Ansicht als Irrtum widerlegen.
Schon aus diesem Grunde empfand wohl Hans Virchow für den streitbaren Kollegen keine Sympathie. Ausserdem waren beide vom Typ und Wesen her grundverschieden. Sie betrachteten sich auch wissenschaftlich als Konkurrenten. Für die Interpretation und Wertung des Skeletts von Le Moustier hatte das sehr nachteilige Folgen.
Dieses wurde am 10. August nur freigelegt, jedoch nicht geborgen, weil di zerbrechlichen Knochen erst an der Luft trocknen sollten. Die eigentliche Bergung fand am 12. August statt. An ihr beteiligte sich Ilans Virchow nicht mehr. Tags zuvor hatte Otto Hauser seinem künftigen Lehrer und Freund Hermann Klaatsch die wissenschaftliche Bearbeitung des Skeletts von Le Moustier übertragen. (Es handelte sich bei ihm um die Überreste eines etwa 16-jährigen Jünglings, der vor zirka 60‘0000 bis 80‘000 Jahren verstarb.) Hans Virchow fühlte sich durch diese Entscheidung zurückgesetzt und brüskiert. Er rächte sich auf seine Weise, indem er die Deutung Klaatschs, der tote Neandertaler sei in der Stellung eines auf der rechten Seite Schlafenden bestattet und mit dem Kopf auf ein Pflaster aus Feuersteinplatten gebettet worden, anzweifelte und verwarf. Darauf beriefen sich dann französische Gelehrte, die den Wert des Fundes herunterspielten. Sie verdross offenbar, dass ihnen die grossartige Entdeckung nicht selbst geglückt war und dass gerade deutsche Wissenschaftler das Skelett gehoben hatten. Über den «Homo mousteriensis Hauseri» (den Moustier-Menschen Hausers) wurde in allen grossen Tageszeitungen und in der Fachpresse berichtet. Hauser erhielt zahlreiche Glückwünsche aus vielen Ländern.

DIE GEBEINE VON COMBE CAPELLE

Ein Jahr später gab ein neuer Fund wieder Anlass zu Schlagzeilen. Er ereignete sich auf der Bergkuppe von Combe Capelle bei Montferrand-du-Perigord, etwa 38 Kilometer südlich von Hausers Standquartier. Dort stiess einer seiner Arbeiter am 28. August 1909 auf einen menschlichen Schädel. Hauser meldete die Entdeckung dem Archäologen Emil Bächler (1868–1950) in St. Gallen, mit dem er seit 1907 enge Beziehungen unterhielt, und dieser folgte der Aufforderung zum sofortigen Kommen. Als Bächler sah, dass es sich nicht um den Schädel eines Neandertalers, sondern um den eines weiter entwickelten, moderneren Menschen handelte, riet er, Hermann Klaatsch davon telegrafisch in Kenntnis zu setzen und ihn um Hilfe bei der Ausgrabung zu bitten. Der Professor traf am 11. September bei Hauser ein, und Emil Bächler eröffnete ihm, wie er in seinen noch nicht publizierten «Erinnerungen aus einem Forscherleben» schrieb, den «unabänderlichen Entschluss, bei der Hebung und Bergung des Skelettes nicht dabei sein zu wollen, sondern ihm und Hauser allein diese wichtige Mission zu überlassen».
Das Skelett des Mannes von Combe Capelle, abgebildet auf einer Postkarte Otto Hausers. Um den Kopf des Mannes lag eine Kette aus Muscheln.
 
So geschah es. Im Gegensatz zu den Knochenresten des Jünglings von Le Moustier waren die Gebeine von Combe Capelle überraschend gut erhalten. Sie erwiesen sich als die eines 40- bis 50-jährigen, etwa 1,60 Meter grossen Mannes, der vor ungefähr 35‘000 Jahren an der Schwelle zur jüngeren Altsteinzeit gelebt hatte. Noch nie war aus dieser Periode ein so vollständiges Skelett entdeckt worden. Ein Abkömmling von Neandertalern konnte der Mann von Combe Capelle nicht gewesen sein, dafür waren die Abweichungen zwischen Schädel und Gliedmassen des «Alt»- und «Neumenschen» zu gross. Die Stirn zeigte sie nicht mehr stark nach hinten fliehend, sondern höher und steiler ansteigend. Das Hinterhaupt lud nicht mehr so weit aus, und das Kinn entsprach dem des heutigen Europäers. Wie der junge Neandertaler war auch der früheste Vertreter des eigentlichen Homo sapiens sapiens, des «modernsten» Menschentyps, sorgfältig bestattet worden, und zwar mit angehockten Beinen. Schnittspuren von verschiedenen Knochen lassen vermuten, dass man den Leichnam vorher zerstückelt und bestimmte Teile des Toten aus kultischen Gründen verspeist hat.

HAUSER AUF DEM GIPFEL DES ERFOLGS

Mit der Entdeckung des Altsteinzeitjägers von Combe Capelle gelang Hauser auf den Gipfel seines Erfolgt und Ruhmes. Durch den Verkauf der zwei Urmenschenskelette hoffte er, seine zerrütteten finanziellen Verhältnisse ordnen und sanieren zu können. In Frankreich wollte allerdings niemand Geld für die Gebeine ausgeben. Aus Amerika lag Hauser ein generöses Angebot vor, aber er wollte die zwei «Homines» lieber einem deutschen Museum übergeben, was sich bald als verhängnisvoller Fehler herausstellte. Für den Jüngling von Le Moustier verlangte er 110‘000, für den Mann von Combe Capelle 50‘000 Reichsmark.

WER KAUFT DIE SKELETTE?

Wegen des Verkaufs verhandelte Hauser mit dem Generaldirektor der Berliner Museen, Wilhelm von Bode (1845–1929). Dieser zahlte 10‘000 Reichsmark an, damit Hauser die Skelette nicht anderweitig vergab. Der endgültige Erwerb musste jedoch erst gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden. Vor allem die Kaiserin hegte starke Vorbehalte, weil sie fürchtete, die Gebeine würden dem Streit um die Abstammung des Menschen neue Nahrung geben und die Annahme bestärken «dass der Mensch doch vom Affen abstammen müsse». Die Meinung Ihrer Majestät vertrat auch der Kultusminister Trott zu Solz. Demgegenüber sah es der Vorsitzende der Konservativen Partei des Abgeordnetenhauses, Herr von Heydebrand und der Lasa, als nationale Pflicht an, mit dem Erwerb der Skelette Deutschland als wahre Kulturnation hervorzuheben.
Otto Hauser mit einer Nachbildung des Skeletts von Combe Capelle, um 1910/11.
 
An dem Preis von 160‘000 Reichsmark stiessen sich jedoch viele. Deshalb wandte sich Carl Schuchhardt (1859–1943), Direktor der Prähistorischen Abteilung des Völkerkundemuseums zu Berlin, nach Aufforderung Hausers an dessen Bank Zündel und Bosshardt in Schaffhausen, um zu erfahren, ob die Höhe der Schulden des Schweizer Archäologen wirklich die verlangte Summe rechtfertige. Zündel antwortete, Hausers Schulden beliefen sich auf 100‘000 Franken. Daraufhin erteilte der Kultusminister seine Zustimmung zum Kauf der Skelette.
40‘000 Reichsmark waren aus öffentlichen Mitteln erhältlich. Der Patentanwalt Dr. Bruno Alexander-Katz aus Görlitz spendete 10‘000 Reichsmark, stellte weitere Gelder in Aussicht und drang darauf, alles für den Kauf der Gebeine zu tun. Im Januar 1910 wurde ein Aufruf an finanzkräftige Sponsoren verfasst, am 9. Februar die Geldsammlung eröffnet, und nach etwa vier Wochen waren tatsächlich 90‘00 Reichsmark gezeichnet worden. Die restlichen 30‘000 Reichsmark legte Alexander-Katz vorerst aus.

FINANZIELLE SCHWIERIGKEITEN

Otto Hauser blieben im Zusammenhang mit den beiden Skeletten bittere Erfahrungen nicht erspart. Infolge seiner Naivität in Geldangelegenheiten erzielte er durch den Verkauf der Gebeine nicht die dringend notwendige finanzielle Entlastung und Gesundung, sondern er erreichte das Gegenteil.
Ohne mit dem Bankier Zündel die Schuldenfrage und das weitere Verhalten des Bankhauses geklärt und vertraglich gesichert zu haben, überschrieb er diesem in einer Zession am 2. März 1910 von dem Geld für die zwei Urmenschenfunde 150‘000 Reichsmark ab. Die Zahlungen des Museums durften nun nur noch an Zündel erfolgen. Das nutzte der Bankier offenbar aus und stellte Hauser viel höhere Kosten in Rechnung, als tatsächlich angefallen waren. Hauser gewann zwar die gegen Zündel geführten Prozesse, doch die Firma verstand es, die Auszahlungen zu verschleppen. Durch den Bankrott des Bankiers hatte Hauser dann endgültig das Nachsehen.
Im Vertrauen darauf, doch zu seinem Geld zu kommen, investierte er 1910 grosse Summen. Zum einen mussten die 1907 abgeschlossenen Pachtverträge erneuert werden, zum anderen wurden westlich von seinem Standquartier gelegene Fundstellen samt einem Landgut zum Verkauf angeboten. Hauser erwarb dieses Besitztum für 35‘000 Francs. Für das Standquartier, das er seinem ersten Vorarbeiter Leyssales abkaufte, gab er 8000 Francs aus und für ein sechssitziges Automobil der Firma Peugeot 11‘500 Francs. Hohe Kosten erwuchsen ihm weiterhin durch den Bau eines kleinen Museums und einer Garage gegenüber dem Standquartier sowie durch die Beseitigung meterhohen Trümmerschutts in dem neu erworbenen Fundgelände, das er Laugerie-Intermédiaire nannte.
Um das alles bezahlen zu können, stürzte er sich erneut in Schulden. Seine Gläubiger waren jetzt schneller bereit, ihm Geld zu leihen, da er nun als erfolgreicher Ausgräber galt, der aus seiner Tätigkeit Gewinn zu schlage vermochte. In dieser Beziehung wurde Otto Hauser allgemein überschätzt. Das geliehene Kapital musste er nach wie vor mit hohen Zinsen zurückzahlen. So stand er bereits Ende 1911 mit 17‘000 Francs in der Kreide!

Arbeiten in der Laugerie-Intermédiaire westlich vom «Standquartier». Ganz vorn Hausers erster Vorarbeiter Leyssales. Das Foto zeigt, welche gewaltigen Schuttmassen hier abtransportiert werden mussten.

EIN GESETZ BEDROHT HAUSERS ARBEIT

Zu dieser finanziellen Belastung gesellten sich noch ganz andere Schwierigkeiten. Von seinen Feinden wurde behauptet, Wilhelm II. habe die Skelette, aus der kaiserlichen Privatschatulle bezahlt, Hauser arbeite im Auftrage des Berliner Museums, er sei gar kein echter Schweizer, sondern ein verkappter Deutscher, und der Geometer habe die Vermessungen im Departement Dordogne nicht aus archäologischen Gründen betrieben, sondern um dem deutschen Generalstab militärische Karten zu liefern. Als Hauser im Vézèretal dann Grund und Boden erwarb, polemisierte die Pariser Zeitung «Le Matin» am 21. September 1910 scharf gegen den scheinbar verdächtigen Ausländer. Der Angriff auf Hauser bildete zugleich den Auftakt zum Entwurf eines Gesetzes, das am 25. Oktober 1910 in einer ausserordentlichen Sitzung der Deputiertenkammer vorgelegt wurde. Es sollte alle gelehrten Gesellschaften, Vereinigungen und Privatpersonen verpflichten, Grabungen bei der Präfektur des jeweiligen Departements anzumelden. Der zuständige Minister konnte die Ausgrabungen überwachen, Funde beschlagnahmen und den betreffenden Grund und Boden enteignen lassen.
Nicht nur Otto Hauser empfand den Gesetzesentwurf als Bedrohung seiner Arbeit. Die Prähistorische Gesellschaft Frankreichs hielt es ebenfalls für «äusserst gefährlich», «den Eifer der freien Ausgräber anzutasten». Dr. Adrien Guébhard, Dozent für Physik an der Universität von Paris, brachte in seinem Artikel «Die Kirche und die Vorgeschichte» am 25. Juli 1911 in der Zeitschrift «La Grande Revue» zum Ausdruck, was wohl viele dachten. Er bezichtigte vor allem die Abbés Breuil und Obermaier, mit Hilfe des Gesetzes die Urgeschichtsforschung reglementieren zu wollen, damit sie dogmatischen kirchlichen Anschauungen nicht mehr gefährlich werden könne.
Der vielfältige Widerstand gegen den Gesetzesentwurf wurde schliesslich so stark, dass ihn die Regierung zurückzog. Ein wesentlich abgemildertes Gesetz zum Schutz urgeschichtlicher Wohnstätten und Funde trat erst am 30. Dezember 1913 in Kraft. Hauser war vorerst gerettet.
Währenddessen verschlimmerte sich Hausers wirtschaftliche Situation immer mehr. Frau Magdalena hatte schliesslich dieses Leben in ständiger Not und Aufregung satt und erwog die Scheidung der Ehe. Im Sommer 1913 stand ihr Mann praktisch vor dem Ruin. Er fand aber neue Freunde, die ihn selbstlos unterstützten und ihm über die gefährlichsten Klippen hinweghalfen. Einer davon war der Geheimrat Prof. Dr. Robert Sommer, Psychiater und Direktor der Klinik für psychische und nervöse Krankheiten in Giessen. Zusammen mit anderen Gönnern Hausers bemühte er sich, eine Gesellschaft zu gründen, die dem Schweizer Archäologen beistehen und Kosten wie Gewinne mit ihm teilen sollte − ein Plan, der wegen der gespannten internationalen Lage schliesslich scheiterte.

HAUSER – EIN SPION?

Kurz vor Kriegsausbruch gelang Hauser nochmals eine ganz ungewöhnliche Entdeckung. In der Station 11 seiner Laugerie-Intermédiaire begann er mit der Freilegung eines etwa 10 Meter langen und 5 Meter breiten Platzes, den im Oval bis zu 70 Zentimeter hohe, behauene Steine umstanden. Etwa 20 von ihnen wiesen Tierreliefs auf. Ihre Bildflächen waren zur Mitte des Platzes hin orientiert, wo Schädel, Hörner, Geweihe und Zähne von Beutetieren aufgehäuft lagen. Hier tauchte auch ein Herd auf, neben dem sich viele Knocheninstrumente sowie Bergkristallperlen und Anhänger aus Zähnen, Knochen und Stein fanden. Hauser deutete die gesamte Anlage als Opferplatz.
Ihre völlige Ausgrabung war Hauser wegen des ausbrechenden Krieges nicht mehr möglich. Am 1. August 1914 wurde auch in Les Eyzies die Mobilmachung verkündet. Die Einwohner gerieten in eine ungeheure Erregung, die Hausers Widersacher nutzten und den Volkszorn gegen ihn aufwiegelten, indem sie ihn als feindlichen Deutschen und Spion denunzierten, der mit schuld am bevorstehenden Krieg sei.
An eine Felswand gebaute Häuschen bildeten das «Standquartier» Otto Hausers in der Nähe von Les Eyzies.

Schliesslich wurde die Situation so bedrohlich, dass sich Hauser, gedrängt von dem ihm befreundeten Bürgermeister, zur schleunigen Flucht entschloss. Zusammen mit seiner Frau und einem der Söhne (vermutlich dem ältesten) verliess er am 2. August das Vézèretal, das ihm zur zweiten Heimat geworden war. Nach einer abenteuerlichen Fahrt durch das in Kriegsvorbereitungen fiebernde Frankreich traf die Familie am 5. August in der Schweiz ein.
Im November 1914 veröffentlichte Hauser die Broschüre «Ein Attentat auf deutsche Wissenschaft», in der er die Vorgänge um seine Flucht aus Frankreich schilderte. Deutsche Zeitungen griffen diese Ausführungen begierig auf, um den Franzosen Vandalismus und Zerstörungswut vorzuwerfen.

NACH DER FLUCHT AUS FRANKREICH

Hausers Eigentum in Südwestfrankreich wurde unter staatliche Aufsicht gestellt; zum Verwalter bestimmte man den Lehrer Peyrony. Einsprüche des Politischen Departements des Schweizer Bundesrates blieben erfolglos. Allerdings musste die Eidgenossenschaft darauf Rücksicht nehmen, dass sie in einer international so brisanten Situation Neutralität und Zurückhaltung zu üben und alles zu unterlassen hatte, was ihr als einseitige Parteinahme für Otto Hauser ausgelegt werden konnte.
Für sein gesamtes Eigentum in Frankreich gab Hauser einen Wert von 500‘000 Francs an. Demgegenüber waren seine Schulden bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs auf rund eine Viertelmillion Franken angewachsen. Die Gläubiger konnte er jedoch auf seinen beschlagnahmten Besitz verweisen und damit die Zahlungsunfähigkeit begründen.
Flucht und Enteignung vermochte er nie mehr zu verwinden. Nun entlud sich sein Ingrimm über alle tatsächlichen und vermeintlichen Gegner in noch ungezügelteren Schimpfkanonaden. Auch seine zweite Ehe zerbrach jetzt endgültig und wurde am 21. Mai 1921 geschieden. Massgeblich dafür war offensichtlich die Verbindung Hausers mit Erna Franziska Bachmann, der Tochter eines Redakteurs aus Lübeck (4.6.1894–1.4.1945). Sie brachte am 9. Januar 1920 Hausers vierten Sohn Friedrich Adolf zur Welt (gest. 4. Juni 1983). Die Heirat von Otto Hauser und Erna Bachmann fand am 30. Juni 1922 in Berlin-Wilmersdorf statt wo beide auch wohnten. Es war Hauser gelungen, viele Funde nach Deutschland zu bringen und sie hier für hohe Summen zu verkaufen, was für einige Jahre den Lebensunterhalt sicherte, bis die Inflation das Geld entwertete.

DOKTORTITEL

Die erzwungene Ruhepause durch die Kriegszeit nutzte Hauser zur Verwirklichung eines schon lange gehegten Wunsches: der Promotion zum Dr. phil. Er schloss sie am 22.März 1916 an der Universität Erlangen cum laude (mit Lob) ab. Seine Dissertationsschrift «Über eine neue Chronologie des mittleren Paläolithikums im Vézèretal speziell mit Bezug auf meine Ausgrabungen auf La Micoque» erregte grosse Aufmerksamkeit Sie erschien 1916 als Buch unter dem Titel «La Micoque. Die Kultur einer neuen Diluvialrasse».
Durch die Analyse der Funde von La Micoque hatte Hauser entdeckt, dass sie zu einer besonderen Kultur gehören mussten, die er «Micoquien» nannte. Ausserdem erkannte er, dass bestimmte Artefakte aus ehemaligen Altsteinzeitsiedlungen in Deutschland mit den Micoque-Geräten vergleichbar waren.
Zahlreiche Anhänger für seine Ansichten und Hypothesen gewann Hause unter interessierten Laien. Dazu trugen nicht zuletzt seine Broschüren «Die Urentwicklung der Menschheit», «Der Aufstieg der ältesten Kultur», «Urwelttiere» «Gebräuche der Urzeit» (alle 1922), «Der Aufstieg der menschlichen Kultur» «Was ist Urgeschichte» (beide 1923) und «Urzeit und Völkerkunde» (1924) bei, die wiederholt aufgelegt wurden.

VORTRÄGE UND FILME

In vielen Vorträgen, bei denen er vor allem Lichtbilder von seinen französischen Fundstätten und Grabungen verwandte, wusste er als guter Redner eine grosse Zuhörerschaft zu fesseln und zu begeistern. Ausserdem liess er Ende 1922 einen dreiteiligen Stummfilm anfertigen, den er mit ausserordentlichem Erfolg in vielen Städten zeigte und erläuterte. Das «Oltener Tagblatt» berichtete darüber am 10. November 1923: «Ein naturwissenschaftlicher Grossfilm wird nächsten Dienstag Abend im hiesigen Lichtspieltheater vorgeführt. Es ist «Die Schöpfungsgeschichte» in drei Akten: «Die Erde unter Sternen», «Der Erde Aufbau», «Menschheitsdämmerung». Er wird die Bevölkerung Oltens umso mehr interessieren, als vor seinem Abrollen Herr Dr. O. Hauser aus Berlin einleitende Worte spricht, mit denen er darlegt, dass dieser Film ein neues Hilfsmittel werden möge auf dem Wege der Erkenntnis. Die Veranstaltung findet statt auf Veranlassung des hiesigen Arbeiterbildungsausschusses; sie trägt selbstverständlich keinerlei politischen Charakter, und der Besuch kann jedermann empfohlen werden.»
Die «Berner Tagwacht» hatte ihre Leser bereits am 1. November 1923 informiert, dass Otto Hauser in Bätterkinden, Aarau, Brugg, Aarburg, Herisau, Bern, Olten, Niederbipp, Luzern, Balsthal, Gümligen, Biel, Winterthur, Horgen, Rheinfelden, Zürich, Biberist, Schönenwerd, Baden sprechen würde. «Hauser ist bekannt als sehr populärer Redner. Er hat eben in der Tschechoslowakei eine Vortragsreise abgeschlossen, die ganz sensationelle Erfolge gehabt haben muss. Die Presse ist des Lobes voll. Es ist vorgekommen, dass eine Volksmenge Hauser am Bahnhof erwartete und ihn bat, seinen Filmvortrag über die Schöpfungsgeschichte zu wiederholen. An anderen Orten erwies sich der Saal für die grosse Menge der Zuhörer zu klein.»
Für den Leipziger Schulbilderverlag F. E. Wachsmuth war Hauser gleichfalls tätig. In dessen Auftrag verfasste er zwei Texthefte: «Vom Urmenschen und seiner Welt zum Menschen der Gegenwart» (1926) und «Höhlenleben zur älteren Steinzeit» (1927). Sie erläuterten gleichnamige Bildtafeln, die der Berliner Künstler Carl Arriens nach Angaben Hausers malte.

POPULÄRE BÜCHER

Am eindrucksvollsten kam Hausers schriftstellerisches Talent in populären Büchern zum Ausdruck, mit denen er wiederum Pionierarbeit leistete. Es ist erstaunlich, wie geschickt, anschaulich, spannend und manchmal sogar poetisch er archäologische Entdeckungen und Sachverhalte darzustellen vermochte. Einige von Hausers Büchern wurden auch in andere Sprachen übersetzt. Mit diesen Publikationen fand Hauser Anerkennung und Zustimmung bei einer grossen Leserschar. Bei gar nicht wenigen führte das geweckte Interesse zum Entschluss, Archäologie und Urgeschichtsforschung als Beruf anzustreben.
Wohl am bekanntesten wurde Hausers Buch «Der Mensch vor 100‘000 Jahren» (1917), das zahlreiche eigene Fotos von den Grabungsstätten und Funden enthielt. 1920 folgte «Ins Paradies des Urmenschen. 25 Jahre Vorweltforschung» und 1921 «Urmensch und Wilder. Eine Parallele aus Urwelttagen und Gegenwart». (Vorher war dieses Werk bereits in schwedischer Sprache veröffentlicht worden.) «Leben und Treiben zur Urzeit. Das unsere Jugend kennen sollte», ein ungewöhnlich fesselndes Buch für junge Menschen, kam ebenfalls 1921 heraus. Als Belletrist stellte sich Hauser mit der Erzählung «Dort, wo der Menschheit Wiege stand» (1922) vor. Bemerkenswerterweise hatte diese Erzählung bereits 1920 der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» (Druck und Verlag J. Baumann zum Florhof, Wädenswil) in den Gratisbeilagen «Feierabend» unter dem Titel «Wahrheit» vorgestellt.
Umfangreiche Publikationen bildeten auch die Sachbücher «Urgeschichte auf Grundlage praktischer Ausgrabungen und Forschungen» und «Die grosse zentraleuropäische Urrasse. La Micoque − Ehringsdorf − Byci skala-Predmost − Kisla Nedzimova» (beide 1925), «Der Erde Eiszeit und Sintflut. Ihre Menschen, Tiere und Pflanzen» (1927) sowie «Urwelt» (1929).

FINANZIELLE NOT

Insgesamt zeugen Hausers Veröffentlichungen von einem ungeheuren Fleiss und einer fast unglaublichen Arbeitsleistung, neben der die vielen Vorträge nicht vergessen werden dürfen, die oft weite Reisen erforderlich machten. Ausserdem hat Hauser im Laufe seines Lebens mehrere zehntausend Briefe und Postkarten geschrieben (mitunter pro Tag 30 und mehr)! Das alles fand häufig in grosser finanzieller Not statt, denn trotz der Honorare für die zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträge sowie der Verkäufe von prähistorischen Objekten kam auch der Schriftsteller Otto Hauser auf keinen grünen Zweig. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen wechselte Familie Hauser mehrfach ihren Wohnsitz. Ende Oktober/Anfang November 1925 verzog sie von Berlin nach Weimar, von dort im August 1928 nach dem nahe gelegenen Ort Ossmannstedt, im Mai 1929 erneut nach Berlin, wo sie sich nacheinander in Charlottenburg, Schöneiche und Wilmersdorf niederliess.
Otto Hauser im Alter von etwa 55 Jahren.
Eine besonders schwierige Lage entstand, als im Herbst 1928 der von Hauser in Weimar gegründete «Verlag für Urgeschichte und Menschforschung G.m.b.H.» Pleite ging und die Familie in hohe Schulden geriet. Otto Hauser hatte in seinem Verlag «unter Mitwirkung von Fachleuten der praktischen und theoretischen Paläo-Anthropologie und ihren Grenzgebieten» den interessanten Sammelband «Neue Dokumente zur Menschheitsgeschichte» (1928) herausgebracht.
In Berlin eröffnete sich für ihn ein neues Tätigkeitsfeld als Dozent an der Lessing-Hochschule, an der Volkshochschule Gross-Berlin und an der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow, Der Rundfunk gab ihm im Herbst 1930 Gelegenheit zu sechs Vorträgen über archäologische Themen. Zudem wollte er eine Zeitschrift «Die Urzeit» gründen, aber das blieb während der Weltwirtschaftskrise eine Utopie.
 

LEBENSENDE

Die gewaltige Anspannung aller Kräfte und Energien hatte Hauser schliesslich so erschöpft, dass es mit seiner Gesundheit rapide bergab ging. Den schon länger an schwerer Arteriosklerose Erkrankten traf Anfang Juni 1932 ein Schlaganfall. Nach langsamer Erholung bekam Hauser plötzlich eine Angina. Am 14. Juni setzte Herzschwäche seinem Leben ein Ende.
Am 30. Juni, dem Tage der Beisetzung, schlossen sich Freunde und Anhänger Otto Hausers zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, die seinen Namen trug. Sie musste sich aber bereits 1935 auflösen, da die Nationalsozialisten nichts mit Hauser im Sinn hatten. Er passte nicht zu ihrer Ideologie. Frau Erna Hauser organisierte noch Ausstellungen mit Funden ihres Mannes und warb weiter für seine Bücher und sein Gesamtwerk. Der Sohn Friedrich nahm ein Ingenieurstudium auf. Anfang 1943 siedelten die Hausers wegen der Bombenangriffe auf Berlin an den Bodensee über. Als Schweizer Staatsbürger durften sie schliesslich in die Eidgenossenschaft ausreisen.

AUS NACHRUFEN

In Wädenswil, dem Heimatdorf Otto Hausers, war seines Todes ausführlicher gedacht worden. Die «Nachrichten vom Zürichsee» informierten ihre Leser am 23. Juni 1932: «Aus Berlin kommt die Kunde von dem am 14. Juni erfolgten Hinschied unseres Mitbürgers Dr. Otto Hauser ... Dem Inhalt seiner Werke nach zu schliessen, muss Hauser ein ungemein erfolgreicher Forscher gewesen sein. Darum berührt es ausserordentlich merkwürdig, dass er sich im Kreise seiner Fachkollegen nie Geltung zu verschaffen wusste, ja, dass der Wert und die Reellität seiner Forschungen seitens der wissenschaftlichen Kreise direkt in Zweifel gezogen wurden. Was immer die Gründe für diese Stellungnahme gewesen sein mochten, das eine steht fest, dass Otto Hauser seiner Wissenschaft und seiner Forschungsarbeit mit heiligem Eifer obgelegen hat.»
Der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» hob am 22. Juni 1932 hervor, dass «der vielumstrittene Prähistoriker» in dieser Zeitung «in einer Folge von Briefen seine Nöte und Erfolge» der «Ausgrabungen in Südfrankreich» veröffentlicht hatte. «Kriegs- und Nachkriegszeit, nicht minder auch die heutige Krise, schoben Wissen und Verdienste des Mannes auf ein Nebengeleise, so dass Hauser auch die bittersten Nöte des täglichen Lebens noch zu kosten bekam. Er starb im Alter von 58 Jahren.»
Sehr engagiert würdigte auch der Jurist Dr. Henri Bise Otto Hauser am 15. Januar 1933 in der «Tribune de Genève», wobei er hart mit einigen französischen Urgeschichtsforschern ins Gericht ging. Aber sonst kümmerte sich in der Schweiz kaum noch jemand um Otto Hausers Leben und Werk. Bedauernd stellte deshalb der ehemalig Präsident der Schweizer Gesellschaft für Urgeschichte, der Elektroingenieur Matter aus Baden, am 23. Juni 1943 in einer Brief an Emil Bächler fest: «Es ist eigentlich schade um diesen Mann, der sicher Grosses wollte und an seiner unbändigen Natur zu Grunde ging. Er verdiente es trotzdem, dass ihm mit einer eingehenden Biographie in der Schweiz ein Denkmal gesetzt würde. Er ist ja schliesslich einer der Unsrigen gewesen. Ich habe da Gefühl, dass sich recht interessante Momente ergeben würden. Dass ihn die Kanonen der Schweiz. Urgeschichte befehdeten, ist echt schweizerisch.»

SPÄTE WÜRDIGUNG

Der Aufgabe, Otto Hauser Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen, hatte sich über Jahrzehnte hinweg Karl Bram (1898–1974), Direktor des Museums in Herne (Westfalen), verschrieben. Bewusst bezeichnete er sich als Schüler des Schweizers, über den er die erste umfangreichere Publikation mit dem Titel «Otto Hauser − die Tragik eines Urgeschichtsforschers» (1970) verfasste. Darin bekannte er: «Wenn ich gefragt würde, warum ich das Wagnis unternehme, für O. Hauser einzutreten, so müsste ich antworten: ich habe schon frühzeitig das Unrecht gegen ihn erkannt. Aber auch meine Erkenntnis, dass durch die Nichtanerkennung Hausers für die Wissenschaft wertvolle Hinweise verloren gingen, ist für mich ausschlaggebend. Viele seiner wichtigen Ausgrabungsfunde, ganz gleich, wie er sie deutete, brachten wissenschaftliche Fortschritte.» Der Sohn Karl Brandts, Dr. Karl Heinz Brandt, Landesarchäologe der Freien Hansestadt Bremen (jetzt im Ruhestand), setzte sich stets für die Verdienste Otto Hausers ein.
Dank all dieser Bemühungen ist das Interesse an Hauser und seiner Tätigkeit wieder grösser geworden, erfreulicherweise nicht zuletzt in der Eidgenossenschaft. Sehr begrüssenswert wäre es, wenn am Geburtshaus Otto Hausers, dem «Eisenhammer» in Wädenswil, und an der Villa «Belair» in Rüschlikon Gedenktafeln angebracht würden zur Ehrung eines Mannes, der unter oft schwierigsten Bedingungen Erstaunliches leistete. Im heimatkundlichen Stoff für Schüler sollte Otto Hauser gleichfalls gewürdigt werden, so dass künftig jeder Wädenswiler auf die Frage nach Otto Hauser antworten könnte: Das war ein berühmter Bürger unserer Stadt!



Rudolf Drössler

Der Autor dieses Beitrags, der Schriftsteller Rudolf Drössler in Zeitz/DDR, hat sich während Jahren intensiv mit dem Leben und Werk des Archäologen Otto Hauser befasst. Unter dem Titel «Flucht aus dem Paradies» hat er 1988 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig eine 384 Seiten starke, reich bebilderte Biographie Otto Hausers herausgegeben, welche Leben, Ausgrabungen und Entdeckungen des einst international bekannten Wädenswilers umfassend würdigt.