Wie Spitzen zu Hirzel und der Giessen zu Wädenswil kam

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1978 von Peter Ziegler

Wädenswiler Grenzveränderungen vor 100 und vor 30 Jahren

Bis 1617 gehörte die im äussersten westlichen Bereich der Landvogtei Wädenswil gelegene Siedlung Spitzen mitsamt einigen umliegenden Bauernhöfen politisch und kirchlich zu Wädenswil. In den Jahren 1616 bis 1618 wurde dann in Hirzel anstelle der 1491 erstmals erwähnten Kapelle eine Kirche und ein Pfarrhaus gebaut, und 1617 grenzten der Dekan des Zürichseekapitels und der Landvogt von Wädenswil das Gebiet der neuen Kirchgemeinde ab. Spitzen, Spreurmühle, Hinter-Rechberg, Müsli, Bächenmoos, Brunnen, Nussbäumen, Aesch, Ober- und Unterweisserlen wurden in der Folge nach Hirzel kirch- und schulgenössig, blieben aber politisch weiterhin bei Wädenswil.
1703 entstand innerhalb der Landvogtei Wädenswil die neue Kirchgemeinde Schönenberg. Ihr Gebiet umfasste den höher gelegenen Teil des Wädenswiler Berges, nämlich den Haslauber Kreis mit den Siedlungen Haslaub, Wald, Rain, Schwarzenbach, Geissferen, Buchen, Au, Wolfbühl, Gschwend, Säubad (später Neubad), Ferneck, Stollen, Hinterberg sowie aus dem Kreis Mühlestalden alle Höfe oberhalb der Linie Egg-Maas. Der neuen Kirchgemeinde Schönenberg wurden 1703 auch einige Höfe aus dem Richterswiler Berg zugeteilt: untere und obere Kneuwies (Knäus), Tannenmattli, Langmaas, Segel, Unterhengeten, Böschen, Räbgarten, Unter und Ober Laubegg sowie Hütten, das erst seit dem Jahre 1826 eine selbständige Kirchgemeinde darstellt.
Die Bildung der Kirchgemeinde Schönenberg führte zur Verkleinerung der Kirchgemeinde Hirzel. 1703 trennte man nämlich zu Schönenbergs Gunsten von Hirzel die im Jahre 1617 von Wädenswil zugewiesenen Höfe Aesch, Weisserlen, Nussbäumen, Müsli und Hinter-Rechberg wieder ab. Bis 1784 nützten die Muttergemeinde Wädenswil und die Tochtergemeinde Schönenberg das Armen-, Batzen- und Gemeindegut gemeinsam. Dann kam es zum Auskauf und damit zur rechtlichen Trennung der beiden Gemeinwesen. Jede Kirchgemeinde hatte fortan selbständig für die Armen innerhalb ihres Gebietes aufzukommen. Obwohl Spitzen seit 1617 kirchlich zu Hirzel gehörte, wurde noch 1784 vereinbart, dass «für die Besorgung der Armen an der Spitzen» weiterhin die Kirchgemeinde Wädenswil zuständig sei. Alte Rechtsverhältnisse wirkten hier offensichtlich nach.

Der Giessen im Grenzbereich Wädenswil/Richterswil. Vergrösserter Ausschnitt aus Blatt 31 der Wildsehen Karte des Kantons Zürich, um 1850.

Spitzen und Umgebung. Vergrösserter Ausschnitt aus Blatt 30 der Wildsehen Karte des Kantons Zürich, um 1850.

1798 war nicht mehr klar, ob die Kirchgenossen an der Spitzen rechtlich zu Wädenswil oder zu Hirzel gehörten. Das Distriktsgericht Horgen entschied darum am 29. Oktober 1798: «Die Bürger an der Spitzen sollen noch einstweilen als verbundene Gemeindegenossen mit Wedenschweil angesehen werden.» Die in der Helvetik neu eingesetzte Wädenswiler Gemeindebehörde teilte dann im Mai 1799 den Bürgern in Spitzen mit, man sehe sie nun als Gemeindegenossen aus dem Hirzel an. Denn dahin seien sie ja auch kirchgenössig. Ihr bisheriges Gemeinderecht in Wädenswil sei aufgehoben, frühere anders lautende Beschlüsse seien ungültig.
Mit dieser Mitteilung war man in Spitzen allerdings nicht einverstanden. Die Bewohner machten geltend, sie seien in Hirzel einzig als Kirchgenossen aufgenommen, hätten aber ihre besondere Kirchensteuer jederzeit nach Wädenswil entrichtet. Ihres Wissens bestehe kein neues Gesetz, wonach die Kirchgenossenschaft mit einer benachbarten Gemeinde das bestehende Gemeinderecht mit einer andern Gemeinde aufhebe. Wädenswil handle also willkürlich. Noch an Martini 1798 habe Wädenswil die nötigen Hauszinse für die Armen in Spitzen beglichen. Man erwarte, dass die Zahlungen auch an Martini 1799 geleistet würden. Wieder hatte sich das Distriktsgericht Horgen einzuschalten. Es entschied, Wädenswil müsse die Hauszinse für Arme an der Spitzen solange aus seinem Armengut bestreiten, bis ein neues Gesetz etwas anderes verfüge. Wädenswil appellierte hierauf an das Kantonsgericht, doch ohne Erfolg. Die 239 Einwohner von Spitzen und der Höfe Spreurmühle, Brunnen und Bächenmoos gehörten weiterhin zur politischen Gemeinde Wädenswil. Erst vor hundert Jahren, im Februar 1878, trat die von Wädenswil lange angestrebte Aenderung ein. Der Zürcher Kantonsrat beschloss: «Zwischen Wädenswil und Hirzel einerseits und Horgen und Hirzel anderseits wird eine Grenzveränderung in der Weise vorgenommen, dass Spitzen und die Höfe Brunnenhäusli, Brunnen, Bächenmoos, Spreurmühle, Hinterm Rain und Schlieregg von der politischen Gemeinde Wädenswil, die Höfe Gumpi, Rennweg und Geerensteg von der politischen Gemeinde Horgen abgetrennt und alle diese Ortschaften und Höfe mit der politischen Gemeinde Hirzel vereinigt werden. Der Regierungsrat wird mit dem Vollzug des Beschlusses beauftragt.» Mit dieser Grenzbereinigung verlor die Gemeinde Wädenswil nicht nur Land, sondern auch 239 Einwohner. Eine zur gleichen Zeit vorgenommene neue Grenzziehung zwischen Wädenswil und Richterswil brachte der Gemeinde Wädenswil aber wieder 238 neue Einwohner. Richterswil entliess nämlich gemäss Kantonsratsbeschluss zugunsten der Nachbargemeinde die am rechten Ufer des Reidbaches gelegenen Gebäude der Siedlung Giessen aus seiner Gemeindehoheit, so dass seither die Gemeindegrenze statt dem Reidbach entlang ausserhalb des Staubenweidli zum See führt.
1948 kam es nochmals zu einer Grenzregulierung, diesmal an der Grenze Wädenswil/Horgen. Die Veränderungen waren weniger einschneidend als jene von 1878. Es ging diesmal lediglich um 5020 Quadratmeter unbewohntes Gemeindegebiet, das von Wädenswil an Horgen überging.
Anlass zur neuen Grenzziehung gab das Bergwerk Gottshalden/Käpfnach. Als während des Zweiten Weltkrieges der Braunkohleabbau wieder aufgenommen wurde, musste das ausgehobene Gestein, das nicht unter Tag zurückgelassen werden konnte, irgendwo abgelagert werden. Das Unternehmen erhielt darum die Bewilligung, den in der Nähe des Stolleneingangs vorbeifliessenden Meilibach südostwärts zu verlegen und das dadurch frei werdende Bachtobel mit dem Aushub zu füllen. Bis 1948 verlief nun die Gemeindegrenze Horgen/Wädenswil an dieser Stelle quer über das neu gewonnene Land, statt in natürlicher Grenzziehung dem neuen Bachlauf entlang. 1948 erfolgte dann die entsprechende Regulierung, wodurch das Gemeindegebiet von Wädenswil um 5020 Quadratmeter kleiner, jenes von Horgen um soviel grösser wurde.

Das Gebiet von Spitzen und Spreuermühle um 1780. Getuschte Bleistiftzeichnung eines Unbekannten (Zentralbibliothek Zürich).




Peter Ziegler