Die Schutzraumorganisation des Wädenswiler Zivilschutzes

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1980 von Rolf Reinl

Geschichte und tägliches WeItgeschehen zeigen uns eindringlich, dass auch in Zukunft Kriege und Katastrophen möglich sind. Auf dieser Einsicht beruht der Wille unseres Volkes zur Aufrechterhaltung einer wirksamen Gesamtverteidigung. Diese umfasst im Wesentlichen die Armee, den Zivilschutz, die Aussenpolitik, die Landesversorgung und die Psychologische Abwehr. Der moderne Krieg mit seinen immer raffinierteren und unheimlicheren Waffen verschont die Zivilbevölkerung nicht. Im Gegenteil. Dies zeigen uns folgende Zahlen sehr eindrücklich:
 
Auf 20 tote Soldaten zählte man im
1. Weltkrieg 1 Toten
2. Weltkrieg 20 Tote
Koreakrieg 140 Tote
Vietnamkrieg     500 Tote
unter der Zivilbevölkerung.
Diese Zahlen machen uns aber auch klar, dass eine sinn- und wirkungsvolle Landesverteidigung den Schutz der Zivilbevölkerung unbedingt einschliessen muss. Aus diesem Grunde ist die Schweiz seit 1954 daran, einen wirksamen Zivilschutz aufzubauen.
 

Aufgaben des Zivilschutzes

- Der Zivilschutz soll die Widerstandsfähigkeit unseres Landes gegenüber Erpressungsversuchen und Angriffen fremder Mächte erhöhen.
- Der Zvilschutz soll glaubwürdig sein und dadurch zur Wahrung unserer Unabhängigkeit und Unversehrtheit unseres Staatsgebietes ohne Krieg beitragen.
- Der Zivilschutz soll Voraussetzungen schaffen, dass in Kriegs- und Katastrophenfällen möglichst viele Menschen unseres Landes überleben und weiterleben.

Zivilschutzkonzeption 1971

Grundlage für den heutigen Auf- und Ausbau des Zivilschutzes in der Schweiz bildet die 1971 vom Bundesrat veröffentlichte «Konzeption 1971 des Zivilschutzes». Diese geht von der Einsicht aus, dass die Möglichkeit von Kriegen, die uns direkt oder indirekt berühren, nicht ausgeschlossen werden darf. Mit einem wirksamen Zivilschutz und dem rechtzeitigen Bau und Bezug von Schutzräumen wird aber der grössere Teil unsere Bevölkerung weiterleben können.

Die wichtigsten Grundsätze der Konzeption können folgendermassen zusammengefasst werden:
 
- Jedem Einwohner der Schweiz ein Schutzplatz
Dies vermindert die Unsicherheit über den Ort der möglichen auftretenden Waffenwirkungen.
 
- Vorsorglicher Bezug der Schutzräume
Die Warnzeiten werden immer kürzer, deshalb müssen die Schutzräume (SR) bei einer möglichen Bedrohung unserer Bevölkerung stufenweise bezogen werden.
 
- Gewährleistung eines unabhängigen Aufenthaltes im Schutzraum
Wie lange dauert die Waffenwirkung nach einem Angriff, was sind die Folgen, wenn die friedensmässige Versorgung ausfällt? Die Unsicherheit über diese Fragen ist behoben, sobald die Bevölkerung eine Möglichkeit sieht, tage- oder sogar wochenlang im Schutzraum zu bleiben.
Teilnehmer eines Einführungskurses der SRO beim Liegestellenbau aus Dach- und Vierkantlatten.
 

Organisation des Zivilschutzes in der Gemeinde

Aus dem Organigramm ist ersichtlich, dass die Schutzraumorganisation nur einen Teil der Zivilschutzorganisation einer Gemeinde ausmacht. Aufgrund der Erkenntnis der Konzeption 71, dass der Schutzraum das wesentlichste Mittel für den vorsorglichen Schutz der Bevölkerung darstellt, bekommt dieser Teil aber eine ganz zentrale Bedeutung im Zivilschutz. Die Wichtigkeit der Schutzraumorganisation (SRO) spiegelt sich auch in der mannschaftsmässigen Soll-Dotierung: Von zirka 1100 Zivilschutzangehörigen in Wädenswil werden zirka 400 bei der Schutzraum-organisation Dienst leisten.
 
Der Schutzraum (SR)
Ein moderner Schutzraum muss folgenden Anforderungen genügen:
Er muss abschirmen gegen
- Hitzestrahlung
- radioaktive Strahlen
(Primärstrahlung)
- Feuer
Er muss widerstehen gegen
- Druck
- Trümmer
- Splitter
Er muss dicht sein gegen
- chemische Kampfstoffe
- radioaktiven Ausfall
(Sekundärstrahlung)
- Rauch
- Wasser
Er muss verlassen werden können,
auch wenn der Eingang durch Trümmer versperrt ist.
Er muss das Leben in ihm ermöglichen.
 
Hier beginnen die Aufgaben der Schutzraumorganisation.
Das Überleben eines Angriffes ist im leeren Schutzraum möglich. Mehrere Tage im Schutzraum zu leben bedingt aber
- minimalste Einrichtungen, um den Schutzraum bewohnbar zu machen
- Leitung und Betreuung der Insassen
- Vorräte an geeigneten Lebensmittels, an Wasser, an Medikamenten-
 
Aufgaben in der Friedensphase
- Schutzraum-Einrichtungen planen
- Materiallisten erstellen
- Einrichtungsmaterial sicherstellen
- organisatorische Vorbereitungen treffen
- Ausbildung der SRO-Angehörigen (zum Beispiel Schutzraumchefs)
- Schutzraum-Bezug planen

Wie ist nun in Wädenswil der Schutzraum-Bezug geplant?

Das ist sicher eine Frage, die sehr viele Bewohner unserer Stadt interessiert. Schutzplätze sind in Wädenswil als Folge der enormen Bautätigkeit in den letzten fünfzehn Jahren glücklicherweise genügend vorhanden. Dies zeigen folgende Zahlen:
 
Schutzplätze in Schutzräumen
ohne Ventilationsaggregat
3 214
Schutzplätze in Schutzräumen
mit Ventilationsaggregat
24 235
Schutzplätze total 27 449

davon nach TWP 66
17 924
(TWP= Technische Weisungen
Für den privaten Schutzraumbau)
 
Einwohnerzahl
18 372

Die rund 24‘000 Schutzplätze (SP) in Schutzräumen, die mit einem Ventilationsaggregat ausgerüstet sind und dem-zufolge den heutigen Anforderungen für einen längeren Schutzraum-Aufenthalt genügen, erlauben es also, unsere ganze Wohnbevölkerung in einem Ernstfall wirksam vor Waffeneinwirkungen zu schützen. Leider sind die Schutzräume aber nicht regelmässig au f das ganze bewohnte Stadtgebiet verteiIt. So haben wir zum Beispiel in der Stadtkernzone und in anderen älteren Quartieren relativ wenig bewohnte Häuser. die über einen eigenen modernen Schutzraum verfügen. In neueren Stadtteilen, wie im Hangenmoosgebiet, im Eichweidquartier und in der Au besitzt praktisch jedes bewohnte Haus einen eigenen Schutzraum.
Diese unregelmässige Verteilung gab uns bei der Bezugsplanung gewisse Probleme auf.
Bei dieser Planung sind wir von fünf Forderungen ausgegangen:
1. Erhaltung der Familiengemeinschaft
2. Optimale Ausnützung des Schutzpotentials
3. Flexibilität in der Ernstfallsituation
4. Kurze Wege von der Wohnung zum Schutzraum
5. Rasche Zuteilung der Schutzplätze im Bezugsfall
 
In Wädenswil haben wir uns für das im Kanton Zürich entwickelte «Ticket¬System» entschieden. Im Zentrum des Ticket-Systems steht eine Eintrittskarte (Ticket), die dem Inhaber das Anrecht auf einen freien Schutzplatz in einem bestimmten Schutzraum gibt.
Für alle freien Schutzplätze sind diese Tickets bereits vorbereitet und blockweise in einem Karteikästchen, nach Strassenzügen und Hausnummern geordnet, aufbewahrt. (Das ganze Stadtgebiet ist, damit es zivilschutzmässig überhaupt führbar ist, in 38 ungefähr gleich grosse Blöcke aufgeteilt.)
Ordnet nun der Bundesrat in einem Konfliktfall den vorsorglichen Schutzraum-Bezug an, so werden durch die Schutzraum-Organisation in allen bewohnten Häusern schon vorbereitete gelbe Schutzraum-Bezug-Informationsblätter angeschlagen. Auf diesen ist ersichtlich, je nachdem, welche Felder durchgestrichen und somit ungültig sind, wie sich die Hausbewohner zu verhalten haben.
Im Wesentlichen unterscheiden wir die folgenden zwei Fälle:
1. Einwohner, die in ihrem eigenen Haus einen künstlich belüfteten, modernen Schutzraum haben, begeben sich in diesen (ohne Ticket).
2. Einwohner, die in ihrem eigenen Haus über keinen oder nur einen alten, ungenügenden Schutzraum verfügen, erhalten am Blockbesammlungsort, der auf dem gelben Informationsblatt unten aufgeführt ist, ihr Ticket und somit ihren zugewiesenen Schutzplatz.
In allen Schutzräumen muss durch die Schutzraumorganisation selbstverständlich eine genaue Eingangskontrolle durchgeführt werden. Für Heim- und Spitalinsassen erfolgt der Schutzraumbezug nach einem speziellen Plan.
Es ist klar, dass ein nach diesem Ticket-System durchgeführter Schutzraum-Bezug die nötige Zeit braucht. Aber vergessen wir nicht, dass ja nach der Zivilschutzkonzeption 71 der Bezug frühzeitig angeordnet wird.
 
Aufgaben der Schutzraumorganisation in der Vorangriffsphase
- Räumung der Schutzräume anordnen und überwachen (Die meisten Schutzräume dienen in Friedenszeit als Keller)
- Installationen im Schutzraum kontrollieren und in Betrieb nehmen
- Hilfe bei der Einrichtung und Ausrüstung
 
Aufgaben beim Bezug und Aufenthalt im Schutzraum
- Eintrittskontrolle, Platzzuweisung organisieren
- Nahrung und Wasser verteilen (Hier wird sich ein grosses Problem stellen, da sicher nicht alle Schutzraum-Insassen in Friedenszeit gleich gut vorgesorgt haben)
- Verbindung und Information aufrechterhalten
- Rotation überwachen
- Insassen betreuen
- Schutzraum-Ordnung aufstellen
 
Besondere Aufgaben ausserhalb des Schutzraumes
- Luftfassungen freilegen
- Notausstiege freilegen
- Entstehungsbrände bekämpfen
- Ver- und Entsorgung
 
Benützungsarten des Schutzraumes
Der Schutzraum wird wenn möglich vorsorglich bezogen und entsprechend der jeweiligen Gefährdung benützt:
 
Leben mit dem Schutzraum
- Übernachten im Schutzraum
- Personen, die viel Zeit für den Bezug benötigen (zum Beispiel Behinderte, langer Anmarsch), wohnen auch tagsüber im Schutzraum.
 
Leben aus dem Schutzraum (Rotation)
- Schutzraum bezogen
- Der Schutzraum wird nur für unaufschiebbare Verrichtungen verlassen (Kochen, Arbeit).
- schichtweises Verlassen für kurze Zeit
 
Leben im Schutzraum (Autarkie)
- Anordnung der Zivilschutz-Organe bei höchster Gefährdung oder erzwungen durch Verschüttung darum: Vorräte für 2 Wochen, Radioempfang sichergestellt, minimaler Komfort.
Einführungskurs wird ein Schutzraum eingerichtet.

Ausbildung und Gliederung der Schutzraumorganisation

In der Regel wird nur das Kader (Quartier-, Block- und Schutzraumchefs) ausgebildet. Die Mannschaftsfunktionen werden den Schutzraum-Insassen übertragen.
Die Gliederung der Schutzraumorganisation entspricht der Grösse und Art der Schutzräume. Verantwortlicher Leiter ist der Schutzraumchef. Ihm unterstehen in der Regel :
- bis 5 Schutzräume mit jeweils weniger als 50 Schutzplätzen. jedoch höchstens 200 (= 1 Schutzraumbereich)
- 1 Schutzraum mit 50–400 Schutzplätzen (= 1 Schutzraumbereich)
 
Zum Schluss möchte ich noch eine Standortbestimmung der Wädenswiler Schutzraumorganisation vornehmen:
1. Ausbildung: Das höhere Kader (Quartier- und Blockchefs, Instruktoren) ist zum grössten Teil ausgebildet. Die Quartierchefs sind schon seit einigen Jahren zusammen mit mir daran, an freiwilligen Abendrapporten die nötigen Planungsunterlagen zu erarbeiten. Von den rund 270 benötigten Schutzraumchefs (SRC) sind im September 1980 erst 27 ganz und zirka 70 teilweise ausgebildet. Es werden noch einige Jahre verstreichen, bis wir bei den Schutzraumchefs unseren Sollbestand erreicht haben.
2. Planung: Von allen 38 Blöcken sind die vorgeschriebenen Blockpläne (Massstab 1: 500) vorhanden. Sie werden laufend auf den neuesten Stand gebracht. Aus den Blockplänen ist unter anderem ersichtlich, in welchen Häusern Schutzräume vorhanden sind, wo diese genau liegen und wo in einem Verschüttungsfalle die Notausstiege und Fluchtröhren zu suchen wären.
Gegenwärtig laufen die Vorbereitungen für das Erstellen der Schutzraum-Einrichtungsskizzen und Materialbedarfslisten. Der Schutzraum-Bezug sollte durch das bereits erklärte Ticket-System sichergestellt sein.
3. Schutzräume: Schutzräume sind genügend vorhanden. Die beiden grossen Sammelschutzräume Migros (950 Schutzplätze) und COOP (760 Schutzplätze) sowie die Schutzräume in den diversen neuen Geschäftshäusern haben das Schutzpotenzial der Kernzone unserer Stadt wesentlich verbessert.
4. Information der Bevölkerung: Diese ist im heutigen Zeitpunkt sicher ungenügend. Ein Schutzraum-Bezug und ein längerer Schutzraum-Aufenthalt sind nur möglich, wenn die Einwohner informiert sind und die nötigen Vorkehrungen (Vorratshaltung, Sicherstellung des zur Schutzraum-Einrichtung nötigen Materials) selber treffen. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr in alle Haushaltungen ein Zivilschutz-Merkblatt abgeben können, auf dem alles aufgeführt ist, was wir von der Zivilbevölkerung erwarten.
5. Führung: Die 1979 im Kanton Zürich durchgeführte Gesamtverteidigungsübung «Knacknuss» hat gezeigt, dass im Zivilschutz ein Führungsproblem besteht. Dieses ist im Wesentlichen bedingt durch die zu kurze Ausbildungszeit des Kaders, die zu kurzen jährlichen Übungen und durch die Tatsache, dass nur wenige Armeeoffiziere vor dem 60. Altersjahr in den Zivilschutz übertreten.
Man ist gegenwärtig auf höchster Ebene daran, neue Wege zu suchen, um die Kader aller Zivilschutzdienste auf ihre Führungsaufgaben besser vorzubereiten.
6. Regionales Ausbildungszentrum: Bekanntlich fehlt in unserer Ausbildungsregion (Zürichsee links) nach wie vor ein eigenes Ausbildungszentrum. Gegenwärtig ist Wädenswil daran abzuklären, ob eventuell im Grossholz (Au) ein solches Zentrum gebaut werden könnte. Klar ist, dass wir unseren enormen Ausbildungsbedarf (zum Beispiel an Schutzraumchefs) nur decken können, wenn wir möglichst bald in unserer Nähe über die nötigen Räumlichkeiten und Einrichtungen verfügen können. Eine noch länger andauernde ständige Improvisation bei der Durchführung von Ausbildungskursen und Übungen wird uns die Erreichung unseres Ziels, die Einsatzbereitschaft in einem Ernstfall, verunmöglichen.
 




Rolf Reinl,
Dienstchef Schutzraumorganisation Wädenswil

Belegungsversuch in einem eingerichtetem Schutzraum. Da pro SR-Insasse nur 1 m2 der Grundfläche zur Verfügung steht, müssen die Liegestellen in drei bis vier Etagen angeordnert werden.