Bedeutende Wädenswilerinnen

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991 von Marlies Bayer-Ciprian

Fanny Moser-Sulzer Von Warth, 1848−1925, Schlossgut Au

Auch in die andere Richtung lässt sich's übertreiben! Diese Seite zeigt sich an einer Frau, welche nicht eigentlich eine Wädenswilerin ist, dennoch aber sehr bedeutend für uns. Über ihre Person, ihre Lebenseinstellung ist zur Hauptsache durch ihre beiden Töchter berichtet worden. Beide sind sie in die sogenannten «Schaffhauser Biographien» mit längeren Berichten aufgenommen, einerseits, weil sie aus einer für Schaffhausen bedeutenden Familie stammten, andererseits, weil sie nicht nur als Töchter erwähnenswert sind, sondern als eigenständige Persönlichkeiten. Diese Frau ist Fanny Moser-Sulzer von Warth. Auffallend in ihrem Lebenslauf sind besonders zwei Sachen: erstens ihr immenses Bedürfnis nach Macht und Anerkennung; zweitens die grundverschiedenen Ansichten, welche über sie herrschen, je nachdem, ob Aussenstehende sie würdigen oder Familienangehörige. Für Wädenswil ist sie bedeutend als diejenige Frau, welche 1887 das ehemalige Werdmüllergut auf der Halbinsel Au gekauft hatte. Ihr Haus hatte immer offene Türen für Künstler und Wissenschafter. Berühmte Namen wie Heim - Herr und Frau -, Forel, Meyer, Freud, Heer, Angst und viele mehr finden sich im Gästebuch. Als sporadische oder dauernde Gäste hielten sich deren Träger dort auf.
Fanny Moser-Sulzer von Warth, 1848−1925.

Doktor Heim gilt als bedeutender Geologe, klärte eben die Ergiebigkeit der Kohlenader in Käpfnach ab. Seine Frau praktizierte als erste Schweizer Ärztin. C.F. Meyer wurde dort zum «Schuss von der Kanzel» inspiriert, Sigmund Freud kümmerte sich um Frau Mosers Gemütszustand. Harry Angst war bekannt als Begründer des Schweizerischen Landesmuseums und Auguste Forel als Leiter der Psychiatrischen Klinik Burghölzli sowie als militanter Bekämpfer des Alkoholmissbrauchs. Für eine Gemeinde, wie Milly Ganz sie schildert, vielleicht ohnehin für jede Gemeinde, bedeutet es eine besondere Ehre, solch illustre Gäste zu beherbergen. Diese Ehre wiederum, fiel auch auf Frau Moser zurück, da sie solches durch ihre Gastfreundschaft erst ermöglichte. Auf mancherlei Arten verstand sie es, Bekanntschaft mit solchen Menschen zu machen, ihnen ihr Mentona Moser, 1874-1971.
Heim als Ort der Schaffenskraft, der Regsamkeit geistigen Lebens zu offerieren. Damit und mit ihren vielen Reisen versuchte sie sich dafür zu entschädigen, dass es ihr nie gelang, Zugang zu den europäischen Fürstenhöfen zu erhalten. Auch ihre Töchter zeigten nicht im geringsten Anstalten dazu, ihrer Mutter durch standesgemässe Heirat das gefühlsmässige Los etwas zu erleichtern. Doch lassen Sie mich vorne beginnen: Fanny Moser-Sulzer von Warth stammt aus einer angesehenen Winterthurer Familie. Ihr Vater leitete den Fürstlich-Bayrischen Zuckerhandel, war geadelt worden und durfte seinen Adelstitel in der Schweiz auch führen. Ausserhalb von Winterthur besass er ein grosses Gut, welches er sehr monarchistisch lenkte. Dennoch kümmerte er sich voll Interesse um seine Pächter, den Ertrag, die Tiere, jedenfalls, wenn er sich überhaupt auf seinem Gut befand. Der Aufenthalt bei Hofe behagte ihm mehr. «En Stieregrind» habe er gehabt -und ihn seiner Tochter vererbt. Auch den Geiz, den er trotz grossem Wohlstand seiner Frau und seinen Kindern gegenüber an den Tag gelegt habe, musste die Tochter als Bürde durchs Leben tragen. Als junges Mädchen heiratete Fanny Heinrich Moser, Erbauer der Wasserwerke Schaffhausen und Uhrengrossindustrieller. Aus erster Ehe waren erwachsene Kinder da. Zu ihrem Unglück schenkte Fanny nur Mädchen das Leben: Fanny kam 1872 zur Welt, Mentona zwei Jahre später, 1874, einige Tage vor dem Tode Heinrich Mosers.
Beide Mädchen erblickten in Badenweiler, dem Ort des jährlichen Sommeraufenthalts der Familie, das Licht der Welt. Dort, wo sich auch das Grossherzogliche Ehepaar jeweils aufhielt. Den Winter verbrachten sie, auch manches Jahr nach dem Tode des Gatten noch, in Karlsruhe, ebenfalls in Anwesenheit Ihrer Grossherzoglichkeit. Der Neid der Kinder aus Heinrichs erster Ehe brachte Gerüchte über den Tod des Vaters in Umlauf. Obwohl sie bereits zu seinen Lebzeiten grosszügige Abfindungen erhalten hatten, mochten die Stiefkinder der jungen Witwe ihren Wohlstand nicht gönnen. Die beiden Mädchen lernten also ihren Vater gar nicht kennen. Ihre Mutter vermied seine Erwähnung, nur eine Büste gab eine gewisse Vorstellung von seinem Aussehen. Selbst des Vaters Verwandte wurden totgeschwiegen. Als die Mädchen grösser wurden, erhielten sie das ausdrückliche Verbot, weder von sich aus etwas über die Familie zu erzählen, noch sich ausfragen zu lassen. Welche Angst verbarg sich hinter diesem Verbot? Was stimmte nicht mit der Vergangenheit? Der Name Mentona weist doch immerhin darauf, dass die Eheleute miteinander eine glückliche Zeit im südfranzösischen Städtchen Menton verbracht haben. Auch in anderer Hinsicht hielt Fanny ihre beiden Töchter sehr lieblos. So wurde im Schlafzimmer der Mutter immer eine frische Rute im Wasser bereitgehalten. Die Erzieherinnen wurden entlassen, wenn die Mutter spürte, dass eine ihrer Töchter diese liebzugewinnen begann. Durch häufiges Umherreisen, immer volles Haus, den aufwendigen Lebensstil der Mutter, welches alles ihre Unzufriedenheit nicht zu vertreiben vermochte, entwickelten Fanny und Mentona früh schon eine Abneigung gegen Geld und Aristokratie. Die Ältere, Fanny, konnte sich durch Bravsein und Anpassung noch eine Zeitlang eine Art Liebe der Mutter erhalten. Die Kleinere aber, Mentona, fühlte sich immer als Aussenseiterin und empfand dementsprechend die Art der Mutter in verstärktem Masse als lieblos, kalt, und hat sie auch so geschildert. Ein Leben lang konnte sie dies der Mutter nicht verzeihen. Das Negativ-Vorbild, das ihr die Mutter war, wirkte dafür auch ganz stark in die entgegengesetzte Richtung. Sobald sie zur Ausbildung in England war, begann sie sich für die Arbeiterfrage zu interessieren, schrieb sich sofort auf zwei Jahre später für ein Sozialhelferinnen-Jahr in London ein. Während dieser Zeit hat die ältere Schwester Fanny ihre Studien bereits begonnen, zuerst Medizin, dann Zoologie. Auf letzterem Gebiet dissertierte sie und erlangte internationalen Ruf. Diesen erwarb Fanny sich anschliessend auch auf ganz anderem Gebiet: in der Parapsychologie. Dies nun aber erst nach dem Tode ihres Mannes, den sie während mehr als zehn Jahren aufopfernd gepflegt hatte. Hier zeigte sich einmal mehr die harte Seite der Frau Moser-Sulzer von Warth, mehrfach sogar. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hätte des Ehepaar der Unterstützung der Mutter bedurft, um sich in Wädenswil niederlassen zu können, denn durch widrige Umstände ist es in den Wirren der staatspolitischen Ereignissestaatenlos geworden. Die Mutter wollte sie aber nicht in ihrer Nähe haben. So unternahm sie trotz mannigfacher Beziehungen rein gar nichts für das Ehepaar. Knapp zwanzig Jahre nach dem Tod des Gatten erhielt die Tochter Fanny ihr Schweizer Bürgerrecht wieder. Von 1943 bis zu ihrem Tode 1953 lebte sie dann in Zürich. Die parapsychologischen Interessen Fannys seien bereits auf der Au geweckt worden. Damals nämlich befand sich Dr. Heim nicht nur wegen Käpfnach auf der Au, sondern auch, um eigenes Wasser fürs Haus zu finden. Wünschelrutengänger wurden besprochen, Herr Fore! erzählte von hypnotischen Brandwunden, Sigmund Freud trug auch sein Scherflein zur Unterhaltung bei. Die Mutter begab sich auch einmal einen Sommer lang nach Wien, um sich durch ihn von ihrer nervlichen Überbeanspruchung kurieren zu lassen. Dieser Sommer sei -gemäss Mentona -der schönste ihrer Jugendzeit gewesen, nur unter der Aufsicht und umgeben von der Liebe einer Erzieherin und des Hausmädchens. Zum Hypnotiseur nach Stockholm begleiteten die Töchter ihre Mutter ebenfalls. Auch diese Behandlung zeigte als Erfolg nur einen missglückten Selbstmordversuch Mentonas auf dem Heimweg von Stockholm.
Fanny Moser, 1872−1953.
 
Mentona Moser, 1874−1971.

Werdmüllergut auf der Hinteren Au, erbaut 1651, abgebrochen 1928. Aufnahme um 1900.
Die Hektik, welche von der Mutter ausging, von der sich Mentona nur in der Au einigermassen flüchten konnte, setzte sich wider Willen in Mentonas eigenem Leben fort. Ständig hetzte sie umher zwischen Parteiarbeit -zuerst Sozialistischer, dann Kommunistischer Partei -, Arbeit für die Pro Juventute zum Lebensunterhalt, welche stark mit Reisen innerhalb der Schweiz verbunden war, Spitalbesuchen bei ihrem schwerbehinderten Sohn, dem Kinderheim für ihr Töchterchen und späteren Aufgaben in der Sowjetunion. Dabei hätte sie nichts anderes gewollt, als ihren Kindern das zu geben, was sie selbst als junges Mädchen so schmerzlich vermissen musste: Liebe und Geborgenheit! Sogar Freud kommt in seinen Studien über Frau Moser zum Schluss, dass sie eine Tyrannin gewesen sei, welche sich stets weigerte, ihren Töchtern auch nur im geringsten beizustehen, wenn diese in Not waren. Diese Antwort gab er auf eine Anfrage der Tochter Fanny, die ein gerichtliches Verfahren gegen ihre Mutter anstrebte. Nicht einmal im Tode durften ihre Töchter ihr nahekommen. So lauteten die Anordnungen in ihrem letzten Willen. Halten wir noch einige Ähnlichkeiten dieser drei Frauen fest. Ähnlichkeiten von Charakterzügen, welche wohl keine der drei so recht an sich wahrhaben wollte, die sie aber um so mehr in den anderen verachteten: Gleich war ihnen ihr ungeheurer Ehrgeiz. Gut genug war nicht genug. Denn noch schätzte jede ihre Kräfte, Fähigkeiten und Möglichkeiten immer wieder falsch ein. Jede war in ihrem Gebiet sehr bedeutend, wollte aber immer auch noch Sachen in Angriff nehmen, von welchen im vornherein klar war, dass sie nicht ganz bewältigt werden konnten. Keine war mit der ihr gegebenen Anerkennung zufrieden, sondern suchte sich im Gegenteil auch in Kreisen zu bestätigen, wo sie überhaupt nicht hingehörte. Alle drei konnten auch in hohem Alter nicht verzeihen, fühlten sich verkannt, vernachlässigt. Privat tragische Gestalten! Betrachtet man aber ihre Wirkung für die Öffentlichkeit, sieht alles ganz anders aus. Das Werdmüllergut auf der Au ist wirklich zu einem Hort geistiger Regsamkeit, grossen Gedankenaustausches geworden. Manche Verbindungen sind in diesem Haus geknüpft worden, manche Idee fand hier ihren Ursprung. Beide Töchter haben grossartiges geleistet: Mentona für den Kommunismus, für den Frauenverein Zürich, für Pro Juventute mit Säuglingspflegekursen und Mütterberatung; sie kannte Lenin und viele weitere damals von Zürich aus tätige Menschen; ein Kinderheim in Russland wurde von ihr gegründet und geführt. Ihre Arbeit wurde im Osten immerhin so sehr gewürdigt, dass sie ihren Lebensabend im Veteranenheim in Ostberlin verbringen durfte und im Ehrenhain für Sozialisten bestattet liegt. Tochter Fanny wiederum besass eine der grössten Parapsychologischen Bibliotheken, welche sie vollumfänglich dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau vermachte. Für die Öffentlichkeit drei nicht zu unterschätzende Persönlichkeiten!
 




Marlies Bayer-Ciprian