Bauen in Wädenswil vor 150 Jahren (1835)

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 5. August 1985 von Peter Ziegler

Wädenswil erhielt seine erste, 60 Paragrafen umfassende Bauordnung im Jahre 1964. Vorher waren ausschliesslich kantonale Vorschriften massgebend. Vor 150 Jahren, am 27. Januar 1835, wurden sie vom Grossen Rat − er entsprach dem heutigen Kantonsrat − neu festgelegt. Sie veranschaulichen, wie damals in Wädenswil gebaut werden konnte oder musste. Nachstehend seien die wichtigsten Artikel in sprachlich leicht veränderter Fassung wiedergegeben:
 
§1
Wer Eigentum an Grund und Boden besitzt, darf darauf nach Belieben bauen. Mit Rücksicht auf das Verhältnis zu den Nachbarn unterliegt aber dieses Recht ausnahmsweise folgenden Beschränkungen.
 
§2
Der Eigentümer eines Gebäudes kann seinem Nachbarn einen projektierten Bau dann untersagen, wenn ihm dadurch Sonnenlicht und Heiterkeit in solchem Mass entzogen werden, dass ein Zimmer oder mehrere Räume nur noch mit Anzünden von Licht benützt werden könnten oder wenn das Gebäude durch den Neubau um den zehnten Teil seines Wertes verringert würde.
 
§3
Der Eigentümer eines andern Grundstücks ist dann zur Einsprache befugt, wenn er wegen Entzug von Sonnenlicht einen namhaften landwirtschaftlichen Schaden geltend machen kann.
 
§4
Die Einsprachemöglichkeit gemäss § 2 und § 3 fällt ganz weg, wenn der Abstand zwischen Altbau oder Grundstück und dem geplanten Neubau − waagrecht gemessen − grösser ist als die Höhe des projektierten Neubaus, ferner wenn sich zwischen beiden eine Strasse erster oder zweiter Klasse in gesetzlicher Breite hindurchzieht.
 
§5
Der Verlust von Aussicht («mit Inbegriff derjenigen auf die Turmuhr») berechtigt niemals zur Einsprache …
 
§7
Wenn vor Erlass dieses Gesetzes die Ausführung eines Baus durch Gerichtsurteil untersagt worden ist, so kann in Zukunft auf diesem Platz wieder gebaut werden, sofern die neuen Vorschriften eingehalten werden.
 
§8
Wenn ein bestehendes Gebäude zerstört oder in seinen Ausmassen vermindert wird, so hat der Eigentümer zehn Jahre lang das Recht, das Gebäude in höchstens gleichem Umfang wiederherzustellen.
 
§9
Während der ersten drei Jahre der eben erwähnten Frist steht dem Eigentümer gegen jeden geplanten Bau eines Nachbars das gleiche Einspracherecht zu, wie wenn das zerstörte oder verkleinerte Gebäude noch in früherer Gestalt vorhanden wäre.
 
§10
Damit man Gestalt und Ausdehnung eines Gebäudes künftig nachweisen kann, wendet man sich üblicherweise an den Bezirksgerichtspräsidenten, welcher die Vermessung durch einen Sachverständigen anordnet.
 
§11
Wer ein neues Gebäude errichten oder ein bestehendes erweitern will, hat vor Baubeginn ein Gespann von Latten zu errichten, welches das Ausmass genau darstellt. Wer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Vollendung des Gespanns beim Bezirksgerichtspräsidenten Einsprache erhebt, hat sein Einspracherecht verwirkt. Jede rechtliche Wirkung des aufgestellten Gespanns hört auf, wenn der bewilligte Bau nach einem Jahr noch nicht begonnen worden ist.
 
§12
Eine Einsprache verbietet dem Bauunternehmer die Ausführung des Baues so lange, «bis er sich mit dem Eigentümer gütlich oder rechtlich auseinandergesetzt hat».
 
§13
Steht das Gespann ganz auf dem Eigentum des Bauunternehmers, soll der Bezirksgerichtspräsident bei Erlass des «Inhibitions-Befehls» dem Einsprecher eine Frist von 14 Tagen ansetzen, damit sich dieser − kommt keine gütliche Einigung zustande − an das Friedensrichteramt wenden kann.
 
§15
Wird eine Einsprache gutgeheissen oder abgewiesen, kann an das Obergericht rekurriert werden. Doch muss dies innerhalb von 14 Tagen nach erlassener Verfügung des Bezirksgerichtspräsidenten geschehen.
 
§16
Durch das gegenwärtige Gesetz wird die Bauspannordnung von 1727 aufgehoben, und alle widersprechenden Gesetze, Verordnungen, Statuten und Übungen werden ausser Kraft gesetzt.
 
Zürich, 27. Januar 1835
Im Namen des Grossen Rates:
Der Vizepräsident: J.J. Hess
Der dritte Sekretär: Meyer von Knonau
 




Peter Ziegler