Aus der Geschichte des Volkshauses

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1981 von Alfred Nicolai

Auch die Lebensgeschichte eines Hauses kann interessant sein. Welches Gewerbe wurde darin ausgeübt, wer hat darin gewohnt, und wer ging da alles aus und ein?
An der Schönenbergstrasse 25 steht das neu renovierte, stolze Volkshaus! Wie kam es zu dessen Bau? – Nach den Grundprotokollen des Notariats Wädenswil liess der Zimmermeister Marzell Küttel im Mai 1900 eine im Winkel Oberdorfstrasse/Schönenbergstrasse stehende Scheune mit Waschhaus und Werkstätte abtragen und an ihrer Stelle drei Wohnhäuser errichten. Im untersten, direkt im Winkel stehenden Haus (dem heutigen Volkshaus) liess Küttel seit Sommer 1901 die Wirtschaft zum «Löwen» betreiben. Nach dem Konkurs des Zimmermeisters Küttel kam diese am 11. September 1902 auf öffentliche Steigerung. Neue gemeinsame Eigentümer der Liegenschaft wurden Gemeinderat Heinrich Höhn, Landwirt in der Kleinweid, und Jakob Hauser, Weinhändler zur Krone. Der Besitz umfasste damals das Wirtshaus zum «Löwen» mit elektrischer Beleuchtungsanlage, eine Zinnenbaute mit Schlachthaus und Stall sowie einen Anbau mit Waschhaus. In der Metzgerei und Wursterei, die an Metzger Ambühl vermietet war, standen ein Ladenkorpus mit weisser Marmorplatte, ein Schreibpult, ein Wiegestock, eine Wurstfüllmaschine mit Wursttisch und Wurstkessel.
Im September 1905 verkauften Heinrich Höhn und Jakob Hauser den «Löwen» dem Metzger Hans Zimmermann aus Biel. Dieser wiederum veräusserte die Wirtschaft mit Metzgerei am 10. Mai 1919 der Volkshaus-Genossenschaft Wädenswil. Wie war das möglich geworden?
Während des Generalstreiks im November 1918 war der «Löwen» Sitz des örtlichen Streikkomitees. Das erregte Missfallen bei einem Teil der Kundschaft, was der Wirt im sinkenden Umsatz zu spüren bekam. Auch die Gewerkschaften gewahrten das Missbehagen, wenn sie Lokalitäten bestellten für ihre Versammlungen. Das führte zur Absicht, durch Gründung einer Genossenschaft, den «Löwen» zu erwerben und als Volkshaus in eigener Regie zu führen. Für dieses Vorhaben konnten auch die Sozialdemokratische Partei und die Arbeiter-Sportvereine gewonnen werden. Ein Komitee leistete die nötigen Vorarbeiten; die Gründungsversammlung konnte am 29. März 1919 stattfinden. Diese Versammlung genehmigte die vorbereiteten Statuten und wählte einen fünfgliedrigen Vorstand. Zur Zeichnung von Anteilscheinen à 25 Franken sollten Mitglieder geworben werden. Die Anzahlung an die Liegenschaft war als Grundpfanddarlehen in der Kaufsumme enthalten. Als erster Pächter bewarb sich Otto Vollrath, Uhrmacher, Gemeinderat, einer der Mitinitianten. Die Uhrmacherexistenz für drei Familien war gefährdet, so kam es, dass Otto Vollrath aus dem Geschäft seines Vaters austrat, um Volkshaus-Pächter und Wirt zu werden.
In den Jahren 1979/80 liess die Volkshaus-Genossenschaft Wädenswil den Jugendstilbau «Volkshaus» durch das Architekturbüro Hans Helbling mustergültig restaurieren.

«Aller Anfang ist schwer». Das galt nicht nur für den unerfahrenen Wirt, sondern ebenso für den in der Verwaltung einer Gasthof-Liegenschaft unerfahrenen Vorstand. Am Anfang besorgten die Handwerker im Vorstand die nötigen Reparaturen. Die Frauen der Vorstandsmitglieder nahmen sich der Wäsche an, sie wuschen, bügelten, nähten und flickten. Für Neuanschaffungen zeigten sich bald finanzielle Schwierigkeiten. Dies führte wieder zu Differenzen über die Höhe des Pachtzinses. Nach zirka einem halben Jahr heiratete Otto Vollrath ein zweites Mal, eine Wirtin! Das Geschäft blühte, zwei Serviertöchter hatten alle Hände voll zu tun, und auch die Zimmer waren gut belegt. Der Anhang, den die zweite Heirat mit sich brachte, betätigte sich aktiv im Volkshaus und stellte wohl auch seine Ansprüche. Auf Veranlassung von Louis Müller, Vertreter der «Frigidaire»-Kühlapparate AG, wurde im Keller eine Kühlanlage mit einem Kelleranstich für den Offen-Bierausschank erstellt. Nach einer Vereinbarung mit der Brauerei Weber, Wädenswil, wurden die Anlagekosten durch die jährliche Eisvergütung der Brauerei amortisiert. Trotzdem besserte sich die unzuverlässige Zahlungsweise des Pächters nicht; dieser Zustand führte zur Trennung. Otto Vollrath übernahm auf den 1. Juli des Jahres 1926 das bekannte Aussichts-Restaurant «Schönegg».
Theaterfreunde der Arbeiter-Sportvereine blieben nicht müssig. Mit viel Idealismus und wenig Geld wurden eine Bühne gezimmert und Kulissen gemalt. Ihr Standort war im Saal, vorne beim Erker. Viele Vereinsanlässe konnten so mit bescheidenen Theateraufführungen festlich gestaltet und bereichert werden. Allerdings musste die Bühne nachher wieder abgebrochen und weggeschafft werden.
Der folgende Pächter war Hans Schäppi, Abwart im Gerichtshaus Horgen. Hans Schäppi war ein guter Wirt und ein kluger Rechner. Ein angemessener Pachtzins sei verständlich, er wolle ihn auch bezahlen. 1928 erfolgte eine erste Renovation der sanitären Anlagen, des Treppenhauses und der Pächterwohnung im zweiten Stock. Ein Jahr später kam eine umfassende Aussenrenovation dazu, die allein auf 16000 Franken zu stehen kam. Nach einer Neuschätzung der Liegenschaft 1930 konnten die sieben einzelnen Schuldbriefe und Grundpfand-Darlehen bei der Zürcher Kantonalbank in einer ersten und zweiten Hypothek untergebracht werden. Diese Sanierung war Dank der Mithilfe von Hans Schäppi zustande gekommen, der seinerzeit auch noch Mitglied des Zürcher Kantonsrates war.
Das Nebengebäude, ganz einfach «Schopf» genannt, diente im Dachboden als Lager- und Geräteraum. Das Parterre hinten war Einstellraum und Militärküche, und vorne, durch eine Mauer abgetrennt, lag der Schweinestall. Jeweils zur «Metzgete» kam einige Tage vorher der «Störmetzger», und das fett gewordene Schwein musste sein Leben lassen. Gnagi, Blut- und Leberwürste im Volkshaus waren damals eine beliebte Delikatesse.
Die rege Aktivität Hans Schäppis auch in der Öffentlichkeit verhalf zu einem Sitz im Gemeinderat. Der Vorstand geriet nach und nach in eine gewisse Abhängigkeit, die zu Differenzen führte. Aber Hans Schäppi fühlte sich als starker Mann, seine Devise «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich» führte zum unvermeidlichen Bruch.
Es folgte auf den 1. April 1936 mit Anton Rütsche, ein tüchtiges Wirte-Ehepaar von Uster. Damit kehrte wieder etwas Ruhe und Frieden ein. Im Volkshaus verkehrten als Stammgäste Gaswerk- und EKZ-Monteure. Dass in der Volkshaus-Küche nur ein Gasherd zur Verfügung stand, fanden die EKZ-Monteure ungerecht; auch ein elektrischer Kochherd müsse in die Küche. Die EKZ unterbreiteten eine günstige Offerte, da konnte der Vorstand nicht nein sagen. Dafür besorgten die EKZ-Monteure den Einbau des neuen Herdes bis auf den Anschluss in Fronarbeit. Ein Sorgenkind war der Saal! Er musste dringend überholt werden. Einige Maler erklärten sich bereit, abwechslungsweise im Frondienst am neuen Anstrich zu arbeiten. Von den EKZ wurde ein neuer Ventilator auf der Nordseite eingebaut. Zum Abschluss kamen noch die vorgeschriebenen Verdunkelungsvorhänge (Fliegergefahr!) an Ort und Stelle. So präsentierte sich der Saal im neuen Glanz zur weiteren Benützung.
Auch das Innere des «Volkshauses» präsentiert sich wieder heimelig und stilvoll, wie dieser Blick in den erneuerten Saal zeigt.
 
Leider musste Anton Rütsche wegen angeschlagener Gesundheit das Volkshaus auf Ende Juni 1942 wieder verlassen. Natürlich konnten Nachfolger gefunden werden. Die Wirtefamilie musste integer sein, etwas Kapital und das kantonale Wirtepatent besitzen. Nach drei, im Verhältnis nur kurzfristigen Besetzungen, kamen auf Ende März 1952 Linus Kaufmann mit Frau als neue Pächter auf das Volkshaus. Endlich konnte, wenn auch nur etappenweise, der Einbau der Zentralheizung verwirklicht werden. Die Finanzdirektion verlangte den Umbau der Toilettenanlage. Später folgte eine Renovation des Restaurants mit einer Neumöblierung. Linus Kaufmann musste gesundheitshalber aufgeben, er verliess das Volkshaus nach 14-jähriger Pachtzeit 1966.
Der Zustand des Schopfes (Nebengebäude) war unhaltbar geworden; er musste abgebrochen werden. Der Platz war wegen seiner ungünstigen Lage zwischen zwei Häusern nur bedingt als Abstellplatz benützbar. So bot sich die Gelegenheit, den hinteren Teil zu einem vorteilhaften Preis dem Nachbarn abzutreten.
Die folgenden Pächter waren Walter Zanconato und Rudolf Peter. Um Mitte August 1976 kam Jakob Hitz-Suter als neuer Pächter auf das Volkshaus. Auch ein neuer Vorstand aus Gewerkschaftlern kam zum Zuge. Seit langem hatte der Vorstand eine Betriebsverbesserung im Sinne. Aber diese konnte nur mit einem Umbau geschehen, verbunden mit einer Totalrenovation. Die Generalversammlung der Volkshaus-Genossenschaft stimmte diesem Antrag zu. Zur Finanzierung wurden mit Banken und dem Stadtrat Besprechungen geführt. Und es gelang! In einjähriger Bauzeit wurde eine gründliche Innen- und Aussenrenovation durchgeführt. Es darf sich sehen lassen, das Volkshaus! Am 20. August 1980 fand im Beisein des Stadtrates, der Lokalpresse, der Bauleitung und der Bauherrschaft die Besichtigung und Einweihung statt. Der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» widmete dem Anlass zwei Seiten in Nr. 194 vom 22. August. Was wird die Zukunft bringen?



Alfred Nicolai