Natur- und Vogelschutzverein Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1993 von Werner Honegger

WAS HEISST NATURSCHUTZ?

Naturschutz und Vogelschutz sind Begriffe, die erst seit Anfang dieses Jahrhunderts existieren. Früher empfand der Mensch die Natur und die Tiere oft als bedrohlich. Gewisse Vögel schmälern auf den Feldern den Ertrag. Man teilte deshalb in nützliche und schädliche ein und verfolgte die Schädlinge. Zum Teil geschieht dies noch heute. Wir finden hingegen, dass alle Lebewesen ihre Existenzberechtigung haben, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen.
Traditionelle landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmethoden boten einer über aus grossen Vielfalt an Pflanzen und Tieren Lebensraum. Der Einfluss des Menschen war also positiv. Die Landwirtschaft hat sich inzwischen stark verändert und ist als Teil des heutigen Wirtschaftsgefüges gezwungen, mit grossem Energie- und Maschineneinsatz einen möglichst hohen Ertrag zu erwirtschaften, ohne traditionelle, weniger profitable Arbeitsweisen pflegen zu können. Auf intensiv bewirtschafteten Flächen können viele Tier- und Pflanzenarten nicht mehr überleben und verschwinden. Wir meinen aber, dass die über Jahrhunderte von unseren Vorfahren geschaffene biologische Vielfalt erhaltenswert ist. Auch wir Menschen sind Bestandteil der Natur, und mit dem Schutz der Natur sichern wir auch unser Überleben.
Ohne uns modernen Techniken und Arbeitsweisen zu verschliessen, bemühen wir uns um die Weitergabe naturnaher Lebensräume, die auch unseren Kindern noch Erlebnisse und Abenteuer bieten.

AUS DER GESCHICHTE DES NATUR- UND VOGELSCHUTZVEREINS

Im Jahre 1948 löste sich in Wädenswil eine Vogelschutzgruppe vom Ornithologischen Geflügel- und Kaninchenzüchterverein, bildete einen eigenen Vorstand, gründete eine eigene Kasse, und so entstand der Vogelschutzverein unseres Dorfes. Im Verein der Züchter standen diesen Leuten zu wenig Mittel für die Förderung der freilebenden Vögel zur Verfügung. Ein geschickter Zeitungsaufruf veranlasste fast 40 Personen, dem jungen Verein beizutreten. Georg Egloff, Gärtnermeister, leitete mit viel Freude als erster Präsident den Verein. Unter den Vorstandsmitgliedern befand sich damals schon der auch heute noch sehr aktive Franz Rusterholz.
Damals drohte unseren Wäldern eine Borkenkäferplage. Als eine wirksame Gegenmassnahme erkannte man die Mehrung der insektenfressenden Vögel durch die Schaffung von Nistgelegenheiten. Die Behörden bewilligten einen Beitrag für die Anschaffung von Nistkästen für Meisen und Spechte. Die Vogelschützer erklärten sich bereit, die 200 Kästen an den Waldrändern unseres Dorfes anzubringen und jährlich zu reinigen.
Im Jahr 1969 wurde der Name des Vereins erweitert. Aus Vogelschutzverein wurde Natur- und Vogelschutzverein. In der Namenserweiterung kommt zum Ausdruck, dass für eine Erhaltung der Vögel auch deren Lebensräume geschützt werden müssen. Neben der Betreuung der Nistkästen werden neu auch Naturgebiete gepflegt und Vogelhecken gepflanzt. In Abendvorträgen versuchen wir unser Wissen zu erweitern.
Mitglieder des Natur- und Vogelschutzvereins Wädenswil auf einer Exkursion beim Beobachten von Vögeln.
 
Auf Früh-Exkursionen zählte man meinst bis 50 Teilnehmer. Das Freizeitangebot war noch nicht so vielseitig und Naturbeobachtung beliebter als heute.
Vom Vogelschutzverein Tanne Schönenberg traten 1984 etliche Mitglieder über, und wir übernahmen die Nistkästen oberhalb der Autobahn.
Der Verein zählt heute 230 Mitglieder und ist − neben 100 weiteren Vereinen − Mitglied des Verbandes Zürcher Vogelschutz. Alle Kantonalverbände sind ihrerseits im Landesverband, dem Schweizer Vogelschutz, zusammengeschlossen. Der Vogelschutz ist im Gegensatz zu Naturschutzbund und WWF, mit denen er häufig zusammenarbeitet, von unten nach oben organisiert.

Die Präsidenten

1948–1956 Georg Egloff, Gärtnermeister
1956–1972 Paul Nievergelt, Lehrer, Stocken
1972–1980 Ernst Ruggli, Malermeister
1980–1990 Karl StolI, Dr. Ing. Agronom
seit 1990 Werner Honegger, Bauing. HTL, Au

NISTKÄSTEN

Im Winter kontrollieren, reinigen und reparieren wir unsere Nistkästen, gegenwärtig über 600. Nach der Nestbauweise können wir auf die ehemaligen Mieter schliessen. Es ist jeweils spannend zu raten, was sich sommersüber in den Kästen wohl alles abgespielt haben mochte. Meist sind unsere Kästen mit Meisen oder Sperlingen besetzt, aber auch Kleiber und Gartenrotschwänze sind erfreulicherweise immer wieder Gäste. Eine kleine Anzahl Kästen ist bisweilen mit Hornissen belegt. Ihre Waben sind mehrstöckig und wahre Kunstwerke. Keine Angst! Im Winter sind die Bewohner ausgezogen.
Übrigens sind heute leider auch die Hornissen gefährdet; sie bedürfen ebenfalls des Schutzes.
Mit den Nistkästen helfen wir nur einer recht beschränkten Zahl von Höhlenbrütern. Es ist mindestens so wichtig, dass mit zusätzlichen Massnahmen auch der viel grösseren Zahl der übrigen Arten, wie zum Beispiel den Bodenbrütern, geholfen wird.

FÜTTERUNG

Die Vögel sind ja nicht nur den Vogelschützern ans Herz gewachsen. Weite Bevölkerungskreise freuen sich an ihrem Gesang und nehmen an ihrem Schicksal teil. Darum ist wohl die Winterfütterung so weit verbreitet. Sicher ist sie eine tierschützerische Aufgabe und vermittelt uns und unseren Kindern wertvolle Beobachtungsmöglichkeiten.
Wir helfen damit aber nur wenigen Arten zu überleben, im Allgemeinen sogar eher den robusteren, die sich in normalen Wintern auch ohne unsere Hilfe durchbringen würden.

VÖGEL IN WÄDENSWIL

Die vielen hier überwinternden Wasservögel freuen uns natürlich sehr. Für Ornithologen, auch von auswärts, ist das Seeufer zwischen Giessen und Meilenbach immer wieder einen Besuch wert. Sogar der prächtige Eisvogel ist mit einiger Geduld und etwas Glück an den Gewässern um das Naturschutzgebiet Halbinsel Au zu entdecken.
Zwanzig Wasservogelarten geben sich bei uns in der kalten Jahreszeit ein Stelldichein.

Stockente Kormoran
Reiherente Graureiher
Kolbenente Höckerschwan
Schnatterente Blässhuhn
Schellente Teichhuhn
Haubentaucher Gänsesäger
Schwarzhalstaucher Lachmöve
Rothalstaucher Sturmmöve
Zwergtaucher Weisskopfmöve

Im Frühling verfolgen wir mit Interesse die Ankunft der Zugvögel. Auf den Exkursionen im Wädenswiler Berg entdecken wir nebst den häufigeren auch gelegentlich einen Trauerfliegenfänger, einen Gartenrotschwanz oder einen Neuntöter. Die Vogelwelt ändert sich dauernd. Der bisherige Wintergast Kormoran bleibt neuerdings vereinzelt auch im Sommer hier; die Kohlmeisen singen immer seltener das bekannte «Ziit isch doo», sondern nur noch einfachere Motive.
Erhebungen auf unserem Gemeindegebiet in den Jahren 1986 bis 1988 ergaben die beinahe unglaubliche Anzahl von 66 verschiedenen brütenden Vogelarten! Dazu kommen noch über zwei Dutzend Arten, die nur hier überwintern, durchziehen oder sporadisch auftreten.

VERANSTALTUNGEN

Wir führen im Allgemeinen monatlich eine öffentliche Veranstaltung durch. Eine Exkursion unter fachlicher und ortskundiger Leitung, in unserer Gemeinde oder in einem Naturgebiet der weiteren Umgebung; einen Abendvortrag mit einem Referenten über ein naturkundliches Thema, mit anschliessender Diskussion.
Frühling und Herbst sind die Zeiten, da wir nach Absprache mit Grundbesitzern Hecken pflanzen oder pflegen. Auch Kinder haben Freude an dieser Tätigkeit.
Mitglieder des Natur- und Vogelschutzvereins Wädenswil pflanzen gemeinsam Hecken.
Begegnungen mit einem Uhu auf einer Früh-Exkursion des Natur- und Vogelschutzvereins.

Ausser mit freilebenden Vögeln beschäftigen wir uns auch mit den übrigen Wildtieren und mit Pflanzen. In letzter Zeit besuchten wir die Geburtshelferkröten am Bachgadenweiher und eine der seltenen Fledermaus-Wochenstuben, die des Grossen Mausohres, im Turm der katholischen Kirche.
Seit vier Jahren bieten wir im Rahmen des Wädenswiler Ferienpasses den Kindern Gelegenheit, unter naturkundlicher Leitung den Sihlwald kennenzulernen. Diese Veranstaltungen sind sehr beliebt und darum auch jedes Jahr ausgebucht. Auf spielerische Art entdecken die Kinder Geheimnisse und Vielfalt eines grossen Waldes. Aus selbst gesuchten Kräutern brauen sie den Tee zum Mittagessen, schnitzen Pfeifen, baden unter einem Wasserfall, bauen Hütten und vieles mehr.

BEOBACHTEN IN DER NATUR

Unser langjähriges aktives Mitglied H. U. Traber fasste das Erlebnis der Naturbeobachtung in folgende Worte: «Zuerst fühlst du die Befriedigung, dich selbst überwunden zu haben, wenn du am Sonntag, statt noch tief unter der Bettdecke zu schlafen, im Morgengrauen draussen am Waldsaum stehst. Dann erlebst du Bild um Bild eines Schauspiels, das seit den Tagen der alten Völker die Menschen begeistert und erbaut hat: Der junge Morgen führt dir in immer neuen Variationen sein tausendfältiges Licht- und Farbenspiel vor. Und wenn nach dem uralten, verlässlichen Gang der «Vogeluhr» ringsum die Stimmen erwachen, packt dich eine zwar harmlose, aber wonnige Jagdlust. Deine Sinne für die geringste Bewegung, für den leisesten Ton offen, gehst du den Feldweg entlang oder stehst lange am Rande des Röhrichts. Dort − ein leichtes Wippen! Du hebst den Feldstecher an die Augen und holst das Bild des zarten Tierchens zu dir heran.
Von Feldbeobachtungen kehrt man fast immer beglückt heim. Man hat einige Stunden frische Luft geatmet und manches kleine Abenteuer erlebt. Erstaunlich, wie gut sich das Beobachten lernen lässt, wie rasch sich die Sinne entwickeln und schärfen, wie sich nach und nach ein kleiner Schatz von Kenntnissen anreichert, der einem auf jeder Wanderung und Reise, auf jedem Gang in der Natur, zugutekommt.»
Zauneidechse.
 
Der Natur- und Vogelschutzverein möchte möglichst viele Menschen in die Natur führen, er möchte verstehen lehren. Mehr und mehr haben wir ja alle Erholung vom Lärm und von der Hetze unseres zivilisierten Alltagslebens nötig; dem Eingeweihten aber bedeutet jeder Bach, jedes Feldgehölz, jedes Ried, jeder Obstgarten eine kleine Welt zum Forschen, zum Wundern und Kraftschöpfen. Mit wenigen Fingerzeigen kann uns der geübte Feldornithologe in seine Kunst einführen, und mit einem Mal werden wir hundertfältiges Leben gewahr, wo wir bisher ahnungslos vorübergingen. Dies sollten wir vor allem der jungen Generation zeigen.




Werner Honegger, Präsident