Lehrer Johannes Hirt und seine Zeit

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2009 von Peter Weiss
Am Anfang der Strasse, die von der Stoffelkreuzung in der Au zum Steinacherschulhaus führt, hängt diese Tafel. Sie ehrt einen Mann, der sich seinerzeit für die Schule und darüber hinaus für die Gemeinschaft in der Au besonders eingesetzt hatte, und ist Zeichen der Dankbarkeit ehemaliger Schülerinnen und Schüler ihrem verehrten Lehrer gegenüber. Doch wer war dieser Mann?

HERKOMMEN UND AUSBILDUNG

Johannes Hirt wurde seinen Eltern Albert und Anna Hirt-Harlacher am 29. März 1873 als drittes Kind geboren. Sein Vater war Landwirt und bewirtschaftete ein kleines Heimwesen. infolge eines Unglücksfalls verstarb ein älterer Bruder schon in jungen Jahren. Hans wuchs zusammen mit einer Schwester und zwei Brüdern in sehr einfachen Verhältnissen auf.
Nach Abschluss der Sekundarschule in Schöfflisdorf trat er 1888 ins Seminar Unterstrass ein, um sich für seinen Traumberuf «Lehrer» vorzubereiten. Da seine Eltern unmöglich für seine Ausbildung aufkommen konnten, erhielt er ein Stipendium des Wädenswiler Weinbauern und Wohltäters Julius Hauser. Dieser war Vorstandsmitglied des Evangelischen Lehrerseminars und habe oft nach einer Sitzung Direktor Bachofner mit den Worten: «Ich ha da na es Göbli fürs Seminar» eine Tausendernote überreicht. (Johannes Hirt hat später sein Stipendium vollumfänglich zurückbezahlt.) 1892 bestand er die Patentprüfung. Zunächst versah er verschiedene Vikariatsstellen, bis er an die Achtklassenschule nach Windlach im Bezirk Dielsdorf abgeordnet wurde. Vier Jahre amtete er dort, bis ihn im Frühjahr 1896 die Gemeinde Elgg an ihre Schule berief.

HEIRAT UND FAMILIENGRÜNDUNG

In seiner Zeit in Windlach lernte er Emma Hirs kennen. Ihr Vater, Bezirksratsschreiber des Bezirkes Dielsdorf, war 32-jährig gestorben. Ihre Mutter blieb mit fünf Mädchen zurück, war aber dem harten Schicksalsschlag nicht gewachsen, verzehrte sich in Gram und verstarb fünf Jahre nach ihrem Gatten. Die Mädchen wurden bei Verwandten und Pflegeeltern untergebracht. So kam Emma Hirs vor ihrem zehnten Altersjahr in ihre Heimatgemeinde Stadel zu Verwandten, wo auch ihre Grossmutter lebte. Sie wurde nach damaliger Sitte streng erzogen. Pflegeeltern und Grossmutter mussten mit «Ihr» angeredet werden. Doch bei aller Strenge wusste man sich bei Gott geborgen und lebte in Ehrfurcht vor ihm. Die sittenstrenge Grossmutter stand mit Glauben und Fürbitte hinter all ihren Angehörigen. Die fünf Waisenkinder durften Gottes Vaterhand über ihrem Schicksal verspüren gemäss dem Psalmwort: «Mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen, aber der Herr nimmt mich auf» und blieben zeitlebens miteinander in herzlicher Liebe verbunden.
Emma Hirs, geboren am 1. Januar 1874, besuchte in Stadel die Primar- und Sekundarschule und verbrachte anschliessend ein Jahr im Welschland. Nach Stadel zurückgekehrt, lernte sie den in der Nachbargemeinde Windlach tätigen Hans Hirt kennen. Ihre Pflegeeltern waren gegen eine Verbindung der beiden und bezeichneten Hans Hirt als «Schuelmeischterli und arme Schlucker vo Schöfflisdorf». Doch die beiden verlobten sich, und noch vor der Heirat wurde Johannes Hirt als Lehrer nach Elgg gewählt. Dorthin ist ihm seine Lebensgefährtin nach der Hochzeit im Jahre 1896 gefolgt.
In Elgg wurden dem jungen Paar drei Kinder geschenkt: Johann Heinrich am 5. März 1897, Emma am 23. Juli 1899 und Gottlieb am 11. Mai 1901. Mutter Hirt, eine stille und innerlich ausgeglichene, von einem starken Glauben und Gottvertrauen getragene Frau, sorgte vorbildlich für ihren Gatten und ihre drei Kinder und bot ihnen ein liebevolles und harmonisches Zuhause.
Seinen Lohn musste der Lehrer von Elgg vierteljährlich in Winterthur abholen. Um Kosten zu sparen, legte Johannes Hirt diesen Weg jedes Mal zu Fuss zurück.
Emma und Johannes Hirt-Hirs.

WAHL AN DIE SCHULSEKTION ORT-WÄDENSWIL

Nach 56-jährigem Schuldienst – wovon 37 Jahre in der Au – trat Lehrer Peter Fehr auf das Frühjahr 1902 in den Ruhestand. Ein Antrag, ihm keine Pension auszurichten, wurde von den Stimmberechtigten der Schulsektion mit 35 gegen 9 Stimmen verworfen. Sie beschlossen, ihm jährlich 500 Franken zukommen zu lassen.
Die auf sechs Mitglieder erweiterte Schulvorsteherschaft machte sich auf die Suche nach einem tüchtigen Nachfolger. Nach verschiedenen Anfragen bei Lehrern an ungeteilten Schulen, von denen sie nichts als Absagen erhielt, nahm die Kommission Verhandlungen mit Johannes Hirt in Elgg auf. Er liess sich bewegen, die verwaiste Stelle zu übernehmen und wurde am 23. März 1902 gewählt. So begann Johannes Hirt im Frühjahr 1902 als alleiniger Lehrer die Schülerinnen und Schüler der Au – verteilt auf acht Klassen – zu unterrichten.
 

DAS SCHULHAUS ALS WOHN- UND ARBEITSORT

Im selben Jahr bezog Familie Hirt ihren neuen Wohnsitz, das Schulhaus an der Alten Landstrasse 80. Im ältesten Teil des Hauses befand sich links neben dem Eingang die Waschküche mit einer blechernen Badewanne und hinten das Arbeitsschulzimmer, in welchem Luise Gattiker als Arbeitslehrerin wirkte. Im oberen Stock war über dem Eingang die Küche der Lehrerwohnung, von der aus die Stube mit einem Kachelofen beheizt werden konnte. Da das Haus keinen Dachunterzug hatte, war es im Winter in den Zimmern sehr kalt, doch man half sich mit Stoffsäcken voller Kirschensteine, die man vorher im Kachelofen aufheizte. Das Schulzimmer neben der Lehrerwohnung mit seinen hohen Fenstern und einer Bodenfläche von 92 Quadratmetern war hell und geräumig. Unterhalb des Schulzimmers befand sich der Turnkeller, dessen Boden eine dicke Schicht Sägemehl bedeckte, davor ein offener Turnplatz.
Oberhalb des Schulhauses auf der andern Seite der Alten Landstrasse befand sich das zur Liegenschaft gehörende Brunnenhäuschen, worin man allerlei Gartengeräte aufbewahrte, und eine wundervolle Nachtviole verbreitete mit ihren violetten Blüten einen zauberhaften Duft. Beim Brunnehüsli stand ein Brunnentrog aus Sandstein, der von kristallklarem Wasser gespiesen wurde. Auf der Sandsteinumfassung des Brunnens spitzten die Schülerinnen und Schüler jeweils ihre Griffel, mussten sie doch während der ersten drei Jahre auf Schiefertafeln schreiben.
Zum Schulhaus gehörte neben einem grossen Garten auch eine Parzelle Reben, die der Lehrer eigenhändig besorgte. Sieben Jahre wohnte Familie Hirt in diesem Haus und stand Johannes Hirt mit voller Hingabe seiner Achtklassenschule vor.
Handarbeitslehrerin Luise Gattiker mit den ihr anvertrauten Mädchen vor dem alten Schulhaus, 1895.
 

Schule Ort, um 1902. Links aussen Frau Hirt. In der hintersten Reihe Lehrer Peter Fehr und rechts aussen Arbeitsschullehrerin Luise Gattiker. Im Zentrum: Lehrer Johannes Hirt.

Familie Hirt vor dem alten Schulhaus. Links daneben das Brunnenhäuschen, rechts die Rebparzelle. Aufnahme zirka 1902.

Das alte Schulhaus von oben. Rechts das Brunnenhäuschen, links die Rebparzelle.

BAU UND BEZUG DES NEUEN SCHULHAUSES, 1909

Die stets wachsende Schülerzahl bewog im Jahre 1907 die Vorsteherschaft, sich ernstlich mit dem Bau eines neuen Schulhauses zu befassen. Man trat in Verhandlungen mit den Gebrüdern Hauser im Haldenhof. Am 8. Dezember 1907 konnte der Kaufvertrag abgeschlossen werden. 26 Aren Rebland, der Quadratmeter zu Fr. 2.20, wurden erworben. Das für den Neubau in Aussicht genommene Gelände lag inmitten des Grundstückes von Herrn Huber im Brunnenhof. Die bisherigen Besitzer des Reblandes hatten wohl das Weg- und Fahrrecht zu ihrem Grundstück. Herr Huber verlangte aber für das notwendige Zufahrtsträsschen von der Alten Landstrasse her zehn Franken pro Quadratmeter. Da durch gütliche Verhandlungen keine Reduktion dieses übersetzten Preises zu erreichen war, musste auf dem Weg der Expropriation der Zugang zum künftigen Schulareal erzwungen werden.
An der Schulgemeindeversammlung vom 5. September 1908 wurden die Pläne der Architekten Bischoff und Weideli in Zürich genehmigt und ein Kredit von 115 000 Franken bewilligt. Die Schlussabrechnung belief sich dann allerdings auf 133 251 Franken. (Zum Bau und zur Einweihung des neuen Schulhauses siehe Artikel «100 Jahre Schulhaus Ort» von Hansruedi Pfenninger in diesem Jahrbuch.)
Auf das Frühjahr 1909 war das neue, grosszügig gebaute Schulhaus bezugsbereit. Nun konnte die grosse Schülerzahl aufgeteilt werden. Aus der Achtklassenschule ergaben sich zwei Vierklassenabteilungen. Als zweiter Lehrer wurde Albert Walder gewählt. Er übernahm die erste bis vierte Klasse, während Johannes Hirt die fünfte bis achte Klasse führte.
Das neue Schulhaus, Frühsommer 1909, inmitten blühender Wiesen und Obstbäume.
 
Das alte Schulhaus wurde verkauft. 15 000 Franken hatte Lehrer Walder geboten, doch wurde es für 16 000 Franken Gottlieb Haab-Stocker im Steinacker zugeschlagen. Später kam es in den Besitz der Familie lsliker. Das ehemalige Schulzimmer wurde in Wohnzimmer unterteilt, und im Turnkeller richtete Ernst lsliker eine Modellschreinerwerkstätte ein. Heute gehört die Liegenschaft der Stadt Wädenswil.

JOHANNES HIRT ALS LEHRER

Die Unterrichtstätigkeit von Johannes Hirt war stark geprägt von seiner pietistischen Frömmigkeit und einem ausgeprägten Pflichtgefühl. Jeder Schultag begann mit einem Lied und Gebet, gefolgt von einer biblischen Geschichte. Mittags wurden die Schülerinnen und Schüler mit einem Gebet oder Lied entlassen. Am Nachmittag wurde zuerst wieder gesungen und gebetet, und bei Schulschluss begleitete erneut ein Gebet die Kinder nach Hause. Johannes Hirt verstand Schule halten als Gottesdienst. «Hans Hirt ist gar nicht anders denn als christliche Persönlichkeit zu schildern. Ob er als Gatte oder Vater wirkte, ob er in der Schulstube stand oder ob er sich anderweitig zur Verfügung stellte – in allem wollte er das Eine, seinem Gott dienen.» (Pfarrer Karl Otto Hürlimann).
Schule Ort mit den Lehrern Johannes Hirt (links) und Albert Walder (rechts), 1909.
 
Mit vollem Einsatz und ganzer Hingabe förderte er die ihm anvertrauten Kinder und vermittelte ihnen die für das spätere Leben erforderlichen Kenntnisse. Es ging ihm dabei nicht nur um die Vermittlung von Wissen, ebenso stark war sein Bestreben, den Kindern im christlichen Glauben eine verlässliche Lebensgrundlage mit auf den Weg zu geben und ihren Charakter zu formen.
Einer seiner ehemaligen Schüler schreibt: «Durch nie nachlassende Energie ist es ihm gelungen, selbst mittelmässig Talentierte zu Spitzenschülern auszubilden. Die schwachen Schüler haben sicher unter dem enormen Leistungsdruck gelitten. Bei Johannes Hirt gab es nur eine gerade Linie, und von dieser abzuweichen hatte für uns unangenehme Folgen. Nach Johannes Hirt mussten neue Lehrkräfte die Schule übernehmen. Die Qualität der Lehrer war auch gut, aber der Leistungsdruck fehlte. Die meisten Schüler gingen jetzt den Weg des geringsten Widerstandes, und das hatte beim Übertritt in die Sekundarschule seine Folgen. Einer der Sekundarlehrer in Wädenswil machte dann die Bemerkung: «Früher kamen von der Au die Gescheitesten, jetzt kommen die Dümmsten.» Auch hat er Schüler, wie zum Beispiel Heinrich Bräm, ausgezeichnet aufs Gymnasium vorbereitet.
Vor allem der biblische Unterricht und Glaubensfragen lagen ihm am Herzen. So erinnerte sich Ernst Eberhart noch genau, was Lehrer Hirt ihnen erzählte, als es um die Frage «Leben nach dem Tod» ging: Er und ein Freund hatten abgemacht, dass derjenige, der zuerst sterbe, dem andern mitteile, wie es im Jenseits sei. Der Freund starb, und etwa ein halbes Jahr später sei er Johannes Hirt erschienen und habe ihm gesagt: «Ich bin noch nicht vor Gericht gewesen, aber es ist alles ganz anders, als man es sich vorstellt.»
Die Schulreise führte oftmals zu Fuss über Schlieregg – Spitzen – Sihlsprung ins Lorzetobel zu den Höllgrotten und von Baar mit der Bahn über Thalwil zurück in die Au. Andere Ziele waren der Uetliberg und der Pfannenstiel.

ZUCHT UND ORDNUNG

So sehr sich Johannes Hirt in die Schülerinnen und Schüler einzufühlen vermochte und sie in väterlicher Liebe zu begleiten verstand, so blieb doch ein alttestamentliches Relikt unverarbeitet in seiner christlichen Überzeugung hängen: Der Glaube an die Zucht. Was im Buch der Sprüche zu lesen ist, bestimmte wesentlich sein Verhalten als Schulmeister: «Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten» (Sprüche 13, 24) und: «Torheit steckt dem Knaben im Herzen, aber die Rute der Zucht treibt sie ihm aus» (Sprüche 22, 15).
Lehrer Hirt mit seiner Klasse im Schulzimmer des neuen Schulhauses. Aufnahme Sommer 1914. Vorderste Bank rechts: Hans Scheller; zweite Bank rechts: Marie (Brändli-) Eschmann.

Schon bei kleinen Vergehen mussten sich die Schüler bäuchlings aufs Harmoniumbänklein legen und wurden mit dem «Hageschwanz», einem Lederriemen mit Schlaufe oder mit dem Meerrohrstecken verprügelt. Auch «Tatzen», Schläge mit einem Lineal auf die offene Handfläche, wurden ausgeteilt. Dahinter stand die Vorstellung, man könne so das Böse aus den Kindern austreiben. Häufigstes Opfer war sein eigener Sohn Hans, sodass Frau Hirt eines Tages auf das Schreien ihres Sohnes unvermittelt ins Schulzimmer trat, um ihrem Gatten Einhalt zu gebieten: «Aber Hans, aber Hans, es tuets jetzt!» Auch wer auf einer Wanderung nicht bei der Gruppe blieb, wer einem Mädchen das Bein zu stellen versuchte oder den Aufsatz nicht zur rechten Zeit fertig geschrieben hatte, wurde gezüchtigt.
Als einige Mädchen aus Erbarmen mit den Knaben Lehrer Hirt mitteilten, sie fänden seine Prügeleien nicht richtig, er könne ja die Betreffenden vor die Türe stellen oder nach Hause schicken, gab er ihnen zur Antwort: «Das bringt nüt, da gönds na so gern. Mer mues di Böse straafe.» Opfer dieser handfesten Erziehungsmethode wurden unter andern oft Martin Gredig oder Paul Rusterholz, der Pflegesohn der Familie Maurer im Unterort. Hans Wyss habe Lehrer Hirt vor allen andern Kindern mit einigen Ohrfeigen direkt aus der sechsten in die fünfte Klasse zurückversetzt.
Was gut oder böse ist, was dem Heiland gefällt oder was vom Teufel ist, darüber hatte Johannes Hirt klare Vorstellungen. So malte er einen Teufel an die Wandtafel und schrieb darunter unter anderem: Radio, Rauchen, Jassen. «Sägeds nu diheim: Die wo jassed, chömed nüd in Himel! Zur Straf müend die emaal ewig jasse.» Anni (Bosshard-) Höhn aus dem Unterort teilte dies pflichtschuldigst ihrem Vater mit: «Ihr settid nüme e so vil jasse», worauf er ihr zur Antwort gab: «De Suntignamittaag-Jass, wo ali e so fridlich binenand sind, dä lönd mir is gwüss nüd nää.»
Besonders schwer hatten es Wirtstöchter in der Schule von Johannes Hirt. Wirtschaften galten ihm als Brutstätten des Verderbens. So behandelte er Fanny (Gredig-) Baur, deren Eltern das Restaurant Schützenhaus führten, besonders hart. Erst als ihr Vater bei Lehrer Hirt vorstellig wurde und ihm androhte, seine Tochter nach Wädenswil zur Schule zu schicken, verbesserte sich ihre Situation. Nicht viel besser erging es Lilly (Kägi-)Weidmann aus dem Restaurant Meilenbach: «Er heds gar nüd vertreit, wenn mer luschtig gsii isch. Er hed lieber d Duckmüüser ghaa. Mer hed müesse vor em leerer abechnüünle und Buess tue oder er hed eim mit em Lineal Tatze ggää. Das Frömmle uf der einte Siite und andersiits s Böösi welle mit Schlaa uustriibe, das hed mir gar nüd gfale. Aber ich bin e Gigelisuppe gsii und ha s Wüeschti omi rasch uf d Siite gsteckt und vergässe.» Gingen Schüler nach Schulschluss nicht auf dem direktesten Weg nach Hause und wurden von Lehrer Hirt erwischt, erhielten sie ebenfalls Strafen.
So problematisch und übertrieben uns die Zucht und Strenge von Johannes Hirt heute erscheint, so dürfen wir nicht vergessen, dass sich damals zahlreiche Kinder an Körperstrafen von ihren Eltern her gewohnt waren. Auch war es sicher kein leichtes, in einer Mehr- oder gar Acht­klassenschule die nötige Ruhe und Disziplin herzustellen, damit Lernerfolge überhaupt möglich waren. Auf jeden Fall galt Johannes Hirt sowohl in der Schulstube wie weit darüber hinaus als unumschränkte Autorität und Respektsperson.
 

DIENST AN DER CHRISTLICHEN GEMEINDE UND GELEBTE NÄCHSTENLIEBE

Johannes Hirt und seine Gattin waren überzeugte Christen und setzten sich eifrig mit dem Worte Gottes auseinander, sei dies in täglicher Bibellektüre und Gebet, sei dies durch Teilnahme an Andachten bei Mutter Brändli und der Pfingstgemeinde auf dem oberen Lehmhof oder anlässlich von Auslegungen durch Prediger Samuel Zeller im Vereinshaus in der Eidmatt oder in Gottesdiensten in der reformierten Kirche. Die Leute anerkannten Lehrer Hirts ehrliches Bemühen und schätzten ihn wegen seiner Geradlinigkeit und Lauterkeit des Herzens. So wählten sie ihn von 1910 bis 1913 und von 1922 bis 1928 für insgesamt drei Amtsdauern als Vertreter der Au in die Kirchenpflege. Es lag ihm sehr am Herzen, dass im Winterhalbjahr alle vier­zehn Tage ein Wädenswiler Pfarrer im Schulhaus Au Bibelstunde hielt. Er selber gründete ein Bibel-Chörli und übte mit den Sängerinnen jeweils auf die Bibelstunden hin die entsprechenden Lieder ein. Aus diesem Bibel-Chörli entstand später der Frauen- und Töchterchor Ort. Aufgabe der Kirchenpfleger war es auch, in der Kinderlehre, die jeweils am Sonntagnachmittag in der Kirche stattfand, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, denn oft scharrten die Kinder mit den Schuhen, schwatzten oder zählten, wie oft Pfarrer Pfister «und siehe da» sagte. Auch für die Sonntagsschule setzte sich Johannes Hirt sehr ein und fuhr sonntags oft nach Einsiedeln, um dort den Kindern reformierter Eltern biblische Geschichten zu erzählen.
Viele Begebenheiten zeigen, wie sein Glaube im praktischen Alltag zur Geltung kam. So konnte Johannes Hirt einem Bauern während zweier Stunden helfen, mit der Sense Heugras zu mähen, was für ihn als Bauernsohn eine vertraute Arbeit war. Verletzte sich ein Kind in der Pause oder in der Turnstunde oder litt an Bauchweh, so sagte er zu ihm: «Gang zur Mueter ufe.» Frau Hirt, eine von allen als äusserst liebevoll geschilderte Frau, nahm sich der Kinder fürsorglich an, verarztete sie und verschaffte ihnen durch Tee und mütterlichen Zuspruch Linderung. Lang ist auch die Liste der Werke christlicher Nächstenliebe, die vom Ehepaar Hirt regelmässig und grosszügig unterstützt wurden: lndianermission, Albert Schweitzers Spital in Lambarene, Bibelschule Aarau, Armenierhilfswerk, Blaues Kreuz, Basler Mission, Seminar Unterstrass und andere.
Für seine Schülerinnen und Schüler setzte sich Johannes Hirt persönlich ein und machte bei deren Eltern Hausbesuche, wo er es für nötig fand. Da der Knabe Julius Bär im Schönbühl jeden Morgen vor der Schule um 5 Uhr mit seinem Vater Stall und Vieh besorgen musste, schlief er im Unterricht hie und da ein. Lehrer Hirt ging zu seinem Vater und ermahnte ihn, «er törfi dä Bueb nüd e so fescht bruuche».
Auch bei Signers, die als Pächter das Stokargut bewirtschafteten, ging er vorbei. Da Marteli immer so bleich sei, bringe er ihr eine Büchse Ovomaltine zur Stärkung. Wie viele Büchsen Ovomaltine er in der Au insgesamt an arme und schwächliche Kinder verteilt hat, entzieht sich unserer Kenntnis – es dürften aber etliche gewesen sein.
Besonders dankbar war ihm Landwirt Hiestand. Er nannte Johannes Hirt den einzigen wahren Christen, dem er seiner Lebtage begegnet sei. Das kam so: Auf dem Heimwesen von Bauer Hiestand lasteten zwei Schuldbriefe, die er einem andern Landwirt zu derart hohem Zinssatz zu verzinsen hatte, dass er in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Als er deswegen Johannes Hirt um Rat fragte, übernahm dieser kurzerhand beide Schuldbriefe zu einem sehr bescheidenen Zins zu eigen. Andern half er, wenn es galt, einen wichtigen Brief zu verfassen oder persönliche Probleme zu lösen.
So wurde Johannes Hirt zu einer überaus geschätzten Vertrauensperson und stand seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Rat und Tat zur Seite.

Zwei ehemalige Schüler von Lehrer Hirt: Ernst Eberhart (links) und Julius Bär. Aufnahme Herbst 1986.
 

PROBELEKTION FÜR EINEN KÜNFTIGEN LEHRER DER LANGRÜTI

Es war im Jahre 1922. Die Mitglieder der Schulsektion Langrüti hatten ihren Lehrer Wild abgewählt und fortgeschickt. Dies erboste die Wädenswiler Lehrerschaft und den Zürcher Lehrerverein derart, dass sie beschlossen, diese Stelle zu boykottieren und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder besetzt werden konnte. Alle Lehrer weigerten sich, ihre Klassen für eine Probelektion zur Verfügung zu stellen ausser Johannes Hirt, der es gewohnt war, Praktikanten aus dem Seminar Unterstrass in den Schuldienst einzuführen. Der Kandidat für die Langrütistelle war Hans Jakob Rinderknecht, der spätere Gründer und erste Leiter der evangelischen Heimstätte Boldern ob Männedorf. Ich zitiere aus seinem vierseitigen Bericht:
«Die hohe schlanke Gestalt von Hans Hirt, der ich nun zum ersten Mal gegenübertrat, war vollkommene Ruhe, eine Ruhe aus tiefstem Inneren. Die leuchtete aus den dunklen Augen. Nach kurzer Begrüssung führte mich der Mann eine Treppe höher in seine Wohnung. Er stellte mich seiner Frau vor und sagte zu ihr: «Mutter, machst du dem jungen Mann einige Spiegeleier? Er hat ja eine weite Reise hinter sich... » Herr Hirt gab mir einige Erläuterungen über die Zusammensetzung seiner vier Schulklassen und über den zuletzt behandelten Stoff, an den ich würde anknüpfen müssen. Dann lud er mich ein, seinem Unterricht beizuwohnen. Dabei könnte ich mir die Namen einiger Schüler einprägen … Eine Schulklasse von der Rückseite zu erleben, das ist in der Regel nicht gerade spannend. Auffällig war allerdings die gepflegte Aussprache der 10-bis 15-Jährigen. Aber sonst war nichts sehr Besonderes. Es wurde nichts , «vorgeführt». Der Vormittag ging dem Ende zu. Die Schüler räumten ihre Siebensachen still zusammen. Wer fertig war, erhob sich und stand gesammelt und still in seiner Bank drin. Herr Hirt öffnete einen Geigenkasten und stimmte zupfend einen Ton an, den die Schüler ganz leise aufnahmen. Und dann sangen sie. So hatte ich noch nie Schüler singen hören: «Stern auf den ich schaue, Fels auf dem ich steh, Führer dem ich traue, Stab, an dem ich geh, Brot von dem ich lebe, Quell an dem ich ruh, Ziel das ich erstrebe – alles, Herr, bist du.» Ein religiöses Volkslied – aber die Innigkeit in dem gedämpften Gesang und die Vollkommenheit der Aussprache, man verstand wirklich jedes Wort.
Bei Tisch betete Herr Hirt kurz auch für das Gelingen meiner Lektion. Und ich will nun so kurz als möglich sagen, wie es mir nach meinen Probelektionen erging. Die grosse Schulpflege der Gemeinde Wädenswil sammelte sich um ihren Präsidenten und mich, der ich sehr befangen noch da stand, wo ich die Schüler entlassen hatte. Der Präsident der Pflege, ein bedeutender industrieller (Heinrich Blattmann-Ziegler), sah die Herren stumm der Reihe nach an und sagte dann: «Ich denke, wir sind uns einig, dass wir diesen Mann für die Schule im Berg einstimmig vorschlagen.» Ich habe in den folgenden Jahrzehnten noch manche Lehrerwahl miterlebt, aber nie mehr solch eine stumme und derart einmütige Überzeugung einer grossen Behörde. Um die Wahlgeschichte abzuschliessen: Sie kam dann doch nicht sofort zustande. Der kantonale Lehrerverein bestand darauf, dass die Stelle des weggewählten Lehrers boykottiert bleibe. Sein Präsident versprach, dafür zu sorgen, dass ich im Frühjahr von der Erziehungsdirektion als Verweser in meine Bergschule abgeordnet werden würde. Die endgültige Wahl erfolgte dann in aller Stille im Herbst.»

AUFHEBUNG DER SCHULSEKTION ORT

Im Jahre 1904 tauchte erstmals der Gedanke auf, die äusseren selbstständigen Schulsektionen Langrüti, Stocken und Ort mit der Dorfsektion zu vereinen, was in der Au jedoch auf einstimmige Ablehnung stiess. Am 7. Januar 1913 regte die Bezirksschulpflege erneut eine Vereinigung der Aussensektionen mit der Dorfschulgemeinde an. Dieses Ansinnen wurde erneut rundweg abgelehnt. Ein erneuter Vorstoss in diesem Sinne wurde am 18. April 1915 wiederum einstimmig und mit Entrüstung zurückgewiesen. Gemäss Beschluss des Kantonsrates vom 28. September 1925 gab es kein Aufschieben mehr: Die widerstrebenden Sektionen Langrüti, Stocken und Ort mussten sich auf den 1. Januar 1926 mit der Dorfsektion zur selbstständigen Primarschulgemeinde Wädenswil vereinen. Der dadurch bedingte Verlust der Selbstständigkeit, das bis auf einen Rest von 38 000 Franken amortisierte Schulhaus und die damit in Aussicht stehenden niedrigen Schulsteuern und nicht zuletzt die Ablieferung von Fr. 18 728.39 in bar und Wertschriften an die neu geschaffene Schulgutsverwaltung Wädenswil, in die die Sektion Langrüti vor allem Schulden einbrachte, erhitzte die Gemüter noch lange.
Die Schulvereinigung hatte zur Folge, dass die Schüler der 7. und 8. Klasse fortan die Schule im Dorf besuchten, sodass im Schulhaus Ort zwei Dreiklassenschulen geführt wurden: 1. bis 3. Klasse Albert Walder, 4. bis 6. Klasse Johannes Hirt. Von jetzt an mussten jedes Jahr zwei Schüler mit einem Leiterwagen die für die Au nötigen Hefte und Schulbücher bei Lehrer Altwegg, dem Materialverwalter der Schule in Wädenswil, abholen.


Steuerzettel der selbstständigen Schulsektion Ort-Wädenswil, 1922.
 
Halbinsel Au von Süden.
Halbinsel Au von Südwesten und Westen. Fotos von Johannes Hirt um 1915.

HOBBYS UND EINSATZ FÜR DIE GEMEINSCHAFT

Ein wichtiges Hobby war für Johannes Hirt die Imkerei. Im Appital besass er ein Bienenhaus mit zahlreichen Völkern, die er mit Sachkenntnis und Sorgfalt betreute. Auch führte er seine Schulklasse für eine Naturkundestunde zu den Bienen und erklärte den Kindern die Geheimnisse dieser fleissigen und emsigen Wesen.
Darüber hinaus besorgte er die Bienenvölker des Röntgenpioniers Dr. med. Gustav Bär (1865–1925) in der «Nagelfluh» auf der Halbinsel Au. Dr. Bär gab Johannes Hirt jedes Jahr 100 Franken für die Schule, damit er für die Schüler Farbstifte und Notenheftchen anschaffen konnte. Umgekehrt vermittelte Johannes Hirt Dr. Bär Anteilscheine des Au-Konsortiums von Landwirt Scherer aus der Holzmoosrüti. An diesen Anteilscheinen war Dr. Bär sehr viel gelegen, erhielt er doch damit die Möglichkeit, die Entwicklung auf der Halbinsel Au mitbestimmen zu können.

Johannes Hirt, rechts bei seinem Bienenhaus im Appital stehend.


Ein weiteres Hobby war das Fotografieren. Wir verdanken Johannes Hirt etliche Aufnahmen zum Bau des Schulhauses 1909, Bilder von der damals noch grünen Au und einzelnen Gebäuden und Gehöften.
Erholung und Ausgleich fand Johannes Hirt auch in seinem Garten. Gottes Wirken in der Natur erfüllte ihn stets mit Bewunderung. Er legte Obstkerne in die Erde und begleitete ihr Emporwachsen zu Fruchtbäumen, die er an den Mauern des Schulhauses hoch zog, und deren Früchte – vor allem Pfirsiche – er den Schülern verteilte, mit liebender Hingabe.
An der Bundesfeier am 1. August, die die örtler jeweils bei Gattikers im Unterort auf der Anhöhe «Im Bode» gegen den Meilenbach mit Höhenfeuer und Singen der Nationalhymne feierten, leitete Johannes Hirt den Gemischten Chor und hielt die Ansprache.

«Schilfstoss», bereit für das Fasnachtsfeuer. Rechts Frau Hirt, in der Mitte Tochter Emma.
 
An der Fasnacht holten er und seine Angehörigen am Seeufer mit dem Leiterwagen Schilf und bauten ein eindrückliches Fasnachtsfeuer auf. Auch der «Chräähaane», das Ende des «Wümmet», wurde jeden Herbst bei Gattikers unten gefeiert. Man übte sich in Gesellschaftsspielen und es gab ein währschaftes Essen mit «Harne» (Schinken). Johannes Hirt schnitzte aus Kartoffeln Chasperliköpfe, ein Tuch wurde vor die Türe gespannt, und dann erzählte er lustige Familien- und Dorfgeschichten. Bei diesem Herbstfest hätten die Kinder jeweils austoben können und «tue wie d Söi».
Zu erwähnen sind auch die jährlichen Schulweihnachtsfeiern, die Lehrer Hirt mit seinen Schülern sorgfältig vorbereitete und gestaltete. Die Eltern waren dazu eingeladen, die Kinder sangen Lieder und trugen Verse vor. Als Belohnung erhielt jedes Kind einen kleinen runden Zopf, den man an den Arm stecken konnte. Auch an den Schulexamen wurde die dörfliche Gemeinschaft gepflegt: Gäste und Lehrer wurden ausgiebig mit Käse, Weggen und Wein bewirtet.

DIE KINDER HIRT

Hans Hirt
Der älteste Sohn Hans besuchte nach der Primarschule im Ort und einem Jahr Sekundarschule in Wädenswil das Gymnasium in Zürich, das er mit der Matur abschloss. Konfirmiert wurde er von Pfarrer Paul Bachofner im Fraumünster in Zürich. Sein Wunsch war es, Kunstmaler zu wer­den. Auf Geheiss des Vaters absolvierte er den einjährigen Lehramtskurs, wurde Primarlehrer und übernahm Vikariate in Weisslingen und Stadel. Das Schulehalten befriedigte ihn aber nicht. Er malte viel und bildete sich an der ETH Zürich in Kunstfächern weiter. Danach zog er nach München, um an der dortigen Kunstakademie sein Wissen und sein Können zu erweitern. Von der Akademie enttäuscht, da die meisten bedeutenden Kunstlehrer im Krieg gefallen waren, kehrte er in die Schweiz zurück. Dann zog er nach Argentinien und arbeitete auf der Farm einer Schweizer Familie. Nach weiten Wanderungen über Chile und Peru traf er in Guatemala ein. Dort unterrichtete er an einer landwirtschaftlichen Schule. Er zeichnete viel und führte ein Tagebuch. 1922 erhielten die Eltern in der Au – und zwar erst auf dringende Nachfrage und um ein volles Vierteljahr zu spät – die Mitteilung, dass ihr 25-jähriger Sohn innerhalb weniger Tage gestorben sei. Sie schickten Briefe an die dortige Landwirtschaftsschule mit der Bitte, man möge ihnen das Tagebuch von Hans zustellen, erhielten aber nie eine Antwort. Da auch die Umstände seines Todes im Dunkeln blieben, war ihr Schmerz besonders gross.
Hans Jakob Rinderknecht schreibt: «Einige Wochen nach der ersten Begegnung mit Hans Hirt (Vater) – wir waren unterdessen in dem Bergschulhaus (Langrüti) eingezogen –, ging ich zum ersten Mal in Wädenswil zur Kirche. Beim Ausgang traf ich das Ehepaar Hirt. Beide waren in feierlichem Schwarz. Als sie mich eben begrüsst hatten, gesellte sich ein weiterer Lehrer zu uns dreien. Er wurde mir vorge­stellt. Leise fragte er Herrn Hirt, wen sie verloren hätten. «unseren Ältesten, den Hans» sagte Herr Hirt. «Wir haben eine kur­ze Nachricht aus Guatemala bekommen, dass er dort in einem Spital gestorben sei. Mehr wissen wir nicht.» Diese Auskunft wurde mit leiser, aber kräftiger Stimme gegeben. Der Mutter liefen Tränen über die Backen. Nach einem stillen Händedruck entfernten sich die beiden Eltern.
Etwas später besuchten meine Frau und ich das Ehepaar in der Au. Nun vernahmen wir etwas mehr vom Lebenslauf des ältesten Sohnes. Er hatte nach dem Besuch des Gymnasiums in Zürich sich der Malerei widmen wollen. Viele Proben seines Schaffens zeugten von hoher Bega­bung. Der Vater aber hatte darauf bestanden, dass der Sohn zuerst einen Brotberuf erlerne, und so war auch der junge Hans Lehrer geworden. Dann aber zog es ihn in die Welt hinaus.»

Godi, Hans und Emma Hirt. Aufnahme 1905.
Emma Hirt
Tochter Emma besuchte nach der Primarschule im Ort in den Jahren 1912 bis 1915 drei Jahre die Sekundarschule Wädenswil, anschliessend die Frauenfachschule in Zürich, um Weissnäherin zu lernen, und bildete sich danach am Arbeitslehrerinnenseminar zur Handarbeitslehrerin aus. Konfirmiert wurde sie 1916 ebenfalls von Pfarrer Paul Bachofner im Fraumünster. Nach abgeschlossener Ausbildung wurde sie von Frühjahr bis Herbst 1919 als Lehrerin an die Frauenschule Chur berufen, um angehende Arbeitsschullehrerinnen mit den neusten Erkenntnissen des Fachs vertraut zu machen.
Nach Vikariaten in Rümlang und Zürich war sie von 1920 bis 1930 für 300 Franken Monatslohn im Hirzel in drei verschiedenen Schulhäusern als Arbeitslehrerin tätig: Im Dorf im Johanna-Spyri-Haus, wo aus den Ritzen des Tannenriemenbodens Flöhe hervorhüpften, in der Spitzen unter dem Dach, wo es im Sommer unerträglich heiss, im Winter bitter kalt war, und im Schulhaus auf Hirzel Höchi.
Vom Frühjahr 1930 an unterrichtete Emma Hirt in den Schulhäusern Langrüti und Stocken, im Schulhaus Ort und in Wädenswil, später nur noch in Wädenswil und in der Au. Sie zog jeweils − wie eine Marktfrau schwer beladen − von einem Schulhaus zum andern. Im Winter, wenn im Wädenswiler Berg knietiefer Schnee lag, führte sie Vater Bollier mit dem von einem Pferd gezogenen «Horemäner» von der Langrüti in die Stocken. Emma Hirt war eine ausgezeichnete und liebenswürdige Handarbeitslehrerin. Sie legte grossen Wert auf exaktes Arbeiten. Die Schülerinnen besuchten ihren Unterricht gerne und freuten sich, wenn die Lehrerin sie mit Aufgaben betraute, die ihrem Geschmack und der neusten Mode entsprachen. Emma Hirt war auch als Bezirksinspektorin tätig.

Godi Hirt
Der jüngste Sohn Godi kam nach der Primar- und Sekundarschule nach Cernier in den Kanton Neuenburg, wo er ein landwirtschaftliches Lehrjahr absolvierte, dort den Konfirmandenunterricht besuchte und konfirmiert wurde. Zu seiner Konfirmation reiste allein der Vater an. Nach dem Besuch der landwirtschaftlichen Schule begann er an der ETH Zürich Agronomie zu studieren. Ohne sein Studium abgeschlossen zu haben – es war ihm «verleidet» – zog er 1923 nach Kanada und arbeitete dort für geringen Lohn auf einer Getreidefarm. Neben seiner Arbeit bildete er sich an Abendschulen weiter und schloss ein Studium als Geologe ab. Darnach arbeitete er als Laborleiter in einem Erzbergwerk in Kimberley, British Columbia, in dessen Nähe er und seine Frau, die Engländerin Gerty, geborene Parnaby, auch wohnten. 1928 wurde ihnen der Sohn Gerold, 1930 die Tochter Eleonore geschenkt.
Hans und Godi Hirt im Jahr 1921.

JOHANNES HIRTS TOD AM 4. MÄRZ 1930

Darüber berichtete Pfarrer Karl Otto Hürlimann in seiner Abdankungsrede am 7. März in der Kirche Wädenswil vor einer grossen Trauergemeinde Folgendes: «Seit Beginn dieses Jahres musste er sich jedoch immer wieder schonen. Vor etwa vierzehn Tagen wurde er von heftigen Schmerzen heimgesucht, die Herz und Lunge in starke Mitleidenschaft zogen und ihm viel Not bereiteten. Aber es schien, dass er sich wieder erholen dürfe. Die Atemnot war behoben, die Schmerzen nicht mehr so gross, und der Arzt glaubte, baldige völlige Herstellung in Aussicht stellen zu dürfen. Am letzten Dienstagvormittag besuchte ihn noch sein Kollege auf der Au, und in herzlichem Zusammensein kam dies und das zur Sprache − keiner von beiden ahnte, dass es das letzte Zusammensein hienieden sein sollte. Dann gab es noch ein kurzes letztes Zusammensein in tiefster Glaubens- und Geistesgemeinschaft mit der geliebten Gattin. Miteinander lasen sie die Losung des Tages aus dem Losungsbüchlein der Brüdergemeinde − und dann ging jedes daran, die ihm verordnete Pflicht des Tages auf sich zu nehmen. Und als dann die Gattin nach etlicher Zeit wieder zu ihm kam, um nach ihm zu sehen, da fand sie ihn schon gestorben am Boden liegend – der Schlag hatte ihn getroffen.»
Im selben Jahr, am 16. Juli 1930, verschied auch Johannes Hirts Kollege Albert Walder, nachdem er − von einer heimtückischen Krankheit befallen − am 8. April nach 46 Dienstjahren völlig erschöpft sein letztes Examen hielt und pensioniert wurde.
Wie sehr der im Alter von 57 Jahren heimgerufene Lehrer Hirt geschätzt war, kann man auch aus dem Nachruf ersehen, der am 5. März im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» erschienen ist. Hier heisst es in einer Zuschrift aus der Au: «Sein Leben war Glauben und Liebe, Mühe und Arbeit. Sein Grundsatz: Dienen und äusserste Pflichterfüllung. Er hat die Sympathien der ganzen Bevölkerung erworben, weil er es in hohem Masse verstanden hat, der anvertrauten Jugend nicht nur solides Wissen beizubringen, sondern auch Herz und Gemüt und Charakter zu bilden und zu festigen. Seiner Familie war er ein überaus treubesorgter Gatte und Vater. Von seinen Schülern wurde er immer hoch geehrt und geachtet, uns allen ist er ein lieber Freund und gutes Vorbild gewesen.»
Mindestens so eindrücklich wie dieser Nachruf ist Folgendes: Kurz nach dem Tod von Johannes Hirt suchte Landwirt Hiestand dessen Frau und Tochter auf. Er sagte ihnen, er möchte sie als gute Nachbarn nicht verlieren. Sein Heimwesen stand an der Alten Landstrasse, etwa dort, wo sich heute Kapelle und Begegnungsort Bruder Klaus befinden.
Das Haus von Landwirt Hiestand an der Alten Landstrasse vor dem Steinacherweg.
Er bot ihnen das Land auf der Geländeterrasse oberhalb seines Heimwesens, das er Vater Hirt für die Zeit nach der Pensionierung versprochen hatte, im Angedenken und aus tiefer Dankbarkeit gegenüber Johannes Hirt und seiner Hilfsbereitschaft zu einem sehr günstigen Preis zum Kaufe an. So konnten Mutter und Tochter an einer der prächtigsten Aussichtslagen der Au eine Bauparzelle für Fr. 2.50 pro Quadratmeter erwerben, ein Einfamilienhaus erstellen lassen, dem sie den Namen «Maierisli» gaben, und ihr neues Heim bereits Ende 1930 beziehen. Später erwarben die beiden Frauen auch noch das Grundstück gegen den Steinacherweg, um zu verhindern, dass dort eine Hühnerfarm eingerichtet werden konnte. Um den nötigen Kaufpreis von Fr. 4.– pro Quadratmeter aufzubringen, fuhren die beiden mit einem Stoffsäcklein voller Goldstücke nach Zürich, die sie auf der Kantonalbank in bares Geld umtauschen liessen. Heute liegt das Haus «Maierisli» an der Strasse, die später erstellt und nach dem Namen ihres Gatten und Vaters benannt worden ist: Johannes-Hirt-Strasse 28.



Peter Weiss