DIE FASNACHT GEHÖRT ZU WÄTTISCHWIL

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2004 von Peter Schuppli

Nach 43 Jahren aktiver Guggenmusik hast Du an der Fasnacht 2004 Deinen Rücktritt gegeben. Ist eine Wättischwiler Fasnacht ohne «Cheesy» überhaupt vorstellbar?
 
Das ist absolut möglich und vorstellbar, denn man kann eine Fasnacht nicht an einer Person aufhängen. Aber ein «Cheesy» ohne Fasnacht – das ist unvorstellbar. Fasnacht ist für mich so wichtig wie der Schützenverein, der Töffclub oder die Fäldchuchi Zouft. Das sind Organisationen und Veranstaltungen, die ich nicht missen möchte.
 
Warum ist die Fasnacht für Dich so besonders?

Man darf etwas anderes sein, man darf sich ausleben. Die Fasnacht gibt Gelegenheit, die Geselligkeit zu pflegen, es mit Kollegen und Kolleginnen gemütlich und lustig zu haben – auch ohne Alkohol oder Ähnlichem.
Walter Tessarolo, während 43 Jahren aktiver Guggenmusiker.

Warum braucht Wädenswil eine Fasnacht? Was bringt die Fasnacht unserer Stadt?

Das ist für mich sonnenklar. Der Ur-Wättischwiler ist ein leutseliger, kontaktfreudiger und demzufolge auch ein sehr festfreudiger Mensch. Diese rund 7000 wirklichen Wättischwiler pflegen das immer noch. Schön ist, dass auch einige Zuzüger dazu gestossen sind. Die Fasnacht bringt das, was wir fast das ganze Jahr hindurch vermissen: Leben, Spontaneität, Fröhlichkeit. Für viele Geschäfte und Restaurants hat die Fasnacht auch einen wirtschaftlichen Aspekt.
 
Es heisst vielfach, die Fasnächtler seien eine geschlossene Gesellschaft, und es sei für einen Neuzuzüger schwierig, aufgenommen zu werden.

Das mag früher vielleicht so gewesen sein, aber in den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich das geändert. Gerade die beiden Guggenmusiken Wadin-Schränzer und Trubadix haben einige auswärtige Mitglieder, die mit Wädenswil wenig am Hut haben, sich aber an der Fasnacht als Einheimische fühlen. Jeder, der in Wädenswil Fasnacht machen will, ist jederzeit in jeder Clique willkommen.
 
Wo siehst Du die grössten Risiken unserer Fasnacht?

Leider gibt es in Wädenswil wie in vielen anderen Ortschaften am Zürichsee viele neue Bewohner, die keinen Bezug zur Fasnacht haben und denen diese Tradition überhaupt nichts bedeutet. Andere wiederum missbrauchen die Fasnacht, um im Übermass Alkohol zu konsumieren, zu randalieren, zu provozieren usw. Leider ist es so, dass Menschen, die nicht in unserem Kulturkreis aufgewachsen sind, die auch an einer Fasnacht geltenden Toleranzgrenzen missachten. Solange es nicht gelingt, diese Menschen zu integrieren, nimmt das Risiko, dass die Fasnacht Schaden erleidet, eher zu und nicht ab. Eine andere Gefahr sehe ich im Fehlen von Integrationsfiguren: Eine Fasnacht braucht Leute, die sich als Zugpferd an die Spitze stellen und die Fasnachtsbewegung in Fahrt halten. Ohne solche Integrationstypen fehlen der Zusammenhalt, das Feuer und das Gefühl, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, das 10 000, 15 000 Menschen am Strassenrand begeistert.
 
Ist der Generationenwechsel eine Gefahr?

Ein solcher Wechsel stellt immer ein gewisses Risiko dar. Die Jungen haben oft andere Interessen, doch bin ich überzeugt, dass es gerade in Wädenswil genug junge Einheimische gibt, die fähig wären, die lange Fasnachtstradition in unserer Stadt weiterzuführen.
 
Und wo ortest Du Chancen?

Die Chance sehe ich in der Integration dieser Leute. Ich erinnere an den Italienerverein, der in den Siebzigerjahren mit einer Clique und einem eigenen Wagen am Umzug mitmachte. So könnten doch auch in Wädenswil wohnende Türken oder Menschen vom Balkan ihre Kreativität ausleben und an der Fasnacht mit einer Gruppe und einem Umzugswagen mitmachen. Für eine Integration braucht es eben auch die Bereitschaft und den Willen der Zugezogenen.
 
Nach 43 Jahren Guggenmusik hängst Du Dein Instrument an den berühmten Nagel. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Man könnte die Veränderung vielleicht so umschreiben: Zuerst war es schwarz, dann weiss. Es ist nichts mehr so, wie es einst war. Als die «Mary Mäckers Guggebänd» in Wädenswil das erste Mal auftrat, gab es in Luzern gerade mal acht Guggenmusiken, in Zürich deren fünf. Von Zürich bis an die Grenze in Buchs gab es keine Guggenmusik, ausser eben der «Mary Mäckers Guggebänd» in Wädenswil. Heute gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende von Guggenmusiken.
 
Konnte man tatsächlich als Guggenmusik bezeichnen, was die «Mary Mäckers Guggebänd» vortrug?
Das war damals Guggenmusik im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn heute eine Guggenmusik so auftreten würde wie wir damals, würden unsere Instrumente vermutlich polizeilich eingezogen.
 
Seit den Siebzigerjahren ist alles viel professioneller geworden, es hat sich eine enorme Konkurrenz entwickelt.

Das stimmt, wobei das Konkurrenzdenken in Wädenswil besonders krass war. Es fehlte etwas der gegenseitige Respekt, die Akzeptanz, wobei auch der Altersunterschied eine Rolle spielte: Hier die alteingesessene Sakkophonie, dort die junge Trubadix und später die Wadin-Schränzer mit alten und jungen Guggern. In den letzten Jahren haben sich die Beziehungen jedoch normalisiert. Heute ist es nicht mehr ein Gegeneinander, sondern ein Neben- und teilweise sogar ein Miteinander.
 

Welches Ziel hast Du in den drei Guggenmusiken, in denen Du spieltest, verfolgt?

Einen eigenen Stil zu spielen. Das hat sich immer als hundertprozentig richtig erwiesen. Das Ziel war nie, andere zu kopieren, sondern ein bekanntes Musikstück auf unsere Art zu spielen. Als ich die Wadin-Schränzer gründete, war es zudem mein Credo, jedes Jahr ein anderes Gwändli mit Grind herzustellen. Das taten wir auch in jedem der 23 Jahre, in denen ich dabei war.







«Cheesy» – einmal weiblich. Schnitzelbankfest Fasnacht 1979.

Du bist auch als eingefleischter und begnadeter Schnitzelbänkler bekannt, der kein Blatt vor den Mund nahm und damit zuweilen auch aneckte. Wie beurteilst Du als langjähriger Mitwirkender das Schnitzelbankfest? Welche Bedeutung hat es in der heutigen Zeit?

Das Schnitzelbankfest ist meines Erachtens ein fester Bestandteil der Wättischwiler Fasnacht. Es muss weiterleben. Für mich stand die Schnitzelbank immer im Vordergrund, egal, in welcher Formation ich auftrat. Schlecht finde ich Selbstdarstellungen, also Mitwirkende, die von Geltungssucht getrieben sind. Die auftretende Person sollte sich selbst zurücknehmen und das Produkt ins Zentrum stellen. Zu bedauern ist, dass das politische Element fast gänzlich aus den Schnitzelbänken verschwunden ist. Einen Witz aufzugreifen, den etwas abzuwandeln und sich so einen Lacher zu sichern, ist nicht das, was ich unter Schnitzelbank verstehe. Lacher allein machen noch lange kein Schnitzelbankfest aus.

Was wäre zu tun?

Eine Schnitzelbank muss hintergründig, provozierend, direkt sein. Darum hiess die mit Ennio Maspero zusammen gebildete Schnitzelbankclique auch «Zmitzt i d Schnurre». Unter keinen Umständen darf ein Reim zurecht gebogen werden, nur dass es sich reimt. Auch braucht es den Mut, am Schluss eines Verses einen Kraftausdruck zu verwenden. Eine Pointe darf nicht abgeschwächt werden, weil der Mut fehlt, ein deftiges Wort zu verwenden, sonst wird die ganze Schnitzelbank verwässert. Zurzeit hat das Schnitzelbankfest etwas zu viel Wasser und zu wenig Blut. Den Verantwortlichen und Mitwirkenden des Schnitzelbankfestes müsste der Rücken gestärkt werden, denn das Ganze darf ruhig etwas mehr gepfeffert sein. Die Schnitzelbänkler müssten unbedingt ihre Narrenfreiheit auf der Bühne wieder mehr nutzen, was nicht heisst, dass sie persönliche Angelegenheiten austragen oder unter der Gürtellinie agieren. Aber es darf absolut «züritüütsch» sein, hat der Wädenswiler doch nun einmal eine kernige Sprache.

Damit das Schnitzelbankfest weiterlebt, braucht es Nachwuchs. Das Problem ist jedoch, dass viele nicht wagen, den Schritt auf die Bühne zu tun. Wie liesse sich dieses Problem lösen?

Die Jungen sind nicht anders als wir es früher waren: Etwas revoluzzen, gelegentlich über die Stränge schlagen. Das ist auch richtig so, es muss so sein. Leider sind wir eine reine Konsumgesellschaft geworden. Nur noch wenige sind bereit, sich beispielsweise für eine Fasnacht zu engagieren. Auf sie muss man setzen. Es gibt in Wädenswil genügend Junge, die das Talent haben und fähig wären für das Schnitzelbankfest – aber sie brauchen den «Kick», um den ersten Schritt auf die Bühne zu wagen. Stehen sie einmal dort, werden sie sie nicht so schnell wieder verlassen – zu schön ist das Gefühl, die Leute zu unterhalten und mit pointierten Versen zum Lachen zu bringen.

Der erste Schritt bräuchte vielleicht eine Begleitung. Könntest Du Dich mit Deiner ganzen Erfahrung als «Götti» einer Nachwuchsclique vorstellen?

Absolut. Das wäre für mich nicht neu, hatte ich doch früher die Landhüener, die erste Wiiber-Schnitzelbank in unserer Stadt, im Hintergrund betreut. Wenn jemand will, helfe ich gern. Er oder sie muss sich nur melden.

43 Jahre Fasnacht – und nun das Ende? Ein Leben ohne Fasnachtsaktivität – kannst Du Dir das vorstellen?

Nein, unvorstellbar, dass ich in Zivil am Strassenrand stehe und den Fasnachtsumzug anschaue. Ich habe nicht aufgehört, Fasnacht zu machen. Ich habe aufgehört mit Guggenmusik, weil ich die Zeit als reif fürs Aufhören betrachtet habe. Ich werde Zeit haben für etwas anderes. Seit zwei, drei Jahren trage ich eine Idee herum, die ich verwirklichen möchte.

Die Fasnacht im Wandel der Zeit. Hat Fasnacht überhaupt noch Platz in unserer modernen, schnelllebigen und von Stress gezeichneten Zeit?

Ganz klar Ja. Je moderner, schnelllebiger und stressiger die Zeit, desto wichtiger sind Anlässe wie die Fasnacht. In einer Zeit, in der man kaum mehr von Traditionen sprechen darf ohne von gewissen Kreisen schief angesehen zu werden, gerade in solchen Zeiten werden Traditionen immer wichtiger. Fasnacht ist eine uralte und grosse Tradition. Ich erinnere an den «Baneeter-Buume», der in einem Jahr, als die Fasnacht amtlich verboten war, fragte, ob er wenigstens zum Fenster hinaus fasnächtlen dürfe. Nachdem ihm das erlaubt worden war, lief er während den Fasnachtstagen im Dorf herum – den Kopf aus einem Fensterrahmen streckend. Diese Tradition müssen wir pflegen und dürfen wir uns von niemandem zerstören lassen. Jeder Mensch braucht ab und zu ein Ventil, um Dampf abzulassen – die Fasnacht ist ein solches.



Interview: Peter Schuppli


Letzte Fasnacht mit der Sakkophonie, 1980.