VON DEN ERSTEN FERIENKOLONIEN IN SCHWENDE

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1992 von Peter Ziegler

Der Pestalozziverein Wädenswil konnte 1992 ein Jubiläum feiern: Vor 75 Jahren wurde das Ferienheim in Schwende erworben, und seit 75 Jahren führt der Verein hier Ferienkolonien durch. Dieses Ereignis sei Anlass zu einem Rückblick auf die Anfangszeit, auf die ersten zwei Jahrzehnte.
Der 1846, am hundertsten Geburtstag Heinrich Pestalozzis, gegründete Pestalozziverein Wädenswil organisierte seit 1891 für kränkliche und bedürftige Schulkinder jährlich eine Ferienkolonie an häufig wechselndem Ort.
Am 20. Januar 1917 verkaufte der während des Ersten Weltkrieges in finanzielle Schwierigkeiten geratene Josef Anton Fässler dem Pestalozziverein Wädenswil die Kuranstalt zur Felsenburg in Schwende, bestehend aus dem Kurhaus, einem Stadel, einer freistehenden Remise und aus Umschwung an Acker, Holz und Feld. Dies zum Preis von 45‘920 Franken. Der Kaufantritt wurde mit der Genehmigung durch die Standeskommission Appenzell am 27. Januar 1917 rechtskräftig.
Eine Sommerkolonie in Schwende zu Beginn der 1920er Jahre. Ursprünglicher Zustand des Ferienheims vor der Erweiterung im Jahre 1928.
 
Mitte Juli 1917 reiste eine erste Ferienkolonie für einen dreiwöchigen Aufenthalt ins eigene Heim nach Schwende. Es waren 72 Knaben und Mädchen. 1918 gingen rund 260 Anmeldungen ein. Der Vorstand des Pestalozzivereins entschloss sich deshalb, zwei Sommerkolonien durchzuführen. Ein Wädenswiler Kolonist berichtet im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» vom 10. August 1918 begeistert über seinen Ferienaufenthalt in Schwende: «Der Schwendebach, der unsere zwei Spielplätze von der Landstrasse trennt, ist unser bester Freund. Darin bauen wir Wasserfälle und Dämme aus grossen Steinen ... Mag es in Strömen regnen, wir sitzen an den Tischen im Saal, der als Speise- und zugleich als Spielzimmer dient ... Wer sich das Ferienheim schöner vorgestellt hat, nun − der ist halt ein unzufriedener Mensch.» Die zweite Kolonie 1918 erwähnte Tourenziele, die heute noch beliebt sind: Leuenfall, Seealpsee, Äscher, Wildkirchli und Ebenalp.
Im Jahresbericht 1919 heisst es: «Unsere Ferienkolonie musste auch dieses Jahr doppelt geführt werden und bot 156 Knaben und Mädchen die so nötige Erholung.» Auch 1922 wird vom Kuraufenthalt in Schwende gesprochen. Er konnte allerdings durch viele Fresspäckli, die von zu Hause und von Verwandten eintrafen, beeinträchtigt werden. Zudem gab es Spannungen zwischen Beschenkten und solchen, die leer ausgingen. Daher − wie heute noch − der Aufruf der Kolonieleitung: «Für Sendungen irgendwelcher Art zugunsten der ganzen Kolonie zu Desserts, Ausflugsverpflegung etc. sind wir jederzeit dankbar.»
Blick in einen der noch nicht unterteilten Schlafsäle mit Eisenbetten im Ferienheim. Aufnahme von 1923.
 
«Etliche Mühe und Aufregung gab es, bis jedem der 30 Mädchen und 36 Knaben Lagerstatt, Kleiderhaken, Putzsachengehalt zugewiesen waren … Nach dem Nachtessen folgte das erst mehr oder weniger gründliche Reinigen des Gesichts, der Zähne und der Schuhe. Dann verzogen sich die Kolonisten in ihre Gemächer, und nicht lange dauerte es, bis die meisten in süssem Schlummer lagen. Bloss die angehenden Backfische über der Stube des Schreibenden waren noch voll Mitteilungslust und Tatendrang, und erst auf mehrmaliges Klopfen an die Zimmerdecke legte sich der jüngferliche Übermut und kamen die quecksilbrigen Mädchenzünglein endlich auch zur Ruhe.» So erzählte Lehrer Gottfried Gretler im «Anzeiger» über die zweite Kolonie 1923.
«Die meisten Kinder sehen schon bedeutend besser aus als zu Beginn der Saison. Auf den bisher unternommenen Ausflügen nach dem Leuenfall, an den Seealpsee und auf Wildkirchli − Ebenalp − Schäfler konnten wir deutlich die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit konstatieren.» So las man 21. Juni 1924 im Schwendebericht, aus dem man zudem erfuhr, dass alle Kinder bei der Ankunft gewogen wurden, damit man am Ende der Koloniezeit die Gewichtszunahme registrieren konnte.
1926 vernehmen wir, dass die kolonieeigene Bundesfeier nach folgendem Programm verlief: «Gesang − patriotische Ansprache − Gesang − Lampionkorso − grosses Brillant-Feuerwerk − Tee mit Appenzeller Fladen.»
1927 wird von baulichen Verbesserungen im Heim berichtet: «Die Esshalle hat durch Täfelung und Erstellung eines fugenlosen Bodens ihren allzu alpinen Charakter verloren und präsentiert sich nun sehr wohnlich. Der Speisenschalter zwischen Küche und Speisesaal bewährt sich aufs Beste. Überaus gelungen ist ferner der gedeckte Übergang von der Esshalle und den Waschräumen ins Treppenhaus. Er führt sehr romantisch an den senkrechten Felsen des „kleinen Säntis“ vorbei und hat seiner architektonischen Gestaltung wegen die Bezeichnung „Kreuzgang“ erhalten.»
Aus dem gleichen Jahr 1927 ist ein Wochenmenüplan überliefert:
«Um halb 12 Uhr ruft die Pfeife männiglich an den reich gedeckten Tisch. Der Speisezettel der ersten Woche war folgender: Sonntag: Schweinsbraten mit gesottenen Kartoffeln und Bohnen. Montag: Makkaroni und Rhabarber. Dienstag: Gehacktes Fleisch, Kartoffeln, Salat. Mittwoch: Kastanien und Zwetschgen. Donnerstag: Bratwürste, Rüebli. Freitag: Mais und Dampfäpfel. Samstag: Voressen mit Reis und Salat.»
Und weiter: «Während die Leitung zu Mittag speist, tummeln sich die Kinder in freier Weise umher, um dann die Liegekur anzutreten. Man kann nicht sagen, dass diese sehr beliebt sei, und es braucht viel Mühe, bis es alle fertigbringen, eine Stunde ruhig zu liegen und auch das nimmermüde Plappermaul einigermassen ruhen zu lassen.»
Der «Kreuzgang», die 1927 erstellte gedeckte Verbindung zwischen den Waschräumen und dem Treppenhaus.
 
Jedes Kind wird zu Beginn und am Ende der Kolonie gewogen. Aufnahme vom Sommer 1926.
 
1928 wurde das Ferienheim um einen Anbau Richtung Pächterhaus erweitert. Man erhielt dadurch das Mädchenspielzimmer, ein zweites Treppenhaus, weitere Schlafzimmer und unter dem Dach das «Paradiis». Dies das Erfreuliche. Weniger erfreulich verlief die erste Kolonie 1928. Zuerst trat unter den 68 Kindern Durchfall, Erbrechen und Fieber auf; dann folgte eine Scharlach-Epidemie. Die Kolonie musste in Quarantäne um 14 Tage verlängert werden. Haus, Personen und Wäsche wurden sorgfältig desinfiziert; die zweite Kolonie fiel aus. Zu ähnlichen Vorkommnissen kam es auch zehn Jahre später, 1938.
«An Regentagen kommt uns nun der schöne Neubau des Ferienheims sehr zustatten, da jetzt zwei getrennte geräumige Spielzimmer vorhanden sind, und auch die Esshalle ist behaglicher geworden» liest man 1929 im Bericht der ersten Kolonie.
Gesund, neu gestärkt, mit gebräunten Gesichtern oder mit roten Backen werden die Kinder aus dem Appenzellerland zu rückkehren, heisst es sinngemäss in manchen Berichten aus den 1930er Jahren «Fast alle hatten bei der guten und reichlichen Kost in Schwende „geschweret“ (1930). «Es sieht besser aus als vor drei Wochen; ... die 50 Liter Milch, die jeden Tag getrunken werden, haben ihre Wirkung getan» (1931). 1934 steht gar konkret, jeder Kolonist habe durchschnittlich mehr als ein Kilo zugenommen.
Ferienheim Wädenswil des Pestalozzivereins Wädenswil in Schwende (Vordergrund Mitte). Links das Pächterhaus, im Hintergrund Kirche, Pfarrhaus und Friedhof. Luftaufnahme von 1990.
 
Aus manchen Berichten erfährt man vom Betten und Schuheputzen, vom Geschirrabwaschen und Zimmerwischen, vom Gemüserüsten oder vom mühsamen Packen des Wäschekorbes vor der Abreise. 1933 liest man vom Gottesdienstbesuch in Appenzell, 1934 vom Mädchenspielzimmer, in dem gelesen, gespielt, gestrickt und geklebt wird, und vom Knabenraum, der einer Schreinerwerkstätte gleiche.
1935 reisten Eltern in einem Postauto zum sonntäglichen Besuch in Schwende an. Im gleichen Jahr halfen die ältesten Kolonisten dem Pächter Fässler beim Heuet. Dass das Heu im Appenzellerland in Bündeln auf Kopf und Rücken getragen wurde, erregte indessen allgemeine Heiterkeit. Bei uns hat man halt Wagen und Pferde, meinten die Seebuben.
Eine Neuerung ist für 1936 überliefert: Damals wurde vor den beiden Sommerkolonien sogar eine «Gfätterlischuelkolonie» durchgeführt.




Peter Ziegler