Haustafeln und eine digitale Infothek
Quelle: JSW 2021, Seite 63-69: Haustafeln und eine digitale Infothek - Das Projekt «Baukultur Wädenswil».
Die Arbeitsgemeinschaft «Baukultur Wädenswil» am 24. Juli 2021: Doris Bircher, Peter Ziegler, Andreas Hauser und Christoph Lehmann (von links).
Zwei Beispiele für Haustafeln: Das Stadthaus an der Florhofstrasse und die alte Post an der Seestrasse.
Das Feuerwehrhaus an der Schönenbergstrasse, erbaut 1907 bis 1909, auf einem Foto aus dem Einweihungsjahr 1909. Seit 2011 Stadtbibliothek.
Der gemeindeeigene Gasthof zur Sonne an der Schönenbergstrasse wurde 1821 bis 1822 als Ersatz für einen hölzernen Vorgängerbau erbaut. Als Versammlungsort des Gemeinderats (Exekutive) und als Standort der Kanzlei hatte der Bau die Funktion eines Gemeindehauses. Von 1868 bis 1906 befand sich die Kanzlei im rechts hinten sichtbaren Gebäude, das 1867 bis 1868 als Sekundarschulhaus erstellt worden war.
Das Stadthaus zum Freihof an der Florhofstrasse wurde 1811 als Fabrik (Baumwollweberei und Spinnerei) und Wohnhaus erbaut. Seit 1906 dient es als Gemeindehaus und seit 1974 als Stadthaus. Die Wohnungen wurden sukzessive in Büros umgenutzt. 2005 bis 2006 wurde es renoviert und umgebaut.
Die letzte Gemeindeversammlung am 22. Januar 1974 in der reformierten Kirche. Aufnahme von Fotograf Georges Hoffmann.
Peter Ziegler in seiner Gelehrtenstube (links). Es handelt sich um den Salon der Tuchfabrik-Villa an der Einsiedlerstrasse 24 (rechts). Sie wurde 1883 bis 1884 vom Architekten Karl Schweizer für den Textilfabrikanten Fritz Fleckenstein-Waser erbaut.
Als es noch keine schriftliche Überlieferung gab, waren Erzähler und Sänger für das kollektive Gedächtnis und für identitätsstiftende Erzählungen zuständig. In der Person Peter Zieglers besitzt Wädenswil einen wissenschaftlichen Nachfahren dieses Typus. Fragt man jemanden nach der Geschichte eines Hauses oder einer Familie, wird man unweigerlich an ihn verwiesen. Tatsächlich ist Ziegler, der den grösseren Teil seines Berufslebens als Didaktiklehrer für Geschichte an der Universität Zürich tätig war, ein Vollbluthistoriker, mit Schwerpunkt auf der Geschichte Wädenswils und der Region Zürichsee. Schon als Knabe war er stark an Realien interessiert, an römischen und mittelalterlichen Gemäuern zuerst, dann später an der gebauten Umwelt insgesamt bis hin zur Gegenwart. Geprägt unter anderem von Richard Weiss, einem Erneuerer der Volkskunde, hat er Geschichte und Baugeschichte stets auch als Kultur- respektive Brauchtumsgeschichte betrieben. Ausserdem war und ist er ein hartnäckiger und gut organisierter Sammler von Quellenmaterial, insbesondere von alten Fotografien. Wichtig für seine Tätigkeit als Historiker und Geschichtsvermittler war und ist auch seine enge Verbindung mit dem Journalismus und dem Verlagswesen.
Ausgestattet mit einer Kombination von Begeisterung, offenem Blick, Disziplin und einem herausragenden Gedächtnis, hat Ziegler im Lauf von nunmehr rund 65 Jahren eine unübersehbare Zahl von Büchern, Zeitungsartikeln, Fachzeitschriften-Aufsätzen, Kunstführern, Gutachten und Inventaren verfasst, darunter die beliebten Bände über das alte Wädenswil, in denen alte Fotografien mit lokalhistorischen Kommentaren versehen sind. Wer in Zieglers Schriften oder in dem von ihm begründeten und lange betreuten Jahrbuch der Stadt Wädenswil «herumschneuggt», entdeckt so manch Interessantes über unsere Gemeinde. Mühelos in den vielen Bänden herumflanieren kann aber nur, wer sie selber besitzt. Noch problematischer wird es, wenn die Leser und Leserinnen nach einer ganz bestimmten Information suchen. Beide Probleme haben wir angepackt und teilweise auch gelöst. In monatelanger Arbeit hat Christoph Lehmann einen grossen Teil der Jahrbuch-Artikel und des Zieglerschen Schrifttums digitalisiert und in die Schubladen unserer Infothek «abgefüllt». Mit dem unschätzbaren Gewinn, dass man nun bloss einen Suchbegriff einzugeben braucht, um fündig zu werden. Und wer die Jahrbücher der Stadt Wädenswil nicht in der Stadtbibliothek holen will, findet sie (mit Ausnahme der jüngsten) in unserer Infothek in der Abteilung
«Literatur».
Altstädte und Industrieareale, die für Kultur und Gastronomie umgenutzt sind, sind oft derartige Magnete für Besucherinnen und Besucher, dass es den Anwohnern zu viel wird. Und die Wohnquartiere des 19. Jahrhunderts mit ihren Blockrandbauten zählen auf dem Wohnungsmarkt zu den beliebtesten Standorten. Das zeigt, dass ältere Bausubstanz für die Standort- und Lebensqualität eines Ortes von entscheidender Bedeutung ist. Dass das bauliche Patrimonium als Wert aufgefasst wird, ist das Verdienst der Kunstgeschichte. Als diese Disziplin im 19. Jahrhundert entstand, war sie noch stark dem Geniekult verhaftet; sie schwärmte für Meisterwerke von überzeitlichem Wert. Gegenden abseits der berühmten Kunstzentren hatten da schlechte Karten. So auch die Schweiz: Sie habe zwar schöne Landschaften, aber keine wertvollen Kunstschätze. Erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erkannten die Schweizer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dass gerade das Bodenständige, Unhöfische, Eigenwillige und oft etwas Naive den unverwechselbaren Charme der hiesigen Baukultur ausmacht. Dafür wurde jetzt die Architektur des 19. Jahrhunderts verteufelt, auch die heute so geschätzten Mietpalazzi. Unter der Losung Autogerechtigkeit, Hygiene und Komfort wurden in der Baukonjunktur der 1960er-Jahre derartige städtebauliche Verwüstungen angerichtet, dass es zu einer Protestbewegung zugunsten der Stadt des 19. Jahrhunderts kam. Daraus erwuchs das Gesetz, dass die Gemeinden schützenswerte Bauten zu bestimmen und für deren Erhalt zu sorgen hätten. Ohne diese Massnahmen stünden viele Bauten, die das Ortsbild von Wädenswil prägen, nicht mehr. So zum Beispiel das
Stadthaus oder die
alte Sust. An ihnen kann man auch sehen, dass Renovieren keineswegs gleichbedeutend mit Konservieren oder Musealisieren ist – es geht vielmehr um ein Recyceln, um ein Zu-neuem-Leben-erwecken.
In den letzten dreissig Jahren wurde in der Schweiz gefühlt so viel gebaut wie zuvor in den vielen Jahrhunderten seit der Pfahlbauerzeit. Entsprechend stark kamen ältere Bauten unter Druck; Abbrüche gehörten und gehören zur Tagesordnung. Viele Altbaubesitzerinnen und -besitzer verspüren wenig Lust auf Erhalt, da die ihnen zugemuteten Wertverluste und Mehrausgaben nicht durch flankierende Massnahmen abgefedert werden. Ausserdem neigen viele ökologisch engagierten Leute dazu, Altbauten als Energie- und Raumverschwender zu denunzieren, obwohl deren ökologischer Fussabdruck unter dem Strich oft kleiner ist als der von Neubauten.
Das grösste Hindernis, um endlich auch im Bauwesen das Recycling-Prinzip verstärkt zur Anwendung zu bringen, ist aber die tief verwurzelte Überzeugung von der Wertlosigkeit örtlicher Altbauten. Genauere Kenntnis kann das ändern. Sie zu vermitteln, ist das Hauptziel unserer Infothek. Alte Fotos können zeigen, dass Bauten, die sich wie Schandflecke ausnehmen, das Potenzial zu Schmuckstücken haben. Und Quartierbeschreibungen können deutlich machen, dass Siedlungsstrukturen ebenso wichtig sind wie einzelne Bauten. Architektonische Rosengärten darf man dabei in einem industrialisierten Bauerndorf wie Wädenswil nicht erwarten. Aber oft fühlt man sich ja in einer Magerwiese mit ihrer Farbenvielfalt und ihrem Gewusel an Kleingetier wohler als in einem überdüngten Kunstgarten mit seinen hochgezüchteten und gestylten Blüten.
Der Güterschuppen der ersten, 1874–1875 erbauten Bahnhofanlage Wädenswil wird seit 2009 als BMX- und Skatehalle genutzt.
Die 1839 bis 1840 erbaute Sust (Hafen-Warenmagazin) fungierte nach ihrer Aufstockung (1890 bis 1891) als SOB-Verwaltungsgebäude und Schulhaus und dient seit 1987 als Jugendhaus.
Doris Bircher, Andreas Hauser, Christoph Lehmann
Baukultur Wädenswil: Erste Tafeln montiert
Quelle: Wädenswiler Anzeiger, 11 – November 2021, Text & Bilder Stefan Baumgartner
Das Team der Baukultur Wädenswil – Christoph Lehmann, Peter Ziegler, Doris Bircher und Andreas Hauser – freuen sich zusammen mit Stadtpräsident Philipp Kutter über den gelungenen Start der Tafelmontage.
Macht man einen Ausflug in die Nachbardörfer oder anderswo hin, flaniert durch Dorf- oder Altstadtgassen, fallen oftmals informative Tafeln an historischen Gebäuden ins Auge: Wer hat dieses Haus in welchem Baustil gebaut, wofür wurde es benutzt, was beherbergt es heute? Nicht so in Wädenswil. Bis anhin. Am 12. November wurden von «Baukultur Wädenswil» erste Infotafeln angebracht.
Stapi Philipp Kutter zeigt viel Freude an der am «Freihof» – dem Stadthaus – montierten Tafel.
Die Geschichte von bedeutenden Gebäuden auf einen Blick
Quelle: Zürichsee-Zeitung, Bezirk Horgen, Samstag, 13. November 2021, Text Daniela Haag, Fotos Michael Trost
Die Gruppe Baukultur feiert die Enthüllung der ersten Informationstafel mit dem Stadtpräsidenten. Von links: Christoph Lehmann, Peter Ziegler, Doris Bircher, Philipp Kutter und Andreas Hauser.
Eine Arbeitsgemeinschaft will der Bevölkerung die Baukultur der Stadt näherbringen. Am Freitag hat sie am Stadthaus die erste Informationstafel enthüllt.
Wädenswil gilt als einer der am besten erforschten und dokumentierten Orte im Kanton Zürich, denn eine ganze Reihe von Historikern widmete sich der Ortsgeschichte und tut dies immer noch. Doch etwas fehlte Wädenswil bisher, was nach den Worten des Kunsthistorikers Andreas Hauser «gefühlt jede dritte Gemeinde hat», nämlich Informationstafeln an wichtigen Häusern.
Diese Lücke ist nun geschlossen. Am Freitag ist am Stadthaus die erste Infotafel montiert und feierlich enthüllt worden. Sie ist eine von zehn Haustafeln im Ortszentrum. Bis Ende Jahr folgen acht weitere. In einer zweiten Etappe sind weitere 18 Tafeln geplant. «Unser Ziel sind rund 50 Informationstafeln», sagt Christoph Lehmann, der das Projekt lanciert hatte.
Veränderungen aufzeigen
Die Tafeln aus Plexiglas sind so konzipiert, dass sie in wenigen Minuten gelesen werden können. Sie enthalten eine Abbildung des Objekts in seinem ursprünglichen oder einfach in einem älteren Zustand, um die Veränderung zu zeigen. Eine Zeittafel und eine kunsthistorische Würdigung informieren über die Entwicklung und Bedeutung des Bauwerks. Mittels QR-Code wird man auf eine Website mit weiteren Informationen geleitet.
Die ersten Haustafeln sind an Gebäuden im Ortszentrum montiert. Ein QR-Code führt zu einer Website mit weiteren Informationen.
So erfährt man beispielsweise, dass das
Stadthaus 1811 als Baumwollweberei und Spinnerei erbaut wurde und in den Obergeschossen ursprünglich Wohnungen existierten. Nachdem die Wädenswiler den Bau eines neuen Gemeindehauses aus finanziellen Gründen abgelehnt hatten, diente es ab 1906 als Gemeindehaus und seit 1974 als Stadthaus.
Digitale Infothek erarbeitet
Das Projekt der Haustafeln ist von einer Arbeitsgruppe mit Initiant Christoph Lehmann, Kunsthistoriker Andreas Hauser, Historiker Peter Ziegler und der Juristin Doris Bircher erarbeitet worden. Sie verfügten über eine enorme Fülle an Informationen, die sie den Interessierten ebenfalls zur Verfügung stellen wollten.