PFARRER WALTER ANGST (1918–1999)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2000 von Andreas Ganz

VON NAMEN UND VORNAMEN

Der Familienname «Angst» ist seit dem Mittelalter im Zürcher Unterland und Weinland verbreitet und heute noch das häufigste Geschlecht in Wil im Rafzerfeld, woher die Vorfahren des langjährigen Wädenswiler Pfarrers Walter Angst stammen. Das mittelhochdeutsche Wort «angest» bedeutet «Bedrängnis, Angst, Furcht». Nun behauptet zwar ein bekanntes geflügeltes Wort «Nomen est omen», das heisst der Name habe gute oder schlechte Vorbedeutung; und vom Dichter Thomas Mann stammt gar die Aussage: «Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele». Wer aber den letztes Jahr verstorbenen Walter Angst gekannt hat − und viele haben ihn gekannt − der wird für ihn diese Namensdeutung nicht gerade zutreffend finden. Viel eher wäre da der Vorname geeignet gewesen, auf gewisse Charaktereigenschaften zu schliessen. «Walter» wird nämlich von den beiden althochdeutschen Wörtern «waltan» und «heri» abgeleitet und bedeutet «walten, herrschen, Heerführer». Wenn man sich an den wortgewaltigen Prediger erinnert oder ihn gar an einer der unvergesslichen Altersreisen erlebt hat, an denen er − unübersehbar − im extra angefertigten roten Gilet mit Wädenswiler Wappen im Mittelpunkt stand, dirigierte und organisierte, so kann man seinen Vornamen sicher passender finden, wie übrigens auch seinen Studentennamen «Hurra»!

Walter Angst, Pfarrer in Wädenswil von 1945 bis 1985.

WIL - WINTERTHUR - WÄDENSWIL

Walter Angsts Eltern stammten beide aus alteingesessenen Bauernfamilien. Sie waren aus dem Rafzerfeld nach Winterthur-Seen gezogen, wo der Vater eine Sattlerei/Polsterei betrieb. Die bäuerlich-handwerkliche Herkunft mag denn auch einer der Gründe gewesen sein, die Walter Angst befähigten, rasch und unkompliziert Zugang zu finden zu all den verschiedenen Menschen, mit denen ein Seelsorger in Kontakt kommt. Zwar hätte er als einziges Kind seiner Eltern eigentlich einmal das väterliche Geschäft übernehmen und weiterführen sollen, zu seiner grossen Freude aber − nicht zuletzt auch dank der Fürsprache und Überzeugungskraft der Mutter wurde ihm die Berufsentscheidung selber überlassen und der Besuch des Gymnasiums und − nach der Matur − das Theologiestudium ermöglicht.
Kurz nach seiner Ordination, im Frühling 1944, wurde er vom Kirchenrat als Vikar nach Wädenswil abgeordnet und bereits an der Kirchgemeindeversammlung vom 3. Juli 1945 in der fast voll besetzten Kirche zum Pfarrer unserer Seegemeinde gewählt, der Gemeinde also, der er bis zu seiner Pensionierung (1985) treu blieb, wo er seinen Lebensabend verbrachte und auf deren Friedhof er auch seine letzte Ruhe gefunden hat.

«WO DER GLAUBE IST, DA IST AUCH EIN LACHEN.»

Im reformierten Gottesdienst steht − in der Regel − die Verkündigung des göttlichen Wortes im Mittelpunkt. Zur Frage, wie Walter Angst dieser zentralen Aufgabe nachgekommen ist, seien hier zwei Zeugen zitiert: Anlässlich des 25-jährigen Amtsjubiläums als Wädenswiler Pfarrer würdigte der damalige Kirchenpflegepräsident Albert Meier sein Wirken wie folgt:
«Eine zentrale Stellung nimmt für Walter Angst seit jeher die Verkündigung ein. Daraus verstehen wir die hohe Bedeutung, welche für ihn Gottesdienst und Predigt einnehmen. Hier spüren wir so recht seine wahre Berufung für den geistlichen Stand. Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der Entwicklung der heutigen Zeit ist seine Einstellung zu modernen Strömungen bewusst vorsichtig und eher dem Alten verpflichtet.» Und in einem Nachruf auf Walter Angst in der «Zürichsee-Zeitung» vom 15. Dezember 1999 schrieb alt Redaktor Kurt Rohr: «Als Verkünder des Wortes vermochte Walter Angst dank seiner tragenden Stimme und seinen rhetorischen Gaben die Kirchenbesucher zu fesseln.»Dazu wäre noch zu bemerken, dass Walter Angst seine Predigten in Original-Lautstärke übte, bis er sie auswendig konnte!
Meine ganz persönlichen Erinnerungen an den Pfarrer Walter Angst könnte ich in einem Satz von Martin Luther zusammenfassen: «Wo der Glaube ist, da ist auch ein Lachen.» Für Walter Angst war diese nicht immer leichte Verbindung von Frömmigkeit und Fröhlichkeit fast selbstverständlich. Ich habe sie immer wieder erlebt: bei der Konfirmation unserer beiden Kinder, bei der Trauung unserer Tochter und bei der Taufe von zwei Enkelkindern, aber auch auf Wanderungen, beim Ski fahren, im Lehrerzimmer und sogar am Jasstisch.
Walter Angst mit Kollege Hans Sutter, 1950.

SPUREN UND BEGEGNUNGEN

«Es sind Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.»
Guy de Maupassant; französischer Schriftsteller
Aus der Abdankungsrede von Pfarrer Lehmann: «Als Teil der übernächsten Pfarrergeneration nach Walter Angst habe ich den Verstorbenen erst im Ruhestand kennen gelernt. In der Gemeinde bin ich aber hundertfach auf seine Spuren gestossen, manchmal staunend, manchmal fast ehrfürchtig vor diesem Leben und Wirken.» Spuren hinterlassen, Begegnungen schaffen, das waren Anliegen und Verdienste des verstorbenen Wädenswiler Pfarrers! Als kontaktfreudiger und gesprächsbereiter Mensch förderte er die Beziehungen und die Zusammenarbeit mit den katholischen Nachbarn und der Evangelischen Allianz sang als geschätzter Tenor mit im Kirchenchor, stellte sich jahrelang dem Fürsorgeverein, dem Pestalozziverein und dem Missionsverein zur Verfügung und war im Aufbau von Helferkreisen mitbeteiligt. Neben Altersheim-, Spital-, Konfirmanden- und Hausbesuchen und den vielen andern Tätigkeiten eines Gemeindepfarrers. Aufgaben, die sich meist im Verborgenen, im persönlichen, seelsorgerischen Gespräch abwickeln, lag ihm zudem ganz besonders die Sonntagsschule am Herzen. Und damit natürlich auch die legendären Sonntagsschulweihnachten! Dazu Pfarrer Lehmann: «Aber den jährlichen Höhepunkt für seine Erzählkunst bildete die Sonntagsschulweihnacht, wo er in einer vollen Kirche eine Wädenswiler Weihnachtsgeschichte erzählte, mit Leuten und Orten aus dem Dorf, und noch heute begegne ich bei meinen Besuchen Menschen, die sich freudig und manchmal auch wehmütig an diese schönen Momente erinnern.»

RELIGIONSLEHRER, DEKAN, KIRCHENPOLITIKER

Zu den Pflichten eines Gemeindepfarrers gehörte auch die Erteilung des Religionsunterrichtes an der Oberstufe. Das war nie eine leichte Aufgabe und ist heute − im Computerzeitalter − natürlich auch nicht einfacher geworden. Walter Angst liebte es, vor eine Klasse zu treten, er war gerne im Mittelpunkt, auch wenn es ihm manchmal schwer fiel (wie seinen Lehrerkollegen natürlich auch), beim Glockenschlag, mitten in angeregtem Pausengespräch, das Lehrerzimmer zu verlassen und den Unterricht zu beginnen. Aber mit angeborenem pädagogischem Geschick, mit Erzählertalent und Humor gelang es ihm meistens, den jungen Menschen Werte und Kenntnisse zu vermitteln, von deren Wichtigkeit er überzeugt war. Und seine Schülerinnen und Schüler merkten bald, dass da nicht einfach ein Wissensvermittler und Lektionengeber vor ihnen stand, sondern ein Mensch, der für sie interessant war und den sie akzeptierten, weil er sich auch für ihre Anliegen und Probleme interessierte. Und nach guten Leistungen oder bei besonderen Gelegenheiten, belohnte er nicht selten alle mit einem Mohrenkopf!
Walter Angst und sein Sonntagsschul-Team um 1960.

Selbstverständlich wurde man auch in den übrigen Gemeinden unseres Bezirkes auf den bekannten und begabten Wädenswiler Gemeindepfarrer aufmerksam, und es war deshalb kaum erstaunlich, dass ihn das Pfarrkapitel Horgen 1963 zu seinem Dekan wählte, in ein zusätzliches und verantwortungsvolles Amt, das er 21 Jahre lang mit Freude und Leidenschaft ausgeübt hat und für das er sicher in vielerlei Hinsicht geradezu prädestiniert war.
Von 1950 bis 1987 war Walter Angst Mitglied des reformierten Kirchenparlamentes, der Zürcher Kirchensynode, wo er mehrere Jahre auch die Positive Fraktion präsidierte. Noch heute erinnert sich der Zürcher Standesweibel fast ehrfürchtig an den stimmgewaltigen Wädenswiler Pfarrer, dessen Voten (übrigens immer frei vorgetragen und ohne Mikrofon!) man nicht nur im Ratssaal selber, sondern meist im ganzen Rathaus hören konnte.

«ES IST SO AN EINER FRAU GRUSAM VIEL GELEGEN ... »

«Es ist so an einer Frau grusam viel gelegen, man glaubt es nicht!» Was schon Jeremias Gotthelf, ebenfalls vielbeschäftigter Pfarrer und Dichter aus Lützelflüh, in seinem Roman «Die Käserei in der Vehfreude» festgestellt hat, das durfte in reichem Masse auch Walter Angst erfahren. Bereits als Gymnasiast hatte er die Pfarrerstochter Magdalena Debrunner kennen gelernt und sich 1945 mit ihr verheiratet. Das grosse Pfarrhaus an der Schönenbergstrasse wurde im Laufe der Jahre mit drei Söhnen und zwei Töchtern belebt. Mägdi Angst hat in all den gemeinsamen Jahren die Freuden und Aufgaben des Pfarramtes miterlebt und mitgetragen. Über sie schreibt Kurt Rohr: «Das grosse Arbeitspensum hat Walter Angst nur bewältigen können, weil ihm seine Gattin als treue Weggefährtin und tüchtige Pfarrfrau zur Seite stand. Sie war die Seele des Pfarrhauses. Wie viele mögen hier Trost und Hilfe empfangen haben.»

PARTIR, C'EST MOURIR UN PEU

Dass Abschied nehmen immer auch ein wenig sterben bedeutet, diese schmerzliche Erfahrung musste auch Walter Angst machen. Der so vielseitig Tätige, der so gerne dominierte, in der Kirche, im Pfarrkapitel, in der Synode, in der Schulstube«, im Freundeskreis − für ihn war der altersbedingte Rücktritt vom Pfarramt und von all den damit verbundenen Pflichten und Aufgaben schmerzlich und nur schwer verkraftbar. Für alle, die ihn kannten und schätzten oder gar das Glück hatten, ihm privat, beruflich oder freundschaftlich nahe zu stehen, war es traurig, miterleben zu müssen, wie er infolge einer schweren Krankheit eine intensive Pflege im Altersheim in Anspruch nehmen musste, er, der sich in seiner aktiven Zeit so sehr für Fürsorge und Altersbetreuung eingesetzt hatte. Am 15. Dezember 1999 haben wir von ihm Abschied genommen in der Kirche, auf die er so stolz war und in der er über 40 Jahre gewirkt und gepredigt hat. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine markante Persönlichkeit, an einen lieben Freund und wertvollen Menschen, für den ohne Zweifel das Gleiche gelten dürfte, was Conrad Ferdinand Meyer am Schluss eines seiner schönsten Gedichte für sich gewünscht hat:
«Was geb ich, das dem Tod entflieht? − Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, ein kleines stilles Leuchten!»
 
Magdalena und Walter Angst.




Andreas Ganz