Marroni-Toni in Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1992 von Peter Ziegler

Seit 110 Jahren gehört der Marroni-Toni zum herbstlichen und winterlichen Wädenswil. Der Toni und sein Stand am Plätzli zählen zum vertrauten Dorfbild. Eigentlich heisst der sympathische Marronibrater aus Semione im Bleniotal Togni. Das ist sein Familienname. Aber in Wädenswil nennt man ihn seit Generationen «Toni». Man hat wohl ursprünglich den italienischen Geschlechtsnamen falsch verstanden. Aber was soll’s: Toni klingt vertrauter, persönlicher.

Giacomo Togni

Im Register der Schweizer Aufenthalter, das unter der Signatur IV B 98.15 im Stadtarchiv Wädenswil aufbewahrt wird, findet sich der erste Vermerk über die Ankunft des 1841 geborenen Kastanienbraters Giacomo Togni aus Semione unter dem Datum vom 30. November 1882. Die Reise aus dem Süden an den Zürichsee muss damals ziemlich beschwerlich gewesen sein. Ob sie zu Fuss über den Lukmanier oder über den Gotthard führte, ist nicht belegt. Die in diesem Jahr eröffnete Gotthardbahn wird der Kastanienbrater aus finanziellen Gründen kaum benützt haben. Der 1868 geborene Sohn Celestino begleitete den Vater. Ein in der Familie aufbewahrtes rundes Holzgeschirr mit eingekerbter Jahrzahl 1880 ist noch Zeuge aus den Anfangsjahren. Mit im schöpfte man die Marroni aus dem Sack und nach dem Einschneiden in die Bratpfanne.
Während 23 Jahren, bis zum Winter 1905/06, kam Giacomo Togni nach Wädenswil, um durch den Verkauf seiner gebratenen Marroni das bescheidene Einkommen aus dem Landwirtschaftsbetrieb zum Unterhalt der Familie etwas aufzubessern. Seinen Standort hatte er beim «Engel», wo er sich einer für heutige Verhältnisse recht primitiven Bratstelle bediente.

1882 kam Giacomo Togni erstmals nach Wädenswil.





Eingekerbte Jahreszahl auf dem Boden des Holzgeschirrs.

1886 weilte Vater Giacomo mit dem 1873 geborenen Sohn Pietro in Wädenswil, vom 20. Dezember 1900 bis Ende Februar 1901 mit Pietro und Antonio. Der 1883 geborene Antonio Togni kam 1905/06 allein als Kastanienbrater nach Wädenswil, und 1906/07 begleitete ihn der auch aus Semione stammende Kastanienbrater Mario Scheggio.

Tranquillo Togni Vater

Tranquillo Togni, der 1867 geborene Sohn des Begründers der Marroni-Togni Tradition, erhielt erstmals am 10. November 1907 die vorübergehende Aufenthaltsbewilligung in Wädenswil. Seinen Stand hatte er 1910/11 beim Restaurant zur Post (1931 abgebrochen), 1912 und 1913 beim «Central». Ab 13. Oktober 1914 verkaufte Giuseppe Togni (*1888) gebratene Marroni beim «Merkur». Er blieb aber nicht lange am Zürichsee. Schon am 16. November meldete er sich wieder ab. Vielleicht zwang ihn indirekt der Erste Weltkrieg zur Rückkehr ins Bleniotal.
In den Kriegsjahren 1915 bis 1918 kam der Marroni-Toni nicht nach Wädenswil. In Zeiten von Teuerung und Rationierung hätte er es hier mit dem Absatz wohl sowieso schwer gehabt. Am 16. Oktober 1919 aber erschien Tranquillo Togni wieder und blieb bis zum 5. Januar 1920. Über die Weihnachtszeit weilte auch sein gleichnamiger Sohn (*1901) in Wädenswil und half dem Vater am Stand beim Restaurant zur Post.

Tranquillo Togni Vater, Marronibrater in zweiter Generation.

Der Stand: Nach den Erinnerungen des Enkels soll es ein grün gestrichenes Hüttchen gewesen sein, von einer Petrollampe erhellt. Grossvater Tranquillo Togni soll darin neben gebratenen Kastanien auch andere begehrte Früchte aus dem Süden verkauft haben.Die bärtige Gestalt von Tranquillo Togni war den Wädenswilern zum Begriff geworden. Kein Wunder, dass es hier viele Bekannte hatte und darum später, als schon sein gleichnamiger Sohn die Marronibraterei betrieb, beinahe jedes Jahr einen Abstecher an den Zürichsee machte.

Tranquillo Togni Sohn

Tranquillo Togni Sohn, Vertreter der dritten Generation, erschien damals am 15. Oktober 1928 in Wädenswil. Während 38 Jahren kam er dann jeden Herbst und knüpfte durch sein offenes Wesen zahlreiche Freundschaften, die ein Leben lang andauerten. Allabendlich entzündete er – nun auf dem Postplatz – sein Petrollämpchen. Nur während der Zeit des Zweiten Weltkriegs musste es einer Karbidlampe weichen. Bis gegen Ende der sechziger Jahre versah die Petrollampe ihren Dienst. Dann wurde der Anschluss an die Elektrizitätsversorgung möglich.
1941 ersetzte Tranquillo Togni das alte, baufällige grüne Häuschen durch ein grösseres, komfortableres braunes aus Holz, das gleiche, das heute noch von Sohn Lino benützt wird. «Früher, ja da war der Postplatz noch das Zentrum von Wädenswil», ereiferte sich Lino Togni am 22. Dezember 1981 in einem Interview im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee». Damals, in den dreissiger bis fünfziger Jahren, traf man sich auf dem Postplatz und tauschte die neusten Nachrichten aus. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, was natürlich auch für den Marroni-Toni positiv ausfiel.


Tranquillo Togni Sohn, Marronibrater in dritter Generation.

1941 erschien Tranquillo Togni Sohn erstmals mit einem neuen Verkaufsstand auf dem Plätzli. Aufnahme aus den frühen 1940er Jahren. Im Hintergrund rechts Häuser am Plätzli, links «Rosenegg» und «Pilgerhof», abgebrochen 1952.

Lino Togni

Als Tranquillo Togni merkte, dass die Arbeit in Wädenswil für ihn immer schwerer wurde, nahm er seinen Sohn Lino mit und liess ihn vorerst für einige Tage, dann für einige Wochen allein, um in anzugewöhnen. 1966 schien der Augenblick gekommen, der vierten Generation Platz zu machen. Lino Togni ist stolz, die gute alte Tradition seiner Familie weiterführen zu können, auch wenn das lange Fortbleiben von zu Hause nicht immer einfach ist. Während seiner Abwesenheit wird das kleine Bauerngut in Semione von seiner Frau Lucia bewirtschaftet, die dann gewaltige Mehrarbeit leistet.
Die auf dem eigenen Boden wachsenden Marroni eignen sich schon lange nicht mehr zum Verkauf. «Früher, da war das noch anders», berichtet Lino Togni 1981, «da mussten wir Kinder noch Marroni einsammeln, die dann mit der Bahn nach Wädenswil spediert wurden, wo sie der Vater im Güterschuppen abholte.» Schon Linos Vater musste teilweise Marroni aus Italien importieren; Früchte aus dem Piemont brät auch Lino selbst.

Lino Togni, Marronibrater in vierter Generation.

Franco Togni: Die fünfte Generation

Im Oktober 1983 stand der 14jährige Sohn Franco, als Vertreter der fünften Generation, seinem Vater im Marronistand am Plätzli erstmals tatkräftig zur Seite, was der «Allgemeine Anzeiger am Zürichsee» am 2. November 1983 in seinem Beitrag würdigte. Dabei erwähnte Vater Lino Togni etwas traurig den schlechten Geschäftsgang im Winter 1982/83. Der Umsatz gehe von Jahr zu Jahr zurück. Er führte dies auf den Standort am Plätzli zurück, wo früher Leben pulsierte und nun vor allem am Abend und am Wochenende alles ziemlich ausgestorben; nach Arbeitsschluss rollen viele mit dem Auto vorbei.
Im Winter 1989/90 machte der Marroni-Toni einen Versuch mit einem neuen Standort. Während der Vater Lino Togni seinen Stand am Plätzli hatte, führte der Sohn Franco eine Filiale bei der Gärtnerei Schulthess an der Oberdorfstrasse. Der erhoffte grosse Erfolg blieb leider aus. Seither ist Marroni-Toni – mit seinem zum Beispiel um Honig und Spanisch-Nüssli erweiterten Sortiment – wie Generationen vorher wieder ausschliesslich am Plätzli anzutreffen.

Im Winter 1989/90 führte Franco Togni eine Marroni-Togni Filiale bei der Gärtnerei Schulthess an der Oberdorfstrasse.

Vater Lino und Sohn Franco Togni im Verkaufsstand am Plätzli. Nebst gebratenen Marroni werden auch Spanische Nüsse, Honig und Getränke zum Kauf angeboten.

Sieben bis acht Monate im Jahr wohnt Lino Togni mit seiner Frau Lucia auf der Alp des Monte Ca Và auf 1500 Metern Höhe. Die mit Steinplatten gedeckte Alphütte ist ohne fliessend Wasser und ohne elektrischen Strom, äusserst einfach eingerichtet und nur auf den ersten Blick romantisch. Das Leben hier oben ist hart. Alles muss auf dem Rücken hinaufgetragen werden.

Die Hütte der Familie Togni auf der Alp des Monte Ca Và ob Semione. Lino und Lucia Togni mit Sohn Franco und dessen Freundin.

In Wädenswil ist die Lage für Toni schlechter geworden als früher. Unkosten für Zimmer, Lager und Essen sind gestiegen, die Abendverkäufe sehr zurückgegangen. Dennoch kommt Lino Togni und Sohn Franco immer gerne nach Wädenswil. An den Wädenswilerinnen und Wädenswilern liegt es, auch die vierte und fünfte Generation der Marronibraterfamilie aus Semione im Tessin zu unterstützen. Und dies nicht nur am Marroni-Fäscht, wie es der Verkehrsverein Wädenswil am 24. Oktober 1992 auf dem Plätzli organisiert hat, sondern auch in den kommenden Wochen und hoffentlich noch im Herbst und Winter mancher Jahre!




Peter Ziegler