50 JAHRE SCHWERHÖRIGENVEREIN WÄDENSWIL - RICHTERSWIL

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1994 von Peter Ziegler

Vor fünfzig Jahren traten gleichgesinnte Frauen und Männer von Wädenswil und Richterswil zusammen, um einen Schwerhörigenverein zu gründen. Zusammengeführt hatte sie ihr persönliches Schicksal: Das gleiche Leiden brachte gleiche oder ähnliche Probleme, die gemeinsam besser bewältigt werden konnten.
Auf privater Basis organisierte eine Gruppe Schwerhöriger am 24. Mai 1944 im grossen Saal des Kirchgemeindehauses «Rosenmatt» in Wädenswil einen Absehkurs. Als kompetente Referentin konnte dafür Frau Dr. E. Bollag aus Zürich gewonnen werden, die einen aufklärenden Vortrag über «Zeitgemässe Schwerhörigen-Fürsorge» hielt und anschliessend einen Absehkurs von Schwerhörigen vorführte.
Die Einladung stiess auf Interesse: Über achtzig Personen, die meisten schwerhörig, folgten dem Aufruf der Initianten. Ein Teilnehmer beschreibt die Eindrücke von jenem Abend mit folgenden Worten:
«Als wir im Saal zusammenkamen, befand sich die grosse Mehrzahl der Schwerhörigen im ungewissen, was kommen sollte. Im Laufe jenes Abends, durch den Vortrag von Frau Dr. Bollag und insbesondere durch die Vorführung des damals eben zu Ende geführten Abseh-Kurses, ging für den stillen Beobachter ein zunehmendes Leuchten aus den Augen und über die Gesichter aller anwesenden Schwerhörigen, welches ihr inneres Bewegtsein und Erlebnis offenbarte. Und wenn wir in deren Seele hätten lesen können, so hätten wir bestimmt ausser einer grossen inneren Entspannung und zunehmenden Freude die Hoffnung auf eine bessere Zukunft festgestellt.» Der Wunsch der Schwerhörigen nach einem Zusammenschluss war am Abend des 24. Mai 1944 deutlich zum Ausdruck gekommen: Auftrag für die Initianten, alles für die Vereinsgründung vorzubereiten.
Auf Sonntagnachmittag, 12. November 1944, erfolgte die Einladung ins Kirchgemeindehaus «Rosenmatt» zur Gründung des «Schwerhörigenvereins Wädenswil-Richterswil und Umgebung». Der Aufmarsch war erfreulich gross. 68 Schwerhörige meldeten sich als Mitglieder, dazu kamen 29 Passivmitglieder. Nach der Gründung erfolgte die Wahl des ersten Vereinsvorstands. Er setzte sich zusammen aus alt Gemeindepräsident Ernst Felber als Präsident, den Frauen Maspero, Rellstab, Ringger und Stiefenhofer sowie Herrn Stiefel. Auf dem Programm stand dann ein Vortrag von Absehlehrer H. Petersen in Zürich über «Erlebnisse mit Schwerhörigen». Anschliessend zeigte Walter Torgier, Zürich, seinen Film «Aus dem Leben der Schwerhörigen». Musikalische und gesangliche Darbietungen unter der Leitung von Organist Friedrich Joss umrahmten die Veranstaltung. Der Kassier freute sich besonders über den Gründungsbeitrag von 200 Franken, den er vom «Bund Schweizerischer Schwerhörigenvereine» entgegennehmen durfte. Da die Gründungsversammlung während des Zweiten Weltkrieges stattfand und in der Schweiz die Lebensmittel rationiert waren, musste für den im Kirchgemeindehaus servierten Imbiss ein Mahlzeiten-Coupon abgegeben werden.
Gründungspräsident Ernst Felber leitete den Verein bis 1954. Auf ihn folgte von 1954 bis 1960 Pfarrer Reinhard Zimmermann, von 1960 bis 1965 Sekundarlehrer Emil Rellstab und von 1965 bis 1976 Rudolf Hottinger. Die Zahl der Aktivmitglieder, 68 bei der Gründung im November 1944, sank kontinuierlich und erreichte 1976 mit 27 einen Tiefststand. Unter dem Präsidium von Sigrist Alfred Bodmer (1976 bis 1980) und von Erwin Messmer, der seit 1980 an der Spitze des «Schwerhörigenvereins Wädenswil-Richterswil und Umgebung» steht, stieg die Mitgliederzahl dank Werbeaktionen und ausgezeichnet geführter Kurse wieder auf über 90 an. Dazu kommen gegenwärtig rund 120 Gönnermitglieder. Zusammen mit Behörden, Kirchgemeinden und Firmen ermöglichen diese mit ihren oft namhaften finanziellen Beiträgen, dass der Verein vielfältige Leistungen erbringen kann, welche den Hörbehinderten zugute kommen und von den Aktivmitgliedern allein nie in diesem Umfang realisiert werden könnten.
Über fünfzig Jahre hinweg hat der Schwerhörigenverein viel geleistet. Von Anfang an standen die von bewährten Lehrkräften erteilten Absehkurse im Zentrum. Neuerdings werden jährlich zehn Kurse für Verständigungstraining durchgeführt. Periodisch finden sodann Einführungskurse für Hörgeräteträger statt.
Neben den Kursen pflegt der Verein die Gemeinschaft unter den Schwerhörigen. Im Rahmen eines monatlichen Belehrungs- und Unterhaltungsabends werden Vorträge zu Problemen der Schwerhörigkeit gehalten sowie Lieder- und Musikdarbietungen organisiert. Im Laufe der Zeit wurde das Angebot für die Mitglieder erweitert. Heute finden auch Wanderungen, Ausflüge, Schiffahrten, Spielnachmittage und Unterhaltungsabende statt. Höhepunkte des Vereinslebens sind jeweils die Weihnachtsfeier, die Vereinsreise und die Zusammenkunft mit dem Nachbarverein Horgen-Thalwil. Besonders eindrücklich waren die Delegiertenversammlungen, welche der «Bund Schweizerischer Schwerhörigenvereine» 1971 in Wädenswil und 1991 auf der Halbinsel Au durchführte, und die von gegen zweihundert Delegierten und Gästen aus der Deutschschweiz besucht waren.
Im weiteren fördert der Verein Massnahmen, welche das Los der Schwerhörigen erleichtern. Im Kontakt mit Stadt-, Gemeinde- und Kirchenbehörden bemüht er sich, den Einbau von induktiven Höranlagen voranzutreiben. Eine stattliche Zahl solcher Anlagen in Kirchen, Spitälern, Heimen und anderen öffentlichen Gebäuden im Vereinsgebiet beweist den Erfolg dieser Anstrengungen.

 


Peter Ziegler



(Nach der Festschrift «50 Jahre Schwerhörigenverein Wädenswil-Richterswil und Umgebung, 1944 bis 1994», Wädenswil 1994.)