Bedeutende Wädenswilerinnen

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991 von Marlies Bayer-Ciprian

Anna Schnyder-Blattmann, 1844−1924, zum Morgenstern

Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, als sich Pestalozzis Ideen, aber genauso andere, sozial ausgerichtete Vorstellungen in höheren Kreisen langsam, aber sicher Gehör zu verschaffen begannen, haben immer wieder vor allem Frauen der ganzen Sache eine praktische Richtung geben können. Wenn jedenfalls ein Herr Engels in den englischen Industriestädten mit Entsetzen vom grossen Arbeiterelend Kenntnis nahm, so hatte davon noch lange niemand gegessen! Frauen, Bürgersfrauen, Fabrikantengattinnen kannten solches Leben aus ihrem persönlichen Kontakt mit den Arbeiterfrauen. Beim Überreichen der Weihnachtsgaben, bei Krankenbesuchen lernten diese Frauen die engen Löcher kennen, mit ihrer ungenügenden Heizung, ihrer Dürftigkeit, ihren muffigen Gerüchen. Sie wussten, worum es ging. Windeln, abgetragene Kleidung, Obst, Gemüse! Erst einmal wird geschenkt! Leider wird mit solcher Freude auch immer Eifersucht und Neid geschenkt. Ja, wer hat die Gaben nötiger? Familie Huber mit fünf Kindern oder Witwe Hügli, die zwar nur zwei Kinder, dafür aber eben keinen Mann mehr hat, der mitverdienen könnte? Wer entscheidet? Zudem sind ja mit solchen Gaben die kleinen Kinder der Familien noch lange nicht betreut! Dieser Aufgabe haben sich hier bei uns einige Frauen miteinander angenommen.
Anna Schnyder-Blattmann, 1844−1924.
Damit wollten sie zweierlei erreichen: Die Kleinen sollten während des Tages, während der Fabrikarbeit ihrer Eltern, in guter Obhut betreut werden. Immerhin sind sie die Zukunft jeder Gemeinde. Zudem sollte aber auch all den gezwungenermassen berufstätigen Müttern die dauernde Sorge um Aufsicht und Betreuung ihrer Kleinsten abgenommen werden, ihnen vielleicht auch das immer vorhandene schlechte Gewissen erleichtert werden, das eine Mutter eben doch stets plagt, wenn sie genau weiss, dass zu Hause ein Kleines wartet, das sie brauchte, aber auch die übrige Familie auf ihren kleinen und doch so wichtigen Verdienst angewiesen ist. Wie manche dieser Frauen versuchte durch Putzarbeiten in vornehmen Häusern nach der Fabrikarbeit das Familienbudget nochmals ein wenig aufzustocken! Die Voraussetzungen zur ersten Idee der Einrichtung einer öffentlichen Kinderkrippe waren zur Genüge gegeben. Säuglinge im Alter von sechs (!) Wochen und Kleinkinder bis zu vier Jahren sollten Aufnahme und Betreuung finden.
Bald wurde das Grüpplein dieser Idealistinnen von weiteren Kreisen unterstützt. Unter dem Präsidium von Fanny Steinfels-Stäubli standen nebst vielen weiteren Frauen wiederum Elise Rellstab zur Verfügung, wie auch eine Nichte Johanna Spyris, Meta Regina Gessner-Heusser, deren Mann die Villa im Rosenmattpark erbauen liess. Die vierzig Rappen Kosten pro Kind und Tag wurden täglich für den entsprechenden Betreuungstag mitgebracht. Der kleine Pflegling wurde dafür umfassend umsorgt: Vom Waschen, Kämmen über frische Kleidung bis zu den regelmässigen Mahlzeiten und Spaziergängen stand alles für die Kleinen zur Verfügung. Um 1900 wurden 26 Kinder betreut. Nachdem die Kinderkrippe zunächst an der Stegstrasse in von der Familie Gessner-Heusser zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten untergebracht war, hätte sie schon bald einmal für 40 Kinder Platz bieten sollen. Leider hatte der Vorstand des Vereins nicht die Möglichkeit, sich nach einer neuen Liegenschaft umzusehen: eigene Mittel zum Bau oder Kauf eines passenden Gebäudes waren einfach nicht vorhanden. Wie auch? Das Essen, die Kinderkleidchen, Betreuung, Heizung im Winter, all das war mit Kosten verbunden. Von den Eltern durfte man wirklich nur gerade den allernötigsten Beitrag erheben, damit diese Einrichtung zugunsten der Arbeiterfrauen nicht ihren Zweck verfehlte!
Im Vorstand allerdings befand sich auch Frau Anna Schnyder-Blattmann, aus dem Haus Morgenstern an der Luftstrasse. Ihr Mann hat aus der Rosshaarspinnerei an der Luftstrasse eine grössere Fabrik an der Einsiedlerstrasse aufgebaut, die heutige Bettzeugfabrik J. Schnyder AG. Diese Frau nun hat die Initiative ergriffen und gegenüber der Katholischen Kirche an der Etzelstrasse ein neues Krippenhaus bauen lassen. Für nur drei Prozent Zins überliess sie sodann dieses Gebäude dem Krippenverein. Für die Inneneinrichtung kam Geld anlässlich einer Kinder-Theater-Aufführung zusammen. Dieses 1906 bezogene Haus, das nun Platz für alle angemeldeten Kinder bot, konnte der Krippenverein 1911 zu einem stark reduzierten Preis käuflich erwerben.
Kinderkrippe an der Stegstrasse in Wädenswil, eröffnet 1898.




Marlies Bayer-Ciprian