Kochen war seine Leidenschaft

Zum Gedenken an Paul Wannenwetsch (1911-1997), Restaurant Eichmühle

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1997 von Josua Dürst

«Es war so gut, es hätte besser nicht sein können. Wir danken von ganzem Herzen.» Diese Zeilen schrieb Heinrich Prinz von Hannover nach dem Genuss seines Konfirmationsessens im Restaurant «Eichmühle». Ähnliche Sätze finden sich in den Gästebüchern des renommierten, etwas versteckt ob Wädenswil gelegenen Hauses a discretion. Sie gelten dem grossen Wädenswiler Koch und Gastronomen Paul Wannenwetsch, der fast 86-jährig am Mittwoch, 26. März 1997, nach der Abdankung in der reformierten Kirche in Wädenswil zu Grabe getragen wurde.
Bei seinen Grosseltern aufgewachsen, absolvierte Paul Wannenwetsch in Wädenswil eine Konditorlehre, auf die bestimmt seine grosse Vorliebe für Süsses zurückging (und welcher spätere «Eichmüli»-Gast erinnert sich nicht mit Begeisterung des verführerischen Dessertwagens?). Doch bis dahin war der Weg lang, denn, Spitzenkoch wird man nicht mit am Herd Herumplauschen, sondern nur mit sehr harter Arbeit und viel Selbstdisziplin. Dass dabei eine Prise Talent nichts schadet, versteht sich. Als erster hatte das Talent von «Wanni», wie der Kochkünstler von Freunden und Bekannten bald genannt wurde, Charles Winz von den «Trois Couronnes» in Vevey entdeckt. Die weiteren Wanderjahre führten nach Paris ins «Ritz» und nach Marseille, und schliesslich fasste der junge Paul Wannenwetsch im «Rössli» in Balsthal richtig Fuss.
Paul Wannenwetsch (1911–1997).

«Das ,Rössli' war eine gehobene Dorfbeiz mit Säli, Wirtschaft und Stammtisch und allem, was dazu gehört», erzählt Bertha Wannenwetsch-Bühler, die ihrem Gatten jahrzehntelang rechte Hand war. Sie kennt natürlich die unzähligen hübschen Anekdoten, die sich um «ihren» Paul ranken, der nicht nur ein manchmal etwas bärbeissig wirkender Koch, sondern ein witziger, herzlicher und gütiger, manchmal auch etwas schlitzohriger, dabei aber niemals bösartiger Mensch war. So machte er sich in Balsthal jeweils ein Vergnügen draus, wenn Direktoren der Von Roll bei ihm dinierten, dem Clochard «Passwang-Louis» den Tisch persönlich zu decken und sich ganz besonders um dessen Wohlergehen zu kümmern: Essen und Trinken war für das Original natürlich gratis, und zum Schluss gab's noch einen Fünfliber als Weggeld.
Der Start auf der «Eichmühle», die «Wanni» von seiner Tante Louise Brändli 1964 käuflich erworben hatte, war alles andere als einfach, musste man doch das alte und verbrauchte Haus stilgerecht umbauen, was ein rundes halbes Jahr dauerte. Und wie sollten nun die Gourmets den Weg in die etwas abgelegene «Eichmüli» finden? Wannenwetschs luden die Concierges des «Baur au Lac» und des Grand-Hotels «Dolder» zum Essen ein, gaben ihnen ein «gehaltvolles» Kuvert und «Eichmühle»-Visitenkarten auf den Rückweg mit, und wenn nun ein Gast der noblen Zürcher Stadthotels wünschte, auf dem Land fein zu speisen, drückten ihm die Männer mit dem goldenen Schlüssel auf dem Rockkragen die gute Wädenswiler Adresse in die Hand. So geschehen mit dem Schah von Persien, der auf der Fahrt zum Skifahren im Bündnerland immer wieder Einkehr hielt bei «Wannis». Bertha Wannenwetsch erinnert sich übrigens noch sehr gut an den Eröffnungstag in der «Eichmüli»: Auf Werbung hatte man verzichtet. Sie selber und eine Serviertochter hatten schön aufgedeckt, Paul musste die Frauen trösten: «Es kommt dann schon jemand», habe er gesagt. Und tatsächlich: Ein Paar kam und schaute sich die Speisekarte an: «Ist denn der Fisch wirklich frisch, und das Entrecote zart?» wollten die Gäste von «Wanni» wissen, der sich persönlich bemühte. Als ihn die nörgelnden Fragen immer mehr ärgerten, sagte er zu den – ersten und einzigen – Gästen: «Wissen Sie was, gehen Sie besser an einen andern Ort essen.» Zurück blieben eine leere Gaststube und zwei weinende Frauen.
«Sein Traum war schon sehr früh – inspiriert von der französischen Küche und der französischen Esskultur –, ein Restaurant zu führen, das täglich nur ein einziges Supermenü anbietet», erzählt Bertha Wannenwetsch. «Das ging aber aus finanziellen Gründen damals bei uns nicht, auch weil sich die Schweizer Gäste das nicht gewohnt waren.» Paul Wannenwetsch war einer jener ersten grossen Köche in der Schweiz, die eine marktfrische und damit saisongerechte Küche nur mit besten Zutaten pflegten, lange bevor der Modebegriff der Nouvelle Cuisine Furore machte, auch wenn sich Paul Wannenwetsch zeitlebens als Anhänger der klassischen französischen Küche bezeichnete. So gehörten Kochbücher auch nach dem Eintritt in den Ruhestand im schmucken Haus neben der «Eichmühle» zur täglichen Lektüre, und immer wieder liess er sich auch als 80-jähriger in seiner natürlich profimässig eingerichteten privaten Küche von neuen Rezepten herausfordern. «Kochen war eben seine Leidenschaft», meint Frau Wannenwetsch, und damit hat sie zweifelsohne recht. Jahrzehntelang stand der eher klein gewachsene, zähe Mann um 6 Uhr früh in der Küche, ging vielfach darauf selber auf den Markt einkaufen, um um 8 Uhr zurück zu sein, denn «eine Küche muss laufen, wenn das Personal eintrifft», hatte sich der Meister, der nie einen zweiten Koch neben sich beschäftigt hatte, zur Maxime gemacht. Es versteht sich am Rand, dass er gegen Mitternacht auch der letzte war, der das Licht löschte. Nicht selten nahm er seine Lehrlinge mit auf den Markt und weihte sie in die Geheimnisse des Einkaufs ein. Überhaupt nahm er sich der Kochlehrlinge mit grossem Einsatz an, und Chefköche in der ganzen Schweiz und in der halben Welt erinnern sich an ihren Lehrmeister mit Begeisterung. Höhepunkte bildeten jeweils die Tagesbesprechungen zwischen Chef und Lehrlingen, zu denen es hie und da einen Schluck « Yvorne» zum Degustieren gab, der mit schöner Regelmässigkeit bereits leer getrunken war, bis «Wanni» sich zur Runde setzte. (Es gab natürlich einen zweiten ... )
Paul Wannenwetsch und sein Team in der Küche der Eichmühle.

Mit den andern Schweizer Spitzenköchen pflegte der Verstorbene engen Kontakt: Hans Stucki (Basel), Angelo Conti-Rossini (Brissago), Ernesto Schlegel (Bern), Felix Real (Vaduz), Adelrich Furrer (Spezialist der kalten Küche), Hardy Mathis (St. Moritz) und allen voran sein wohl bester Freund Paul Spuhler, 30 Jahre Chefkoch im Grand Hotel Dolder in Zürich. Auch da gibt es eine hübsche Geschichte: Ein Vertreter von Hügli-Fertigsaucen und -suppen hatte sich sozusagen in die «Eichmühle» verirrt. «Wanni» nahm sich Zeit, offerierte ein Glas Wein und erklärte (natürlich!), er brauche eigentlich nichts, «aber vom Spuhler im Dolder habe ich gehört, dass er dringend Hügli-Produkte braucht». Beglückt reiste der Hügli-Mann nach Zürich zu Paul Spuhler: «Herr Wannenwetsch hat gesagt, Sie brauchten dringend Ware von mir», was dem dermassen Gefoppten zwar nochmals ein Glas Wein, aber keine Bestellung eintrug, und die beiden grossen Köche hatten wieder etwas zum Lachen. Wannenwetschs und Spuhlers trafen sich regelmässig zum Picknick, was durchaus auch Fondue bedeuten konnte, das dann im Februar im Schnee stattfand, stilgerecht mit Tischli, Stühlen, Stoffservietten, den Weisswein und den Kirsch zum Kühlen im weissen Element. Diese Picknicks waren auch bei Spuhlers Kindern beliebt, die allerdings das Essen von «Onkel Wanni» dem ihres Vaters vorzogen. Paul Wannenwetsch selber ass am liebsten einfache Gerichte, viel Käse, und für den Genuss von Kretzern aus Bieler- oder Bodensee unternahm er mit seiner Gattin gerne einen Ausflug. Nicht zu vergessen: zum Abschluss etwas Süsses. Den Gästen – «er hat für sie gelebt», so Bertha Wannenwetsch – bereitete er sehr gern Fische und Krustentiere zu.
Der Bundesrat zu Besuch in der Eichmühle Wädenswil. Aufnahme um 1980/82. Von links in der vor­deren Reihe: Kurt Furgler, Pierre Aubert, Hans Hürlimann, Fritz Honegger, Paul Wannenwetsch, dahin­ter Willi Ritschard; Georges-Andre Chevallaz, Leon Schlumpf.

Der schweizerische Bundesrat auf seinem traditionellen «Schulreisli», Mireille Mathieu, die «mon ami Paul» jedesmal umarmte, der katalanische Maler Miro und der Zeichner Loriot – um nur einige zu nennen – gehörten neben echtem und dem Geldadel zu den regelmässigen Gästen der «Eichmühle». Sie wurden als Gäste geschätzt und verwöhnt, und sie waren für den Ruf des Hauses von Bedeutung. Gäste aus Wädenswil und Umgebung, über deren Besuch sie sich jedesmal freuten, wurden von Paul und Bertha Wannenwetsch genau gleich «bekocht» und mit derselben Liebenswürdigkeit bedient. Der Schreibende erinnert sich bestens daran, wie «Wanni» ein Lob mit einem verschmitzten «Oberguet – gäll!» quittierte – daneben war eines seiner (kulinarischen) Lieblingswörter «wunderbar». Unvergesslich auch, wie er nach der üblichen persönlichen Degustation eines Weins ganz kurz wie verschwörerisch den Zeigefinger über die offene Flasche kreisen liess: Untrügliches Zeichen dafür, dass der Tropfen sein Wohlgefallen fand.
Die höchste gastronomische Ehre, die Paul Wannenwetsch verliehen worden ist, war der Michelin-Stern. Darüber hat er sich – er war einer der ersten Schweizer überhaupt mit dieser Auszeichnung – riesig gefreut (mit andern Punktevergabungen hielt sich seine Freude in Grenzen, um es einmal so zu formulieren). Dem leidenschaftlichen Koch war das Gelingen, die Zufriedenheit des Gastes, das Erreichen seines kulinarischen Ziels, wie er es sich gesteckt hatte, jedoch viel wichtiger. Und das ist es wohl, was den Menschen und Meisterkoch Paul Wannenwetsch in der Erinnerung vieler weiterleben lässt.



Josua Dürst