Max Rüeger 29. April 1934 – 16. Mai 2009

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2009 von Heinz Lüthi

Nachruf von seinem Freund Heinz Lüthi

Der Verstorbene war wohl eine der eigenwilligsten Persönlichkeiten, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.
Den Leser mag dieses Urteil zunächst einmal erstaunen, denn fügte sich Max Rüeger nicht naht- und fugenlos ein in die zuschauerschmiegsame Radio- und Fernsehwelt der 1960er bis 1980er Jahre, wo er am Lautsprecher von Radio Beromünster, später Radio DRS 1 und am Bildschirm des Schweizer Fernsehens tagtäglich in den verschiedensten Sendungen hör- und sichtbar und vor allem beliebt war. Diese Beliebtheit in zahllosen Moderationen in den Sparten Sport, Unterhaltung, Reportage und selbst Politik bedarf einer Erklärung, denn sein prägnanter Seehundschnauz konnte wohl kaum der Grund sein, weshalb Hunderttausende seinen Ausführungen, Ansichten und manchmal präzis hingeworfenen leicht ironischen Nebenbemerkungen folgten. Nein, es war seine Gabe, dem Gesprächspartner zuzuhören, Unverstandenes zum Verstehen zu bringen und sich nicht klüger als der Durchschnitt seiner Hörer zu gebärden. Und immer schimmerte in seinen Sendungen durch, dass er Menschen – gleich welcher Bildung und Herkunft – gerne hatte. Auf dieser Klaviatur einer sehr menschlichen Kommunikation hat er während Jahrzehnten meisterhaft gespielt und diese Gabe hat ihn bis zur letzten Sendung «Persönlich» vom 28. Dezember des vergangenen Jahres nicht verlassen. Das war das eine.

Max Rüeger.

Die andere Seite seines Wesens ist schwieriger zu beschreiben. Max Rüeger hat sie nie ausgebreitet und in seinem Lebenslauf von letzter Hand auch nur knapp angedeutet: Einzelkind in einem gutbürgerlichen Elternhaus, der Vater so etwas wie eine lokale Grösse, Bankdirektor, Oberst, freisinniger Gemeinderat von Wädenswil. Da wurden gewiss Erwartungen in den einzigen Sohn gesetzt, die dieser weder erfüllen wollte noch konnte. Schon in seiner Wädenswiler Zeit kündigte sich da ein Bruch an. Max Rüeger entdeckte bald einmal seine Begabungen in der Welt der Unterhaltung. Er war aktiv tätig bei den Freunden des Volkstheaters, an den Unterhaltungsabenden der Kadetten, als Speaker an pferdesportlichen Veranstaltungen und einmal sogar als lebendiges Gespenst in der Geisterbahn des Schaustellers Häseli an der Wädenswiler Chilbi. Daneben besuchte er die Handelsschule in Zürich und bestand die Matura nur ganz knapp – beinahe bin ich versucht «begreiflicherweise» zu schreiben, denn man konnte mit Max über alles reden, aber nicht über Börsenkurse und wirtschaftliches Geschehen. Bei diesen Themen begann er bald einmal herzhaft zu gähnen.
Es war wohl nur folgerichtig, dass er sich um ein Volontariat bei Radio Zürich bemühte. 1956 wurde er festangestellt und war fortan eingespannt in eine mediale Maschinerie, die ihn beinahe total vereinnahmte. Glücklicherweise nur beinahe. In Max Rüeger steckten unglaublich viele Begabungen, von denen eine – für mich die bedeutendste – dem Medienschaffenden im Wege stand – und das war der Poet. Merkwürdig, so sicher sein Urteil über Literatur und Kleinkunst war, sich selber gegenüber war er sich über den Wert seiner Verse nicht im Klaren. Seine Chansons allerdings, an denen zweifelte er nicht, schliesslich hatten sie in zahlreichen Bühnenaufführungen ihre Feuertaufe bestanden, aber die Verse? «Ich weiss nöd rächt», sagte er noch kurz vor der Premiere seines Versbandes «Heb Sorg» im Theater am Hechtplatz zu mir, «weisch, es sind Losi-Vers, kei Läsi-Vers, ich weiss nöd rächt, ich hetts glaub gliich nöd sölle usegää, ich weiss es würkli nöd.» Das ist die andere Seite des populären und virtuosen Kommunikators. Allerdings fanden die Verse ihre Leser, mehr noch, für sein Werk erhielt er einen Literaturpreis des Kantons Zürich und so musste sich Rüeger gewissermassen durch Rüeger überzeugen lassen, dass seine Mundartarbeiten mehr als nur Tagesprodukte waren.
Ein halbes Jahr vor seinem Tod überreichte mir Max 21 Verse. «Das sind die letschte», sagte er, «und de Titel han i au: ‘Das wär’s’.» Er hatte keine Illusionen über seinen gesundheitlichen Zustand, aber er schien mit sich selbst im Reinen und zweifelte nicht am Wert seiner letzten Arbeiten – zu Recht, wie ich beim Lesen mit grosser Genugtuung und Freude feststellen durfte.
Wer ein Gefühl für Rhythmus und Wohlklang hat, kann dem Zauber der Verse Rüegers nicht entrinnen. Grundiert sind sie immer mit der Liebe und Achtung zu den Menschen, denen er in ihren helvetischen Verstrickungen nicht unkritisch begegnet und immer mit dem ihm eigenen verschmitzten Humor.
Ein einziges Mal erlaubte sich Max Rüeger ein Credo, das ihn als Menschen und Künstler leitete und folgerichtig den Titel seiner Verssammlung ergab:
 

Heb Sorg!

Heb Sorg zu jedem Jahr, wo chunnd.
Es lauft villicht nüd alles rund.
Es chönnt ja sii, mängs liit dr quer.
Und lache fallt dr öppe schwer.
Heb Sorg!
 
Heb Sorg zu jedem liebe Mänsch,
wo dich guet kännt, wo du guet kännsch.
Wo dich eso, wied bisch, vertreit,
und was er tänkt, au ehrlich seit.
Heb Sorg!
 
Heb Sorg zu jedem gseite Wort.
Bhalts ehner zrugg. Bruuchs nüd sofort.
Hau gschiider, nu wännt sicher bisch,
so richtig zümpftig uf de Tisch.
Heb Sorg!
 
Heb Sorg hingäge, das wär guet,
trotz allem zume bitzli Muet.
Pack e Idee, chuum häsch si ghaa,
au ohni Goldwaag eifach aa.
Heb Sorg!
 
Heb Sorg zu jedem Tag im Jahr.
Tänk nüd an Herbscht im Februar.
Freu di, wänn Freud chasch wiitergäh.
Lass dir au eigni Träum nüd näh.
Heb Sorg!
 




Heinz Lüthi


Heb Sorg. Verse, Lieder, Chansons
. Vorwort von Peter Zeindler. Altbergverlag, Richterswil 2004, ISBN 3-9521782-3-3
Das wär’s. Die letzten Verse. Vorwort von Heinz Lüthi. Altbergverlag, Richterswil 2009, ISBN 978-3-9521782-6-3