PROF. DR. ALBERT HAUSER (1914–2013)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2013 von Peter Ziegler

EINE WÜRDIGUNG SEINES SCHAFFENS

Im 100. Lebensjahr ist der bekannte Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Albert Hauser am 2. September 2013 gestorben. In seinem langen Leben hat er viele Standardwerke verfasst.
Albert Hauser, aus alteingesessenem Wädenswiler Geschlecht stammend, wurde am 21. August 1914 als Sohn des Fabrikanten Emil Hauser-Schwarzenbach geboren und wuchs zusammen mit den Geschwistern Emil, Hansruedi, Marianne und Vreni im Haus «Flora» in Wädenswil auf. Nach dem Besuch der Dorfschulen und der Mittelschule in Schiers studierte er in Zürich und Paris Geschichte und promovierte 1938 mit der Dissertation «Der Bockenkrieg. Ein Aufstand des Zürcher Landvolks im Jahre 1804». Anschliessend arbeitete er als Redaktor, als Sekretär der Zürcher FDP und als Geschäftsleiter grosser Wirtschaftsverbände. 1941 verheiratete er sich mit Trudi Rebsamen, wurde dann Vater von Regula und Peter und später mehrfacher Grossvater und Urgrossvater.
 

Prof. Dr. Albert Hauser als Dozent an der ETH Zürich.

HOCHSCHULLEHRER

Ab 1956 unterrichtete Albert Hauser als Privatdozent für Wirtschaftsgeschichte an der ETH in Zürich. 1965 wählte ihn der Bundesrat zum ausserordentlichen Professor und beförderte ihn 1970 zum Ordinarius für Geschichte und Soziologie der Land- und Forstwirtschaft. Diesen Lehrstuhl hatte er als geschätzter Dozent bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1979 inne. Ungezählt sind die Studierenden, die von Hausers vielseitigem Wissen, seinem Forschen mit originellen Ansätzen, von seinen fesselnden Vorlesungen, seinem Rat bei der Abfassung von Diplomarbeiten und Dissertationen profitieren konnten. Unter seiner Leitung entstanden bemerkenswerte Dissertationen, auch mit Themen zur Geschichte der Zürichsee-Gegend. Erinnert sei an die «Forstgeschichte des Höhronen» von Anton Schuler (1977) oder an Andres M. Altweggs Darstellung «Vom Weinbau am Zürichsee» (1979).

Seegfröörni 1963. Diese Bleistiftzeichnung entstand am 28. Februar 1963 auf dem zugefrorenen Zürichsee und wurde der Wädenswiler Schuljugend von der Primarschulpflege als Andenken überreicht.

DER PIONIER

Sozial-, Wirtschafts-, Alltags- und Mentalitätsgeschichte sind heute selbstverständliche Forschungsgebiete der Geschichtswissenschaft. Dies war nicht immer so. Politische Geschichte und Kriegsgeschichte prägten lange Zeit das Interesse der Historiker. Albert Hauser zählte seit den 1950er Jahren zu jenen, welche sich anderen Themen zuwandten: der Schweizer Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Aspekten des Alltagslebens in älterer und neuerer Zeit. Schon mit der Antrittsvorlesung von 1956, einer Quellenanalyse über die «Geschichte der Kinderarbeit in der Schweiz», betrat er Neuland. Damals erschien auch seine «Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil», mit neuen Ansätzen für die ortsgeschichtliche Forschung. 1961 folgte die bemerkenswerte Studie «Vom Essen und Trinken im alten Zürich», die drei Auflagen erlebte.

ERFORSCHER BÄUERLICHER WELT

Albert Hausers Lehrgebiet legte es nahe, dass er sich besonders häufig mit Fragen der Agrarwirtschaft im weitesten Sinne und mit dem bäuerlichen Alltag auseinander setzte. Früchte dieser Forschungstätigkeit sind die Bücher «Wald und Feld in der alten Schweiz» (1972), «Bauernregeln» (1973), «Bauerngärten der Schweiz» (1976), «Waldgeister und Holzfäller – Der Wald in der schweizerischen Volkssage» (1980) sowie «Glück im Haus. Ein immerwährender Kalender mit Lebensweisheiten, Rezepten und Sprüchen» (1982). Dazu kamen zahllose Aufsätze in Fachblättern. Zum Teil sind sie in der Festschrift «Mit Waldschritten gemessen» abgedruckt, welche Freunde von Albert Hauser 1984 zu dessen 70. Geburtstag herausgaben.

Furthof. Bleistiftzeichnung 1989.

DER VOLKSKUNDLER

Wer sich mit dem Alltag von einst und heute auseinandersetzt, hat sich auch mit Sitte und Brauchtum zu befassen. Von solcher Beschäftigung zeugen nicht nur die Bücher «Alte Volkskunst am Zürichsee» (1992) und «Grüezi und Adieu. Gruss und Umgangsformen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart» (1998), sondern auch eine grosse Zahl von Artikeln, die Albert Hauser für die «Zürichsee-Zeitung», für andere Zeitungen und für Zeitschriften geschrieben hat. Als Beispiele seien genannt: «Die Seebuben im sozialen Wandel» (1963), «Fest und Alltag des Zürchers im Wandel der Zeit» (1964), «Glanz und Elend des Jahrmarkts» (1969), «Alte und neue Weihnachtsbräuche» (1972), «Neujahrsgebäck der Zürcher Landschaft» (1974), «Zur Geschichte des Christbaums» (1975), «Samichlaus-Bräuche am Zürichsee» (1976), «Das Osterlachen» (1980), «Die Züribieterin» (1980), «Bäuerliches Brauchtum im alten Wädenswil» (1981).

VOM DETAIL ZUR GESAMTSCHAU

Wer minutiös dem Detail nachgespürt und zahlreiche Einzelstudien vorgelegt hat, ist legitimiert, Jahrhunderte überspannende Synthesen zu publizieren. Albert Hauser hat dies getan: zunächst in der 1961 veröffentlichten «Schweizerischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte», die noch immer als Standardwerk gilt. Nach der Emeritierung schuf er das grossformatige Werk «Was für ein Leben – Schweizer Alltag vom 15. bis 18. Jahrhundert» (1987). Hier werden all jene Aspekte greifbar, mit denen sich der Historiker seit Jahrzehnten beschäftigt hat. Dasselbe gilt für den 1989 erschienenen Nachfolgeband «Das Neue kommt – Schweizer Alltag im 19. Jahrhundert». Dass Albert Hauser auch heikle Themen nicht scheute, bewies er 1994 mit dem Buch «Von den letzten Dingen», das von Tod, Begräbnis und Friedhöfen in der Schweiz in der Zeit zwischen 1700 und 1990 handelt.

EHRUNGEN

Vorträge und Publikationen machten Albert Hauser über die Schweiz hinaus bekannt. 1993 ehrte ihn die Johann-Wolfgang-Goethe-Stiftung mit dem Oberrheinischen Kulturpreis. Sie zeichnete damit gemäss Laudatio «den Erforscher und Darsteller der Geschichte der schweizerischen Land- und Forstwirtschaft aus und würdigte seine grossen Verdienste auf dem Gebiete der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie um die Volkskunde seiner Heimat». 1994 wurde Albert Hauser korrespondierendes Mitglied des Forschungsinstitutes zur Geschichte des Alpenraums. 2005 verlieh ihm die Historische Gesellschaft Wädenswil die Ehrenmitgliedschaft und würdigte damit seinen vielseitigen Einsatz für Wädenswil.

Engel-Haabe. Federzeichnung 2001.

EINSATZ FÜR WÄDENSWIL

Auch in Wädenswil hat sich Albert Hauser vielseitig engagiert. Er präsidierte die Natur- und Heimatschutzkommission, die Stiftung zur Erhaltung der Burg Alt-Wädenswil, die Sparcassa 1816, und massgeblich war sein Einfluss bei der Konzeption des 1970 eröffneten Ortsmuseums «Zur Hohlen Eich». Er verfasste zudem wichtige Publikationen zur Wädenswiler Geschichte. Neben dem Standardwerk, der Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil (1956) schrieb er die Firmengeschichten der Brauerei Wädenswil (1951), der Stärkefabrik Blattmann (1956, 1981) und der Tuchfabrik Pfenninger (1957). Dazu kamen die Schrift «100 Jahre Handwerker- und Gewerbeverein Wädenswil 1855–1955» (1955), die Jubiläumsschrift «Sparkasse Wädenswil-Richterswil-Knonaueramt 1816–1991» (1991), die Publikation «Halbinsel Au – ein Glücksfall» (1991) und verschiedene Aufsätze in den Jahrbüchern der Stadt Wädenswil.
Das Engagement ging aber über Wädenswil hinaus. Denn Albert Hauser engagierte sich auch als Präsident von «Zürichsee Landschaftsschutz», als Mitglied der kantonalen Denkmalpflegekommission sowie als Präsident der Eidgenössischen Expertenkommission für Berggebiete.



Zwei Knaben. Bleistiftzeichnung 2002.

Schlafzimmer im Ortsmuseum "Zur hohlen Eich".

MUSIKER UND KOCH

Freunde und Bekannte wussten von Albert Hausers weiteren Talenten: von seinem musikalischen Können – er spielte Spinett – und von seinen Kochkünsten. Bis ins hohe Alter war Albert Hauser aktiv. Ende 2001 erschien im Th. Gut Verlag ein weiteres Buch von ihm: «Gebts uber tisch warm für gest». Es ist das Kochbuch von Kaspar Jodok Stockalper aus dem Jahre 1581, das er zusammen mit seiner Enkelin, der Historikerin Sara Galle, ediert und kommentiert hat. Über 60 Rezepte sind mit den nötigen Angaben versehen und für den heutigen Gebrauch adaptiert worden. Eine Fundgrube für Lesende wie für Kochende!



Häxe-Täli. Bleistiftzeichnung 2004.

DER MALER

Bereits der Schüler und Gymnasiast Hauser war von der Malerei fasziniert. In den 1950er Jahren vervollkommnete er seine Freizeitbeschäftigung beim Mentor und Lehrer Paul Bodmer (1886–1983). Seither entstanden Hunderte von Blättern – Landschaften, Leute und Tiere – in den Techniken Bleistift, Kohle, Rötel, Kreide, Feder, Aquarell, Deckfarbe, Pastell, Öl. Einen Querschnitt durch sein künstlerisches Schaffen zeigt das Buch «Land und Leute am Zürichsee», das der Th. Gut Verlag in Stäfa 1994 zum 80. Geburtstag von Albert Hauser veröffentlicht hat. Auch in verschiedenen Ausstellungen konnten seine Werke besichtigt werden. Den Erlös aus Verkäufen stellte er grosszügig gemeinnützigen und kulturellen Organisationen zur Verfügung.

Albert Hauser im Gespräch mit Sekundarlehrer Andreas Ganz, 1995.

IM EIGENEN WORT

Abschliessend soll Albert Hauser noch selber zu Wort kommen:
«Vielleicht ist das Bild, das wir auf Grund unserer Akten entwarfen, weniger schön, weniger ideal, als manche es erwarteten. Es gibt da viele dunkle Stellen, die nicht übersehen werden können. Man erinnere sich etwa an die einst fast unbezähmbare Streitlust, den Hass, die erst spät entwickelte soziale Einsicht und Rücksicht. Aber sind nicht die Menschen, die uns mit ihrem Kummer, ihren Ängsten, ihrer Hoffnung und Liebe begegneten, anziehender und wahrer als jene Idealfiguren, jene ‚tapferen und makellosen Vorfahren’, denen wir unsere Bewunderung hätten schenken sollen? Ist es nicht tröstlich zu sehen, was sie trotz allen Fehlern und menschlichen Unzulänglichkeiten wagten und vollbrachten?»
(Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte der Gemeinde Wädenswil, 1956, Schlusswort)

«Wir sind immer in Gefahr, das Leben unserer Vorfahren mit unseren heutigen Augen zu betrachten. Nun sind die ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen völlig anderer Art. Es gilt deshalb, die Welt mit ihren Augen zu sehen. ... Uns interessieren die Zeugen der vergangenen Welt, die Aufzeichnungen von Zeitgenossen und ihrer Taten. Uns interessieren weniger die Urkunden als vielmehr die Chronisten, die Richter, die Pfarrer, der Arzt, die Liederdichter und Sagenerzähler.»
(Albert Hauser, Was für ein Leben, 1987, Vorwort)
 
«Eine Beerdigung um 1700 und eine Bestattung heute – es gibt wohl kaum einen grösseren Gegensatz. Selbst in protestantischen Gegenden, in denen seit der Reformation jeder Totenkult verpönt ist, erscheint um 1700 die Beerdigung und alles, was damit verbunden war, umringt und eingerahmt von bestimmten ausdrucksvollen Formen. ... In unserem Leben stossen wir immer auf jene eigentümliche Doppelheit von energischem Zugriff nach Neuem und Neuerkanntem und dem frommen Sinn dafür, dass wir auf Schichten aufruhen, die überzeitlich und dauernd und dem Gefälle des Fortschritts entzogen sind. Diese Erkenntnis hilft vielleicht mit, die Kluft, die sich zwischen Jung und Alt, zwischen Modernisten und Traditionalisten aufgetan hat, zu überbrücken.»
(Albert Hauser, Von den letzten Dingen, 1994, Rückblick und Ausblick)

Albert Hauser Selbstporträt 1993.

 «Es gab und gibt ein Motiv, das mich immer wieder fesselte: die Landschaft. Die Landschaft, genauer und ganz konkret gesagt unsere Zürichsee-Landschaft. Es gehört nicht einmal viel Begabung dazu, diese Umgebung schilderns- und malenswert zu finden. Der Obersee liegt vor der grossartigen Kulisse der Berge. Weiche, sanfte Linien bestimmen das Bild im mittleren und unteren Teil des Sees. Leider ist diese Landschaft von uns allen arg malträtiert worden. Aber trotz der Häuserhaufen und des lärmigen Verkehrs findet man immer noch stille Winkel, so etwa in den Wäldern des Wädenswiler Berges, auf der Halbinsel Au oder am Hüttnersee.»
(Albert Hauser, Der Historiker Hauser über den Maler Hauser, in: Land und Leute am Zürichsee, 1994).

DANK

Die letzten Lebensjahre brachten Albert Hauser einige Beschwerden. Wohl konnte er sich im Sommer noch in sein geliebtes zweites Heim im Rechberg / Schönenberg zurückziehen und dort Freunde empfangen und für sie kochen. Aber immer wieder wurden diese Aufenthalte durch solche im Spital unterbrochen. Am 2. September 2013 ist Albert Hauser gestorben. Viele, die ihm in seinem langen Leben begegnet sind, sind ihm dankbar und behalten ihn in guter Erinnerung. In allen seinen Werken lebt der Kulturhistoriker weiter. Nahezu hundert seiner Publikationen sind in der Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee am Hoffnungsweg 5 in Wädenswil einsehbar.




Peter Ziegler