Dr. Fritz Schwarzenbach-Trüb (1894–1994)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1994 von Ruedi Schwarzenbach

Wenn Fritz Schwarzenbach in den letzten Jahren von seinem Leben erzählte, sei es auf einer Fahrt unterwegs, sei es in einer Tischrede an einem Familienfest, sei es in einer Plauderei über «erlebte Geschichte», dann schöpfte er wie zufällig aus der Fülle der Erinnerungen – und jedesmal wurde hinter den Müsterchen das Muster seines Lebens sichtbar: «Des Menschen Sein ist sein Tun». Und am Ende des Blattes, auf dem er die Daten aus seinem Leben für die Abdankungsfeier zusammengestellt hat, sagt er im Rückblick: «Manches kam anders, als ich erwartet habe, aber wenn ich an die Krisenjahre und an die zwei Weltkriege denke, muss ich sagen, es ging mir gut und ich darf dankbar sein.»
Wie von selbst gliedert sich dieses reiche Leben in vier Abschnitte:
- die Jugend- und Ausbildungszeit bis 1922
- die 20 Jahre der ersten Wädenswiler Zeit
- die 20 Jahre von 1942 bis 1962 auf dem Hof Oberkirch, die «Hof-Zeit»
- und die zweite Wädenswiler Zeit, die 32 Jahre des sogenannten Ruhestandes.
Dr. Fritz Schwarzenbach, um 1944.

JUGEND- UND AUSBILDUNGSZEIT

Geboren wurde Fritz Schwarzenbach am 25. August 1894 im Marbach in Rüschlikon. Die Mutter – sie ist fast gleich alt geworden wie er – besorgte dort mit einem Knecht zusammen das Heimwesen; der Vater war Verwalter der Obst- und Weinbaugenossenschaft Wädenswil, bevor er vier Jahre später die technische Leitung der neuen Fabrik zur Herstellung alkoholfreier Weine in Meilen übernahm. Die Familie bezog die Wohnung im Stammgebäude der heutigen «Produktion AG» oberhalb des Bahnhofs. «Das Fabrikareal, die eigenen Reben und Wiesen, das Dorfbachtobel mit seinen Weihern waren die Stätten des Spiels und der Jugendabenteuer, ebenso der Pfarrhausgarten mit seinen Bäumen und dem Holzschopf» – und den Pfarrerszwillingen, mit denen zusammen er die Schule besuchte, Stina und Thedi Marty. Immer wieder erzählte er von der Mehrklassen-Primarschule mit 60 bis 70 Schülern im gleichen Zimmer; nachhaltig beeindruckte ihn auch der Sekundarlehrer Jakob Stelzer, ein Pionier im didaktischen Aufbruch der Jahrhundertwende.

Dr. Fritz Schwarzenbach mit der Wädenswiler Sekundarklasse 2a 1926/27 vor dem Sekundarschulhaus bei der «Sonne».
 
Mit den Mittelschuljahren im Lehrerseminar Küsnacht, 1910 bis 1914, verbindet sich die Zeit als «Wandervogel» in der Ortsgruppe Meilen dieser Jugendbewegung. Die Begegnungen und Gespräche unterwegs in den Bergen und im benachbarten Ausland trugen Wesentliches zur Reifung seiner Persönlichkeit bei, ebenso die langen Monate der Rekrutenschule 1914 und des anschliessenden Aktivdienstes unter harten und primitiven Verhältnissen in der Andermatter Felsenkaserne auf 1900 Meter über Meer. «Hauptarbeit war während vieler Monate Schneeschaufein – eine wertvolle Gelegenheit zur Schulung der Menschenkenntnis.» Gegen Ende des Ersten Weltkriegs absolvierte er die Unteroffiziers- und die Offiziersschule. Die Erinnerung an diese Zeit ist im «Gotthardstamm» lebendig geblieben, den er regelmässig besuchte.
Soweit er nicht im Dienst war, sammelte er die ersten Unterrichtserfahrungen, die schönsten als Lehrer an der ungeteilten Primarschule Sünikon/Elgg. 1918 schloss er die Sekundarlehrerausbildung ab, 1920 erwarb er das Diplom für das höhere Lehramt und doktorierte zwei Jahre später als Botaniker mit einer Dissertation aus dem Gebiet der Vererbungslehre unter der Leitung von Professor Alfred Ernst. Da es kaum freie Mittelschulstellen für Biologen gab und sich auch die Pläne für einen Forschungsaufenthalt in den Tropen zerschlugen, nahm Fritz Schwarzenbach 1922 die Wahl an die Sekundarschule Wädenswil/Schönenberg an.
 

WÄDENSWILER ZEIT

Im gleichen Jahr heiratete er Stina Marty aus dem Pfarrhaus in Meilen. Zwischen 1923 und 1937 kamen die fünf Buben zur Welt. Die junge Familie wohnte zuerst an der Etzelstrasse, zog dann ins eigene Haus im Musli und später in ein grösseres an der Zugerstrasse 65. Die Stelle an der Sekundarschule, im Kreis von profilierten Kollegen, die gut zusammenarbeiteten, liess ihm viel Freiheit und brachte ihm Befriedigung und Anerkennung. Pionierarbeit leistete er fachlich mit seinen Beiträgen zur Mikroprojektion und mit Lehrfilmen, erzieherisch mit der Einführung von Skilagern und Ferienwanderungen. Neben der Schule übernahm er die Leitung der Volkshochschule und der Hauskommission für das Altersheim; im Pestalozziverein setzte er sich für das Ferienheim in der Schwende ein, wo er wiederholt auch Ferienkolonien leitete. Über die Grenzen der Gemeinde hinaus führte die Zusammenarbeit mit Fritz Wartenweiler und Didi Blumer im Kreis der «Freunde der schweizerischen Volksbildungsheime» auf dem Herzberg und in Neukirch an der Thur.

Dr. Fritz Schwarzenbach fertigte selbst mikroskopische Präparate für den Botanikunterricht in Schulen an.
 

HOF-ZEIT

Im Jahre 1942, im Alter von 48 Jahren, entschloss er sich, die Leitung der Privatschule Hof Oberkirch zu übernehmen. Frühere Schüler dieses sogenannten Landerziehungsheimes, einer 1907 von Hermann Tobler gegründeten Reformschule, hatten von seinem vielseitigen Wirken und seiner Ausstrahlung in Wädenswil gehört und baten ihn, den «Hof» in einer kritischen Lage mitten im Zweiten Weltkrieg zu übernehmen. Der Entschluss fiel ihm nicht leicht, vor allem auch der Gattin nicht, die schon in den ersten Kriegsjahren monatelang allein mit den fünf Buben zurandekommen musste, weil der Vater als Hauptmann an der Nordgrenze im Einsatz war.

An der Erhaltung von Riedern und Mooren als Lebensraum von Tieren und Pflanzen war Dr. Fritz Schwarzenbach viel gelegen. Hier beim Beringen junger Vögel, 1966.

Die Stabilisierung des «Hofs» und dessen Ausbau in der Nachkriegszeit brachte dann auch ungewohnte Schwierigkeiten und Enttäuschungen – aber auch Freude und Genugtuung, besonders wenn Althöfler im Rückblick berichteten, wie wertvoll die Hof-Zeit für sie gewesen sei. «Ziel meiner Arbeit im Hof war: Die Schüler nehmen, wie sie sind, und aus ihnen machen, was nach ihren Anlagen möglich ist. Sie eine Gemeinschaft erleben lassen. Wichtigste Voraussetzung für diese Arbeit war, das Vertrauen der Schüler zu gewinnen.»
Auch während der Zeit auf dem Hof Oberkirch übernahm Fritz Schwarzenbach Aufgaben über den engeren Wirkungskreis hinaus: Im Schulrat Kaltbrunn, im Bezirksschulrat Gaster, als Präsident der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Uznach und Umgebung. Zu einem wichtigen Ausgleich wurde der Freundeskreis im Rotary Club Toggenburg – und zu einer unerwarteten politischen Erfahrung die völlig überraschende Wahl in den Grossen Rat des Kantons St. Gallen.
Ein dunkler Schatten fiel Mitte der 50er Jahre auf die Hof-Zeit. In seinen Notizen lesen wir: «1955 starb meine Frau Sty. Sie erlag einem Krebsleiden. Für die Familie und für den Hof ein schwerer Verlust – es folgte eine schwere Zeit. Hilfe leistete Martha Trüb, eine Nichte, die in die Fußstapfen von Sty trat. Wir heirateten Ende 1955.»
 
1990 war Dr. Fritz Schwarzenbach (links) noch aktiv am Stand der Pro Juventute am Wädenswiler Monatsmarkt. Der Bezirkskommission des Pro-Juventute-Bezirks Wädenswil gehörte er über 60 Jahre an, zuletzt als Vizepräsident.
 

«RUHESTAND»

Im Jahre 1962 konnte Fritz Schwarzenbach die Leitung des Hof Oberkirch in andere Hände geben und kehrte nach einem Jahr in Ennenda an die Zugerstrasse nach Wädenswil zurück – in einen tätigen Ruhestand von 32 Jahren, der ihm nun vor allem die lange entbehrte Freiheit zum Reisen brachte. Sie führte ihn in alle Kontinente und 1978, im Alter von 84 Jahren, gar um die ganze Welt. Auch in die Berge zog es ihn regelmässig, «auf die Gipfel so weit, als der Schnauf reichte». Eng verbunden war er der Sektion «Höhronen» des SAC, wo er früher als JO-Chef die Freude am Bergerlebnis weitergegeben hatte. Ihr schrieb er die Jubiläumsschrift zum 75jährigen Bestehen, und noch am 28. Januar 1994 wurde er für seine «70 Jahre SAC» gefeiert.
 
Dr. Fritz Schwarzenbach – auch im hohen Alter ein guter Redner und aufmerksamer Zuhörer.
 
Zu Hause wartete in dieser Zeit des Ruhestandes die Arbeit im Garten auf ihn, die Donnerstag-Zusammenkünfte des Rotary Clubs Au am Zürichsee – wenn der Programmchef in Verlegenheit war, wusste er, dass er auf einen Beitrag von Fritz Schwarzenbach zählen durfte –, die Sitzungen des Zentralverbandes der Privatschulen, der Alpinen Mittelschule Davos, der Natur- und Heimatschutzkommission Wädenswil, der Helvetas, der Stiftung Herzberg, die er bis 1988 präsidierte, und es gab Arbeit am Schreibtisch und an seiner «Royal», die ihm der Verkäufer 1922 als «Schreibmaschine fürs Leben» angeboten hatte. Er vervollständigte darauf seine Beiträge zum Stammbaum der Familie und stellte aus den Stenogrammen seiner Tage- und Reisebücher zwei umfangreiche Manuskriptbände mit Lebenserinnerungen zusammen.
Schwer traf ihn 1975 der Tod seiner zweiten Frau, Martha Trüb. Sie verunglückte auf einer Bergwanderung über den Morteratsch-Gletscher. Nun weilte er häufiger im Kreise der im Land herum verteilten Familien seiner Söhne mit 19 Enkel- und 25 Urgrosskindern, sei es bei Werner in Zollikofen, bei Fritz im Bleniotal, bei Willi im Welschland, bei Heini in Uznach oder bei Ruedi in Meilen – dorthin fuhr er noch lange im eigenen Schiff über den See.
Unten in seinem Haus wohnte die Familie seiner Enkelin Susi Kirchhofer, die für ihn sorgte, wo er Unterstützung brauchte. Im Oktober 1992 übersiedelte er dann ins Altersheim Fuhr. «Hier war ich gut aufgehoben und der Sorgen um das tägliche Leben los. Ich konnte mich der Gegenwart und der Vergangenheit widmen, schönen und ernsten Erinnerungen. Hier werde ich wohl mein Lebensende erwarten.»
Im Frühling 1994 liessen seine Kräfte spürbar nach. Ein paar Tage zur genaueren Abklärung im Spital wurden nötig – er sollte nicht mehr zurückkehren. «Es ist Zeit für mich; ich bin müde. Lebt wohl.» Mit diesen Worten nahm er Abschied von seinen Angehörigen. Am 24. April 1994 starb Dr. Fritz Schwarzenbach als ältester Einwohner Wädenswils im 100. Altersjahr.



Ruedi Schwarzenbach, Meilen