ALEXANDER HELPHAND SORGT IN WÄDENSWIL FÜR AUFSEHEN

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2002 von Peter Ziegler
 
In den Jahren 1919 bis 1924 besass der deutsche sozialistische Politiker Dr. phil. Alexander Helphand die heutige Liegenschaft Zopfweg 7 im Gwad. Wegen seiner Niederlassung in der Au, seines ausschweifenden Lebenswandels und wegen Steuerschulden beschäftigte der auch unter dem Pseudonym «Parvus» bekannte Fremde nicht nur die lokalen Behörden, sondern auch den Zürcher Kantonsrat und das Bundesgericht in Lausanne.

JUGEND UND STUDIUM

Israel Lasarewitsch Helphand wurde am 27. August 1867 als Kind einer jüdischen Mittelstandsfamilie im weissrussischen Städtchen Beresina unweit von Minsk geboren.1 Mit seinen Eltern übersiedelte er bald in die Hafenstadt Odessa und besuchte dort das Gymnasium. Helphand war 16 Jahre alt, als Karl Marx starb und sich der «Bund zur Befreiung der Arbeit» formierte. Dieser Bewegung schloss er sich an. Eine Schlosserlehre bot ihm Gelegenheit, die Lage und Einstellung der Arbeiter zu studieren. Früh stand sein Lebensziel fest: den Zarismus zu stürzen – und reich zu werden.
1887 reiste Helphand in die Schweiz, genoss dort das Leben und knüpfte Kontakte zu politischen Emigranten in Genf, Bern und Zürich. Nach einem kurzen Aufenthalt in Odessa entschloss er sich zum Studium an den Universitäten Basel und Zürich. Der junge Russe, der sich Alexander nannte, wählte Volkswirtschaft, Physik und Mineralogie als Studienfächer und hörte daneben Vorlesungen zur europäischen Geschichte und bei Jakob Burckhardt und Friedrich Nietzsche in Basel solche zur Philosophie.

Dr. Alexander Helphand (1867–1924)

Sein Hauptinteresse aber galt der Ökonomie. Mit einer Dissertation über «Die technische Organisation der Arbeit unter dem Aspekt der Ausbeutung der Massen» promovierte er im Sommer 1891 in Basel zum Doktor der Philosophie.

JOURNALIST, REDAKTOR, AGITATOR

Nach dem Studienabschluss reiste Helphand, der sich inzwischen verheiratet hatte, über Stuttgart nach Berlin, wo er sich der deutschen Sozialdemokratie anschloss. Unter dem Pseudonym «Parvus» (der Kleine) schrieb er zunächst polemische Artikel für verschiedene Zeitungen und leitete dann von 1896 bis 1898 als Chefredaktor die «Sächsische Arbeiterzeitung» in Dresden. Nach seiner Ausweisung aus Preussen und Sachsen übersiedelte er 1899 nach München. Hier gründete er den «Verlag slawischer und nordischer Literatur», der Maxim Gorki in Deutschland bekannt machte. In München begegnete Alexander Parvus nicht nur dem Revolutionär Trotzki, sondern auch Lenin, der ihn als Mitarbeiter für seine Halbmonatsschrift «Iskra» (Der Funke) gewann. Neben seiner publizistischen Arbeit agierte Parvus an der Münchner Universität unter russischen und osteuropäischen Studenten, druckte Propagandabroschüren und organisierte Sympathiekundgebungen für die russische Arbeiterschaft, welche angeblich eine Revolution herbeisehnte.
Weil Parvus Lenin vorwarf, er wolle das Proletariat bevormunden, statt die Massen selbst denken und handeln zu lassen, kam es zum Bruch zwischen den Beiden. Neuer Gesinnungsgenosse und Mitkämpfer wurde nun Leon Trotzki. Gemeinsam vertraten sie die Ansicht, eine Revolution könnte durch einen organisierten Massenstreik herbeigeführt werden.

Dr. Alexander Helphand bestätigt am 29. Dezember 1915 der deutschen Gesandtschaft in Kopenhagen, für die Förderung der revolutionären Bewegung in Russland eine Million Rubel erhalten zu haben.

Wie Trotzki nahm auch Parvus 1905 an der ersten Russischen Revolution teil, getarnt als Berichterstatter der «Leipziger Volkszeitung». Zuvor hatte er sich von seiner Frau, die sich in der Folge wieder Gnedin nannte, und dem Sohn getrennt; eine neue Freundin – Jekaterina Groman – begleitete ihn ins revolutionäre Abenteuer. Der russische Geheimdienst war den Spuren des Revolutionärs Alexander Parvus schon lange gefolgt; im März 1906 wurde er in Petersburg verhaftet. Auf dem Transport nach Sibirien gelang ihm indessen die Flucht, und er konnte sich bis zum Winter 1906 nach Deutschland durchschlagen. Bei seinem Freund Konrad Haenisch, der als Vertreter des linken Flügels der deutschen Sozialdemokraten die «Dortmunder Arbeiterzeitung» herausgab, fand er Unterschlupf.
Hier zeichnete er zunächst die Erinnerungen an seine Gefangenschaft und Flucht auf, welche 1907 unter dem Titel «In der russischen Bastille während der Revolution» in Dresden im Druck erschienen. Parvus fühlte sich nun als deutscher Sozialdemokrat. Er sah die Vorgänge in Russland nur noch als eine der Bewegungen in Europa an und entfernte sich von Trotzki und Lenin.

PARVUS KOMMT IN DER TÜRKEI ZU GELD

Ende 1910 reiste Alexander Parvus unter dem Decknamen Albrecht Dvorak nach Konstantinopel und begann als Handelsredaktor für die türkische Parteizeitung «Turk Yurdu» (Die Junge Türkei) zu schreiben. In dieser Funktion wurde er halbamtlicher Berater des türkischen Finanzministeriums und half mit, systematisch die Infrastruktur des Landes aufzubauen. Aus Odessa und Bulgarien importierte Parvus Getreide in die Türkei, aus Russland Waffen und Munition, aus Deutschland Maschinen der Firma Krupp für den Eisenbahnbau, aus Österreich Holz und Eisen. Innerhalb zweier Jahre wurde der initiative Ökonom stolzer Besitzer eines eigenen Handelsimperiums mit eigenen Banken. Jetzt war er ein schwerreicher Mann. Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, hatte Parvus die Türkei so weit modernisiert, dass die Regierung imstande war, auf deutscher Seite in die Kampfhandlungen einzugreifen.

PLAN ZUR REVOLUTION IN RUSSLAND

Im März 1915 unterbreitete Alexander Parvus der deutschen Reichsregierung auf zwanzig Seiten einen kühnen Plan, mit dem sie den Krieg an der Ostfront mit aussermilitärischen Mitteln beenden könnte: das Programm für eine Revolution in Russland. Mit der positiven Antwort erhielt Parvus aus Berlin eine Million Mark zur Unterstützung der subversiven revolutionären Propaganda in Russland, gesplittet überwiesen auf Konten in Kopenhagen, Zürich und Bukarest. Parvus rechnete mit Unterstützung der deutschen Sozialdemokraten, aber auch mit revolutionär gesinnten russischen Emigranten in Zürich und anderswo. Unter anderem sollten in Zürich Flugblätter gedruckt und an Revolutionäre verteilt werden, die auf den Sturz des Zarenreichs hinarbeiteten. Noch im März 1915 stellte das Reichsschatzamt zwei weitere Millionen Mark für revolutionäre Propaganda in Russland zur Verfügung.
In der Türkei, in Rumänien, Deutschland, Österreich und der Schweiz belebte Parvus seine Kontakte zu Parteifreunden, Agenten und Journalisten, die für Geld Stimmung gegen Russland machten. In Zürich traf er mit Lenin zusammen und erläuterte ihm seinen Plan einer Russischen Revolution. Von Russland wurde Parvus wegen seiner Agitationstätigkeit ausgewiesen; 1915 erhielt er die preussische Staatsbürgerschaft.
Neben seiner politischen Tätigkeit im Hintergrund weitete Parvus sein Handelsimperium aus und gründete neue Firmen, unter anderem mit amerikanischen Partnern die «Amerikanisch-Skandinavisch-Russische Aktiengesellschaft». Hier beschäftigte Personen wirkten nicht nur für das Geschäft, sondern auch als Agenten. Über die Büros seiner Firmengruppe leitete Parvus jene Gelder um, die er von Deutschland für die Parteikasse der Bolschewiken erhielt. Und von Stockholm aus, wo er mittlerweile Quartier bezogen hatte, schleuste er Geld und Agenten nach Petersburg ein. 1917 setzte er sich dafür ein, dass die Regierung in Berlin Lenin und seinen Genossen des engeren Kreises die Durchreise von der Schweiz über deutsches Territorium nach Russland erlaubte. Die Fahrkarten bezahlte Parvus. Die Nachricht von der Machtergreifung Lenins in Petrograd am 7. November 1917 erreichte Parvus in Wien, wohin er sich abgesetzt hatte.
Ende November 1917 wurde Parvus in Deutschland die Zielscheibe öffentlicher Kritik. Dass er Grusstelegramme zwischen den deutschen Sozialdemokraten und den Bolschewiken ausgetauscht hatte, hatte die Führer des gemässigten Flügels der Sozialisten verärgert. Die führenden Politiker, mit denen er in Kontakt gestanden hatte, aber auch die Genossen gingen zum erfolgreichen Kaufmann auf Distanz. «Die Revolution duldet niemand, der schmutzige Hände hat», war Lenins Ansicht. Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowks führten im März 1918 zum Waffenstillstand zwischen Deutschland und Russland. Zeitpunkt für Deutschland, sich von Parvus zu distanzieren; man bedurfte seiner Hilfe nicht mehr.

PARVUS LÄSST SICH IN WÄDENSWIL NIEDER...

Aus der Schweiz war Parvus 1891 als radikaler Sozialist nach Deutschland gekommen. 27 Jahre später kehrte er dorthin zurück: resigniert und enttäuscht, aber sehr reich. Hier wollte er sesshaft werden und behaglich seinen Lebensabend verbringen. Am 20. November 1918 traf er in Zürich ein und begann sich nach einem Wohnsitz umzusehen. Am 6. Dezember 1918 kaufte er dann von Martin Zügers Erben die Villa Ass.-Nr. 1546 im Gwad-Wädenswil (heute Zopfweg 7), und zusätzlich erwarb er dort Land von Henry Neeracher. Am 18. Dezember 1918 meldete sich der Emigrant aus Deutschland mit einer vom städtischen Fremdenpolizeibüro Zürich ausgestellten Kontrollkarte in Wädenswil zum vorübergehenden Aufenthalt an.2 Nachdem das Einreisevisum am 10. Januar 1919 abgelaufen war, verlängerte das eidgenössische Fremdenpolizeibüro – ohne Vernehmlassung der Wohnortsbehörde – den Aufenthalt bis zum 10. März 1919.

Als Ende Januar 1919 der Kongress europäischer Sozialisten in Bern tagte, steigerte sich die Hysterie so weit, dass Dr. Alexander Helphand als potenzieller Urheber eines weiteren Umsturzes am 30. Januar wegen bolschewistischer Umtriebe verhaftet wurde. Beim Verhör konnte Parvus die Anschuldigungen als pure Lügen zurückweisen. Sein Freund, der deutsche Gesandte Adolf Müller, legte tags darauf bei der Schweizer Regierung energischen Protest ein. Gegen eine Kaution von 20 000 Franken wurde Parvus schon am 1. Februar wieder auf freien Fuss gesetzt. Das Belastungsmaterial erwies sich als derart substanzlos, dass das Gericht kurze Zeit später auch die Rückzahlung der Kaution anordnete.3
Ende Januar 1919 stellte dann Dr. Helphand bei der Behörde das Gesuch um Erteilung der Niederlassung in der Gemeinde Wädenswil. Der Gemeinderat war angesichts kritischer Pressestimmen unsicher, wie er sich verhalten sollte, und ersuchte das kantonale Fremdenpolizeibüro in Zürich um Rat. Dieses wies die Behörde schriftlich an, Helphand die Niederlassung zu erteilen, wenn er gültige Ausweisschriften beibringen könne. Und das konnte er.

Dr. Alexander Helphand um 1905, im Alter von 38 Jahren.

In seinem geräumigen Jugendstilhaus im Gwad führte Dr. Alexander Helphand, wie er sich nun offiziell nannte, einen anspruchsvollen Luxushaushalt mit Köchinnen, Stubenmädchen und einem Chauffeur. Auf dem angrenzenden landwirtschaftlichen Betrieb liess er durch zwei Schweizer Bauern das Land bebauen und mit drei Kühen eine eigene Viehzucht beginnen. Für Wädenswil war die Ankunft des bekannten «Genossen Parvus» eine lokale Sensation. Das deklarierte Vermögen von 2,22 Millionen Franken und das Jahreseinkommen von 123 000 Franken beeindruckte.4

Diese Villa im Gwad, heute Zopfweg 7, wurde 1918 von Dr. Alexander Helphand erworben und gehörte ihm bis zum Tode 1924. Postkarte von 1905.

... UND ERREGT AUFSEHEN

Doch dann machten bald Gerüchte die Runde. Zählte der Fremde nicht zu Lenins Geheimagenten? Hatte er wohl beim Generalstreik die Hände im Spiel? Und immer noch pflegte er Kontakte zu ausländischen Politikern. Wie der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» zu berichten wusste, war am 26. Juni 1919 der frühere deutsche Ministerpräsident Scheidemann bei seinem Landsmann und Gesinnungsfreund Helphand im Gwad zu Besuch.5
Sekundarlehrer Max Greutert hielt als Chronist der Lesegesellschaft Wädenswil fest, Dr. Helphand mit dem Schriftstellernamen Pravus treibe in seiner Villa im Gwad «mit Autos und Damen der Halbwelt» einen grossen Aufwand. «Den Architekten, die für ihn Baupläne anfertigen (im Sommer 1919 liess er für seine zwei Luxuswagen eine Garage anbauen6), dem Nachbar, bei dem er das Auto einstellt, will er nur nach eigenem Gutdünken Zahlungen leisten und prozessiert wegen 20 Franken Differenz, dagegen hat er 30 000 Franken für ein Volkshaus, d.h. Heim der sozialistischen Partei gegeben. Das sind kleine Charaktereigentümlichkeiten dieses sozialdemokratischen Kriegsgewinners. Wenn man auch nicht allen Gerüchten über seine politischen und persönlichen Abenteuer oder Heldentaten Glauben schenkt, so bleibt doch noch genug übrig, um ihn als politisches Chamäleon zu bezeichnen. Wie das Chamäleon sich in der Farbe der Umgebung anpasst, so tut es Helphand in politischer Beziehung, um seinen Vorteil dabei zu finden. Es herrscht kein Zweifel mehr darüber, dass er für uns zu den Indésirables gehört.»7 Auch in der Presse wurde immer deutlicher die Ausweisung Helphands gefordert.

Der ZÜRCHER KANTONSRAT DISKUTIERT DEN FALL HELPHAND

Am 22. Dezember 1919 interpellierte der Wädenswiler Kantonsrat Baumann, Mitglied der Demokratischen Partei, im Kantonsrat den Polizeidirektor, Regierungsrat Oscar Wettstein, wegen der geheimnisvollen Niederlassungsbewilligung.8 Baumann führte aus, Helphand pflege mit seinem Auto einen regen Verkehr mit Zürich und auch sein Telegrafenverkehr sei bedeutend. Zudem habe er Kontakte zu hochgestellten kantonalen Persönlichkeiten. Auch solle der Zürcher Polizeidirektor anlässlich eines Sonntagsausflugs Helphand in seiner Villa im Gwad zu Besuch gewesen sein.
In seiner Antwort führte Regierungsrat Wettstein unter anderem aus, Helphand verdanke seinen Aufenthalt in der Schweiz nicht der Protektion des zürcherischen Polizeidirektors. Auch dass er mit zwei Autos herumfahre, sei völlig legal; die Automobilkontrolle habe ihn behandelt wie jeden Anderen. Völlig falsch sei auch die Behauptung, allerhöchste Protektion habe verhindert, dass die zuständigen Behörden gegen die Haremswirtschaft Dr. Helphands einschritten, welche in der ganzen Gegend als Skandal empfunden werde. Als von englischer Seite bekannt geworden sei, Helphand sei für die Bolschewisten tätig, habe man seinen Post- und Telegrammverkehr durch die Kantonspolizei scharf überwachen lassen, aber nichts Verdächtiges feststellen können. Als im Februar 1919 aus Wädenswil gemeldet wurde, die Villa gelte als Verschwörernest, habe er bei einem Besuch in diesem Hause den Sachverhalt selbst klären wollen.
Darüber wörtlich: «Die angeblich luxuriöse Villa ist ein bescheidenes Landhaus und ebenso bescheiden eingerichtet. Ob die Einrichtung heute noch so ist, weiss ich nicht. Und das ‚Verschwörernest’ liegt mitten in andern Häusern, von denen aus der Zu- und Abgang jeder Person bequem beobachtet werden kann. Den besten Beweis haben Sie ja darin, dass mein sogenannter Besuch sofort bekannt worden ist. ... Es wird auch ohne weiteres einleuchten, dass bloss auf Gerüchte und Zeitungsartikel hin eine kantonale Ausweisung unmöglich ist; und über eine Ausweisung aus politischen Gründen entscheidet nicht die Polizeidirektion, sondern der Bundesrat auf Antrag der Bundesanwaltschaft.»
In der kurzen anschliessenden Diskussion sprach Kantonsrat Herdener aus Wädenswil von den Wohnverhältnissen in seiner Gemeinde. Er kritisierte, dass sich Ausländerfamilien in Wohnungen breit machen würden, während sich einheimische Familien aufs Äusserste einschränken müssten.

HELPHAND REAGIERT IN DER NZZ

Dr. Alexander Helphand hörte von den Diskussionen im Kantonsrat und nahm am 3. Januar 1920 in der «Neuen Zürcher Zeitung» zu den Vorwürfen Stellung:9
«Hochgeachtete Redaktion!
Sie fragen, wer mir zu meiner Niederlassung verholfen habe. Ich kann Ihnen darauf die ganz bestimmte Antwort geben: niemand. Nachdem ich eine Zeitlang in der Gemeinde Wädenswil, wo ich ein Haus erwarb, wohnte, erkundigte ich mich bei dem Gemeindepräsidenten nach den Bedingungen der Niederlassung. Es wurde mir gesagt, dass ich zu diesem Zweck ein schriftliches Gesuch zu stellen und meinen Heimatschein beizubringen habe. Das tat ich und bekam die Niederlassung. Die in der Presse verbreiteten Gerüchte, ich hätte mich auf bundesrätliche Empfehlung berufen, sind unwahr. Ich habe nichts Derartiges gesagt oder auch nur angedeutet, ist mir auch nicht im Träume eingefallen. Es gibt in der Schweiz angesehene Persönlichkeiten, die mich seit Jahrzehnten kennen. Es würde mir nicht an Empfehlungen fehlen, wenn ich sie brauchte. Aber ich brauche sie nicht.»
Der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» druckte Helphands Erwiderung unter Berufung auf die NZZ am 9. Januar 1920 ebenfalls ab, ergänzt durch eine «Aufklärung» der Gemeinderatskanzlei Wädenswil über Hauskauf, Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung.10

INTERPELLATION IM KANTONSRAT

Die Diskussionen um den seltsamen Dr. Helphand kamen nicht zur Ruhe. Am 12. Januar 1920 wurde im Kantonsrat die «Interpellation Forster (Zürich) und Mitunterzeichner betreffend die Angelegenheit Dr. Helphand-Parvus» eingereicht.11 Die 39 Interpellanten wünschten vom Regierungsrat folgende Auskünfte:
«1. Wie kam die Niederlassungsbewilligung für Dr. Helphand zustande?
2. Wie steht es um seine Bewilligung zum Autofahren?
3. Billigt der Regierungsrat, dass der Justiz- und Polizeidirektor als Vermittler Helphands gegenüber dem amerikanischen Kommissär Dr. Field aufgetreten ist?
4. Ist es üblich, dass polizeiliche Erhebungen wie die betreffend Helphand-Parvus durch den kantonalen Polizeidirektor in Person gemacht werden?»
Am 27. Januar 1920 wurde die Interpellation im Kantonsrat behandelt. Gemäss Protokoll führte der Interpellant folgendes aus:12
«Die sozialdemokratische Fraktion, in deren Auftrag die vorliegende Interpellation eingereicht wurde, will mit derselben keine Sensation erregen. Es ist ihr auch nicht darum zu tun, parteipolitische Zwecke zu verfolgen. ... Es scheint uns, dass die allgemeinen Interessen gebieten, dass die Schleier, die immer noch über der Angelegenheit Dr. Helphand und Dr. Wettstein liegen, endlich einmal gänzlich beseitigt werden. ... Dr. Helphand-Parvus ist uns Sozialdemokraten bekannt aus einer Zeit, da er noch nicht Gesinnung und Charakter gegen klingende Münze auswechselte, aus einer Zeit, da er sich noch nicht brüstete, der Freund von Regierungsmännern zu sein. ... Unter dem Namen Parvus ist Herr Dr. Helphand uns seit langer Zeit bekannt, weil er unter diesem Pseudonym etwa seit Mitte der 90er Jahre literarisch tätig war und eine Reihe von Arbeiten veröffentlichte, die durch die Klarheit der Gedanken, durch wissenschaftliche Schärfe und Gründlichkeit Aufsehen erregten. Sehr bedauerliche Veranlagungen und wahrscheinlich auch äussere Einflüsse müssen es gewesen sein, die aus diesem in drückender Not lebenden Vorkämpfer für ein Menschheitsideal einen Verräter seiner Ideen machten, einen Schieber, Kriegs- und Revolutionsgewinner!»
Nach der Schilderung verschiedener Lebensstationen von Dr. Helphand fuhr der Interpellant fort: «Was ich zeigen wollte, war erstens, welche Sorte Menschen sich Einreise und Niederlassung in der Schweiz erwirken kann; zweitens, dass es dem Rate und der Öffentlichkeit nicht ganz gleichgültig sein kann, wenn Mitglieder der Regierung mit derlei Leuten Beziehungen haben, mit Leuten, die internationale Bedeutung erlangt haben durch ihre Rolle im Weltkrieg und durch Schiebungen.» Dann wollte der Sozialdemokrat Forster wissen, ob zutreffe, was Kantonsrat Baumann an einer Versammlung der Demokratischen Partei in Wädenswil am 31. März 1919 ausgeführt habe: Herr Regierungsrat Wettstein habe ihm und einigen andern Mitgliedern der Demokratischen Partei gegenüber erklärt, Parvus sei Mehrheitssozialist, der Mann sei schwer reich und werde hohe Steuern bezahlen. Wenn ihn Wädenswil nicht wolle, so nehme ihn Zürich. Er führe zwar ein freies Leben, doch dies sei Privatsache, dies könne er in Zürich auch tun.
Die Antwort auf die Interpellation gab Regierungspräsident Dr. Ernst. Zunächst bezog er Stellung zum Vorwurf, Regierungsrat Wettstein habe in der Villa Helphand polizeiliche Ermittlungen durchgeführt: In Tat und Wahrheit habe es sich um einen Spaziergang gehandelt, und da sei es nicht verboten, noch etwas anderes als die Landschaft anzuschauen. Und betreffend des Autos erklärte er: Helphand hat mit dem Kauf seines Hauses auch ein Automobil erworben, eine alte Marke, die reparaturbedürftig war. Er gab es zur Reparatur, wo es verblieb, bis nach dem 5. März 1919, bis nach der Freigabe des Autoverkehrs, der während des Krieges verboten war.
Anschliessend zeichnete Regierungsrat Ernst auf Grund von rund 60 Aktenstücken den Lebenslauf von Dr. Alexander Helphand nach und zeigte dann auf, dass es bei der Aufenthalts- und der Niederlassungsbewilligung mit rechten Dingen zugegangen war. Dann gab er Folgendes bekannt:
«Neuerdings ist von der Zentralstelle in Bern ein Schreiben eingegangen, worin das hiesige Fremdenpolizeibüro angewiesen wird, dem Helphand zu eröffnen, dass seine Aufenthaltsbewilligung abgelaufen sei und er die Schweiz zu verlassen habe oder polizeilich ausgeschafft werde. Es ist anzunehmen, dass in Bern über Helphand irgend etwas bekannt ist, was in Zürich unbekannt blieb, aber Grund zum Rückzug der Niederlassungsbewilligung bot. Die Verfügung ist am folgenden Tag dem Helphand und der Gemeindebehörde Wädenswil mitgeteilt worden. Die Gemeindebehörde ist angewiesen worden, diese zu vollziehen.»

ERNEUTE DISKUSSION IM KANTONSRAT

Mit 91 zu 49 Stimmen entschied sich der Kantonsrat für Diskussion.13 Wyss, Zürich, kritisierte, es sei bezeichnend, dass Regierungspräsident Ernst geantwortet habe und nicht der angeschossene Dr. Wettstein. Statt mit Verleumdungen umzuwerfen, hätte der sichtlich nervöse Dr. Ernst besser eine gemässigte Darstellung gegeben. Niemand könne sich ein klares Bild machen, habe man doch die ganze Geschichte ins Lächerliche gezogen. Polizeidirektor Wettstein setzte dann zu seiner Verteidigung an und meinte wegen des Kontaktes zu Helphand: Nach Ansicht der Interpellanten sollte der Polizeidirektor offenbar jeden für einen Schuft halten, bis er das Gegenteil beweist, und mit niemandem sprechen, ohne dass er sein Vorleben genau kennt. «Über die Niederlassungsangelegenheit bin ich niemals gefragt worden. Im Gespräch mit Kantonsrat Baumann von Ende März (1919) habe ich gesagt, dass Helphand ein Freund des deutschen Gesandten in Bern sei; das war ein Privatgespräch, das mit der Niederlassung rein gar nichts zu tun hatte; diese war schon vollzogen.»
Die Diskussion verlief breit und oft gehässig. Viel Neues brachte sie nicht. Man sprach von Köpenickade, und Kantonsrat Keller, Zürich, stellte fest: «Viel Sauce und wenig Braten!»

AUSWEISUNG AUS DER SCHWEIZ

Seit Mitte November 1919 war in der Presse der Ruf nicht mehr verstummt, Dr. Alexander Helphand sei aus der Schweiz auszuweisen. Dies veranlasste die Behörden zum Handeln. Der Zürcher Untersuchungsrichter schaltete sogar die Schweizer Gesandtschaft in Berlin ein, um weiteres Belastungsmaterial gegen Helphand zu erhalten. Für den deutschen Gesandten in der Schweiz, Adolf Müller, wurde es immer riskanter, seinen Freund zu unterstützen. Als die angesehene «Neue Zürcher Zeitung» am 3. Januar 1920 auch noch über das «unerfreuliche Bild der privaten Lebensführung» von Dr. Helphand berichtete, war die Entscheidung praktisch gefallen. Die eidgenössische Fremdenpolizei teilte Parvus nach der Kantonsratsdebatte Ende Januar 1920 mit, seine Aufenthaltsbewilligung werde nicht mehr verlängert. Bis zum 11. Februar habe er die Schweiz zu verlassen.14
Angesichts der breiten Presskampagne muss Dr. Helphand schon früher selber zur Ansicht gekommen sein, es sei klug, wieder aus der Schweiz abzureisen. Denn bereits am 16. Januar 1920 meldete der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee»:15
«Aus Bern wird geschrieben: Es bestätigt sich, dass Dr. Helphand-Parvus, deutscher Staatsangehöriger, wohnhaft in Wädenswil, im Begriffe steht, die Schweiz aus freien Stücken zu verlassen. Die Akten über seine angebliche Niederlassung in Wädenswil werden von den Bundesbehörden einer eingehenden Prüfung unterzogen. Wie man vernimmt, hat die Zentralstelle für die Fremdenpolizei in Bern bei Helphands Niederlassung nicht mitgewirkt. Eine formell ordnungsmässige Niederlassung scheint nicht vorzuliegen.»
Fristgemäss reiste Dr. Alexander Helphand aus Wädenswil ab. Er war gekränkt, dass ihn die Presse, und damit seine Kollegen, aus dem Land gejagt hatten. Seine private Lebensführung war zu beanstanden; die politischen Verdächtigungen indessen erwiesen sich als grundlos und irreführend.16 Der Chronist der Lesegesellschaft hielt fest: «Die Affäre Dr. Helphand-Parvus fand nun einen würdigen Abschluss. Obwohl dieser Gentleman in aller Unschuld beteuerte, auf rechtmässigem Weg das Recht zur Niederlassung erworben zu haben, gab es immerhin noch Leute, die es nicht glaubten, und zwar 99 Prozent. ... Für uns ist dieses Intermezzo nun erledigt, Helphand ist abgereist ‚worden’ und nur als Gast an der Fasnacht nochmals aufgetreten (durch Robert Brändli, Oberort, dargestellt), wobei er mit seinem Auto Gwad – Berlin erschien und sogar noch den ersten Preis ergatterte.»17
 

LEBENSABEND

Nach der Ausweisung aus der Schweiz begab sich Dr. Alexander Helphand nach Berlin. Dort kaufte er im Februar 1920 einen Herrensitz auf der Halbinsel Schwanenwerder, mit Park und Bootssteg in den Wannsee. Hier führte er mit einer jungen Sekretärin – die er bald nach der Ausweisung aus der Schweiz kennengelernt hatte und die für ihn Schreibarbeiten erledigte – und der gemeinsamen Tochter Elsa ein bürgerliches Familienleben.18 Er arbeitete für die Zeitung «Die Glocke» sowie für die Zeitung «Der Aufbau», die in mehreren europäischen Sprachen erschien. Und er veranstaltete in seinem Hause sozialistische Kameradschaftsabende und gab Parties für geistvolle Gäste und einflussreiche Personen.19
Im September 1922 planten zwei preussische Offiziere ein Attentat auf Parvus. Doch der Plan, nach dem die Villa mit Handgranaten gesprengt werden sollte, wurde vorzeitig aufgedeckt und vereitelt. Der Vorfall führte aber dazu, dass Helphand aus Vorsicht alle Unterlagen aus seiner politischen Lebensphase verbrannte. Die Freunde kamen seltener; in Parteikreisen war man der Ansicht, Parvus habe seine Rolle in der Politik ausgespielt. Rheumatische Beschwerden und Herzprobleme plagten ihn mehr und mehr. Während gewisse Zeitungen weiterhin von Orgien mit leichtgeschürzten Mädchen auf Schwanenwerder fabulierten, war Dr. Alexander Helphand bereits ein gebrochener, vom Tode gezeichneter Mann. Am 12. Dezember 1924 erlag der ernsthaft Erkrankte im Alter von 57 Jahren einem Schlaganfall.20 Wenige Wochen zuvor hatte er sich noch mit seiner jungen Sekretärin verheiratet. Es war seine vierte Ehe und die zweite amtlich geschlossene.21

Haus Zopfweg 7 im Gwad, heutiger Zustand, Ansicht von Osten.

STEUERPROZESSE BIS VOR BUNDESGERICHT

In der Schweiz hatten sich Behörden und Gerichte mit Helphand noch über dessen Tod hinaus zu befassen. Nach seiner Abreise im Februar 1920 zog nämlich das Steueramt Wädenswil Helphands steuerliche Selbsteinschätzung mit einem Vermögen von 1,18 Millionen Franken in Zweifel. Am 6. März 1920 gab die Gemeinderatskanzlei Wädenswil im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» bekannt, Helphand habe sich bereits zur Bezahlung des Steuerbetrages bequemt; gegen die Mehrforderung – man taxierte sein Vermögen auf 25 Millionen Franken – habe er indessen Rekurs eingelegt.22 Und diesen Rekurs zog er durch alle Instanzen bis vor Bundesgericht.
Am 28. September und 1. Oktober 1921 berichtete der «Anzeiger», der Staat habe einen Teil des Vermögens von Dr. Alexander Helphand und auch seine Villa im Gwad beschlagnahmt. Durch Rekurse habe Helphand die Steuerangelegenheit bis vor Bundesgericht gezogen. Dieses musste zugunsten Hephands entscheiden. «Dieses stellte sich nämlich auf den Standpunkt, dass der Taxations-Entscheid der Steuerkommission mit Rücksicht auf den vom Steuerpflichtigen dagegen eingereichten Rekurs noch nicht rechtskräftig und damit auch nicht vollstreckbar sei. ... Es musste nun zur Eintreibung der Steuerforderung der ordentliche Prozessweg betreten werden. Die bezüglichen Prozessverhandlungen sind allerdings sistiert bis nach Erledigung des immer noch pendenten Rekursverfahrens über die Taxation, auf Grund derer sich der Steuerbetrag berechnet. Gegenwärtig beschäftigt der Steuerrekurs die Ober-Rekurskommission als letzte Instanz, nachdem Helphand vor erster Rekurskommission abgewiesen worden ist. Vom Entscheid der Ober-Rekurskommission hängt es also ab, ob und in welchem Umfange Staat und Gemeinde ihre Steueransprüche geltend machen können, oder nicht. Für die Sicherheit der Forderung ist jedoch gesorgt, indem heute noch genügend Vermögensobjekte des Pflichtigen zu diesem Zweck in der Schweiz mit Arrest belegt sind.»23
Über den weiteren Verlauf der Steuerangelegenheit Dr. Helphand orientieren die Protokolle des Gemeinderates Wädenswil. Am 20. Februar 1922 wurde festgehalten: «Nachdem Dr. A. Helphand, wohnhaft gewesen im Gwad-Wädenswil, mit seiner Beschwerde über die Steuereinschätzung vor Oberrekurskommission abgewiesen worden ist, wird die kantonale Finanzdirektion ersucht, endlich dafür besorgt zu sein, dass der Steuerforderungsprozess gegen Helphand ohne Verzug seinen Fortgang nimmt.»24
Und unterm 8. März 1922 heisst es im Protokoll: «Die kantonale Finanzdirektion antwortet, dass Dr. Helphand gegen den Entscheid der Oberrekurskommission Rekurs beim Bundesgericht eingelegt und gegen die Ablehnung eine neue Taxationsanzeige zuzustellen, bei der Finanzdirektion Beschwerde erhoben hat, sodass es das kantonale Steueramt mit Recht für inopportun halte, die Betreibung gegen Helphand heute schon durchzuführen, zumal ja für die Forderung ausreichende Vermögenswerte des Helphand verarrestiert sind.»25
Am 4. September 1922 nahm der Gemeinderat Kenntnis von einer Zuschrift der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 1. September. Sie meldete, Dr. Alexander Helphand aus Berlin halte sich trotz seinerzeitiger Ausweisung wieder in Wädenswil auf.26 Die Chronik der Lesegesellschaft hält dazu ergänzend fest: «Von Helphand-Parvus, der seinerzeit ‚hinausgegangen wurde’, ist auch wieder die Rede. Es heisst, dass er mit Erlaubnis des Bundesrates eine Kur machte in seinem lieben Schweizerländchen und dabei auch seine bescheidene Villa im Gwad Wädenswil wieder einmal besichtigte. Weiter hörte man nicht mehr von ihm.»27
Aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 11. Dezember 1922 ist dann zu erfahren, dass die Liegenschaft im Gwad gepfändet wurde. Die Interessen von Dr. Helphand vertrat Rechtsanwalt Dr. Eugen Curti in Zürich. Er ermächtigte das Betreibungsamt Wädenswil, aus den Barerträgen der Liegenschaft der Sparkasse Wädenswil 1100 Franken auszuzahlen, den per 1. November 1922 fälligen Zins von 20 000 Franken Schuldbriefkapital.28
Im Auftrag von Dr. Alexander Helphand in Berlin ersuchte Rechtsanwalt Dr. Curti im Januar 1924 um Freigabe aller Aktiven ausser den Liegenschaften im Gwad und von 26 000 Franken, eines Restbetrages des Kontokorrent-Guthabens des Schuldners bei der Schweizerischen Volksbank in Bern. Gemäss Eintrag im Gemeinderatsprotokoll vom 21. Januar 1924 hatte das kantonale Steueramt hiezu das Einverständnis gegeben und betont, die Gemeinde Wädenswil hafte gegenüber dem Staat nur noch mit den beiden oben angeführten Gegenständen. Auf Grund des Rekursentscheides schulde Dr. Helphand an Staats- und Gemeindesteuern nur noch einen Restbetrag von rund 16 000 Franken, und die verbleibenden Arrest- bzw. Pfändungsobjekte würden zu dessen Deckung ausreichen.29
Am 22. Februar 1924 lag der Entscheid der Oberrekurskommission des Kantons Zürich vor. Die Beschwerde von Dr. Alexander Helphand gegen die Steuereinschätzung 1919 wurde abgewiesen. Damit war die Einschätzung der Rekurskommission mit 123 700 Franken Einkommen und 2,222 Millionen Franken Vermögen bestätigt.30
 

KONKURS UND HANDÄNDERUNG IM GWAD

Nach dem Tod von Dr. Alexander Helphand am 12. Dezember 1924 wurde der Anspruch auf das Erbe ermittelt. Erbberechtigt zu 3/8 war der Sohn Jewgenij Gnedin aus erster Ehe, zu 3/8 die Tochter Elsa aus vierter Ehe und die junge Witwe zu 2/8. Wegen der Steuerangelegenheit und Kreditforderungen zahlreicher Personen und Institutionen zog sich die Regelung des Nachlasses bis in den Herbst 1925 hin. Man wusste um Vermögen in einem Schweizer Safe. Aber die Witwe besass keinen Schlüssel und der Sohn Gnedin, der mit einem sowjetischen Dienstpass unterwegs war, konnte nicht in die Schweiz einreisen, weil diese inzwischen die Beziehungen zur Sowjetunion abgebrochen hatte.31
Über den verstorbenen Dr. Helphand wurde in der Folge der Konkurs verhängt. Die inzwischen etwas vernachlässigte Liegenschaft im Gwad ging durch Kauf an Otto Äberli über, der bisher in der Apfelmatte im Oberort gewohnt hatte und dieses Heimwesen in der Folge an Herrn Hottinger veräusserte, bisher Pächter bei Dr. Walter Weber im Oberort.32 In die Villa Schwanenwerder am Wannsee, Helphands letzten Wohnsitz, zog wenige Jahre später Hitlers Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels ein.33
 




Peter Ziegler


Anmerkungen

1 Die Angaben stützen sich auf die Neue Deutsche Biographie, Bd. 8, Berlin 1969, S. 506 und auf die ausführliche Biographie von Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, München 2000.
2 Angaben des Notariats Wädenswil. – «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 4 vom 9. Januar 1920.
3 Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, S. 364. – Winfried B. Scharlau, Freibeuter der Revolution. Parvus-Helphand, eine politische Biographie. Köln 1964, S. 320.
4 Winfried B. Scharlau. Freibeuter der Revolution, S. 319.
5 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 96 vom 27. Juni 1919.
6 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 8. Juni 1919, Bauprojekt Nr. 258.
7 Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee. Monatsnotizen der Lesegesellschaft Wädenswil 1911 bis 1921, S. 252.
8 Protokoll des Kantonsrats 1917 bis 1920, Bd. 2, S. 2313–2323.
9 «Neue Zürcher Zeitung», Nr. 9 vom 3. Januar 1920.
10 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 4 vom 9. Januar 1920.
11 Protokoll des Kantonsrats 1917 bis 1920, Bd. 2, S. 2399.
12 Protokoll des Kantonsrats 1917 bis 1920, Bd. 2, S. 2399–2414. – «Neue Zürcher Zeitung», Nr. 149 vom 27. Januar 1920.
13 Protokoll des Kantonsrats 1917 bis 1920, Bd. 2, S. 2414–2427. – «Neue Zürcher Zeitung», Nr. 149 vom 27. Januar 1920.
14 Winfried B. Scharlau. Freibeuter der Revolution, S. 329.
15 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 8 vom 16. Januar 1920.
16 Winfried B. Scharlau. Freibeuter der Revolution, S. 329.
17 Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee. Monatsnotizen der Lesegesellschaft Wädenswil 1911 bis 1921, S. 263.
18 Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, S. 368, 373.
19 Winfried B. Scharlau. Freibeuter der Revolution, S. 339, 343.
20 Winfried B. Scharlau. Freibeuter der Revolution, S. 341–343.
21 Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, S. 373.
22 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 35 vom 6. März 1920.
23 «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», Nr. 149 vom 28. September 1921 und Nr. 151 vom 1. Oktober 1921.
24 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 20. Februar 1922, Nr. 180.
25 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 8. März 1922, Nr. 213.
26 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 4. September 1922, Nr. 658.
27 Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee. Chronik der Lesegesellschaft Wädenswil 1922 bis 1926, S. 54.
28 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 11. Dezember 1922, Nr. 946.
29 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 21. Januar 1924, Nr. 76.
30 Stadtarchiv Wädenswil, Gemeinderatsprotokoll vom 31. März 1924, Nr. 232.
31 Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, S. 375–377.
32 Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee. Chronik der Lesegesellschaft Wädenswil 1922 bis 1926, S. 315.
33 Elisabeth Heresch. Geheimakte Parvus, S. 377.