Ein Jahr Wädenswiler Gemeindeparlament

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1975 von Andreas Ganz

«Ich werde versuchen mitzuhelfen, aus dem Parlament das zu machen, was es meiner Meinung nach sein sollte: Ein Forum der verschiedensten Meinungen und Ansichten, ein Ort, an dem man sich bemüht, Synthesen zu finden, optimale Lösungen zugunsten der Allgemeinheit.» Mit diesem Versprechen übernahm ich am 27. Mai 1974 als erster Präsident die Leitung des Wädenswiler Gemeindeparlamentes. Heute, mehr als ein Jahr nach Einführung der neuen Gemeindeorganisation, dürften im Sinne einer Standortbestimmung ein kurzer Rückblick und eine erste Analyse angebracht sein.
Bei meinem Amtsantritt war ich mir bewusst, eine ganz besondere Verantwortung zu übernehmen. Es war unschwer vorauszusehen, dass in diesem ersten Parlamentsjahr Massstäbe für die Zukunft gesetzt und die Arbeit des Rates von Öffentlichkeit und Presse ganz besonders aufmerksam und kritisch verfolgt würden.
Dazu kam für mich persönlich das Handikap, über keine eigene parlamentarische Erfahrung zu verfügen. Andererseits hatte das Amt des ersten Präsidenten auch seine Vorteile: Vergleiche mit Vorgängern fielen dahin, auftretende Pannen und Schwierigkeiten wurden wohlwollend übersehen oder grosszügig als Anfangsschwierigkeiten bezeichnet.
Ohne Zweifel hat sich das Parlament bereits im ersten Jahre seines Wirkens einen guten Ruf erworben und zum grossen Teil die hohen Erwartungen seiner Befürworter erfüllt. Das Zusammentreffen einer ganzen Anzahl günstiger Voraussetzungen hat zu diesem erfolgreichen Start beigetragen: Die klare Konzeption von Emil Baders provisorischer Geschäftsordnung, die loyale Zusammenarbeit im Ratsbüro, die mustergültig wirkenden Ratssekretäre. Der Rat selber erwies sich von Anfang an als ausserordentlich diszipliniert und einsatzfreudig, wobei der Wille zur positiven Leistung absolut dominierte und ideologische und parteipolitische Auseinandersetzungen eher seltene Randerscheinungen waren. Auch die Zusammensetzung der Legislative in bezug auf Alter, Temperament, berufliches Herkommen und spezifische Interessen ist meiner Meinung nach nahezu ideal.
Die Vorteile des Parlamentes gegenüber der ordentlichen Gemeindeorganisation mit Gemeindeversammlung sind – mit allem Respekt auch vor dieser Institution – offensichtlich. Die Arbeit in Kommissionen, Fraktionen und Ratsplenum zwingt jeden einzelnen Parlamentarier zu einem ganz andern persönlichen Engagement und einem viel intensiveren Studium der aufgeworfenen Probleme als das vom Durchschnittsgemeindeversammlungsbesucher erwartet werden darf. Eine gründlichere Kontrolle von Regierung und Verwaltung und eine umfassendere Information der Öffentlichkeit sind die logischen Folgen dieser Bemühungen. Durch das Mittel der persönlichen Vorstösse (Motion, Postulat, Interpellation und schriftliche Anfrage) können zudem unzählige Fragen angeschnitten werden, die für viele vielleicht oft sekundär, für andere aber von eminenter Wichtigkeit sind.
Ich wage zu behaupten, dass ein kritisches und anspruchsvolles Parlament Wesentliches auch zur Arbeit und Qualität der Exekutive beiträgt. Unsere Behördenmitglieder haben sich ganz anders zu exponieren als früher, und Stadträte, die sich in ihrem Ressort nicht gründlich auskennen, sind in Zukunft einfach undenkbar. Dass dadurch ihre persönliche Profilierung und die so oft gewünschte Transparenz ihrer Regierungstätigkeit erreicht wird, sei nur nebenbei bemerkt.
Zusammenfassend darf gesagt werden, dass die ersten Erfahrungen mit dem Wädenswiler Gemeindeparlament überwiegend positiv sind. Es dürfte aber jedem klar sein, dass uns nach einem relativ friedlichen ersten Amtsjahr die grossen Bewährungsproben noch bevorstehen, die heissen Eisen erst noch angepackt werden müssen. Die Diskussionen über die Schiessplatzfrage, die Besoldungsrevision, die Bauordnung und anderes werden endgültig Aufschluss über die wirklichen Qualitäten des ersten Wädenswiler Parlamentes und seiner Mitglieder geben.




Andreas Ganz