«CHUMM, MER NÄMED DE CHLII MIT»

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2004 von Peter Schuppli

PORTRÄT VON WALTER CHEESY TESSAROLO

Die Wättischwiler Fasnacht 2004 ist offiziell vorbei. Doch um Mitternacht des 1. auf den 2. März versammelt sich der harte Kern der Fasnächtler im Vorhof der Konfetti-Bar im Haus zur Sonne zum traditionellen Ausklingen der schönsten Zeit im Jahr. Trubadix und Wadin-Schränzer vereint stehen im Hof oder auf den Mauern, die den Vorhof umgeben, und trotzen dem drohenden Fasnachtsende. Sie geben nochmals alles, die Pauker hauen was die Pauken halten, die Bläser mobilisieren den hintersten Lungenflügel. Es sind mehr Fasnächtler da als sonst, und es schwingt so etwas wie Wehmut in den Klängen der vereinigten Wättischwiler Guggenmusik. Alle wissen, einer steht zum letzten Mal unter ihnen und zieht das Posaunenregister. Nach 43 Jahren Guggenmusik verabschiedet sich Cheesy von der Guggenmusik-Bühne. Er, der im Umzug stets ganz hinten neben seinem Freund Sigi marschiert oder auf der Bühne den rechten Flügel bildet, steht für einmal mitten drin, die Posaune passiv in den Armen haltend. Er geniesst die melancholisch wirkende Szene, auch wenn es für ihn den Abschied von seinen Wadin-Schränzern und von 43 Jahren intensiver, an Erlebnissen reichbefrachteter Guggenmusik-Zeit bedeutet.

Walter Cheesy Tessarolo verabschiedet sich von den Fasnächtlern um Mitternacht 1./2. März 2004.

Gewürdigt wird seine Leistung für die Wadin-Schränzer später im Rahmen des Abschlussabends der Wadin-Schränzer. Das Geschenk seiner Gschpänli ist ein aus Holz geschnitztes Ebenbild von Cheesy, gefertigt von einem Meister seines Fachs aus Brienz. Ob der eingefleischte Fasnächtler, Gugger und Schnitzelbänkler Cheesy nochmals zum Instrument greifen wird, ist fraglich. Die Posaune stellt er vielleicht in die Ecke, als Fasnächtler wird man ihm aber auch künftig begegnen, das steht für ihn fest.
Dass aus Cheesy oder Chäs, wie er in Wättischwil und in seinem neuen Wohnort Hütten genannt wird, einmal ein Fasnächtler wie aus dem Bilderbuch werden würde, ist kein Zufall. Denn schon seine Mutter, eine Walliserin, war fasnachtsverrückt, sein Vater, aus dem Rheintal stammend, ebenfalls. Bereits im zarten Alter von sieben Jahren durfte Walti (den Übernamen Cheesy erhielt er später) auf dem Umzugswagen der Fasnachtsclique des FC Meierhof am sonntäglichen Fasnachtsumzug mitfahren. Das war für ihn der Startschuss einer Fasnachtsära, die – so scheint es – noch lange nicht abgeschlossen ist. Nach diesem ersten Fasnachtserlebnis war Cheesy immer dabei, verkleidet in einem von seiner Mutter geschneiderten Böögge-Gwändli. 

Zur Guggenmusik stiess er dreizehnjährig, als die 1958 gegründete erste Wädenswiler Guggenmusik «Mary Mäckers Guggebänd» einen Tambour suchte. Werni, der grössere Bruder von Cheesy, meinte, «chumm, mer nämed de Chlii mit». Fortan floss Gugger-Blut durch die Adern von Cheesy. An einem Dienstagmorgen, so erinnert er sich, musste er auf Geheiss seines Sekundarlehrers in der Toilette zuerst die Schminke abwaschen, die noch immer in seinem Gesicht klebte, weil er nach einer langen Guggennacht keine Zeit mehr hatte, sich zu waschen.
Cheesy kann mit seinen Erlebnissen mit der «Mary Mäckers Guggebänd», die 1966 in «Sakkophonie 1958 Wädenswil» umgetauft wurde, ein Buch füllen. Viele den Fasnächtlern noch heute bekannte Namen spielen in den unzähligen Episoden eine Rolle. So wurde im Keller des Richterswilers Walti Strebel gebastelt, gemalt, und man schmiedete Pläne. Ab und zu seien sie einfach losgefahren, «um die Fasnacht zu suchen», schildert Cheesy. Zu acht oder ­neunt hockten sie in ein Auto eines Kollegen – die Instrumente banden sie auf dem Dach fest – und fuhren los, bis sie ein Restaurant fanden, das zu später Stunde noch offen war. 

Die Sakkophonie erstmals mit Grinden am ersten Umzug der NFG, Fasnacht 1973.

Dort spielten sie und erfreuten die Gäste, auch wenn es diesen oft schwer fiel, die Melodie zu erkennen. In Fahrt gerät Cheesy, wenn er von der Sakkophonie und den mit dieser Gugge erlebten Abenteuern erzählt. Ennio (Maspero), Hojok (Ernst Landolt), Ändi (Andy Wymann), Schnauz (Bär) usw. hiessen seine Freunde, mit denen er «wunderschöne Zeiten» erlebte. Schon damals waren sie alle stolz, in einer Guggenmusik spielen zu dürfen. Sie waren überzeugt, sich vor keiner anderen Musik verstecken zu müssen, pflegten sie doch seit jeher einen eigenen Stil. «Bourbon Street» spielte ausser uns niemand, erinnert sich Cheesy. Höhepunkt mit der Sakkophonie war der zweite Rang des im Einkaufszentrum Spreitenbach organisierten Guggenmusik-Treffens. Als einzige Zürcher Gugge sei es ihnen gelungen, in die Phalanx der Luzerner und Aargauer einzubrechen.
Anfang der Siebzigerjahre – in Wädenswil gab es damals nur einen Kinderumzug, organisiert vom Club kochender Männer – kam es zwischen Promotoren der Sakkophonie und dem Chef des Kinderumzugs zu Differenzen. Weil die Gugger der Sakkophonie sich keine Vorschriften «der alten Mannen» gefallen liessen, entschlossen sie sich im Restaurant Schmiedstube kurzum, eine neue Fasnachtsgesellschaft, eben die NFG, zu gründen. Anstifter waren der später verstorbene Ennio Maspero und Walter «Cheesy» Tessarolo. «Wir waren jung und frech genug, diesen Schritt zu wagen», meint er rückblickend. Im September 1972 war Gründungsversammlung, im Februar 1973 organisierte die NFG den ersten Umzug der neueren Wättischwiler Fasnachtsgeschichte. Bald zeigte sich, dass Guggenmusik spielen (und ausleben) sich nur schwerlich vereinbaren liess mit organisatorischen Aufgaben vor und während der Fasnacht. So konzentrierten sich Cheesy & Co. ab 1974 auf die Guggenmusik und überliessen die Fasnachtsorganisation – Umzug, Maskenball,  Schnitzelbankfest, Fasnachtsbar, Anlüger vom Zürichsee, Fasnachtsprogrammheft usw. – dem neuformierten Vorstand der NFG. Cheesy blieb dem von ihm mitbegründeten Verein aber stets treu. So war er ein Schnitzelbänkler der ersten Stunde. Als Chäs, «Zmitzt i d Schnurre» (zusammen mit Ennio), dann als Schuelerbueb, d Schtöörwöscher und schliesslich als Richter und Scharfrichter war er während Jahren ein fester Bestandteil auf der «Engel»-Bühne. Seine Auftritte waren denkwürdig, seine Schnitzelbänke direkt, oft deftig und manchmal so provokativ, dass der Lokalredaktor des damaligen «Anzeigers vom Zürichsee» einmal eine Zensur durch den Vorstand der NFG forderte.

Träfe Sprüche am Schnitzelbankfest 1980. Links Walter Tessarolo.

1981 kam es zwischen Cheesy und Ennio, den beiden Protagonisten in der Sakkophonie, zum Bruch. Chessy wollte ein Gwändli mit Grind, Ennio nicht. Während einer Probe meinte Ennio: «Wänns der nüd passt, chasch ja zie.» Cheesy liess sich nicht zweimal bitten, legte seine Trommel ab und ging. Der Entscheid, eine eigene, neue Guggenmusik – die Wadin-Schränzer – zu gründen, war gefallen. Mit nur zwei weiteren erfahrenen Guggern, aber zahlreichen unerfahrenen Leuten organisierte er die erste Probe, an der es einzig um die Instrumentenverteilung ging! In Sigi von Heyking, Rolf Burri und Bruder Werni Tessarolo, der während zehn Jahren als Spielleiter wirkte und die Wadin-Schränzer musikalisch weit voran brachte, hatte Cheesy jene Stützen, die er zum Erfolg mit seiner Musik brauchte. Der Schlüssel zu diesem Erfolg waren der Zusammenhalt in der Musik, die Integrationsfiguren in der Clique, die Kreativität in der Wahl des Sujets und dessen Umsetzung, der Einsatzwille sowie die Musikrichtung. Mit den ihnen eigenen Ohrwürmern gelingt es den Wadin-Schränzern noch heute, die Zuschauer von den Stühlen zu reissen. Der Stil wurde von den späteren Spielleitern weiter gepflegt und vor allem unter Pitsch Wissmann vervollkommnet.

Die Wadin-Schränzer auf der Engelbühne, Fasnacht 1985.

Der Entscheid, mit Guggenmusik aufzuhören, fiel Cheesy schwer, aber nicht über Nacht. Es brauchte zwei, drei Jahre, bis er in Kopf und Seele so weit war. Denn 43 Jahre lassen sich nicht einfach ausradieren. Der Generationenwechsel machte ihm mehr zu schaffen als er zugeben möchte. Als er das Gefühl hatte, die Wadin-Schränzer würden an Profil verlieren, weil sich das Musikrepertoire nicht mehr nach seinem Gusto entwickelte und die Gwändli nicht mehr die frühere Einmaligkeit hatten, setzte der Ablöseprozess ein. Gleichwohl möchte er kein Jahr, keine Stunde, keine Minute, keinen einzigen Auftritt missen, die er als Gugger erlebte. Mit einigen Wadin-Schränzern verbindet ihn noch heute tiefe Freundschaft. «Wir waren wie eine Familie, was nach aussen den Eindruck eines geschlossenen Zirkels machte», zieht Cheesy Bilanz. Initiativ, kreativ, einsatzfreudig, motivierend, hilfsbereit, geistreich, witzig und unterhaltend – das ist die eine Seite dieses speziellen Menschen. Kantig, direkt, kompromisslos die andere. Alles zusammen ergibt eine Mischung, die einen unschätzbaren Beitrag zur Wättischwiler Fasnacht geleistet hat. Und wer weiss, was er noch alles auf Lager hat!



Peter Schuppli