WIE HALTEN WIR ES IN WÄDENSWIL?

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2001 von Sepp Dorfschmid
 
Als Besonderheit Wädenswils darf der abgetretene Ratspräsident jeweils das Jahrbuch mit einem frei gewählten Thema eröffnen. Jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, findet die Klimakonferenz in Bonn und der G8-Gipfel in Genua statt. Ich bin enttäuscht, dass verschiedene Länder die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt haben und ein weltweites Handeln in Klimafragen praktisch verunmöglichen. Ich bin auch enttäuscht darüber, wie die grossen Acht ihre Macht zelebrieren und wie man beidseitig die Gewalt eskalieren lässt. Und wie halten wir es in Wädenswil mit der Balance zwischen Natur und Portemonnaie, wie mit der Macht und der Dialogbereitschaft?

UMWELTPROBLEMATIK

Am Anfang meiner Gemeinderatstätigkeit – in den 80-er Jahren – nahm die Umweltproblematik einen Spitzenplatz auf der politischen Traktandenliste ein. Getreu dem Motto «global denken –lokal handeln» wurde einerseits eifrig über die grossen Zusammenhänge diskutiert, andererseits im Kleinen konkret gehandelt. Es wurden Ausstellungen über Energiefragen aufgebaut, Kompost- und Abfallkurse durchgeführt, Bioprodukte eingekauft oder gar angebaut, Umweltschutzpapier gefördert und verwendet, auf das Auto konsequent verzichtet. Im Gemeinderat wurde hart über Deponien und andere Fragen der Ortsplanung gestritten, und es wurden verschiedene Vorstösse eingereicht. Es bewegte sich einiges, doch wirklich festgesetzt hat sich die umweltbewusste Denkweise nicht. Die Tatsache, dass das Postulat von Hermann Koch und Mitunterzeichnern vom 4. Februar 1980 betreffend Erarbeitung eines Energiekonzeptes immer noch die Liste der hängigen Vorstösse ziert, ist Ausdruck davon. Die Umweltproblematik wurde eben in den Neunzigerjahren durch wirtschaftliche Fragen verdrängt.
In der letzten Zeit hat sich die Wirtschaft wieder erholt. Und die Umwelt? Ich nahm die 1972 publizierte Schrift «The Limits to Growth» des Club of Rome, die damals zum verstärkten Umweltbewusstsein beitrug, wieder einmal hervor. Im Standardszenario geht alles etwa so weiter wie es immer war: Kollaps Mitte des jetzigen Jahrhunderts. Ein anderes Szenario geht von einer Stabilisierungspolitik ab dem Jahr 2000 aus: Dennoch etwas später ein abgeschwächter Kollaps. Und wie läuft es effektiv? Ein Blick in die Welt-Energiestatistik des Erdölgiganten BP: In den letzten zehn Jahren stieg der globale Energieverbrauch um 11 Prozent, der CO2-Ausstoss um 15 Prozent. Gemäss Kyoto-Protokoll sollte man die CO2-Freisetzung bis 2010 gegenüber 1990 um 5 Prozent senken. Es geht aber weiter, wie es immer war.
 

WEITER IM ALTEN TROTT?

Und was heisst das für Wädenswil? Vielleicht doch wieder eine Energieberatungsstelle einführen, statt null Komma irgendetwas Steuerprozente sparen? Attraktive Fusswege schaffen, statt einer autogängigeren Tiefenhofstrasse? Doch Gratisbus statt Gratisparkplatz? Die Mehrheitsmeinung dazu scheint klar: Weiter im alten Trott!
Die Krise der Neunzigerjahre hat aber nicht nur von den Umweltproblemen abgelenkt. Die Brecht'sche Formel "Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral" machte sich sofort bemerkbar. Sie wurde aber nicht zuletzt dort angewendet, wo es noch Reserve für ein Stück Moral gehabt hätte. Nur so lässt sich erklären, dass just in dieser Zeit die Schere zwischen Arm und Reich grösser wurde. Das Wort Eigenverantwortung erlebte eine neue Hochkonjunktur, obwohl es vielfach durch Eigennutz hätte ersetzt werden müssen. Und Wädenswil stand und steht dabei nicht abseits. Steuersenkungen statt attraktive Leistungen sind zum zentralen Thema geworden. Investitionen in die Zukunft mussten warten.

HALTUNG GEGENÜBER ÖFFENTLICHEN AUFGABEN

In der letzten Zeit hat sich die Wirtschaft wieder erholt. Und die Haltung gegenüber den öffentlichen Aufgaben? Attraktiveres Zentrum, mehr Sicherheit auf Quartierstrassen, sinnvolle Einrichtungen für moderne Familien, eine gute Integrationspolitik, sinnvoller Umgang mit Energie und Schadstoffen und viele andere Dinge stehen an. Es macht aber den Eindruck, dass solche Aufgaben nur angepackt werden können, wenn gleichzeitig der Steuerfuss markant gesenkt werden kann. Sind die Wohlhabenden, obwohl sie gemäss Statistik weniger von der Krise getroffen wurden als breite Kreise, tatsächlich nicht mehr bereit, die öffentlichen Aufgaben im bisherigen Umfang mitzutragen? Misstrauen sie tatsächlich der staatlichen Gegenleistung für ihr Geld, obwohl ihre Kreise die Führungsmannschaft auf allen staatlichen Ebenen stellen? Vielleicht liegt es einfach daran, dass alle irgendwie spüren, dass unser Wohlstand angesichts der Umweltprobleme und dem Gefälle zur dritten Welt und zu Osteuropa auf immer wackligeren Füssen steht. Gerade wegen dieser Angst, dass man auch einmal etwas abbauen muss, versucht man sich vermutlich eine möglichst gute Position zu verschaffen – als Einzelner, als Gesellschaftsschicht, als Nation.

WEGE IN DIE ZUKUNFT

Angst und Egoismen scheinen mir aber schlechte Ratgeber zu sein. Für die Zukunft sind wir wohl besser vorbereitet, wenn wir uns auf einen Weg einstellen, der für alle – nicht nur für uns selbst, unsere Familie, Wädenswil, die Schweiz, die Industrieländer – gangbar ist. Rücksichtsnahme gegenüber unseren Mitmenschen, gegenüber den Menschen in der dritten Welt, gegenüber der Natur ist gefragt. Es scheint mir darum wichtig, dass wir uns auch in Wädenswil immer wieder fragen, ob unsere Handlungsweise in der Sache und im Stil noch den Erfordernissen der Zukunft genügt. Die heutigen starren Formen von Regierung, Parlament und Volksabstimmung, die häufig nur noch ein Nein und damit einen Scherbenhaufen zulassen, genügen sicher nicht mehr. Gute Lösungen können nur entstehen, wenn unangenehme Fakten und kritische Stimmen ernst genommen und im öffentlichen Denken weiterentwickelt werden. Der Staat im Allgemeinen und unsere Stadt im Speziellen sollen transparenter, offener, ansprechbarer werden. Hier sind die Grenzen des Wachstums zweifellos noch nicht erreicht.
Es würde mich freuen, wenn die politischen Energien mehr in diesen Bereich statt in den sinnlosen Steuerwettlauf gelenkt würden. So könnte Wädenswil zu einem landschaftlich schönen Ort mit zukunftsgerichteter, weltoffener Aktivität werden.



Sepp Dorfschmid,
Gemeinderatspräsident 2000/2001