MÜLLER, HEINRICH (1877-1952)


* 1877 in Männedorf, ✝ 1952 in xx, Architekt BSA/SIA
Am 8. März nahm eine grosse Gemeinde von Verwandten, Freunden, Kollegen und Unternehmern Abschied von Architekt Heinrich Müller BSA/SIA, in der von ihm nach dem Brand von 1943 restaurierten und neugestalteten Kirche Thalwil. Dieses Werk war für den Verstorbenen die Krone seiner vielseitigen beruflichen Arbeit. Er hat sein ganzes künstlerisches Können und technisches Wissen daran gesetzt, um Turm und Fassaden in harmonischen Einklang zu bringen und einen Kirchenraum zu schaffen, der seiner Bestimmung würdig ist. Es lag ein erfolgreiches Leben hinter ihm, als er diese Arbeit übernahm und durchführte.
1877 in Männedorf geboren, entschloss er sich früh für den Architektenberuf, verbrachte seine Lehrjahre in Thalwil und lebte sich dort so gut ein, dass er nach Abschluss seiner Studien am Technikum Winterthur und an der Technischen Hochschule Stuttgart wieder nach Thalwil zurückkehrte, um sich 1907 selbständig zu machen.
Brand der Reformierten Kirche Thalwil vom 19. Mai 1943.
Im Jahre 1913 verband er sich mit J.A.Freytag zu der bekannten Doppelfirma Müller & Freytag. Über dreissig Jahre lang arbeiteten die beiden Freunde zusammen. Weil Freytag sich mehr und mehr den Bauaufgaben in der Stadt Zürich zuwandte und sich auch dorthin verzog, konnten sich die beiden starken Individualitäten unabhängig entwickeln, und ihre Bauten weisen trotz der Zusammenarbeit ihre Charakterzüge auf. Als Architekt ging Heinrich Müller mit seiner Zeit, war aber immer kritisch, trat für seine Überzeugung stets lebhaft, oft sogar energisch ein und blieb sich selber treu.
Die Firma Müller & Freytag hatte unzählige Erfolge in Wettbewerben, so z. B. für Kirchen in Fluntern, Altstetten, Seebach, für das Kunsthaus in Zürich und für zahlreiche Schulhausbauten. Solche erstellte sie in der Folge in Adliswil, Thalwil, Richterswil, Erlenbach, Stäfa, Uster, Schlieren und Dübendorf. Verschiedene Diasporakirchen konnten die beiden Freunde planen und bauen, so unter anderen in Altdorf, Flums und Wollerau. Daneben sind Wohlfahrtshäuser zu erwähnen, so dasjenige der Aluminiumindustrie Chippis, andere in Thalwil und in Schlieren. Reine Industriebauten erstellte Heinrich Müller für die Firma Blattmann in Wädenswil, die Vereinigten Färbereien Thalwil, für Geistlich und die Waggonfabrik in Schlieren. Eine ganz seltene Aufgabe wurde den beiden Freunden im Zusammenhang mit dem Bau des Kraftwerkes Wägital gestellt. Dort konnten sie nicht nur die Zentrale im Rempen ausführen, sondern sämtliche öffentlichen Bauten des Dorfes Neu-Innertal wurden ihnen übertragen: Kirche, Pfarrhaus, Gasthof und Schule. Als letzte grosse Gemeinschaftsarbeit entstand die Kirche im Friesenberg, Zürich 3.
Als J. Albert Freytag 1945 starb, führte H. Müller sein Büro in Thalwil allein weiter. An grösseren Bauten aus dieser Zeit sind die neuen Schulhäuser Uster und Adliswil, neben dem Wiederaufbau der Kirche Thalwil, zu erwähnen.
Der Verstorbene hatte eine ganz ungewöhnliche Energie, gepaart mit sprühendem Temperament, Aufrichtigkeit und Humor. Diesen Veranlagungen hatte er es sicher zu verdanken, dass er sich von einem Hirnschlag, vor etwas mehr als zwei Jahren, so rasch und gut erholen konnte. Seine Krankheit hat er mit Optimismus ertragen und sich nie darüber beklagt.
Aus dem Bedürfnis heraus, den kameradschaftlichen Zusammenschluss zu fördern, gehörte er im Jahre 1908 zu den Begründern des BSA. Bis zu seinem Tode hat er ihm Treue gehalten. Er war aber auch über dreissig Jahre Mitglied des SIA und hat dort bis vor wenigen Jahren der Normalienkommission seine umfassenden Berufskenntnisse zur Verfügung gestellt. Mit den Kollegen Adolf Bräm, Pfleghard Sen. und Anton Pestalozzi hat er in jahrelanger, mühsamer ehrenamtlicher Tätigkeit mitgeholfen, das grosse Werk der SIA-Normen aufzubauen.
Es hatte seinen tiefen Grund, dass ihm, wenn auch scherzweise, an der letzten Generalversammlung des BSA die «goldene Kette der Freundschaft» umgehängt wurde, der Freundschaft, die ihm seit Jahrzehnten mit einigen gleichaltrigen Kollegen besonders eng verband. Der starke Charakter Heinrich Müllers musste sich jedem einprägen, der mit ihm in Berührung kam. Bis in sein hohes Alter ist er ein waschechter Seebub in Sprache und Ausdrucksweise geblieben. So wird er uns in Erinnerung bleiben.

Quelle: Das Werk : Architektur und Kunst = L'oeuvre : architecture et art Band: 39 (1952) von R. Winkler, Foto Reformierte Kirche Thalwil