Bedeutende Wädenswilerinnen

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991 von Marlies Bayer-Ciprian

Sophie Hauser-Wiedemann, 1845−1931

Ob Sie folgende Frau kennen, ist nicht so ganz sicher, bestimmt aber dem Namen nach ihren Mann. Auch sein Gesicht ist Ihnen vielleicht bei einem Spaziergang durch den Rosenmattpark schon begegnet, zwar aus Stein gehauen, dafür bei jedem Wetter anwesend: Bundesrat Walther Hauser. Diese Eheleute waren die Schwiegereltern des einen Sohnes der Elisabeth Weber-Hauser, des Franz Weber, welcher bereits 1923 verstorben ist.
Diese Frau nun ist Sophie Hauser-Wiedemann, Frau Bundesrat, wie sie in der Trauerrede von Pfarrer Ryser in Zürich genannt wird. Auch sie ist Zeitgenossin einiger der ausgewählten Frauen. Ihr Leben sei reich gewesen, reich nicht nur an Jahren, sondern vor allem an Inhalt. Sogar Urenkel durfte sie erleben. Reichtum nicht nur an Glück, sondern auch an Unglück. Das Schöne sei vorweggenommen: Das Elternhaus sei schön gewesen, die Ehe glücklich, die Kinder lieb, ihre Stellung in der Gesellschaft angenehm, der Lebensabend lang und friedlich.
Aus ihrer Jugend ist bekannt, dass noch neun Geschwister da waren, dass die Jugend ungetrübt war. Was dies heissen mag? Materielles Glück? Dass Sophie trotz neun Geschwistern nie Hunger und Not leiden musste? Oder dass sie in Angriff nehmen durfte, was ihr gefiel? Oder dass sie als ältere Schwester den Kleineren eine Zusatzmutter sein durfte? Natürlich wird darüber nichts ausgesagt. Solange nichts Verbrecherisches, Hirnverbranntes oder sonst Neumodisches geschieht, braucht man aus der Jugend (auch aus der Jugend bedeutender Männer) nichts zu berichten. Eine Jugend haben ja alle hinter sich. Wir wissen schliesslich alle ganz genau, was eine ungetrübte Jugend zu sein hat!
Die Krönung dieser herrlichen Zeit nun bedeutete die Hochzeit. Als Zwanzigjährige ging Sophie die Ehe mit dem Herrlichsten ein. Ihr Mann, der spätere Bundesrat, war nur gerade acht Jahre älter als sie. Immer noch weiter sei Sophies Glückssonne gestiegen: fünf Töchtern durfte sie das Leben schenken. Die Liebe ihrer Kinder, des Ehegatten und all dessen Ehren hätten Sophie umgeben und auf sie abgefärbt. Das wohl als Trost dafür, dass sie 1888 von Wädenswil weg nach Bern umziehen musste, herausgerissen aus ihrem vertrauten Familien- und Bekanntenkreis, mit 43 Jahren, im Alter, da Elisabeth Weber eben selbständig die Brauerei führen musste? Die Ehren, welche ihrem Gatten zuteil wurden, hätten auf Sophie zurückgestrahlt.
Satz um Satz wird ihr Glück mit der Würde anderer Menschen gleichgesetzt. Wenn man nun fragte, ob sie selbst dies alles auch als Glück empfunden hat? Fünf Töchter grosszuziehen, während der Vater dauernd politisch überbeschäftigt war, dürfte auch damals nicht immer ganz leicht gefallen sein. Sich immer und immer mit des Mannes Interessen auseinanderzusetzen, ohne je Zeit und Gelegenheit zu haben, sich auf eigene Wünsche und Hoffnungen zu besinnen, mag ja tatsächlich üblich gewesen sein. Ob es deswegen einfacher war?
Oh, sicher, die Liebe entschädigt für vieles, was eine Frau allenfalls für sich selbst je erhofft hätte. Sie wäre aber vielleicht noch glücklicher, noch lebendiger geworden, wenn eine Gattin eigene Kraft, eigene Stärke, eigene Ideen hätte einbringen können und wollen. Im ganzen Nachruf jedoch wird Sophie ausschliesslich in Bezug auf andere Menschen definiert, ihr Glück an dem anderer Menschen beschrieben. Sie kommt eigentlich nur durch andere überhaupt zu Worte.
Ob eine Jugend wirklich so ungetrübt ist, wenn ein Mädchen mit elf Jahren die Mutter und mit sechzehn auch den Vater verliert? Ob nicht hier bereits der Grundstein dazu gelegt wurde, ein Leben nur für andere führen zu wollen? Ohne je nach sich selber zu fragen?
Bundesrat Walther Hauser, 1837−1902.
Zuerst den Geschwistern alles abnehmen, später für Mann und Töchter leben, ohne Abstand für Enkel und Urenkel dasein. Für Bundesrat Hauser und ihre Töchter war Sophie die denkbar idealste Frau und Mutter. Wer aber hätte - nicht in materiellem Sinne - für sie sich gesorgt?
«Sie war eine Mutter» - so der Pfarrer am Ende seiner Trauerrede -, « ... eine Gattin, eine Mutter, ein Born unerschöpflicher Liebe, so reich im Tragen, im Dulden, im Geben, im Vergeben! ... Da wachsen in der Seele Knospen, die ohne das Messer des Gärtners tot geblieben wären, jetzt aber tragen sie Blüten und reiche Früchte.»
Dies mag ja tatsächlich dem Empfinden der Hinterbliebenen entsprechen, Ausdruck ihrer Wertschätzung für die Verstorbene sein, dass man aber mit solcher Inbrunst diese Hingabe an Familie und Verwandte indirekt von der Hälfte der Menschheit aufgrund ihres Geschlechtes fordert, ist denn doch etwas stark.




Marlies Bayer-Ciprian