Kulturelles Leben in Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Willi Blattmann
Die neue Skulptur von Hans Aeschbacher, am 9. Juli 1976 festlich eingeweiht.

Anlässlich der Übergabe der von Hans Aeschbacher geschaffenen Skulptur vor dem Neubau der Schweizerischen Volksbank an der Zugerstrasse würdigte Willi Blattmann in einer Rede das kulturelle und künstlerische Leben der Gemeinde Wädenswil. Der historische Rückblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständikeit. Er wird aber doch Einheimischen manches in Erinnerung rufen und den Neuzugezogenen etwas von der Eigenart ihres neuen Wohnortes vermitteln können. Darum seien hier einige Abschnitte angeführt.

Von Dichtern und Büchern

Unser Mitbürger Karl Stamm (1890–1919) gehört zu den grossen Lyrikern deutscher Sprache. Durch den frühen Tod des Dichters wurde leider das erst begonnene grosse Werk jäh unterbrochen. Karl Stamm fühlte besonders die harte Beklemmung nach dem Ersten Weltkrieg und gab ihr in seinen Gedichten Ausdruck. Stamm hatte aber auch materielle Sorgen. So notierte er einmal «Weiter ist die Besoldung als Lehrer in einem kleinen Zürcher Dorf eine minime, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes kaum mein tägliches Brot verdiene, Bücher kann ich keine oder nur wenig kaufen.» Und aus dem Spital in Zürich schrieb er «Nun, ich hätte einige Wünsche müsste ich Papier haben, ungefähr das Format dieses Briefbogens, aber die Blätter als Block bei Stutz bekommt man schon so etwas. Kann mir Vater für die Monate September und Oktober das Abonnement der «NZZ» besorgen? Bücher und Zeitschriften müsst ihr mir keine schicken, dafür einen Bleistift.» Seit 1790 wirkt die Lesegesellschaft Wädenswil als hauptsächlichste Initiantin für das kulturelle Leben. Schon im Gründungsjahr legte sie eine Büchersammlung an. Ihre modern eingerichtete Bibliothek steht heute der Öffentlichkeit zur Verfügung. Seit 1813 führt die Lesegesellschaft durch einen von ihr bestimmten Chronisten eine eigene Gemeindechronik. Die von der Lesegesellschaft veranstalteten Vorträge, Konzerte und Ausstellungen vermitteln der Bevölkerung immer wieder die persönliche Bekanntschaft mit bedeutenden Trägern des geistigen und kulturellen Lebens. Während einer Glanzzeit der Lesegesellschaft, in den Jahren 1929 bis 1959, veröffentlichte sie rund 20 Neujahrsblätter mit Themen, die die engere Heimat befreffen.
In der Gründungszeit der Lesegesellschaft herrschte in unserer Gegend ein besonders reges Geistesleben. Wertvolle Impulse kamen von Dr. Johannes Hotze in Richterswil, aber auch von Heinrich Pestalozzi, der über seine hier aufgewachsene Mutter mit Wädenswil verbunden war. In seiner Schule in Yverdon sassen von Anfang an Knaben aus Wädenswil. 1805 wurde im Dorf eine Pestalozzi-Schule eröffnet. Zum hundertsten Geburtstag Pestalozzis, im Jahre 1846, gründete man den Pestalozziverein, der noch heute eine bedeutende fürsorgerische Tätigkeit ausübt und alljährlich Ferienkolonien in Schwende im Appenzellerland organisiert. In Wädenswil liess Pestalozzi aber auch seinen Enkel Gottlieb ausbilden: Er durchlief in der Gerberei Hauser die Gerberlehre.
 

Musik

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Wädenswil eine Singschule. Von 1857 bis 1898 war im Dorf der Sängerlehrer J. C. Willi tätig. Er leitete den Männerchor Eintracht und komponierte auch Heimatlieder. Grossen Aufschwung nahm das musikalische Leben der Gemeinde durch das Wirken des bedeutenden Pianisten, Komponisten und Dirigenten Fritz Stüssi (1874−1923). Direktor Matthei, Heinrich Funk und Rudolf Sidler führten die musikalische Tradition weiter. Seit Jahrzehnten sind die Oratorien-Aufführungen mit ersten Solisten und dem Winterthurer Stadtorchester der Höhepunkt in Wädenswils Musikleben. Dass diese Tradition nicht abreissen wird, dafür bieten bereits heute jüngere Künstler – Felix Schudel oder Peter Friedli – Gewähr.

Theater

«Anfangs dies Jahr wurde bey Vorstellung der Tragödie und Komödie bey der Crone in hier jedes Mal in den Schulfonds 65 Pfund von der Schaustellerschaft verehrt. Die Acteure waren alle ausser Herrn Billeter von Stäfa aus hiessigem Dorf.» Dieser Eintrag im Stillstandsprotokoll von 1790 beweist, dass im Dorf schon früh Theater gespielt worden ist. 1945 nahm dann das Theaterleben einen neuen Aufschwung. Emil Bader brachte die «Freunde des Volkstheaters» zusammen und brillierte gleich im ersten Jahr mit einer Aufführung. Seither wurden 39 Werke gespielt, davon in den letzten Jahren elf Stücke in zürichdeutscher Eigenbearbeitung Emil Baders. Dass unser Volkstheater zu den hervorragenden des Landes gehört, beweist auch, dass Stücke im Radio und im Fernsehen gesendet worden sind. Immer wurden bekannte Regiesseure zugezogen: August Schmid, Rudolf Joho, César Kaiser, Wilfried Scheitlin, Schaggi Streuli, Paul Bühlmann, Walter Wefel, Karl Meier und Erwin Kohlund.
1976, ein bedeutendes Jahr für die Freunde des Volkstheaters. Das Stück «Die Journalisten» wurde auch vom Fernsehen ausgestrahlt.

Schutz der Heimat

Fritz und Franz Weber, Heinrich und Rico Blattmann, Paul Blattmann sen. und andere haben schon vor Jahrzehnten für den Schutz der Heimat Grosses geleistet. Dank der Heimatverbundenheit, Weitsicht und Initiative dieser Männer dürfen wir heute mit Stolz von «unserer» Halbinsel Au, von «unserer» Burgruine, von «unserem» Engel und von «unserem» Etzel sprechen. Wir waren aber auch die erste Gemeinde am See, die einen durchgehenden Strandweg verwirklichte: vom Seeplatz zur Au. Heute nimmt sich die von
Professor Albert Hauser präsidierte Natur- und Heimatschutzkommission des Schutzes unserer Heimat besonders an. Sie schuf auch das beachtliche Heimatmuseum «Zur Hohlen Eich». Dann ist bei uns auch das Weinbaumuseum der Ostschweiz im Werden begriffen. Professor Hauser ist zurzeit für die Schaffung eines historischen Bauerngartens auf der Au besorgt. Peter Ziegler erfreut immer wieder mit köstlichen Reminiszenzen aus dem alten Wädenswil.

Kunst

Die prostestantische Kirche, 1764–1767 von Hans Ulrich Grubenmann erbaut, ist ein Kunstwerk von besonderer Bedeutung. Mit ihren Stuckaturen gehört sie zu den bedeutenden Barockkirchen unseres Landes.
Als Maler, die über die Grenzen ihrer Heimat hinaus beachtet wurden, sind Gottfried Steffan (1815–1905) und Carl Felber-Dachau (1880–1932) zu nennen, als Künstler von mehr lokaler Bedeutung Paul Haldimann (1893–1951), August Weber (1898–1957) und Ernst Denzler. Bei der Jugend das Verständnis für Form und Farbe zu erweitern, ist eines der Anliegen von Peter Friedli, der seit einigen Jahren eine Malstube führt.
Hinzuweisen ist noch auf die vielen Vereine, die das Kulturleben ebenfalls bereichern. Damit bin ich mit meinem kulturellen Rückblick aus meiner Perspektive am Ende. Möge er vor allem die junge Generation anspornen, mit Freude und selbstlosem Einsatz das Geschaffene weiter zu pflegen und zu fördern!



Detail der Grubenmannkirche von 1767.




Willi Blattmann


Michel in der Malstube. Seit vier Jahren betreuen hier Kirsten und Peter Friedli wöchentlich ungefähr 25 bis 45 Kinder im Alter von 3 bis 15 Jahren.