«In Wädenswil war ein armes Fräuli, das mit allerhand Waren hausierte. Kaufte man ihm nichts ab, fluchte es einem Unglück an. Einmal hatte es seinen Korb vor einem Haus abgestellt. Da machte ein spitzbübischer Kupferschmied ihn an die Bank. Als das Fräuli wieder herauskam, konnte es natürlich den Korb nicht wegheben. Es schimpfte und fluchte laut, dass alle Leute es hören konnten: Die zwei, dies getan haben, müssen binnen Jahresfrist sterben!' So geschah es.»
Etwas anders strukturiert die nächste Sage. Sie spendet uns eine gewisse Zuversicht: Wenn man weiss, mit dem Bösen umzugehen, kann man es überlisten − aber eben nicht immer:
«Eine Frau in Wädenswil wollte in einem Haus Waren verkaufen. Man sah sie aber in jenem Hause nicht gern als Hausiererin. Deshalb stellte man einen Besen aufrecht gekehrt vor das Haus und streute drei Hämpfeli Salz darauf. Drei Jahre lang blieb die Hausiererin weg; im vierten kam sie wieder. Darauf starb in jenem Hause ein Knabe.»
Drei Hämpfeli Salz ist hier das Mittel: Dreizahl = Dreifaltigkeit.
In der folgenden Sage tritt ein aufgeklärter Pfarrer in Erscheinung. Dies kommt beileibe nicht von ungefähr: Die Pfarrer haben seit dem 18. Jahrhundert immer wieder versucht, den Aberglauben auszurotten, − wie wir heute wissen, ohne allzu grosse Resultate. Gewandelt haben sich nur die äusseren Formen des Aberglaubens, auch der moderne Mensch ist − zahlreiche Ausnahmen vorbehalten − irgendwie abergläubisch. Doch nun zu unserer Sage:
«Unser Nachbar hatte eine Tochter im Alter von elf bis zwölf Jahren. Diese wurde behext, indem ihr eine Hexe in den Mund atmen konnte. Das Kind konnte, wenn es bei uns war, plötzlich zur Stube hinausspringen, indem es ausrief: „Seht ihr sie! Seht ihr sie!“ Und dann zeigte es auf die nur für es sichtbare Hexe. Ja, einmal zerarbeitete und zerschlug es sich ordentlich an derselben. Dann troolete es in der Stube herum und ins Bett hinein und wieder heraus. Eines Tages kam Herr Pfarrer N. N., das Kind besuchen. Das blickte ihn anfangs starr an. Verwundert fragte er des Kindes Eltern, warum das geschehe. Diese sagten ihm, er solle nur sein rotes Halstuch, das er trage, zudecken. Das tat er, und das Kind sah ihn nicht mehr so an. Der Pfarrer schärfte den Eltern strenge ein, doch ja an dem Kinde nicht weiter abergläubische Mittel zu versuchen. Aber es half überhaupt kein Mittel.
Nun konnten die Eltern ein Bündel bekommen, das sie dem Kinde in die Tasche taten. Aber nun hätte einer das Krachen hören sollen, das durch das ganze Haus fuhr. Sie liessen sich aber nicht abschrecken. Einmal nahm das Kind das Bündel aus der Tasche heraus und warf es in den Winkel. Da hätte man sehen sollen, wie das Bündel in der Stube herumflog, so dass man's schier nicht mehr erwischen konnte. Nun nähten sie es dem Kinde zwischen das Futter, und es genas.»
In der folgenden Geschichte kommt nochmals ein Besen vor. Seit dem 16. Jahrhundert ist der Besen das Symbol der Hexe. Es gab ja, wie wir alle wissen, Hexen, die den Besenstiel zum nächtlichen Ausritt benützten. Zum Glück für unsere Vorfahren aber existierten auch «Gegenmittel»: Man stellte den Besen umgekehrt auf ... Doch lassen wir den unbekannten Erzähler selber sprechen:
«Eine junge Frau hatte ein Kind von etwa drei Vierteljahren. Als sie einmal einige Tage von zu Hause fort musste, übergab sie das Kind seiner Gotte zur Obhut. Als des Kindes Mutter fort war, kam eine alte Frau, eine Hexe, zu der Gotte. Als sie das Kindlein sah, konnte sie nicht genug tun, wie das doch auch ein schönes Kind sei; sie sollten ihm all weg nur Sorge haben, es werde nicht alt. Nachts darauf hörte die Gotte in der Stube, darin das Kind schlief, laut rumpeln. Sie stand auf, und siehe da, das Kind lag nackend und auf dem Angesicht in der Stube draussen. Sein Bettlein war aber zugedeckt und in bester Ordnung. Sie legte es wieder hinein, aber zum zweiten Male wurde das arme Kind auf den Stubenboden gelegt. Nun stellte die Gotte den Besen zunderobsi, und die Hexe hatte keine Gewalt mehr. Denn eine Hexe war's, und nichts anderes, die das Kind auf den Stubenboden gelegt hatte.» Der Hexenglaube war in unserer Gegend zu vielen «Varianten» fähig. In der nächsten Geschichte sind es ausnahmsweise Buben, die «verhext» sind:
«An einem Orte (in unserer Gegend) wunderte sich der Hausvater, wie doch das viele Brot, das er alle Morgen im Küchenschrank fand, über Nacht in sein Haus komme. Weil er es dem Brot ansah, von welchem Bäcker es war, so ging er zu diesem und bat ihn, doch kein Weites und Breites zu machen. Wenn ihm wieder Brot abhanden komme, so solle er es nur ihm sagen, er werde es ihm vergüten. Seine Buben waren nämlich behext und konnten das Brot holen, ohne dass es jemand merkte.»
Zum Urtyp der Hexensage gehört die folgende, aus der Nachbargemeinde Horgen überlieferte Sage:
«In der Gegend von Horgen erzählte man sich: Die Hexen ritten des Nachts auch aus. Das ging so zu: Sie standen auf die Chouscht, nahmen den Besen zwischen die Beine − und fort ging's zum Dach hinaus durch die Luft. Hätte man nun den Leib einer Hexe, der unterdessen wie tot im Bette lag, umgewendet, das Gesicht nach unten, so hätte sie sterben müssen, denn die Seele, die von der Reise zurückgekommen wäre, hätte den Weg nicht mehr in den Leib zurückgefunden.»
Diese Sage ist ein schönes Beispiel dafür, dass Sagen, vom Lokalkolorit abgesehen, von gleicher Art sind. Mit Hilfe des Teufels können sich Hexen in Tiere verwandeln: in schwarze Katzen, Füchse oder aber, wie in unserem Beispiel, in Elstern. Manche Sagenmotive sind in der ganzen Schweiz, ja in vielen andern Ländern Europa verbreitet. Und sie treten oft unabhängig voneinander auf. Nicht umsonst hat C. G. Jung vom kollektiven Unterbewusstsein gesprochen ... Dass Hexen Schlafende würgen können, war zum Beispiel an vielen Orten bekannt. Lediglich die Bezeichnungen änderten im Laufe der Zeit. Renward Cysat, einer der ersten Sagensammler, hat im 16. Jahrhundert von würgenden Toggeli gesprochen. Sicher geht es um die gleiche Erscheinung, die in der folgenden Sage beschrieben wird:
«Eine Erzählerin versicherte, es sei ihr einmal nachts eine Hexe auf die Brust gesessen und habe sie am Halse abscheulich gewürgt, dass sie nicht imstande gewesen sei, um Hilfe zu rufen, obschon sie ihr Äusserstes aufgeboten. Erst als sie der Hexe einen rechten Fluch angehängt, habe diese sie Iosgelassen.» Wieder ist in dieser Sage angedeutet, welche Mittel in der Abwehr des Bösen zur Verfügung stehen. Hier ist es der Fluch, in anderen Geschichten ist es das Gebet. Die letzte Sage aus der kleinen Serie der dämonischen Sagen hat einen historischen Hintergrund. Die «Wattenbüelerin», eine arme Frau, die zur Hexe gestempelt, ihren Leidensweg bis zum bitteren Ende auf dem Scheiterhaufen gehen musste, stammte aus Horgen. Die Prozessakten aus dem 16. Jahrhundert liegen im Staatsarchiv. Von ihr erzählte man sich:
«Die hatte ein Unwetter verursacht, welches die Reben bös verwüstete. Auch nahm sie einigen Kühen die Milch; das heisst, sie verzauberte das Vieh, dass es keine Milch geben konnte. Ja, einige hatten sie gesehen, als sie bei der Kapelle St. Niklaus auf einem Wolfe ritt.
Für einen gewissen Zauber brauchte sie auch einmal ein Männerherz. Als sie einen Mann ausfindig gemacht hatte, dessen Herz ihr den beabsichtigten Zweck erfüllen sollte, redete sie ihn drum an. Der aber wollte sein Herz nicht an eine Hexe verschenken. Jetzt wurde das Weib bös und drohte ihm, sie wolle es dennoch haben, und ihm eines aus Stroh einsetzen.
Sie war aber an den Lätzen geraten, denn der Bursche und andere Horgener, denen sie zuleid gewerkt hatte, verklagten sie. Sie wurde verbrannt.»
In dieser Sage treten alle «klassischen» Merkmale der Hexensagen zu Tage: Ein Unwetter verwüstet die Reben, die Kühe geben wenig Milch − das musste ja irgend eine Ursache haben −, da war das Böse im Spiel. Und schon deutete das Volk auf irgendein armes Weiblein, das sich «verdächtig» gemacht hatte, das im Rufe stand, mehr zu können als irgendeine gewöhnliche Frau. Ja, einige wollten gar gesehen haben, so erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand, dass sie − welch ein unheimliches Zusammentreffen − bei einer «heiligen» Stätte der St.-Niklaus-Kapelle, auf einem Wolfe ritt. Als da gar eine Liebesgeschichte hinzukam, wurde es zuviel: Ein Bursche und andere, «denen sie zuleid gewerkt hatte», lieferten sie dem gnadenlosen Richter aus.
Zum Schluss die Sage vom Dreifingerstein: «Wenn man von der Alp auf dem Rossberg den steilen Bergpfad zur Hohen Rohne hinaufsteigt, wo die drei Kantone Zürich, Schwyz und Zug zusammenstossen, kommt man bei einem mächtigen Granitblock vorbei, der in der Umgebung unter dem Namen Dreifingerstein bekannt ist. Bei näherer Betrachtung rechtfertigt sich diese sonderbare Benennung dadurch, dass man oben Vertiefungen wahrnimmt, die so aussehen, als ob sie durch das Hineinstecken eines Daumens, eines Zeig- und Mittelfingers entstanden wären. Vom Ursprung dieser Löcher erzählt die Volkssage folgendes: