Dem Paradis so nah

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2015 von Susann Wintsch / Adrian Scherrer

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Über einige Kunstwerke im Schlosspark Wädenswil

Im Frühsommer 2009 sah man die Künstlerin Parastou Forouhar im historischen Pavillon des Schlosses Wädenswil auf einem drei Meter hohen Podest stehen. Sie malte einen Paradiesgarten auf die geschwungene Wand. Die Farbpalette bestand aus in Leim aufgelösten Pigmenten, um dem Motiv ein zartes, wie hingehauchtes Aussehen zu geben, das mehr Vision denn Bild war. Als die Künstlerin den Hintergrund, ein nebelhaftes Grau, fixiert hatte, unterbrach sie ihre Arbeit und hielt einen öffentlichen Vortrag im Schloss.
«Der Garten und das Paradies sind unmittelbar miteinander verknüpft, sodass die Bedeutung der Worte Paradiesgarten oder Gartenparadies beinahe Synonyme sind. Tatsächlich führt der erste Hinweis auf einen Garten auf den altpersischen Begriff ‹Pari-daeza› zurück und bezeichnet den ummauerten Garten persischer Adliger. In mesopotamischen Texten wird die Schöpfung oft als Kampf beschrieben, da die Mächte der Natur erst zurückgedrängt werden mussten, um Leben zu ermöglichen. Im Weltbild jener Zeit war es der König, der mit seinem Ordnung schaffenden Handeln den Bestand der Welt erweiterte und das Leben sicherte. Der königliche Garten wurde so zu seinem Sinnbild. Der Garten war den als chaotisch erlebten Naturgewalten abgetrotzt, erweiterte die Welt und stand für eine friedliche Ordnung, ein Ort ohne Gefahr für den vom diesseitigen Alltag gepeinigten Menschen. Weil der Garten aber geformt und so gestaltet ist, dass er die Realität übersteigt, wird er zum Ort der Kontemplation, an dem man sich der imaginären Welt, dem überirdischen Glück annähern kann. Der Garten ist also ein Transitraum, in dem der Mensch den Widerspruch zwischen Diesseits und Jenseits nicht mehr als unveränderliche Tatsache erlebt, sondern kreativ überwindet. So rückt das Versprechen auf ein heilvolles und harmonisches Dasein in greifbare Nähe.»
(Auszug aus dem unveröffentlichten Tagungsmanuskript der Künstlerin)

Der Verein Landart im Schlosspark

Den Anstoss für die Gründung des Vereins Landart im Schlosspark Wädenswil gab das Arboretum unterhalb der Schlossmauer. Die verwilderte Gehölzsammlung sollte aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden und wieder als das sichtbar werden, was sie einmal war: ein Park, in dem Begegnungen mit Kunst und Natur möglich sind. Im August 2008 wurde der Verein Landart als gemeinsame Initiative der Agroscope, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Stadt Wädenswil gegründet. Er dient seither als Trägerschaft der Kunstprojekte, die im Schlosspark Jahr für Jahr stattfinden. In diesem Sinn ist er ein Kooperationsprojekt der drei beteiligten Institutionen, die den Schlosspark im Bewusstsein der Bevölkerung als Ort der kulturellen Begegnung verankern wollen.
Hauptaufgabe des Vereins ist die Finanzierung der Kunstprojekte. Eine Reihe von Gönnerinnen und Gönnern, Sponsoren, Kulturförderstiftungen und Mittel der öffentlichen Hand machten die verschiedenen Projekte seit 2009 möglich. Hinzu kommen unerlässliche Sachleistungen der beteiligten Institutionen, namentlich Arbeitsstunden von Mitarbeitern der Agroscope und der Abteilung Finanzen der Stadtverwaltung.
Indem der Park ganzjährig täglich zugänglich ist, legt der Verein Landart im Schlosspark Wert auf Kontinuität. Anders als andere Landart-Projekte sind die Installationen nicht bloss saisonal. Der Schlosspark soll zu jeder Jahreszeit Ort der Auseinandersetzung mit Kunst und Natur sein. Gleichzeitig legt der Verein aber auch Wert darauf, dass in der besonderen historischen Umgebung des Arboretums sämtliche Werke reversibel angelegt sind.
Von besonderer Bedeutung ist für den Verein Landart im Schlosspark, dass sowohl die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) als auch die ZHAW beteiligt sind. Dies ermöglicht es, an der Schnittstelle von Kunst und Natur fruchtbare Dialoge zu entwickeln. So passen die Kooperationen und Partnerschaften ausgezeichnet in die Bestrebungen der Stadt Wädenswil und der Region am linken Zürichseeufer, sich als Bildungs- und Forschungsstandort zu positionieren.

Der gemalte Garten

Parastou Forouhar wurde in Teheran geboren und hatte dort Miniaturmalerei studiert, bevor sie ihr Studium in Deutschland fortsetzte. Im Jahr 1997 hat man sie zu einer Einzelausstellung in der Fahrradhalle Offenbach eingeladen. Auf die Wände des alten Industriegebäudes malte sie wild wuchernde Rosenbäume mit rubinroten Blüten, die sich bis in die Decke rankten. Darunter verdrehten lebensgrosse persische Tänzerinnen elegant die zierlichen Körper. Den abblätternden Putz integrierte die Künstlerin ins Bild oder bildete ihn nach, so dass die Fresken den Eindruck erweckten, man müsste sie bald einmal renovieren, um sie vor dem Verfall zu schützen.
In den darauf folgenden Jahren liess Parastou Forouhar die Malerei hinter sich und wurde mit ornamentalen Computerzeichnungen, die sie etwa auf Tapeten druckte oder in Animationen bewegte, international bekannt. Es sind schöne Ornamente, doch wenn man sich nähert, erkennt man Folterszenen, in denen sich Täter und Opfer wie Klone gleichen. Tritt man dann wieder ein paar Schritte zurück, verschmelzen die Details wieder in geometrische Blumen und Muster. Im Schlosspark Wädenswil wollte die Künstlerin wieder an das ausgelassene Temperament im Garten anknüpfen. Aber es kam anders. Denn unmittelbar nach ihrem Vortrag begannen – fünf Flugstunden entfernt – Massendemonstrationen im Iran gegen die unrechtmässige Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinejad. Zwei Wochen später wurden diese Proteste, die den arabischen Frühling einläuteten, so gewaltsam niedergeschlagen, dass sie seither nicht wieder aufgenommen wurden.
Parastou Forouhar rief mich an, um mir zu erklären, dass sie unter diesen Umständen keinesfalls einen Garten malen könne. Einen Tag lang berieten wir, was unmittelbar vor der Vernissage zu tun sei, und hielten unseren Plan in einem Interview fest. Am nächsten Morgen jedoch rief mich die Künstlerin abermals an. Sie sei auf dem Weg zur Arbeit, um den Garten zu malen – nur weniger bunt und üppig als vorgesehen.
Parastou Forouhar, Motive aus der persischen Miniatur, 2009.

Seither schmückt das persische Paradiesfresko die Rückwand der Schlossterrasse. Es wurde mit durchscheinenden Farben und verwischenden Pinselstrichen aufgetragen. In der Mitte schält sich ein Baum aus dem Nebelschleier heraus. Seine Äste sind wie kalligraphische Zeichen gemalt und tragen wenige grüne Blätter und einige rote Rosen, die mit Schablonen gemalt wurden. Zwei Pfauenvögel hocken auf den Zweigen, ein dritter sitzt auf dem Schlussstein des Türbogens. Von Beginn an hatte man den Eindruck, das Wandbild sei immer schon da gewesen, so selbstverständlich bettet es sich in seine Umgebung ein. In der Zwischenzeit sind seine Farben weiter verblasst; auf diese Weise erzählt es unaufhörlich vom Verschwinden der schönen Dinge.
Nie aber werde ich vergessen, wie in jenem Moment, der über Aufgeben oder Weitermachen entschied, die Stränge in Parastou Forouhars Arbeit zusammen kamen, die auf der Schönheit beharren, gerade weil die Realität entsetzlich sein kann.

Bäume, in blauen Blüten gespiegelt

Im gleichen Jahr hat auch die Schweizer Künstlerin Edit Oderbolz auf der grossen Wiese unter der Schlossterrasse einen Paradiesgarten geschaffen. Vorgesehen waren in der Erde vergrabene Trichter aus Gips, Leinen und Wachs, welche die Künstlerin mit blauer Plastikfolie überzog, um darin Wasser einzufüllen. Was so einfach klang, war recht beschwerlich, denn der Hohlraum für die kleinen Wasserblumen musste aus der harten Erde geschlagen werden, die zudem voller Steinklumpen war. Es dauerte einen ganzen Monat, bis endlich wieder Gras auf den Baustellen gewachsen war. Dann aber sah man nichts mehr von der Mühsal ihrer Schöpfung. So offenbarten mir die Wasserblumen, dass Poesie – wenn man nicht ihr Glück im Zufall sucht – geplant und erarbeitet werden kann. Eine schöne Vorstellung, dass man sich nicht mit dem Gegebenen abfinden muss.
Einen Sommer lang lagen die kleinen Kunstwerke dann wie zufällig verlorene blaue Edelsteine in der Wiese, unter der sie allmählich verschwanden, bevor das Gras im Herbst wieder gemäht wurde. Nur Spaziergänger, welche ihre Blicke abseits der Wege wandern liessen, sahen sie im Grasfeld aufblitzen. Die blauen Pfützen waren nur so gross wie die Fläche, die ein Mensch mit seinen Armen vor der Brust aufspannen kann. Der Trichter aber waren zerklüftet wie ein Bergsee. Auf den Vorsprüngen spiegelten sich die Wolken aus allen Himmelsrichtungen. Von hoch oben neigten sich auch die Baumkronen herab und schoben sich wie doppelbelichtete Bilder ineinander. Auch die Grashalme am Boden reflektierten sich im Wasser. Doch wenn sich der See bei Wind kräuselte, zerrann all dies wie ein Trugbild, und man sah Käfer an der Oberfläche paddeln und darauf treibende Blätter.
Wie viel Welt eine jede dieser kleinen Pfützen in sich vereinte... Bei jedem Windhauch gerieten sie aus der Fassung, um sich im nächsten Augenblick wieder zu beruhigen. Und all dies aus nichts denn blauen Tragtaschen aus Plastik. Dieser Wunsch, unscheinbare Sachen aus dem Aschenputteldasein zu befreien, prägt das ganze Werk von Edit Oderbolz. So «malte» sie monochrome Triptychen mit bunten T-Shirt-Hälften oder montierte erbarmenswert dünne Armierungseisen wie unvollendete Linien an museale Wände. Auch sah ich dünne Ästchen auf dunklem Teppich liegen wie Treibholz im nachtschwarzen Meer. 
Edit Oderbolz, Wasserteiche, 2009.

So kultivierte Edit Oderbolz auch für den Schlosspark Wädenswil das scheinbar Billige und Wertlose, versetzte es in eine scheinbar vorbestimmte Welt wie Kostbarkeiten, so dass wir uns neu oder überhaupt das erste Mal darüber freuen konnten. Im November desselben Jahres demontierte die Künstlerin die Wasserblumen, bevor sich der Plastik zu zersetzen begann. In meinem Gedächtnis aber sind sie im wahrsten Sinne eingegraben.

Projekte 2009 bis 2012

In den Jahren 2009 bis 2012 engagierte der Verein Landart die Kuratorin Susann Wintsch, die zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler in den Schlosspark einlud. Insgesamt 13 Kunstprojekte wurden auf diese Weise realisiert. Mit ihren Installationen, Interventionen und Projekten gaben und geben die Künstlerinnen und Künstler Denkanstösse, die den Schlosspark zum Ort des künstlerischen Dialogs an der Schnittstelle zwischen Garten, Landschaft und Natur werden liess. Es waren sehr unterschiedliche Werke, die aber eines gemeinsam haben: Sie wurden spezifisch für den Schlosspark geschaffen.
Ihrer vergänglichen Natur nach waren eine ganze Reihe dieser Projekte kurzlebig und sind heute nicht mehr zu sehen. Manche Installationen hatten nur wenige Tage Bestand, andere eine Saison lang. Zu sehen sind heute noch das Wandbild von Parastou Forouhar, die Installation «zum See» von Christoph Hänsli, die baumartige Säule von Andreas Rohrbach, die filigranen Pflanzentafeln von Annalena Müller und der «Kiosk» von Markus Weiss.
Reflexive Aktivitäten wie Workshops, die Gesprächsreihe «Inter-Aktionen» und ein gartenhistorisches Kolloquium ergänzten die Kunstinterventionen im Arboretum von Anfang an. Sie dienten dem fachlichen Austausch, insbesondere indem sie Forschende und Interessierte aus verschiedenen Disziplinen zusammen brachten. Um die Fragen, welche die künstlerischen Arbeiten im Arboretum aufwerfen, einem breiten Publikum zu vermitteln, führt der Verein Landart regelmässig Führungen durch und beteiligte sich an einem Stadtplan, der spezifisch der Kunst und den Gärten gewidmet ist und von der Kulturkommission in Zusammenarbeit mit der ZHAW im Jahr 2015 herausgegeben wurde.

Der versunkene See

Immer schon war die kleine Grotte in die Böschung neben der Schlossgass mit Gitter und Schloss verriegelt. Im Sommer 2009 schüttete der Künstler Christoph Hänsli fünfeinhalb Tonnen Geröll und runde Kieselsteine auf dem Waldweg und in die dunkle Höhle, deren Tiefe man, draussen stehend, nicht wirklich abschätzen kann. Nun verschwindet also ein Strand in der Grotte, und gerne möchte man wissen, wohin er führt. «Zum See», suggeriert der Künstler, der an der Wand links des Gitters ein kleines Emailschild montiert hat, das heute mit Efeu umrankt ist.
Birgt der Eingang also einen vergessenen Fluchtweg aus der Zeit, als das Schloss noch eine bewehrte Burg war? Man kann aber auch darüber schmunzeln, dass hier einer so frech, mitten im Wald, einen See behauptet, wo doch jeder weiss, dass dieser auf der gegenüberliegenden Seite liegt – wenn man ihn von hier aus denn sehen könnte. Das Täfelchen «zum See» könnte schliesslich auf die Tradition Wädenswiler Villen anspielen, die einen Namen tragen. Vielleicht handelt es sich also um einen Brauch seit den Höhlenbewohnern? Diese Gedanken entstehen vielleicht nur, wenn man, vor Hitze taumelnd, sich vor der schattigen Höhle abkühlt und Musse hat, dieser kleinen Merkwürdigkeit auf den Grund zu gehen. Dem Künstler aber ist es ganz recht, wenn man seine Arbeit nicht als Kunstwerk bemerkt. So kann das Geheimnis still vor sich hindämmern. Und doch kommt er jedes Jahr im Spätherbst vorbei, um das Herbstlaub aus den Steinen zu klauben – für alle Fälle.
Christoph Hänsli, Zum See, 2009.

Geschichte des Schlossparks

In der langen Geschichte des Schlosses hat der Park immer wieder eine Rolle gespielt. Schon vor der Gründung der Forschungsanstalt im Jahr 1890 gab es gartengestalterische Ansätze auf dem Schlossareal, etwa bei einem Ziergarten innerhalb der Schlossmauern oder in der Gestaltung des Schlossbachtobels in der Art eines Landschaftsgartens. Seine eigentlichen Wurzeln hat der Schlosspark aber in der Gründung der Forschungsanstalt. Als «Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau» bildete diese anfänglich auch Gärtnerlehrlinge aus. Der erste Obergärtner war Theodor Echtermeyer, der zwischen 1890 und 1894 unterhalb der Schlossmauer einen Gehölzgarten anlegte. Die meisten Pflanzen stammten aus der Handelsgärtnerei des Zürchers Otto Froebel, einem der prominentesten Gartenarchitekten jener Zeit und Mitglied der Aufsichtskommission der Versuchsanstalt. So diente die Anlage in erster Linie der Ausbildung künftiger Herrschaftsgärtner.
Die Gärtnerausbildung wurde allerdings schon 1914 wieder aufgegeben. Die Gehölzsammlung diente darauf jahrzehntelang der wissenschaftlichen Forschung. Prägende Persönlichkeiten waren die Dendrologen Johann Anliker und Max Steck, die sich seit den 1930er Jahren in Folge der Weiterentwicklung des Arboretums widmeten. Nachdem Steck 1987 in den Ruhestand getreten war, fiel der Schlosspark in einen Dornröschenschlaf. Die wissenschaftlichen Methoden hatten sich so weit verändert, dass das Arboretum für die Forschung die Bedeutung verloren hatte.
Den Schlosspark zu revitalisieren und der Öffentlichkeit bekannt zu machen, indem Kunstprojekte und das Wissen über Natur, Kunst und Umwelt gezielt gefördert werden, war von Anfang an das Ziel des Vereins Landart. So steht es in den Statuten der Trägerschaft. Der historisch wertvolle Park sollte zum Begegnungsort für den Dialog zwischen Kunst und Natur werden. Seit 2009 hat sich der Schlosspark Schritt für Schritt zum Kunstort im Landschaftsraum entwickelt. Dabei richtet der Verein Landart seine Aktivitäten für ein breites Zielpublikum aus: Interessierte an Kunst und Wissenschaft ebenso wie Spaziergänger, Kinder und Jugendliche.

Der Pavillon im Dornröschenschlaf

Ein Gartenpavillon ist ein filigranes Bauwerk aus Backstein, Gusseisen oder grünen Planken. Nicht so der sechseckige «Kiosk» (2011) mit Fensterluken von Markus Weiss. Zwar besitzt er die klassische Form aus dem Jugendstil, besteht jedoch aus Schwartenholz, also Brettern mit Rinde, die allen Bauwerken eine rustikale Aura geben. Auch wird das Dach im Innern vom Stamm einer Tanne mit gekappten Ästen getragen. Das Häuschen steht auf einem rechteckigen Podest, dessen Südspitze wie der Bug eines Schiffes aus der Böschung ragt.
Den Schwartenbrettern bin ich im Sommer 2015 in der Plastik-Ausstellung in Môtiers wieder begegnet. Dort hat der Künstler den Dorfbrunnen, aus dem kaltes Bergwasser fliesst, in ein kleines Badehäuschen verwandelt, dessen Wände die Gäste vor den Blicken des Dorfalltags abschirmen. So konnte man in der Hitze des Jahrhundertsommers und am helllichten Tag mitten im Dorf ungesehen ein Bad nehmen. Ein kleiner Junge, der hineinsprang, und der unerwarteten Kälte wegen prustend wieder aufsprang, tat es. Und wir selbst, auch wenn wir nur die Füsse baumeln liessen. Von aussen konnte man durch die Ritzen auf den sprudelnden Wasserhahn und in das köstliche Eisblau des Brunnenbeckens schauen, um zu beurteilen, ob das Minibad frei sei. An den Wänden waren Handtücher aufgehängt. Mehr brauchte es nicht, um uns mit unerwartetem Glück zu überraschen. Genauso ist es mit dem kleinen Kiosk im Schlosspark Wädenswil. Er stellt sich unaufgefordert zur Verfügung, wenn man Schutz sucht vor einem plötzlichen Gewitter oder für eine Zigarettenlänge der Vision des kargen Einsiedlerlebens nachhängt. Hier und in Môtiers berührt mich die Grossherzigkeit des Künstlers, der seine kleinen Bauwerke auf die allfälligen Bedürfnisse der zufällig Vorübergehenden zuschneidet, so dass man denkt, diese liebevolle Geste müsste sich im öffentlichen Raum noch viel mehr ausbreiten.
Markus Weiss, Kiosk, 2011.
Im Übrigen macht der «Kiosk» absichtlich einen unvollendeten Eindruck, damit man ihn bei Bedarf etwa in eine Bar verwandeln kann, oder – wie es in diesem Sommer geschah – in die «Hütte der Frau Pflanzenjägerin» von Lorena Paterlini. Darin hat die Künstlerin bis im November ihre Jagdtrophäen gehängt, einen Kompass montiert und Gummistiefel abgestellt. Auch kann man in ihrem Originalskizzenbuch mit gepressten Pflanzen blättern, in Fotoschachteln kramen und weitere liebevoll geschaffene Objekte aus Naturmaterialien in die Hand nehmen und wieder zurück stellen. Dabei lässt sich trefflich darüber sinnieren, wie der Zauber dieser Objekte sich auf die Parkbesucher überträgt – denn seit der Vernissage im Juni 2015 ist nichts abhanden gekommen.

Kooperation mit Hochschulen

In den Jahren 2013 und 2015 realisierte der Verein Landart je eine Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). An beiden Kooperationen wirkten jeweils rund ein Dutzend Studierende mit, die sich im Rahmen des Bachelor of Arts in Art Education eingehend mit dem Schlosspark auseinandersetzten. Die Kooperationsprojekte leiteten Susann Wintsch und Aldo Mozzini. Während im Jahr 2013 der Fokus auf die naturwissenschaftliche Forschung der Agroscope gerichtet war, setzten sich die Studierenden 2015 aus Anlass des 125-jährigen Bestehens der Agroscope stärker mit der Geschichte der Institution und des Schlossparks auseinander.
2013 entstanden neun Arbeiten im Schlosspark, die das Resultat einer intensiven Auseinandersetzung der Studierenden mit den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Agroscope waren. Diese Kontakte an der Schnittstelle zwischen künstlerischer und naturwissenschaftlicher Arbeit erwiesen sich dabei als fruchtbar und inspirierend. Von den neun im Schlosspark umgesetzten Arbeiten sind heute noch zwei zu sehen. Alle übrigen waren wie geplant der Vergänglichkeit unterworfen. Im gleichen Jahr beteiligten sich auch Studierende aus dem Studiengang «Narrative Environment» der ZHAW mit Projekten. Diese waren für die Tage der offenen Tür im Juni 2013 konzipiert und blieben nicht dauerhaft im Schlosspark.
2015 rückten ZHdK-Studierende die Wege und Umstände in den Mittelpunkt, auf denen die Bäume und Pflanzen in den Schlosspark kamen. Von Interesse waren dabei die «Plant Hunter», die auf abenteuerlichen Reisen exotische Setzlinge nach Europa brachten, verbunden mit dem hiesigen Hunger wohlhabender Gartenbesitzer nach exotischen Pflanzen und dem Kalkül geschickter Handelsgärtnereien. Auch 2015 nahmen ausnahmslos alle Werke Bezug auf die spezifischen Eigenheiten des Ortes. Sehr aktiv und mit grossem Engagement setzten einige Studierende zudem künstlerische Zeichen im Stadtzentrum über die engere Umgebung des Schlossparks hinaus.
Zwischen den beiden Kooperationen lag im Jahr 2014 eine Zusammenarbeit des Vereins Landart mit der ZHdK, die keine neuen Installationen im Park brachte. Studierende entwickelten im Rahmen des regulären Seminars «Öffentlicher Raum – Studien zum Schlosspark Wädenswil» Konzepte, wie das Potenzial des Schlossparks ausgeschöpft werden kann. Dabei gingen sie von der Frage aus, wie der Schlosspark in der Bevölkerung verankert und stärker oder anders wahrgenommen werden könnte. Aspekte der Kunst und Gestaltung, der Geschichte, der Naturvermittlung und Naturwissenschaft flossen in insgesamt 16 Konzepte ein, die im Juni 2014 in der Galerie Rosenhofraum dem interessierten Publikum vorgestellt wurden.

Der entzweite Baum

In unmittelbarer Sichtweite des Pavillons steht ein Baum von Alexandra Maag. Er besteht aus dem Stamm einer Hagebuche und der Krone eines Apfelbaumes, die durch eine massgeschneiderte Eisenprothese senkrecht zusammen geschraubt wurden. Zwischen den Teilen aber klafft eine Leerstelle. Der Baum erinnert mich an den Protagonisten aus der Novelle «Der geteilte Visconte» von Italo Calvino. Dieser Kriegsherr wurde in einer Schlacht in zwei Hälften geteilt, und zwar in einen unbarmherzig grausamen und in einen abstossend tugendhaften Teil, die beide viel Unheil in der eigenen Grafschaft bewirkten. Erst als sich die beiden Teile begegnen und wieder vereinigen, wird aus ihnen wieder ein echter Mensch.
Alexandra Maags Prothese erinnert mich daran, dass Bäume lebendige, atmende Wesen sind, deren Wunden geheilt und gepflegt werden können wie bei Menschen und Tieren. In Japan gibt es diese Haltung seit jeher. Bäume sind lebendige Orte, auf denen die Götter hausen. Wenn sie alt und gebrechlich werden, stützt man ihre schweren Äste, die den Stamm zu brechen drohen, mit Holzsäulen. Je älter der Baum ist, desto weniger sieht man ihn hinter diesem Säulenwald. Mir scheint, Alexandra Maag will die Reste zweier Bäume dazu überreden, miteinander zu verschmelzen, um ihnen ein zweites Leben einzuhauchen. Um ihnen dabei zu helfen, stellte sie sie mithilfe einer Prothese in die richtige Form.

Alexandra Maag, Fortschnitt, 2013.

Der Kakteenbaum

Weiter unten, am Schlossbach unter dem Wasserfall, gibt es tatsächlich eine Säule. Sie ist allerdings aus rotem Marmor, tut aber, als wäre sie ein Baum, weil aus ihrem Schaft rohrförmige Äste wachsen, und weil sie von einem Moosteppich in Form eines Kapitells bekrönt wird, das leuchtend grün gefärbt ist wie das Laub im sommerlichen Bachtobel.
«Säule» ist eine aberwitzige Erscheinung, die in ihrer Künstlichkeit und der kühnen Verkürzung auf das Wesentliche an ein Icon, ein dreidimensionales Piktogramm erinnert, das als Übergangssymbol zwischen wilder Natur und strenger architektonischer Ordnung erfunden worden ist. Aus diesem Grund hat der Künstler Andreas Rohrbach seine «Säule» genau auf die Grenze zwischen Wald und Strasse gestellt. Und folgerichtig platzieren Spaziergängerinnen und Spaziergänger auf den Aststümpfen der Säule Wechselausstellungen natürlicher Nippes wie Schneckenhäuser, grosse Samen und schöne Steine, eine Form der Verehrung der Natur, für die Andreas Rohrbach einen Schrein im Zwischenland zwischen Paradies und Alltag geschaffen hat.

Andreas Rohrbach, Säule, 2011.




Susann Wintsch / Adrian Scherrer