150 Jahre Stärkefabrik Blattmann

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1981 von Peter Ziegler
Der Grünenberg um 1892.

Im Herbst 1856 gab der Wädenswiler Heinrich Blattmann den wenig lukrativen Lehrerberuf auf und kaufte an der Seeferen in Wädenswil die Gebäude zum «Grünenberg», in denen seit etwa 1830 Stärke, Phosphorzündhölzer und Wichse hergestellt wurden. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern konzentrierte sich Blattmann auf die Fabrikation von Amelung. Als einer der ersten versuchte er, die Abfallprodukte – Fruchtwasser und Schlempe – nutzbringend zu verwenden. Blattmann vertrieb seine Stärke selber: im Glarnerland, in der Innerschweiz, in St. Gallen und im Toggenburg. Mit der Zeit wurde er zum geschätzten Lieferanten namhafter Textilveredlungsfirmen der ganzen Ostschweiz.
1872/73 vergrösserte der initiative Fabrikant sein Unternehmen. Zur Produktion von Weizenstärke trat die Reisstärke, die in den 1880er und 1890er Jahren auch nach England und Frankreich verkauft wurde. Neben seiner geschäftlichen Tätigkeit unterstützte Heinrich Blattmann den Bau der linksufrigen Seebahn und gehörte zu den Gründern der Leihkasse Wädenswil, der Speditionsgesellschaft und der Südostbahn. Er diente seiner Heimatgemeinde in macherlei Ämtern und sozialen Institutionen, dem Kanton Zürich als freisinniger Grossrat und Verfassungsrat.
Heinrich Blattmann-Ziegler, 1869-1939.
Als Heinrich Blattmann 1893 starb, konnte sein Sohn Heinrich Blattmann-Ziegler ein zwar noch kleines aber konsolidiertes Geschäft antreten. Die Wirtschaftlichen Möglichkeinten weise abwägend, weitete Heinrich Blattmann jun. Den Betrieb durch Liegenschaftenkäufe in der Seeferen schrittweise aus. 1898 verlegte Blattmann die Mais- und Hafermühle nach Samstagern, und 1906 nahm der die Fabrikation von Dextrin und Pflanzenleimen auf. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges kam die Produktion von Trockenkleister hinzu, der unter dem Namen Fischkleister bald zum Begriff wurde. Zu den Mitarbeitern von Heinrich Blattmann-Ziegler gehörte seit 1890 Carl Büchi-Keller, der zusammen mit Blattmanns Schwager Carl Robert Ziegler im Jahre 1922 als Teilhaber ins Geschäft aufgenommen wurde.
Anfangs der 1930er Jahre, als die ostschweizerische Textilindustrie in der Krise steckte und gesteifte Textilien nicht mehr gefragt waren, wurde unter der Leitung des Chemikers Dr. Max Stärkle, der 1934 ins Geschäft eingetreten war, namentlich die Glukose-Herstellung weiter entwickelt. Innerhalb von fünf Jahren vervierfachte sich der Verkauf des Produktes. 1935 übernahm die Stärkefabrik Blattmann die zum Futterwarengeschäft in Samstagern artverwandte Reisraffinerie in Thalwil (1962 aufgegeben). Im 1917 erworbenen Gutsbetrieb Büelen in Wädenswil wurden die Abfallprodukte nutzbringend verwertet. Wie sein Vater diente auch Heinrich Blattmann-Ziegler der Öffentlichkeit in vielfacher Weise. Er gehörte ebenfalls dem Gemeinderat an, leitete während 18 Jahren die Primarschulpflege und arbeitete zusammen mit seiner Frau in vielen gemeinnützigen Werken.
Stärkefabrik Blattmann um 1904.
 
1915/16 wurde das Fabrikgebäude aufgestockt und um einen Anbau verlängert.

Fabrikanlage nach dem Bau des Kesselhauses im Jahre 1928.
 
Fabrikanlage mit «Noredux»-Gebäude (rechts) aus den 1950er Jahren. Aufnahme um 1964.

Nach seinem Tode trat 1939 die dritte Generation ans Werk. Unter der Leitung von Carl Robert Ziegler und der Söhne des verstorbenen Heinrich Blattmann-Ziegler – Rico und Alfred Blattmann – wurden die Schwierigkeiten des Zweiten Weltkrieges überwunden. Mitten in schwerer Zeit glückte es, im Versuchslaboratorium ein neues Verfahren zur Herstellung von Stärkeprodukten aller Abbaugrade zu entwickeln. Dank zielbewusster Koordination von Wissenschaft und Technik wurden die neue Stärke-Derivate geschaffen, die in der Textil-, Papier-, Klebestoff- und Lebensmittelindustrie Eingang fanden und auch im Ausland grosse Bedeutung erlangten. Mit dem «Noredux»-Verfahren liess sich auf vollautomatischem Wege jedes chemisch mögliche Stärkeabbauprodukt in grösstmöglicher Präzision erzeugen. Die 1960er Jahre waren für das Familienunternehmen von weittragender Bedeutung, starben doch in diesem Jahrzehnt die beiden Brüder Heinrich Robert (Rico sen.) und Alfred Heinrich Blattmann. Die vierte Generation übernahm die Geschäftsleitung: H.H. Blattmann das Verkaufs-Ressort, Peter H. Blattmann das Produktions- und Peter H. Tesdorpf das Finanz-Ressort.
Die 1970er Jahre begannen verheissungsvoll; man entschloss sich zu einer weiteren Diversifikation. Am 1. April 1970 nahm die Tochterfirma Isolar Olten ihren Betrieb auf, sie stellt Isolier- und Panzerglas her. Engpässen in der Lagerhaltung begegnete man 1971 mit der Gründung der Silo Olten AG in Olten. Heute steht dort der zweitgrösste, vollautomatisierte Lagersilo der Schweiz, an welchem die Firma Blattmann + Co. und André und Cie SA, Lausanne, je zur Hälfte beteiligt sind. 1978 konnte ein guteingeführter Glas-Grosshandelsbetrieb in St. Gallen käuflich übernommen werden, und in Wädenswil wurde im Zuge unermüdlicher Rationalisierung die Fabrikation von Glukosesirup völlig erneuert. Im Juni 1979 kam es zur Gründung einer weiteren Tochterfirma, der Garage Rietliau AG.
Initiative, Verantwortungsfreude und die nötige Energie, um das Werk ungeachtet aller Schwierigkeiten weiterzuführen, machten den Unternehmenserfolg der Blattmann + Co. aus. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Geschichte der Fabrikbauten, die aufs diesjährige Firmenjubiläum hin vorbildlich restauriert worden sind: 1874 wurde die alte Fabrik um etwa 12 Meter verlängert, 1893 entstanden Kesselhaus und Hochkamin, 1895 die Vergrösserung gegen Süden. 1908 bezog man den Büroneubau, und in den Jahren 1915/16 wurde die Fabrik aufgestockt und um einen Anbau verlängert. 1919 vergrösserte man das Bürogebäude, wenig später kamen Schreinerei und Garage dazu. 1928 konnten ein neues Kesselhaus und 1931 ein grosses Lagerhaus in der Au gebaut werden. In den 1950er Jahren entstand ein Neubau für die Noredux-Fabrikation.




Peter Ziegler


(Nach Albert Hauser, Geschichte der Stärkefabrik Blattmann + Co., 1856-1981, Wädenswil, 1981)