WÄDENSWILER BRAU-TRADITION

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1993 von Adrian Gnos

SCHLIESSUNG DER BRAUEREI

Das Jahr 1993 hätte für die Brauerei Wädenswil ein Jubiläumsjahr werden können: «Gambrinus», das Wahrzeichen der Brauerei am See, feierte den stolze hundertsten Geburtstag, und es waren zwanzig Jahre vergangen, seit das erst Mal «Cardinal»-Bier in Wädenswil gebraut wurde.
Doch die Geschichte hat einen anderen Lauf genommen. Bereits 1978 stellte man den Biertransport per Schiff ein. Später wurden die Schlepper verschrottet, die beiden Ledischiffe «Wadin» und «Gambrina» verkauft. Die «Gambrinus» konnte noch kurz vor ihrem Todesurteil gerettet werden.
Im Herbst 1988 flammte der Ietzte Hoffungsschimmer am Horizont auf, dass die Schliessung der traditionsreichen Brauerei «jeglicher Grundlage entbehre». Zwei Jahre darauf wurde diese offiziell doch bekanntgegeben. Was war bloss geschehen?

TRADITIONSREICHE BRAUEREI WEBER

Die Anfänge der Brauerei Wädenswil reichen ins Jahr 1826 zurück. Doch erst 1856, unter Michael Weber, blühte sie richtig auf. Denn er beherrschte die Kunst des Bierbrauens, die er seinen Söhnen Fritz und Franz weitergab. Die Gebrüder Weber führten den Betrieb durch eine Sturm- und Drang-Epoche des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Allzu früh verliessen Franz und Vater Michael diese Welt, und Fritz Weber verkörperte während siebzig Jahren die Brauerei.
Er war der letzte Weber als Brauer von altem Schrot und Korn, souverän in seinem Beruf, den er liebte. Noch bevor er 1955 mit beinahe 86 Jahren seine wachen Augen für immer schloss, verunglückte sein junger, hoffnungsvoller Enkel und Nachfolger, Braumeister Peter Walter, tödlich.
Aus der Familie Weber ging noch manch starke Persönlichkeit hervor, die mit viel Geschick nicht nur in der eigenen Firma, sondern auch aktiv in Behörden und Organisationen tätig war. Nie jedoch gab es mehr einen Brauer in der Familie.

Fritz Weber-Lehnert (1870−1955), der letzte Brauer in der Familie.

ANSCHLUSS AN DIE BRAUEREI-HOLDING «SIBRA»

Obwohl die Brauerei eine gesunde Bilanz aufwies, modern eingerichtet und durchrationalisiert war, zeigte sich in den 1960er Jahren, wie in der gesamten schweizerischen Brauindustrie, eine Absatzstagnierung sowie ein stetes Steigen der Kosten gegenüber den Erträgen. Die Vertreter der vierten Generation hielten es deshalb für ihre Pflicht, Massnahmen vorzubereiten. Nach reiflicher Überlegung schloss man sich 1970 einer im Welschland aus denselben Motiven in Gründung begriffenen Brauerei Holding − Sibra − an. Eine Fusion oder gar ein Verkauf stand nie zur Diskussion. Die Bevölkerung wurde zunächst mit der Schlagzeile beruhigt: «Das Wädenswiler Bier bleibt das gleiche!» Die Mitteilung jedoch, «kein Diktat aus Freiburg», gab den Mitarbeitern wohl für die nächsten zwanzig Jahre zu denken.
Der grösste Schlag für alle Liebhaber des guten Gerstensaftes aus Wädenswil stand noch bevor: Auf die Überlegung hin, dass grosse bekannte Marken mit nationaler Verteilung eindeutig mehr Aussicht auf Erfolg haben als lokale und regionale Biere, wurde von den fünf Sibra-Brauereien eine einheitliche Biermarke kreiert.

«CARDINAL, GEBRAUT VON WÄDENSWIL»

Das der gesamtschweizerischen Aussprache wegen auf den Namen «Cardinal» getaufte Bier gelangte am 1. Februar 1973 anfänglich noch mit dem Vermerk «Gebraut von Wädenswil», zum Verkauf. Die Freunde des Weberschen Bieres waren enttäuscht. Niemand glaubte, dass nach wie vor getreu den alten Rezepten gebraut würde, da höchstens in der Bittere eine leichte Anpassung vorgenommen worden war. Denn die «Gambrinus» war als Schutzmarke vom Etikett verschwunden. Das neue «Spezial» wollte einfach nicht nach «Ur-Hell» schmecken, ja sogar das «Johanniter» war zum «Cardinal» geworden.
Schon um 1900 transportierte die «Brauerei Wädenswil» Bierfässer auch mit dem damals modernen Lastwagen.

Nach den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen − 1976 − glaubte man, mit der Brauerei als Stützpunkt an der Front Nordostschweiz bestehen zu können. Langfristig dachte man sogar an einen bedeutenden Ausbau. In der Realität aber war Wädenswil − infolge über Jahre hinweg ausbleibender Investitionen − ein altes, kränkelndes Unternehmen, das zur improvisierten Spar- und Versuchsbrauerei geworden war. Der Ausstoss sank langsam von 200‘000 Hektolitern pro Jahr auf beinahe die Hälfte. Erfreulicherweise hatte eines durch alle Wirren Bestand: die Qualität. Das in Wädenswil gebraute Bier war nach wie vor eines der besten.
Plakat aus den 1930er Jahren. Zeichnung von Otto Baumberger.
Gläser und Flaschen der stillgelegten Brauerei sind heute begehrte Sammlerobjekte.

Ein weiterer Lichtblick war das zwischen 1976 und 1984 errichtete Bier-Museum, das an die Zeit erinnerte, als die Brauerei Weber noch weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt war und von der Fachwelt als Vorbild geschätzt wurde. Leider ist auch die Zukunft des Brauerei-Museums ungewiss.

VON «CARDINAL» ZU «FELDSCHLÖSSCHEN»

Im Mai 1979 las man im Wirtschaftsteil schweizerischer Zeitungen die Meldung: «Cardinal hat Mühe, sich durchzusetzen». Dividenden sahen die Aktionäre schon seit langem nicht mehr. Trotzdem wurde die Freiburger Brauerei zu einer modernsten Europas ausgebaut, was zur Folge hatte, dass sie heute noch die einzige ist, die «Cardinal» braut. Alle anderen meist traditionellen Familienunternehmen sind auf der Strecke geblieben.
Kurze Zeit nach der Einstellung der Bierproduktion in Wädenswil gab die Sibra eine Zusammenarbeit mit ihrem grössten Konkurrenten bekannt: «Feldschlösschen» in Rheinfelden. Die grosse nationale Marke, der man es einst gleichtun wollte, hatte aus den Fehlern der Holding gelernt und den von ihr aufgekauften Brauereien ihre regional bekannten und beliebten Marken mit Erfolg gelassen. Aus der angekündigten Zusammenarbeit wurde eine Übernahme, und die «Feldschlösschen»-Gruppe beherrscht nun über 50 Prozent des schweizerischen Biermarktes.
Briefkopf der Brauerei Wädenswil aus dem frühen 20. Jahrhundert, mit Abbildung des Fabrikareals und des Wasserfalls im Giessen.

WIEDER BIER AUS WÄDENSWIL

So wird der hundertjährige Bierschlepper «Gambrinus» das letzte und einzige Überbleibsel einer glorreichen Ära sein. Oder besteht am Ende noch Hoffnung? Fritz Weber pflegte zu sagen: «Es ist keine Schande, einen Fehler einzugestehen. Und es ist auch nie zu spät, ihn wieder gutzumachen!»
Seit bald zwei Jahren wird in Wädenswil − in der «Alten Fabrik» − wieder Bier gebraut ...




Adrian Gnos