Das Glockengeläute in der Au

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1979 von Peter Weiss

Glocken haben in unserer Gegend eine zweifache Bedeutung. Sie laden mit ihrem Ruf zu den verschiedenen gottesdienstlichen Feiern ein (Sonntagsgottesdienst, Hochzeits- und Bestattungsfeiern). Zu dieser ursprünglichen einladenden Verwendung hinzu kommt die zeichenhafte: die Glocken werden geläutet, auch wenn kein Gottesdienst stattfindet, sondern nur allgemein zum Gebet und zur Besinnung aufgerufen wird (Morgenläuten, Mittagsläuten, Vesper-, Betzeit- und Abendläuten). Dieses den Tag gestaltende Läuten, das vom klösterlichen Leben herkommt, will uns daran erinnern, dass unser ganzes Leben Gottesdienst ist und Gebet und Arbeit eine Einheit bilden.

Der Glockenträger

Nachdem im Kirchgemeindepavillon Au seit dessen Einweihung am 27. August 1972 regelmässig Gottesdienste gehalten wurden und sich erfreulicherweise ein reges kirchliches Leben entfaltete, wurde der Wunsch nach einem einfachen Glockengeläute immer vernehmlicher.
Eine spezielle Kommission der Kirchenpflege besichtigte verschiedene Glockenträger in anderen Gemeinden, erkannte aber bald, dass ein eigenes Projekt − abgestimmt auf den schmucken Pavillon und die Umgebung − das einzig richtige sei. So legte die Firma Egger, Erstellerin des Pavillons, einen mit der Glockengiesserei Rüetschi, Aarau, ausgearbeiteten Plan vor, der gefiel und der an der Kirchgemeindeversammlung vom 29. Januar 1978 allgemeine Zustimmung fand.

Die Glocken

Drei Glocken waren vorgesehen, klanglich auf die Geläute von Wädenswil, Meilen und Horgen abgestimmt. Da fand sich eines Abends jemand bei mir ein und erklärte mir kurz und bündig, sie möchte die drei Glocken für die Au schenken.
Voller Freude dankte ich der Stifterin für ihre Grosszügigkeit, musste ihr allerdings erklären, dass die kleine Glocke durch eine besondere, schon seit Jahrzehnten von den Sonntagsschülern der Au zusammengelegte Kollekte, die «Glögglischtüür», bereits finanziert und als Sonntagsschul-Glöcklein bestimmt sei. So blieben noch die zwei grösseren Glocken, für die wir miteinander die Glockensprüche aussuchten. Am 28. April 1978 wurden die Glocken in Aarau im Beisein einer Gruppe von Kirchenpflegerinnen und Kirchenpflegern, Pfarrern und Familiengliedern der Spenderin gegossen. Unvergesslich, wie nach einem Gebet der Ofen angestochen wurde und die glühend flüssige Masse sich in die einzelnen in der Erde versenkten Formen ergoss!

Turmaufrichte und Glockenaufzug

Am 1. Juni war es so weit. Um 10.00 Uhr wurde der aus verleimtem Holz gefertigte Glockenträger mit einem Spezialkran auf das vorbereitete Fundament gestellt und verschraubt. Etwa eine Stunde später war er bereits mit einem Gerüst eingekleidet, und die grosse Glocke konnte mit dem Kran aufgezogen und von Giessermeister Spielmann befestigt werden, wobei viele interessierte Zuschauer dem Ereignis beiwohnten. Gegen Mittag hingen alle drei Glocken in ihren Verankerungen und erstrahlten in prachtvollem Glanze.
 
Kleine Glocke
«Gott ist die Liebe» Johannes 4,16
Ton «fis», Gewicht zirka 110 kg
 
Mittlere Glocke
«Der Herr ist mein Hirte» Psalm 23,1
Ton «e«, Gewicht: zirka 150 kg
 
Grosse Glocke
«Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!» Jesaja 41,10
Ton «cis», Gewicht: zirka 250 kg

Ökumenischer Familiengottesdienst zur Glockenweihe

Da die katholischen Gemeindeglieder der Au von Anfang an im Kirchgemeinde-PaviIIon Gastrecht genossen und sich ein ausgezeichnetes freundnachbarliches Verhältnis entwickelt hatte, war es für uns selbstverständlich, die Glocken gemeinsam einzuweihen und künftig auch zu den Gottesdiensten bei der Gemeinden erklingen zu lassen.
Am Sonntag, dem 11. Juni 1978, fand sich bei angenehmem Sommerwetter eine aus mehreren hundert Menschen zusammengesetzte Gottesdienstgemeinde auf den Bänken und Stühlen ein, die auf dem Parkplatz und der angrenzenden Wiese aufgestellt waren. Als die drei Glocken erklangen, wurde mancher von tiefer Freude bewegt. Die Mundartpredigt, in die sich die Pfarrer Baumann und Weiss teilten, war dem Sinn der Glocken und den einzelnen Glockensprüchen gewidmet, wobei die Sonntagsschüler mit ihrem Lied «Gott ist die Liebe» den Spruch ihrer Glocke ergreifend intonierten. Der Posaunenchor mit seinem erfrischenden Spiel und die vereinigten Chöre der Au mit ihren festlichen Liedern gaben dem ganzen Gottesdienst ein feierliches Gepräge und verbreiteten auch während des anschliessenden Beisammenseins viel Heiterkeit und Genuss. Dass noch ein wackerer Alphornbläser die Glocken begrüsste, war eine köstliche Überraschung.

Der Alltag der Glocken

Seither versehen die drei Glocken stetig und treu ihren Dienst. Sie laden ein und erinnern mit ihren Sprüchen und ihrem Läuten an Gott, der uns allen nahe ist und über uns wacht. Der Fischer draussen auf dem See, der in den Rebbergen oder Obstgärten Tätige, der Arzt, die Hausfrau und das Schulkind, sie alle freuen sich über den hellen Klang. Er verbreitet so etwas wie ein Gefühl von Heimat und Geborgensein und ist als Zeichen der Freiheit, die letztlich im Evangelium gründet, weit übers Land hin hörbar.



Pfarrer Peter Weiss