1291: Der Johanniterorden kauft die Kirche Wädenswil

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 31. August 1991 von Peter Ziegler

Im Januar 1991 waren 700 Jahre vergangen, seit das Kloster Wettingen dem Johanniterorden die Kirche Wädenswil samt ausgedehntem Grundbesitz in der Herrschaft Wädenswil verkaufte.
Durch diesen Akt kamen grundherrliche Rechte (Grundbesitz und Gerichtskompetenzen) und kirchliche Rechte in der Johanniterkomturei Wädenswil in ein und dieselbe Hand. Ein geschichtlicher Abriss soll die Hintergründe und Zusammenhänge des für Wädenswil wichtigen Ereignisses des Jahres 1291 aufzeigen.

Die Wettinger Güter in der Herrschaft Wädenswil

Wann und auf welchem Wege kam das Zisterzienserkloster Wettingen in den Besitz der Kirche Wädenswil und jener Güter, die es am 15. Januar 1291 den Johannitern veräusserte?
Eine Urkunde, die am 31. August 1270 im Vorhof der Kirche Wädenswil ausgestellt wurde, berichtet, dass der Edle und Ritter Rudolf von Wädenswil dem Abt und Konvent des Klosters Wettingen an diesem Tag mit Einwilligung seiner Gattin Anna und mit Billigung der Töchter Katharina, Margaretha und Cäcilia seine Güter bei Wädenswil verkauft hat, welche in der Umgangssprache «zu Hütten», «zu Langmoos» und «zu den Schweigen» genannt werden und diesseits und jenseits der Sihl liegen. Der Verkaufspreis war auf 203 Mark Silber Zürcher Gewichts festgesetzt, was dem Wert von 47,7 Kilogramm Silber entsprach.
Rudolf sah sich zum Verkauf genötigt, weil er sich stark verschuldet hatte. Wörtlich liess er in der Urkunde vom 31. August 1270 vermerken: «Wenn mir die genannte Summe nicht bezahlt worden wäre, wäre ich verarmt und hätte alles Gut verloren.»
Nach dem Gütererwerb verfügte das Kloster Wettingen in der Herrschaft Wädenswil über zwanzig Höfe. denn es hatte hier schon vorher ausgedehntes Grundeigentum besessen. Über dessen Lage orientiert ein um 1250 angelegtes Güterverzeichnis, das heute im Staatsarchiv des Kantons Aargau in Aarau aufbewahrt wird (Signatur: Urkunde U.38/0149). Danach zog sich Wettingens Grundbesitz wie ein Gürtel aus der Gegend von Naglikon und Gwad über Hangenmoos und Herrlisberg einerseits nach Gisenrütl, Mugeren. Rechberg und Nussbäumen und andererseits über Stollen und Wolfbüel nach Langmoos und Hütten. Die meisten dieser Höfe und Güter waren wohl durch das Kloster auf Rodungsland angelegt worden. Sie wurden für den Getreidebau genutzt, was die von diesen Ländereien zu entrichtenden Getreidezinse belegen. Die Höhe der Kornabgaben ist ein Indiz für die Grösse des jeweiligen Hofs und für den Kornertrag. Ordnet man die Wettinger Güter in der Herrschaft Wädenswil nach der Grösse der Getreidezinse, so ergibt sich – mit fallendem Zins – folgendes Bild: Am ertragreichsten waren die Güter Aesch, Laubegg und die nicht genau lokalisierbaren «Utwile» und Bühl oder Büelen. Etwas kleiner waren die Höfe Schwarzenbach und Gisenrüti. Gleich hohe Abgaben gingen von Nussbäumen, Rechberg, Stollen, Wolfbüel und Gebisholz oberhalb der heutigen Gwads ein. Am Schluss der Abgabenliste stehen Herrlisberg, der «Wodel» (das Gebiet des heutigen Ausees) und der Hof Opfisau im heutigen Mittelort.
Wie war das Koster Wettingen zu solch ausgedehntem Grundbesitz in der Herrschaft Wädenswil gekommen? In seiner 1991 erschienenen Zürcher Dissertation «Adelige Territorialpolitik in der Ostschweiz» legt Erwin Eugster dar, dass zwischen den Geschlechtern der Neu-Rapperswil und der Wädenswil verwandtschaftliche Beziehungen bestanden. So bezeichnet eine Urkunde von 1244 Rudolf von Neu-Rapperswil als Blutsverwandten der Wädenswil-Wolhusen. Graf Ludwig von Homberg, Herr zu Rapperswil, wirkte 1287 als Zeuge, als Rudolf von Wädenswil seine Herrschaft dem Johanniterorden veräusserte, und Elisabeth von Homberg-Rapperswil sprach 1296 Rudolf von Wädenswil als ihren Neffen an. Eingehendere Forschungen werden zu klären haben, ob die Neu-Rapperswiler allenfalls Abkömmlinge der Wädenswiler sind, die ihrerseits in verwandtschaftlicher Beziehung standen zu den letzten Generationen des Geschlechts von Alt-Rapperswil.
Angesichts solcher Verwandtschaftsverhältnisse könnte es sich bei den oben erwähnten Höfen und Gütern um alten Familienbesitz der Rapperswiler gehandelt haben. Dieser wurde vermutlich nach 1227, aber vor 1250, dem Kloster Wettingen vergabt, das ein Familienangehöriger, Heinrich von Rapperswil, im Jahre 1227 gestiftet hatte.

Die Kirche Wädenswil in Wettinger Besitz

Wann die Kirche Wädenswil mit dem Patronatsrecht ( = Recht, dem Bischof von Konstanz den einzusetzenden Geistlichen vorzuschlagen) und der Kirchenvogtei, das heisst der Schutzherrschaft über das Gotteshaus und das dazugehörige Pfrundgut, an das Zisterzienserkloster Wettingen gekommen ist, bedarf weiterer Abklärung. Eine Urkunde, aus der dies eindeutig hervorgeht, konnte bis jetzt nicht gefunden werden. Zu denken ist aber an einen heute nicht mehr genau zu datierenden Übergang zusammen mit der ersten Güterausstattung aus dem Besitz der Rapperswil/Wädenswil an Wettingen. Dann wäre die Urkunde vom 31. August 1270 im Vorhof der dem Kloster Wettingen gehörenden Kirche Wädenswil gesiegelt worden.




Kirche Wädenswil, abgebrochen 1764/65. Die 1291 von den Johannitern erworbene Kirche war ein kapellenartiger Vorgängerbau dieses Gotteshauses.

Die Johanniter kaufen die Wettinger Güter

Am 15. Januar 1291 verkaufte das Kloster Wettingen mit Einwilligung seines Vorgesetzten, des Abtes von Salem, den gesamten Wädenswiler Besitz dem Johanniterorden. Abt und Konvent von Wettingen taten dies, um Schulden zu begleichen, die ihnen von wichtigerem Landerwerb im Tale Uri an der neuen Gotthardroute erwachsen waren. Als Käufer trat der Komtur von Bubikon und Tobel auf. Er handelte für die Kommende Bubikon, welche knapp vier Jahre zuvor vom Edlen und Ritter Rudolf von Wädenswil dessen Herrschaft am Zürichsee erworben hatte. Wädenswil wurde erst um 1330 eine selbständige Niederlassung des Ordens.

Der Wortlaut der Urkunde von 1291

Aufschluss über den am 15. Januar 1291 in Wettingen besiegelten Rechtsakt gibt eine lateinisch abgefasste Pergamenturkunde im Staatsarchiv Zürich. Ihr leicht gekürzter Inhalt lautet in deutscher Übersetzung, die Prof. Dr. Roger Sablonier, Universität Zürich, besorgt hat, folgendermassen:
«Allen, die diesen Brief sehen werden, gibt Volker, mit Gottes Huld Abt, und der ganze Konvent des Klosters von Wettingen, dem Zisterzienserorden und der Diözese Konstanz zugehörig, Kunde von Folgenden mit seinem Segenwunsch und seinem Gebet …
Die Anwesenden wir die Nachfahren mögen wissen, dass unser Kloster mit schweren Schulden belastet ist, nachdem es Besitzungen und Leute im Tal Uri von der edlen Frau (Elisabeth) Gräfin von Rapperswil, Witwe des verstorbenen edlen Grafen Ludwig von Homberg, für 428 Mark (= rund 100 kg) Silber Zürcher Gewichts durch Kauf erworben hat, und dass sich das Kloster von diesen Schulden nur noch durch den Verkauf von Klostergütern etwas befreien kann. Deshalb haben wir mit der Einwilligung Ulrichs, mit Gottes Huld Abt des Klosters Salem, dem Zisterzienserorden und der vorgenannten Diözese zugehörig, unseres Vorgesetzten und Vistators, nach feierlicher Verhandlung sämtliche unsere Besitzungen im Sprengel der Kirche Wädenswil, die wir von irgendwem gekauft haben oder die durch irgendwelche Leute, Vereinigungen oder Konvente uns und unserem Kloster übergeben worden sind, mit allen Einkünften, Zugehörden und Rechten … und auch zusammen mit dem Patronatsrecht und der Altarpfründe in Wädenswil, dazu mit dem Vogtrecht an den Gütern der genannten Kirche und mit der Pfründe (kirchliches Gut für den Lebensunterhalt des Geistlichen) in Wädenswil, zum Verkauf angeboten. Unter vielen bot uns der hochgeschätzte Bruder in Christo, Heinrich von Lichtensteig, Meister der Johanniterhäuser in Bubikon und Tobel, in seinem und im Namen der ebengenannten Häuser den grössten und sichersten Preis.
Wir haben deshalb nach feierlicher Verhandlung in Gegenwart und mit Erlaubnis von unserem Herrn, dem Abt von Salem, der beim Verkauf kirchlicher Güter anwesend sein muss, und nachdem wir diesen Vertrag unter uns nach kirchlichen Rechtsgrundsätzen geprüft haben, alle die obengenannten Güter mit allem, was dazu gehört, …dem vorgenannten Bruder Heinrich und den Häusern seines Ordens um 400 Mark (= 94 Kilogramm) reines Silber Zürcher Gewichts rechtmässig verkauft …
Wir bestätigen, dass wir die vorgenannte Geldsumme, das heisst 400 Mark reines Silber Zürcher Gewichts, die wir mit diesem Schriftstück vom genannten Meister und seinen Häusern erhalten haben, zum sichtbaren Nutzen unseres Klosters, das heisst zur Auslösung unserer Geldschulden wegen der im Tal Uri gekauften Güter und Leute, – wie vorgesehen – verwendet haben. All dies geschah mit Einwilligung und unter Aufsicht von Ulrich, Abt von Salem, und von unserer Seite unter Anwendung der nötigen Feierlichkeit in Wort und Geste.»
Etwas Wichtiges wurde vor 700 Jahren erreicht: Das Kloster Wettingen liquidierte seinen Güterbesitz in Wädenswil, die Johanniter konnten ihre Grundherrschaft ausbauen, und die Kirche Wädenswil gehörte fortan den gleichen Rechtsträgern, welche auch über die Gerichts- und Herrschaftsrechte verfügten: bis 1550 der Johanniterkomturei und von 1550 bis 1798 der Landvogtei Wädenswil im Stadtstaat Zürich.
Siegel jenes Rudolfs von Wädenswil, der Ende August 1270 Güter an Wettingen verkaufte.

 




Peter Ziegler