Zirkus macht Schule

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2000 von Yvonne Maurer / Kati Frey
 
Das letzte Quartal mit unseren Drittklässlern hatte soeben begonnen, und die Frage, wie der Abschluss dieses Klassenzuges gestaltet werden könnte, stellte sich hartnäckiger denn je. Die Zeit miteinander war absehbar, und es war uns wichtig, noch einmal einen gemeinschaftlichen Akzent zu setzen. Gleichzeitig war es uns aber auch ein Anliegen, jedem Kind Raum zu geben für seine eigenen Ideen und Fähigkeiten. Womit könnten diese beiden Ziele besser verwirklicht werden als mit einer Zirkusaufführung?

Zirkusluft in der Schule

Durch eine angehende Lehrerin, welche Beziehungen zu einem Kleinzirkus hatte, wurden wir auf eine Zirkuspädagogin aufmerksam. Ein Aktionstag mit ihr zusammen bildete den Startschuss zu unserem Zirkusprojekt.
Am 30. Mai kamen alle Kinder für einmal im Trainingsanzug zur Schule. Die Schülerpulte wurden weggeräumt, und im Nu füllte sich unser Schulzimmer mit Jonglierbällen, Leitern, Balancierbalken, Fässern, Clownnasen, Zauberutensilien, einem Nagelbrett und vielem mehr. Sorgfältig führte die Zirkuspädagogin jedes Ressort ein und zeigte, worauf besonders zu achten war. Das Schönste aber: Alles durfte ausprobiert werden! Jedes Kind konnte dabei selbst spüren, was ihm am besten lag. Dies war vor allem im Hinblick auf die spätere Verteilung der Artistenrollen äusserst hilfreich. Nach diesem erlebnisreichen und intensiven Tag in der Zirkuswelt war der Funke endgültig gesprungen − an einen normalen Schulalltag war von nun an nicht mehr zu denken ...

Von der Idee bis zur Aufführung

Am nächsten Tag schon begann die konkrete Arbeit. Wie sollte unser Zirkus heissen? In einer ersten Runde sammelten die Kinder gruppenweise Vorschläge. Die meisten Stimmen im anschliessenden Abstimmungsverfahren bekam der Name «Zirkus Bambino». Danach wurde in langwierigem Prozedere ausgehandelt, wer als Zirkusdirektor, Seiltänzerin oder Clown vier Wochen später die Manege betreten sollte. Der Weg bis dahin war aber noch weit und bereitete uns etliches Kopfzerbrechen. Wer übt wann, was, wo und mit wem? Womit beschäftigen sich die Kinder, die gerade nicht am Proben sind? Schnell wurde uns klar, dass wir bei unserem Projekt auf Elternmitarbeit angewiesen sein würden.
Zu unserer Freude bekamen wir auf einen Elternbrief hin breite Unterstützung zugesichert.
Väter stellten ein Nagelbrett mit über 1000 Nägeln her, Mütter halfen einen Jazztanz einzustudieren, nähten Kostüme oder schwangen die grossen Sprungseile. Ernst Büchi, unser Hauswart und in seiner Freizeit ein passionierter Rollerblades-Fahrer, half bei der Zusammenstellung einer Rollerblades-Nummer.
Für die Kinder hiess es üben, üben und nochmals üben. Dabei erlebten sie hautnah, dass der Alltag eines Zirkusartisten hart Arbeit bedeutet. Wir alle, Kinder wie Lehrerinnen, kamen abwechslungsweise einmal an unsere Grenzen.
Neben dem Proben mussten aber noch diverse andere Vorbereitungen getroffen werden: Schliesslich sollte unser Zirkus Bambino so echt wie möglich sein! Wer also nicht gerade am Üben war, malte Plakate erstellte Flyer für Verwandte und Bekannte oder gestaltete die Nummernplakate. Die Zeit zerrann uns zwischen den Fingern − nur noch eine Woche bis zur ersten Vorstellung. Übers Wochenende verwandelten wir der Dachstock des Schulhauses Eidmatt 3 mit viel Stoff und Krepppapier in ein Zirkuszelt. Zu Hause wurde bis in die Nacht hinein passende Musik gesucht und zusammen gestellt.
Zu Wochenbeginn konnte nun in der richtigen Manege geprobt und erstmals auch bestaunt werden, was die anderen Kinder bis dahin eingeübt hatten. Nun galt es, die einzelnen Nummern zu einem abwechslungsreichen Programm zusammenzufügen:
Es kann beginnen ...
Der Zirkusdirektor eröffnet die Vorstellung.

PROGRAMM

1. Die «Traumtänzer» entführen Sie in himmlische Zirkuswelten.
2. Ein Tanz, der mitreisst, präsentiert von den «Spears Girls».
3. Die bekannte Gruppe «Lolipop» verblüfft mit ihrer Jonglierkunst.
4. «The Rolling Brothers» − Tempo auf 32 Rädern.

PAUSE

5. In schwindelerregender Höhe − Leiterakrobatik mit der Gruppe «La scala».
6. Ein altes Spielgerät wird neu belebt: «Magie Rope».
7. Aus dem hohen Norden: «Sven Findus» mit seinen Pinguinen.
8. Lassen Sie sich verzaubern von «Stefano und Pasquale».
9. Körperbeherrschung pur − Die Fakirgruppe «Salemaleikum».
10. Charmante Akrobatik aus Paris präsentieren Ihnen «Les étoiles».
 
Bis jetzt fast vergessen gegangen waren die Zirkusarbeiter! In unserem «Kleinzirkus» mussten die Artisten diese Arbeit natürlich selbst übernehmen. Ein grosser Plan wurde an einer Stellwand hinter der Bühne aufgehängt. Hier konnten die Kinder sehen, wann sie als Zirkusarbeiter zum Einsatz kamen oder sich zum Schminken und Kostümieren bereithalten mussten. Es erwies sich überhaupt als sehr anspruchsvoll, nicht nur die eigene Nummer im Kopf zu haben, sondern den ganzen Ablauf eines eineinhalbstündigen Programms. Doch genau dies erschien uns pädagogisch besonders wertvoll: mitdenken, zusammenarbeiten, einander helfen.
Für unsere Hauptprobe am 29. Juni waren die Sechstklässler von Frau Reichelt ein grossartiges Publikum. Die älteren Kinder im Schulhaus zu verblüffen und von ihnen beklatscht zu werden, war natürlich etwas ganz Besonderes!
Die Eröffnungspyramide.
Verblüffende Zauberei.

Jonglage der Gruppe Lolipop.

Körperbeherrschung auf dem Nagelbrett.

Es macht sichtlich Spass, das Publikum zum Lachen zu bringen ...

Anmutige Artistinnen: Les étoiles.

Am Freitagabend, 30. Juni, war es dann soweit: Pünktlich um halb acht ging der Vorhang auf; der grosse Moment für 21 Laienartisten. Spürbar der Eifer, der alle im Zelt erfasste und das ganze Publikum an der aufregenden Atmosphäre teilhaben liess.
Der tosende Applaus, den jede Artistengruppen erntete, war Ansporn, das Beste zu geben. In der Pause konnte man sich auf dem Pausenplatz mit Popcorn, selbstgemachtem Kuchen und Getränken verpflegen. Der zweite Teil der Vorstellung wurde mit einer schwindelerregenden Leiternakrobatik eröffnet. Die Aufmerksamkeit im Zelt war vom ersten Augenblick an wieder garantiert, und das Publikum geizte bis zum Schluss nicht mit Applaus! Die Träume eines grossen Auftritts im Zirkus sind an diesem Abend wohl für alle Kinder für einmal wahr geworden ...
Den Abschluss unseres Zirkusprojektes bildete die Schülervorstellung am Montagnachmittag 3. Juli. Nochmals galt es, mit unverminderter Konzentration in die Artistenrolle zu schlüpfen. Neben dem Stolz, vor den Kolleginnen und Kollegen des Schulhauses aufzutreten, machte sich beträchtliches Lampenfieber bemerkbar.
Die vielen Reaktionen, die wir noch lange nach der Vorstellung in Form von Briefen und Zeichnungen erhielten, zeigten uns, dass auch «das Heimspiel» gelungen war!

Das Publikum hält den Atem an ...



Yvonne Maurer






Kati Frey