200 Jahre Tuwag

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2018 von Heiner Treichler

Von der Wolltuchfabrik zum Campus

Es erfüllt mich mit grosser Dankbarkeit, vor allem gegenüber meinen Vorfahren, dass es mir gegönnt ist, das 200-Jahre-Jubiläum unserer Familienaktiengesellschaft feiern zu dürfen. Nicht alle der sechs früheren Generationen hatten eine leichte Aufgabe. Wenn ich daran denke, dass beispielsweise mein Vater Max im Jahre 1978 fast 200 Mitarbeitende entlassen und die Schliessung der Stofffabrikation organisieren musste. Ich konnte auf einem soliden Fundament etwas aufbauen und zu neuer Blüte bringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Entscheide meiner Vorfahren zukunftsweisend und richtig waren. Unsere Unternehmung war in all den Jahren noch nie so solide wie heute aufgestellt und wir sind nicht mehr wie früher abhängig von Rohstoffen, deren Preisschwankungen und Verfügbarkeiten oder von Währungen und veränderten Marktsituationen.
Die Mischung von eigenen Immobilien und der Betreuung von Liegenschaften für Dritte ist ein ideales Konstrukt mit einer guten Risikoverteilung.
Das Tuwag-Areal mit der gut sichtbaren Photovoltaik-Anlage auf der Shedhalle und dem ehemaligen Appreturgebäude.
Ich bin deshalb überzeugt, dass die Tuwag auch für die Zukunft gut aufgestellt ist und ihre führende regionale Markposition weiter ausbauen wird.

Die Tuwag hat das 200-Jahre-Jubiläum beinahe verpasst

Bei Recherchen stellte Historiker Prof. Dr. Peter Ziegler fest, dass sich die Familie Treichler seit 1819 in der Textilbranche betätigte, was er uns im 2013 bestätigte. Bei den tiefergehenden Abklärungen für die Jubiläumsschrift stiess er auf einen Eintrag im Zürcher Finanzamt, welcher zeigte, dass die Gebrüder Treichler bereits 1818 Steuern für Ihren Betrieb bezahlten. Neu musste also das Jahr 1818 als Gründungsjahr gelten, was uns einiges an Flexibilität abforderte, dass wir alles noch für die Festivitäten in diesem Jahr organisieren konnten.

Aktuelles aus dem Jubiläumsjahr

Im Laufe des Jahres 2018 werden weitere Liegenschaften an die neue Holzschnitzelfernwärmeerzeugung angeschlossen. Damit sparen wir zum jetzigen Zeitpunkt pro Jahr ca. 1000 Tonnen CO2 ein. Gleichzeitig wird geprüft, ob der Warmwasserbedarf der peripheren Wohnhäuser mittels Solarpanels auf den Dächern gedeckt werden kann. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung erneuerbaren Energien. Dies ist ein wichtiger Teil der strategischen Ausrichtung der Tuwag.
Im Juni 2018 erfolgte die Baueingabe für das geplante Laborgebäude für die ZHAW, der Baubeginn ist für den Frühsommer 2019 vorgesehen und der Bezug soll im Jahr 2023 sein.
Nebst den ordentlichen Bewirtschaftungsmandaten betreuen wir derzeit zwei interessante Bauprojekte. Für einen Kunden erstellen wir in Winterthur ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen. Ebenfalls dürfen wir die Erstvermietung dieser Wohnungen übernehmen.
Verwaltungsrat und Geschäftsführung im Jubiläumsjahr: Thomas Brassel, Hans-Rudolf Meier, Didier Sangiorgio, Heinz Leuthold, Heiner Treichler (v.l.n.r.).

Für die Stiftung Technische Obstverwertung durfte die Tuwag bereits vor ein paar Jahren ein Lehrlingswohnheim in der Waisenhausscheune erstellen. Aktuell bereiten wir, zusammen mit den Planern, die Baueingabe für zwei neue Gebäude vor, welche für Studentisches Wohnen genutzt werden sollen.
Es ist erfreulich, dass die Tuwag immer wieder das Vertrauen von Bauherren geniesst. In der Vergangenheit durften wir als Projektleiter und Bauherrenvertreter einige interessante Immobilien erstellen. Darunter waren verschiedene Wohnhäuser, ein Schulhaus für die ZHAW und die Umnutzung einer alten Spinnerei im Tösstal.

Blick in die Zukunft

Der geordneten Nachfolgeregelung des Geschäftsführers wird ein grosser Stellenwert beigemessen. Mit Thomas Brassel steht ein versierter Nachfolger bereit. Er ist seit 2013 in unserer Unternehmung, führt derzeit die Abteilung Bewirtschaftung und amtet als stellvertretender Geschäftsführer. In den kommenden fünf Jahren soll die Verantwortung sukzessive auf ihn übergehen.
Gemäss unserer strategischen Planung wollen wir das Qualitätsmanagement in unserer Unternehmung weiter ausbauen und vor allem in den Bereichen Bewirtschaftung und Verkauf/Erstvermietung weiter wachsen. Die anvisierten Ziele werden im Laufe des 2018 definiert und in die Strategie integriert.
Die Digitalisierung beschäftigt natürlich auch die Tuwag und wir sind seit einiger Zeit daran, erste kleinere Projekte umzusetzen. Der ganze Verkehr mit den Banken beispielsweise erfolgt heute praktisch papierlos. Wir werden auch in Zukunft kritisch die Entwicklung hinterfragen und die für uns sinnvollen und notwendigen Schritte umsetzen.
Die Geschäftskarte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts verweist auf das Jahr 1842 als Gründungsdatum – in diesem Jahr strukturiert Caspar Treichler sein Unternehmen neu.

Wir sind überzeugt, dass die Tuwag in ihrer derzeitigen Grösse eine gute Chance für die Zukunft hat. Wir müssen uns nach wie vor in einer Nische bewegen, in der der persönliche Kundenkontakt äussert wichtig ist. In diesem Rahmen soll ein weiterer personeller Ausbau erfolgen, wir wollen aber immer ein KMU-Betrieb mit regionaler Ausrichtung bleiben.
Danken möchte ich den aktuellen Mitarbeitenden sowie dem Verwaltungsrat. Es macht grosse Freude, mit so vielen guten und professionellen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen. Der Dank gilt aber auch allen früheren Mitarbeitenden, Verwaltungsräten und allen, die sonst auf die eine oder andere Art zum guten Gelingen unserer Unternehmung beigetragen haben.



Heiner Treichler
Geschäftsführer Tuwag Immobilien AG

Tuwag-Chronik: Generationen und Herausforderungen

1818
Caspar Treichler (1778–1848) und Heinrich Treichler (1780–1838) gründen die Firma Gebrüder Treichler. Sie stellt Nastücher, Cotton-Fabrikate, Woll- und Baumwollwaren in Heimweberei her.

1834
Heinrich Treichler zieht sich aus dem gemeinsamen Geschäft zurück. Caspar Treichler orientiert sich 1842 neu. Er gibt den Handel mit eingekauften Waren auf und konzentriert sich auf die Fabrikation von Woll- und Baumwollstoffen.

1848
Nach dem Tod des Vaters leiten die Söhne Jacques Treichler (1824–1894) und Gottfried Treichler (1826-1880) die Firma.

1859
An die Stelle des Verlagssystems mit Heimarbeit tritt die maschinelle Produktion. Die Gebrüder Treichler erwerben die Gerberei Blattmann am Sagenbach (heute Seestrasse 147–151) und nutzten sie als Wolltuchfabrik.

Der Ausblick vom Bürgli in den 1880er-Jahren zeigt das stattliche Fabrikgebäude am Sagenbach kurz vor dem Brand von 1895.

1880
Nach dem Tod des Bruders führt Jacques Treichler die Firma zunächst allein, dann zusammen mit seinen Söhnenn Walter Treichler (1861–1894) und Jakob Treichler (1864–1922) weiter. Nach dem frühen Tod seines Bruders wird letzterer alleiniger Besitzer der Wolltuchfabrik.
Das erste Fabrikgebäude des Wolltuchunternehmens Hauser & Fleckenstein am Reidbach wurde 1822 erbaut.

1883 liess Fritz Fleckenstein die repräsentative Villa Reidbach (heute Einsiedlerstrasse 24) bauen.
1895
Am 6. Dezember 1895 bricht im Hochkamin für den Dampfantrieb der Maschinen ein Brand aus, der das Fabrikgebäude zur Hälfte zerstört und die Maschinen unbrauchbar macht. 45 Arbeiter verlieren den Arbeitsplatz.

1900
Jakob Treichler muss sich neu orientieren. Statt die bisherige Fabrik wieder aufzubauen, erwirbt er die Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess am Reidbach. Er gründet die Tuchfabrik Wädenswil AG. Die Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess ging auf das 1819 gegründete Wolltuchunternehmen Hauser & Fleckenstein zurück. 1822 erstellte das Unternehmen den ersten Fabrikbau am Reidbach auf dem heutigen Tuwag-Areal. Die Geschäftspartner von Heinrich Fleckenstein wechselten zwischen 1832 und 1850 mehrfach. Schliesslich entstand 1850 die Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess. Sie wuchs vor allem ab 1885, nachdem von Wasser- auf Dampfkraft umgestellt worden war. 1890 wurde die erste Shedhalle gebaut, 1894 das Appreturgebäude Einsiedlerstrasse 34.

1902–1905
Weil das Wachstum die Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess in die roten Zahlen getrieben hatte, konnte Jakob Treichler sie übernehmen. Er erhöht das Aktienkapital 1902 und 1905 und saniert das Unternehmen. Bereits 1909 wird vollständig auf elektrischen Antrieb der Maschinen umgestellt. Die Zahl der Angestellten und Arbeiter steigt von 95 auf 330 Personen. Bereits im ersten Geschäftsjahr wird ein Alters- und Unterstützungsfonds – Vorläufer heutiger Pensionskassen – gegründet.

1922
Jakob Treichler stirbt bei einem Unfall. Verwaltungsratspräsident Emil Winkler leitet die Fabrik bis 1925 Jakobs Sohn Hermann Treichler (1899–1981) in die Firma eintritt. Sein Zwillingsbruder Walter Treichler (1899–1983) übernimmt nach dem Tod des Vaters die Leitung der Bauwollzwirnerei Untereggingen bei Waldshut, welche die Familie 1893 erworben hatte.

Der Websaal befand sich im Shedbau.
Neben der Armee bezogen auch die Eisenbahnen Uniformstoffe von der Tuchfabrik Wädenswil, die ein bedeutendes Produkt waren – hier das uniformierte Personal des Bahnhofs Wädenswil um 1900.
1943
Walter Treichler übernimmt das Präsidium des Verwaltungsrats. Er bleibt Präsident bis zur Stilllegung der Produktion 1978. Als Direktoren zeichnen ab 1944 Hermann Treichler, Gustav Reiser und Franz Borsdorff. In den Kriegsjahren ist die Rohstoffbeschaffung schwierig, aber Uniformstoffe für die Armee sind wichtige Aufträge. Daher erreicht das Unternehmen mit über 600 Arbeiterinnen und Arbeitern in diesen Jahren den Höchststand an Personal. Es galten durchschnittliche Stundenlöhne von etwa zwei Franken.

1967
In der Direktion wird ein Generationenwechsel eingeleitet: Neben Hermann Treichler gehören ihr dessen Söhne Hermann (1926–2001) und Max Treichler (1931–1985) an. 1970 übernehmen sie gemeinsam die Leitung zuammen mit Peter Perschak als technischem Direktor.

Bis in die 1970er-Jahre gehörten rauchende Kamine zu einem Industriestandort wie Wädenswil. 1978 wurde die Produktion auf dem Tuwag-Areal eingestellt.

1978
Die Rezession als Folge der Ölkrise von 1973, der starke Frankenkurs, hohe Rohstoffpreise, Konkurrenz aus Niedriglohnländern und Änderungen in der Mode: Viele Gründe führten zu einer Krise der gesamten Textilindustrie. Nach Verlusten entscheidet der Verwaltungsrat am 1. Juni 1978, die Produktion bis Ende des Jahres einzustellen.

1979
Das Areal wird umgenutzt und vermietet, zunächst vor allem an Gewerbebetriebe. Ende 1980 sind rund 40 Firmen und Einzelpersonen eingemietet. Bis 1981 entstehen zwei neue Gewerbegebäude (Einsiedlerstrasse 31 und 31a).

1981
Im März 1981 wird die Tuwag Immobilien AG gegründet. Max Treichler leitet zusammen mit Geschäftsführer Hans Grämiger die Umstrukturierung.

1990
Aufgrund des frühen Todes seines Vaters tritt 1989 Heiner Treichler in das Familienunternehmen ein. Er übernimmt 1990 als Nachfolger von Hans Grämiger die Geschäftsleitung in siebter Generation.

1999
In der Shedhalle mietet sich die heutige Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ein. In mehreren Etappen entsteht der Campus Reidbach. Die ZHAW wird wichtigster Mieter auf dem Tuwag-Areal.

2001
Zusammen mit der ZHAW, der Stadt Wädenswil, der Forschungsanstalt Agroscope und der Standortförderung Zimmerberg-Sihltal gründet die Tuwag Immobilien AG die Gründerorganisation Wädenswil (grow).
 
2004
Die Tuwag Immobilien AG gibt sich ein neues Corporate Design. Sie bewirtschaftet rund 26 000 m2 Dienstleistungs- und Gewerbefläche.

2013–2017
Mit Investitionen in die grösste Photovoltaik-Anlage der Region und einen Holzschnitzelwärmeverbund wird die im Leitbild festgehaltene Nachhaltigkeit umgesetzt.

Die Heizzentrale bedient das Tuwag-Areal mit Fernwärme aus Holzschnitzeln.



Die Chronik basiert auf der Jubiläumsschrift «200 Jahre Tuwag» von Peter Ziegler