Ein Gasmotor, der mehr bewegt als sein Vehikel

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2005 von E. Magdalena Preisig

Die Stadt Wädenswil hat im Verwenden von Erdgas eine Vorreiterrolle inne. 1996 war sie die erste Gemeinde in der Schweiz, die einen Kehrichtwagen mit Gasmotor anschaffte. Der zweite Kehrichtwagen dieser Art brachte manches ins Rollen, denn zu seiner Einweihung gabs eine Gratis-Sperrgutaktion. Das Jahrbuch 2004 berichtet darüber. Hier ist die Rede von der Geistlichkeit und der Narrenzunft, die sich das Sujet zu Nutze machten. Die Abfallhaufen aktivierten auch die SVP-Fraktion des Gemeinderates zu einer Schriftlichen Anfrage an den Stadtrat. Dieser signalisiert in seiner Antwort klar, dass er auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen will.

Wädenswil erstickt im Abfall.

GRATISENTSORGUNG AUSNÜTZEN

Sperrgut zu entsorgen, bedeutet in der Regel, den Abfallkalender zu konsultieren, die Öffnungszeiten der Sammelstelle Rütibüel herauszufinden, einen Transport dorthin zu organisieren oder gleich zur Kehrichtverbrennungsanlage in Horgen zu fahren und einen Obolus zu entrichten. Nicht so am 25. Juni 2004. Die Abfallwirtschaft Wädenswil hatte es erlaubt, die Ware vors Haus zu stellen.

Nur: genau genommen hatte diese Aktion zur Einweihung des neusten, gasbetriebenen Kehrichtwagens ausschliesslich dem brennbaren Sperrgut gegolten. Die Einwohnerinnen und Einwohner Wädenswils aber waren durch die in Aussicht stehende Ersparnis und Vereinfachung des Entsorgens topmotiviert, sich von ihren überflüssigen Habseligkeiten zu trennen, – auch von nicht brennbaren. Die bereitstehende Abfallmenge brachte die Abfallwirtschaft in Bedrängnis. Am Freitag und Samstag konnte sie nicht alle Gerümpelhaufen entfernen, mit dem Effekt, dass immer mehr Passanten und Durchreisende von der Aktion wussten. Das aktivierte jene kostenbewussten Menschen, die sich mit schon gebrauchten Dingen begnügen müssen oder wollen. Sie machten die Aktion zum Bring- und Holtag – oder viel mehr zur Bring- und Holnacht. Eine Woche dauerte es in gewissen Stadtteilen, bis alles weggeräumt war.

Die Gratis-Sperrgutaktion 2004 – Plakettensujet 2005 der Neuen Fasnachts-Gesellschaft.

DER «NEUE» GIBT ZU REDEN ...

Die Reaktion auf die Sperrgutaktion spiegelte sich in der Lokalpresse: die einen Leserbriefe lobten, die anderen verurteilten die Aktion. Die SVP-Fraktion des Gemeinderates Wädenswil wollte am 3. September 2004 in einer Schriftlichen Anfrage wissen, was die Aktion gekostet hatte und ob der Stadtrat aus der Aktion Lehren gezogen habe. Durch die Antwort vom 6. Dezember 2004 wurde bekannt, dass gar die Feuerwehr am Sonntag hatte ausrücken müssen, um einen in Brand gesteckten Abfallberg an der Luftstrasse zu löschen. Ausserdem hätten auch Ausserkantonale von der Aktion profitiert, lassen der Stadtpräsident, Ueli Fausch, und der Stadtschreiber, Heinz Kundert, wissen. Gekostet habe das Entsorgen der 240 Tonnen Sperrgut, der 5 Tonnen metallischer Abfälle und einer Tonne Elektroschrott insgesamt 100000 Franken, ein Betrag der nicht über die Steuern finanziert sei. Die Grundgebühren müssten nicht erhöht werden, versichert der Stadtrat, vielmehr könnten sie dank der Effizienzsteigerung des Sammeldienstes sogar reduziert werden. Die Antwort schliesst: Zurzeit besteht keine Absicht, eine ähnliche Aktion zu wiederholen.

... UND DER ALTE AUCH

Und weil die Abfallwirtschaft schon im Fokus war, wollte die SVP-Fraktion in einer zweiten Anfrage gleichen Datums auch über den Motorschaden des 1996 angeschafften Gas-Kehrichtfahrzeuges Genaueres wissen. Die detaillierte Antwort vom 6. Dezember 2004 fasst zusammen, dass gewisse Fahrzeugteile «nach über neun Jahren Stop-and-Go-Einsatz, 12000 Betriebsstunden und 700000 gefahrenen Kilometern das Ende ihrer Lebensdauer» erreicht hätten.

Die Antwort betont, dass die Stadt ihrem politischen Leitgedanken einer nachhaltigen Umweltpolitik gerecht werden und auch in Zukunft wenn möglich Erdgas-Fahrzeuge anschaffen wolle. Heute umfasst der städtische Wagenpark sechzehn Fahrzeuge, von denen neun gasbetrieben sind. Der im Jahre 1996 angeschaffte, gasbetriebene Kehrichtwagen war nicht nur für Wädenswil, sondern für die ganze Schweiz eine Neuheit. Er war nicht serienmässig hergestellt. Als der Motor defekt war, begann die Suche nach Ersatzteilen – in ganz Europa. Fündig wurde die Abfallwirtschaft in Madrid. Deren Entsorgungsbetriebe hatten zwei entsprechende Motorblöcke gelagert. Sie schenkten der Stadt Wädenswil diese Ersatzteile. Dadurch kam die Reparatur der ausgewechselten Komponente auf 12600 Franken zu stehen.

Mit dem neuen Kehrichtfahrzeug unterwegs.

SUJET GELIEFERT

Für die Neue Fasnachtsgesellschaft (NFG) war die Sperrgut-Gratisaktion ein willkommenes Sujet. Der «Anlüger vom Zürichsee» findet im Hornung 2005, dem Chef der Abfallentsorgung, Schorsch Stalder, sei mit dem Gratis-Sperrguttag ein seltenes Highlight gelungen. Das Thema durchzieht den «Anlüger» unter dem Titel «Das grosse Puff». Gezeigt wird auch der Präsident der NFG, Ernst (Grübi) Brupbacher, beim Abfallhaufen vor seinem Haus. Fotos dokumentieren, wie die Ansammlungen die Trottoirs zum Teil unpassierbar machten. Die Fasnachtszeitung nimmt den Werkleiter, Stadtrat Joseph Dorfschmid (SP), ins Visier und kommt zum «heiseren Schlusspunkt des Betrachters»:
 
«Wänn z Wädi Grümpel uf de
Schtrass tuet ligge
und mer chönnti uf em Trottuar
uf Matratze f… (fangis mache).
Und häsch du bim Durelaufe beinaa
e Chotz-Attacke,
dann hät de Dorfschmied Sepp sini
Sperrguet-Macke.»
 

THEMA THEOLOGISCH AUSGEWERTET

Ein anderer, der sich das Thema zunutze machte, war der reformierte Pfarrer Ernst Hörler. In seiner Predigt vom 20. Februar 2005 leuchtete er das Thema «Wegwerfen und Behalten» theologisch aus. Vom physischen Schrott schwenkte er über zu den menschlichen Erfahrungen und Erinnerungen und fragte: «Was hätten die Leute wohl hingestellt, wenn sie ausser alten Möbeln, Kisten und Computern auch anderen Ballast aus ihrem Leben hätten entsorgen können? Ballast, dessen sie überdrüssig geworden sind und den sie gerne loswerden möchten, weil er sie am Leben oder an der Freude oder gar an beidem hindert?» Der Seelsorger mutmasste, dass dann falsche Entscheidungen, Traurigkeit, Krankheit und Behinderung am Strassenrand gestanden wären. Und Wünsche, die sich als unrealistisch erwiesen hatten, – eben Teile der Lebensgeschichte. Aber auch die Hoffnung und die Zuversicht würden bisweilen aufgegeben. Er plädierte dafür, gerade diese beiden – und nicht das belastende Altbekannte – zu behalten. Dies ganz im Sinne des Pauluswortes an die Hebräer (10, 35): «Werft eure Zuversicht nicht weg.» Mehr noch, er forderte die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, zuversichtliche und hoffnungsvolle Worte zu sagen und sie zu hören, wenn sie gesagt würden.

Im Jahr 2004 schaffte die Stadt Wädenswil ein neues, wiederum mit Gasmotor versehenes Kehrichtfahrzeug an.

Die Mannschaft vor dem neusten Kehrichtwagen. Hintere Reihe von links: Ferdinand Spähni, Stefan Schröter, Bruno Gamma, Oliver Eicher, Bruno Luginbühl. Vordere Reihe von links: Guido Niedermann, Lubiza Novakovic, Mohamed Al Chaybani.
 

WÄDENSWIL HATS, ADLISWIL WILLS

Der «Anlüger vom Zürichsee» unterstellt der Abfallwirtschaft, sie habe das neue Kehrichtfahrzeug lediglich darum angeschafft, damit die «unrentable Gastankstelle im Winterberg» besser rentiere. Dieser Behauptung stellt der Betriebsleiter der Städtischen Werke, Rolf Baumbach, entgegen, dass sich der Umsatz im Jahre 2004 auf 60000 Liter belief, was einer Steigerung von 23,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Möglicherweise erhält die Wädenswiler Gastankstelle demnächst Konkurrenz im unteren Bezirksteil. Gemeinderat Roger Neukomm (FDP) gab mit einer Schriftlichen Anfrage den Anstoss zum Errichten einer öffentlichen Erdgastankstelle in Adliswil. Der Stadtrat weist in seiner Antwort vom 5. April 2005 auf das Energieprogramm der Stadt hin, gemäss dem «die Förderung einer rationellen Energieversorgung als wichtigstes Ziel der Werkbetriebe Adliswil» gilt. Laut Werkvorstand Stadtrat Horst Fuhrmann wurde nach den guten Erfahrungen mit dem ersten Gasfahrzeug ein zweites angeschafft. Auch alle weiteren sollen gasbetrieben sein. Der Bau einer Erdgastankstelle sei im Budget 2006 vorgesehen, sagt der Betriebsleiter des Gas- und Wasserwerkes Adliswil, Jürg Müller.

Die Vorteile von Gas

Erdgas ist ein fossiler Treibstoff, der in Europa gefördert und durch Pipelines verteilt wird. Biogas entsteht bei der Vergärung von Grünabfällen und aus Abwässern von Kläranlagen. Es ist CO2-neutral, weil die Vergärungsgase eingefangen werden, anstatt diese in die Atmosphäre entweichen zu lassen. Das Biogas wird in die Erdgasleitungen eingespeist und stammt im Falle von Wädenswil aus der Kompogas-Anlage in Samstagern.
Die Produzenten und Verfechter des Erd- und des Biogases streichen vor allem dessen umweltschonenden Eigenschaften hervor: Erdgasbetriebene Fahrzeuge geben 60 bis 95 Prozent weniger Schadstoffe an die Luft ab. Der Erdgas- und Biogasantrieb wird damit zum saubersten fossilen Treibstoff unter den zurzeit verfügbaren. Hinzu kommt der ökonomische Vorteil, da es billiger ist als Benzin und Diesel. Zudem haben Tests des Touring-Clubs Schweiz (TCS) und des deutschen Automobilclubs (ADAC) ergeben, dass Erdgasautos nicht gefährlicher sind als benzinbetriebene.

FEINSTAUB: AUS DER LUFT IN DIE LUNGE

Rolf Baumbach, der Betriebsleiter der Städtischen Werke Wädenswil, macht das Wachsen eines neuen Umweltbewusstseins aus. Gerade weil die Thematik der Luftreinheit aktuell sei, erhalte die Erdgas­tankstelle mehr Bedeutung. Die Schlag­zeilen zur neuen Tendenz in den Tageszeitungen lauten denn auch: «Zürcher Bevölkerung atmet zuviel Dreck ein», «Dieselfilter sollen Luft verbessern» und «SP fordert Partikelfilter für alle Dieselautos». Im Schuss­feld der Kritik sind unter anderen die Abgase der Dieselmotoren. Sie enthalten Feinstaub, dessen Partikel kleiner sind als 10 Tausendstelmillimeter. Die noch kleineren Russpartikel gelten als krebserregend. Gemäss den Erhebungen des Lufthygieneamtes der Ostluft-Kantone (Zürich, Thurgau, St. Gallen, Graubünden, Glarus, beide Appenzell und Fürstentum Liechtenstein) gehört Wädenswil zu jenen Gemeinden, in denen das Jahresmittel der Feinstaubbelas­tung knapp unter dem Grenzwert von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt.

DAS TANKSTELLENNETZ

Die Webseite der gasmobil ag weist in der Schweiz 1245 erdgasbetriebene Fahrzeuge und 57 Erdgas- und Biogas-Tankstellen aus. Im Zürichseegebiet befinden sich diese in Wädenswil, Zürich-West und
-Nord, in Meilen, Rüti und schliesslich noch in Zug. Eine weitere ist geplant in Zürich-Süd und, wie oben erwähnt, in Adliswil. In Fahrtrichtung Süden kann nach Luzern erst wieder in Lugano Erdgas getankt werden. Das heisst, die Tankstellen sind vorwiegend im Mittelland verteilt, kontinuierlich wächst das Angebot . Nur wenige Tankstellen existieren in Frankreich (24) und in Österreich (25), dies bei 7200 Erdgasfahrzeugen in Frankreich und nur 400 Fahrzeugen in Österreich. Das nördliche und das südliche Nachbarland haben ähnlich viele Tankstellen: Deutschland deren 500, Italien deren 471. In Deutschland verkehren 27000 Erdgasfahrzeuge, in Italien bereits 434000.

AUCH AUF DER SCHIENE GÜNSTIGER

Pionierhaft hat die schwedische Stadt Linköping (137000 Einwohner) ihre Busflotte auf Biogas umgestellt. Von dieser Stadt aus fährt, als Pioniertat der «Svens Biogas», ein Biogas-Schienenbus ins 100 Kilometer entfernte Västervik. Die Elektrifizierung der Strecke hätte 200 Millionen Franken gekostet, die Umstellung auf Gas kam auf weniger als einen Viertel zu stehen. Bei den zurzeit ständig steigenden Benzin- und Dieselpreisen wird Bio- und Erdgas immer mehr zur kostengünstigen Alternative. Gemäss dem Direktor des Verbandes der Schweizerischen Gasindustrie, Jean-Marc Hensch, kostet ein Liter Erdgas im Raum Zürich unter einem Franken. Benzin ist damit rund 50 Prozent und Diesel 60 bis 65 Prozent teurer (August 2005).

FLÜSSIGGAS IST ANDERS

Rolf Baumbach weiss, dass viele der gasbetriebenen Autos Italiens mit Flüssiggas fahren, einem Propan-Butangas-Gemisch. Der wesentliche Unterschied: Flüssiggas ist ein Abfallprodukt der Erdölverarbeitung und schwerer als Luft. Es hat die physikalische Eigenschaft, sich in Vertiefungen zu sammeln. Solche Ansammlungen bilden eine erhebliche Explosionsgefahr. Bio- und Erdgas hingegen ist leichter als Luft, bildet deshalb keine Ansammlungen, sondern verflüchtigt sich in die Atmosphäre. «Ist bei einem Unfall ein gasbetriebenes Auto mitverwickelt, sperren wir den Unfallort gleich ab, egal ob Flüssig- oder Erdgas im Tank ist», sagt Robert Busslinger, Einsatzleiter der Berufsfeuerwehr des Polizeidepartementes Schutz & Rettung, Zürich. So geschehen bei einem Unfall mit einem gasbetriebenen Wagen auf der Autobahn bei Thalwil am 13. Juni 2005. Jean-Marc Hensch, Direktor des Verbands Schweizerischen Gasindustrie, hat die Polizeikräfte mit einem Merkblatt auf die unterschiedlichen Eigenschaften der Gase aufmerksam gemacht.




E. Magdalena Preisig




Quellen:

3.9.2004
Schriftliche Anfrage Sperrgut-Gratisaktion
 
3.9.2004
Schriftliche Anfrage Motorschaden Gas-Kehrichtfahrzeug
 
6.12.2004
Antwort Sperrgut-Gratisaktion, Stadtrat
 
6.12.2004
Antwort Motorschaden Gas-Kehrichtfahrzeug, Stadtrat
 
Im Hornung 2005
«Der Anlüger vom Zürichsee», «Das grosse Puff»
 
11.2.2005
Schriftliche Anfrage Erdgastankstelle in Adliswil
 
20.2.2005
Predigt Ernst Hörler, reformierter Pfarrer
 
5.4.2005
Antwort Erdgastankstelle, Stadtrat Adliswil
 
 
24.5.2005
TA «Zürcher Bevölkerung atmet zu viel Dreck ein»
 
1.6.2005
TA «Dieselfilter sollen Luft verbessern»
 
5.7.2005
TA «Biogas auch für die Eisenbahn»
 
20.7.2005
ZSZ «SP fordert Partikelfilter für alle Dieselautos», von Roland Meier
 
Ausgabe 2005
«Erdgas- und Biogas-Tankstellen in der Schweiz»
 
 
 
www.umwelttage.ch
 
Mündliche Recherchen