Ein Ausländer unter Wädenswilern

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1978 von Leo Szymiczek


Der von Österreich herreisend an Zürichsee entlang fährt, kommt in ein Städtchen, das ihn angenehm überrascht: Wädenswil. So erging es mir im Oktober 1977, als ich von Polen hierherkam, um als Vikar in der Pfarrseelsorge tätig zu sein. Seitdem ist schon fast ein Jahr vergangen, und in dieser Zeit kam ich zu interessanten Feststellungen und Beobachtungen. Vom Aspekt des SeeIsorgers interessieret mich unter anderen das ökumenische Problem. Es ist ja ein Grundanliegen unserer Zeit. Mehrmals habe ich in Wädenswil an ökumenischen Gottesdiensten teilgenommen. Was mich besonders beeindruckt, ist das gegenseitige Verstehen und Entgegenkommen bei der christlichen Konfessionen, der katholischen wie auch der reformierten, sei es in der Schule oder im öffentlichen Leben. Ganz besonders fiel es mir auf, dass die Wädenswiler das gemeinsame Leben pflegen. Sie kommen gern zusammen, treffen sich bei verschiedenen Anlässen und entscheiden gemeinsam über ihre Probleme in wahrhaft demokratischer Weise. Es ist ein freundlicher Menschenschlag. Ganz Wädenswil ist eine grosse Familie. Kranke, Betagte und Alleinstehende brauchen sich hier nicht isoliert zu fühlen.
Einige Beispiele mögen hier als Beweis genügen: Im Advent 1977 wurde ein Zusammentreffen mit den Invaliden im Hotel Engel veranstaltet. Jung und Alt hat sich eingefunden, um diesen vom Schicksal schwer Geschädigten ein wenig Weihnachtsstimmung zu bringen. Auch ich durfte mich an dieser Veranstaltung beteiligen, indem ich die Anwesenden mit Sitten und Gebräuchen bekanntmachte, die in meinem Heimatland Polen für die Weihnachtszeit charakteristisch sind. Ein tiefes Erlebnis für mich ist es, wenn Kinder und Jugendliche in der «Frohmatt» die unheilbar Kranken besuchen kommen, um ihnen einige Sonnenstrahlen der Freude zu bringen. In Wädenswil brauchen auch Waisenkinder und Kinder aus zerbrochenen Familien sich nicht vereinsamt zu fühlen. Man versucht ihnen das zu geben, was die eigenen Eltern ihnen vorenthalten haben. Die Gastfreundlichkeit der Wädenswiler habe ich selbst erfahren und erfahre sie bis heute immer wieder von neuern. Es wäre sehr zu wünschen, dass die Jugend sich dem Erbe der Freiheit, die unter anderen eine Ursache der hier genannten Vorzüge ist, sich dankbar verpflichtet wüsste und diese Freiheit nicht aufs Spiel setzte, da man sie nur einmal verlieren kann.




Pater Leo Szymiczek, Franziskaner Vikar