250 Jahre Kirchenbau - ein Fest für alle

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2017 von Ernst Hörler


Im Jahr 2017 feierte die reformierte Kirchgemeinde Wädenswil das 250-jährige Bestehen ihres Kirchengebäudes. Die heutige Kirche ist nicht die erste an diesem Platz. Ihr Vorgängerbau musste aufgrund seines schlechten baulichen Zustandes und weil wegen der stark gewachsenen Bevölkerung Platzmangel herrschte einem Neubau weichen. Für die Einweihungsfeier am 23. August 1767 wurde mit grosser Kelle angerichtet und gar von Zürich her eine Orgel per Schiff in die Kirche gebracht. Die erste ständige Orgel wurde erst 1824, also über 50 Jahre später, eingebaut. Die Chilbi, die in Wädenswil jedes Jahr im August am Sonntag nach Bernhard stattfindet, erinnert noch heute an dieses Kirchweihfest vor 250 Jahren.
Dieses Jubiläum war für die reformierte Kirchgemeinde Grund zum ausgiebigen Feiern. Kirchenpflege
und Mitarbeitende wollten aber dieses Jubiläum nicht – wie das sonst üblich ist und auch zur 200-Jahr-Feier vor 50 Jahren der Fall war – mit einer grossen Veranstaltung und der Herausgabe einer Festschrift mit viel historischem Wissen begehen, sondern eine Reihe von ganz verschiedenen Anlässen durchführen und damit möglichst viele verschiedene Leute ansprechen. Denn eine Kirche ist nicht Selbstzweck sondern für die Menschen da, die sich in ihr einfinden.

Das dreimal dreiteilige biblisch-christliche Motto bildet den Rahmen für das Jubiläumsjahr.

Kommt dazu, dass es auch nicht nur einen einzigen Grund zum Feiern gibt sondern viele. Denn diese Kirche steht nicht nur seit 250 Jahren als architektonisch bedeutsames Gebäude und weitherum beeindruckendes Zeugnis historischer Baukunst an ihrem Ort im Zentrum von Wädenswil. Seit ebenso vielen Jahren haben sich Menschen in ihr miteinander versammelt, um Gottes Wort zu hören und dabei Ermutigung für ihr Leben zu erfahren. Zu unzähligen Eheschliessungen und Taufen hat man sich in ihr eingefunden, Konfirmationen gefeiert, die Freude über Gottes Segen miteinander geteilt und an Trauerfeiern ist man sich im Leid beigestanden. Und immer wieder kommen Menschen von nah und fern auch zu Konzerten in unsere Kirche und lauschen unter dem Kirchenhimmel beeindruckenden und berührenden Klängen. So ist die reformierte Kirche von Wädenswil für viele Menschen zu einem Stück Heimat geworden.
Dies wollte die reformierte Kirchgemeinde im Jahr 2017 mit vielen besonderen Veranstaltungen das ganze Jahr über feiern. Dabei sollte aber nicht nur die Vergangenheit und wie es früher einmal war zum Thema gemacht werden. Die reformierte Landeskirche des Kantons Zürich und mit ihr die reformierte Kirchgemeinde Wädenswil stehen vor grossen Herausforderungen. Deshalb war klar, dass auch die Zukunft der Kirche in den Blick genommen werden musste. Wie kann das Kirchengebäude künftig genutzt werden, damit es den Bedürfnissen der Menschen für Feiern in der Kirche entgegenkommen und ihnen auch für die nächsten Jahrzehnte eine Heimat sein kann? Was für Modelle zur Verkündigung des Evangeliums können zukünftig hilfreich sein, wenn die bisherige Hauptform dafür – der Gottesdienst am Sonntagmorgen – viele Menschen nicht mehr in gleichem Mass wie früher anspricht? Dafür hatte die kantonale Denkmalpflege der Kirchgemeinde erlaubt, die Kirchenbänke im Kirchenschiff seeseits zwischen Taufstein und Kanzel für ein Jahr zu entfernen. Stattdessen wurde ein provisorisches Podest eingebaut, das den gewonnenen Raum vielfältig nutzen liess. Unter dem dreimal dreiteiligen biblisch-christlichen Motto: «glauben – hoffen – lieben; vertrauen – teilen – ermutigen; danken – feiern – segnen» wurden zahlreiche besondere Veranstaltungen durchgeführt.

Feiern mit einem Blick in die Zukunft

Mit einem fulminanten Start ins Jubiläumsjahr warteten The Sam Singers am Neujahrskonzert mit nostalgischen Liedern und Melodien auf. Am 5. Februar fand der Jubiläums-Gottesdienst «wie vor 250 Jahren» statt. In diesem Gottesdienst lebten die Zeit und die Art des damaligen Feierns von Gottesdiensten auf. Männer und Frauen sassen getrennt. Man konnte erleben, was es mit dem «Abkanzeln» auf sich hat, warum die Kirchenpflege «Stillstand» hiess und dass die Obrigkeit anders als heute ganz selbstverständlich mit im Gottesdienst war und die Gelegenheit nutzte, die Bevölkerung gleich auch noch über ihre Anliegen zu informieren.
An vier übers Jahr verteilten kunsthistorischen Führungen konnte man viel Wissenswertes über die Geschichte der Kirche erfahren und die Möglichkeit zur Turmbegehung am Chilbi-Wochenende bot eine seltene Gelegenheit, das markante Wahrzeichen von Wädenswil einmal von innen zu bestaunen und eine ungewohnte Aussicht auf die Stadt zu geniessen. Auch ein Ausflug nach Teufen AR, dem Wohn- und Wirkort des Baumeisters der Kirche, Hans Ulrich Grubenmann, und der Besuch des ihm gewidmeten Museums standen auf dem Programm.

The Sam Singers eröffneten das Jubiläumsjahr fulminant.

Wie vor 250 Jahren: Stadtpräsident Philipp Kutter in der Rolle der Obrigkeit mit gepuderter Perücke.

Im April führten Kinder der Kirchgemeinde aus Anlass des grossen Jubiläums 500 Jahre Reformation das Musical vom Wädenswiler Kinderliedermacher Andrew Bond über den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli mit grosser Begeisterung auf. Am Musikfestival Klang’17 spielten vom Mittag bis in die Nachtstunden über 700 Musizierende von verschiedenen örtlichen Musikvereinen im Dreiviertelstundentakt auf. Zu Beginn von jedem Konzert erzählten die für einen Tag lebendig gewordenen Apostel Petrus und Paulus, die seit gut 150 Jahren auf den seeseitigen Kirchenfenstern zu bestaunen sind, von der Geschichte des Kirchenbaus und an vielen Ständen vor der Kirche war für das leibliche Wohl gesorgt.

Zum Reformationsjubiläum schrieb Andrew Bond ein Kinder-Musical über Huldrych Zwingli.

Aus Anlass dieses Jubiläumsjahres erneuerte die reformierte Kirchgemeinde den viele Jahrzehnte lang in einem Dornröschenschlaf hindämmernden Rosenhofpark neben dem Kirchgemeindehaus und erweckte ihn mit einer neuen Bepflanzung und einem Wasserspiel zu neuem Leben. Im Anschluss an einen gemeinsamen Gottesdienstes der reformierten, der katholischen und der methodistischen Kirchgemeinden wurde der neu-alte Park feierlich der Bevölkerung von Wädenswil zur Benutzung übergeben. Seither sind da an schönen Tagen zahlreiche Familien mit Kindern anzutreffen.
Das Chilbiwochenende war ein weiteres Highlight im Jubiläumsjahr. Über 1000 Personen strömten am Freitag zur Chilbimusig mit dem Motto «Wättischwiler spiled Wättischwiler Chilbimusig» in die Kirche. Auch dies war ein Jubiläumsanlass: Vor 30 Jahren hatte Ursula Hauser die Idee, den Auftakt zum allseits beliebten Volksfest musikalisch zu begehen. Die Zuhörenden verdankten die fröhliche Musik mit einem anhaltenden Applaus, der von Ursula Hauser nur mit einem Machtwort beendet werden konnte. Am Chilbi-Gottesdienst kam eine Delegation der reformierten Kirchgemeinde Teufen AR zu Besuch und das Buebechörli Stein AR und die Trachtengruppe linkes Zürichseeufer brachten Zürcher und Appenzeller Traditionen in der zürcherischen Kirche des Appenzeller Baumeisters zusammen.

Der Auftakt zur Kirchweih: «Wättischwiler spiled Chilbimusig».

Ballnacht und Chile-Talk

Im September wurde der freie Platz in der Kirche während einer Woche für lange Tafeln genutzt. Diese langen Tafeln luden der biblischen Tradition vom Grossen Gastmahl gemäss für Speis und Trank zu Tisch. Denn die Kirchgemeinde möchte ihrem biblischen Auftrag entsprechend gastfreundlich sein. Wenn in der Bibel von Versöhnung, Heilung oder Neuanfang erzählt wird, wird anschliessend oft auch gegessen. Begonnen hat diese Woche am Sonntag mit einem Gottesdienst zum Gleichnis vom grossen Gastmahl. Noch während des Gottesdienstes konnten weitere Gäste per SMS zum Mahl eingeladen werden. Tatsächlich setzten sich dann spontan auch einige zusätzliche Gäste an die Tische und feierten essend und trinkend die Gastfreundschaft Gottes. Am Montag waren über 60 Mitglieder von Gemeinde- und Stadtrat, von Schulpflegen und Schulleitungen und von andern Kirchgemeinden zu Gast. Am Donnerstag wurde der Tisch dann für die Handwerker und Gewerbler des HGV gedeckt. Die Kirchgemeinde wollte damit die Dankbarkeit für all das politische und unternehmerische Engagement ausdrücken und konnte sich über viele Gäste freuen.

Der biblischen Tradition vom Grossen Gastmahl gemäss luden im September die Tables Blanches zu Speis und Trank.

Der beliebte «Frauezmorge» mit einem spannenden Vortrag über die Rolle der Frau zur Zeit des Kirchenbaus fand auch gleich an den langen Tafeln statt und wurde sehr gut besucht. Und dass man in der Kirche nicht nur singen und beten, sondern auch mal spielen kann, erlebten viele Kinder und auch ein paar Erwachsene am Mittwoch, als dank Pinocchio unzählige Spiele ausprobiert werden konnten. Während der ganzen Woche wurde der Kircheninnenraum durch eine Lichtinstallation von Jürg Hauser jeweils abends in ein buntes Licht getaucht, das den Anlässen eine besonders feierliche Note verlieh und für manchen zauberhaften Moment sorgte.
Auch die Ballnacht am Freitag fand sehr regen Zuspruch. Am frühen Abend wurde ein Crash-Kurs angeboten für jene, die für ihre Tanzschritte eine Auffrischung benötigen. Ab 20 Uhr spielten The Looney Tunes zum Tanz auf. Einmal unter dem weiten Kirchenhimmel tanzen zu können, wollten sich viele nicht entgehen lassen. Manchen war es, als ob der Himmel selbst zum Tanzen eingeladen hätte. Am letzten Abend dieser Woche erfüllte die Farbe weiss den Kirchenraum. An den Tables Blanches sassen weiss gekleidete Gäste und teilten sich die mitgebrachten köstlich zubereiteten Speisen. Die fröhliche Stimmung war an allen Anlässen in dieser Woche spür- und erlebbar.

Das kommt wohl nicht so bald wieder: Unter dem weiten Kirchenhimmel das Tanzbein schwingen.

Eine neue Form von Gottesdienst wurde mit dem Chile-Talk ausprobiert. Die SRF-Moderatorin Anita Richner lud zweimal bekannte Persönlichkeiten von Wädenswil in die Kirche zu einem Chiletalk ein, in dem die Gäste von ihrem Leben, ihren Interessen und ihrem Glauben erzählten. In Zusammenarbeit mit der Lesegesellschaft wurde ein Anlass mit dem bekannten deutschen Philosophen Wilhelm Schmid zum Thema «Gelassenheit – oder was wir gewinnen wenn wir älter werden» geplant. Und auch mit dem Theater Ticino fand aus Anlass dieses Jubiläumsjahres eine Zusammenarbeit statt. Der Wiener Kunstpfeifer Nikolaus Habjan pfiff mit virtuosem Talent Opernarien, als ob das die einfachste Sache der Welt wäre. Erwähnt werden soll hier auch, dass anlässlich eines Wettbewerbes zur zukünftigen Nutzung unserer Kirche verschiedene Gestaltungsideen eingegangen sind, die im Herbst in der Kirche ausgestellt wurden. In drei Alterskategorien konnten Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre kreativen und durchaus provokativen Ideen bildlich umsetzen.
Kirchenpflege und Mitarbeitende hoffen, dass es im Jubiläumsjahr gelungen ist, die Türen für verschiedenste Menschen zu öffnen und ihnen mit diesen Anlässen und Begegnungsmöglichkeiten etwas von der Freude, dem Segen und der liebenden Zuwendung Gottes weitergegeben zu haben. Möge manch eine und manch einer davon berührt worden sein – vielleicht auf ganz neue und überraschende Weise. Jedenfalls waren die Rückmeldungen aus der Bevölkerung grösstenteils positiv. Der freie Platz eröffnet viele neue Möglichkeiten. Deshalb hat sich eine IG Freiraum Kirche gegründet, die sich dafür einsetzen will, dass der freie Raum auch über das Jubiläumsjahr hinaus beibehalten werden kann.




Pfr. Ernst Hörler