Di alt Fabrik

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1979 von Christian Hurter/Arthur Thoma

Im Jahre 1966 liess die GESSNER & CO. AG WÄDENSWIL zum 125jährigen Bestehen der Seidenstoffweberei eine Jubiläumsschrift drucken. Darin lesen wir: « ... 1898/99 folgte eine weitere Etappe im Ausbau der Gessnerschen Fabrikanlagen. Dorfwärts des älteren Traktes erstellte man nach den Plänen des Ingenieurs Sequin-Bronner ein zweigeschossiges Gebäude, das zu ebener Erde die Stückputzerei und verschiedene Magazine enthielt und im oberen Stockwerk den geräumigen Websaal, worin 144 Webstühle aufgestellt waren.
Trotz den neuen Lokalitäten, in denen im April 1899 der Betrieb aufgenommen werden konnte, fehlte es bald wieder an Arbeitsraum. Deshalb entschloss sich Emil Gessner zur bergseitigen Erweiterung des Webereigebäudes. Mit der Fertigstellung dieser Fabrikneubauten erreichte das Stammhaus in Wädenswil im wesentlichen seine heutige Ausdehnung.»
Doch die Entwicklung steht nicht still, und so drängte sich in jüngster Vergangenheit von neuem die Modernisierung des Betriebes auf; das alte Gebäude genügte einer durchrationalisierten Fabrikation nicht mehr. Ein neuer Websaal wurde erstellt, und seit Januar 1979 ist dieser voll in Betrieb. Durch diese Umstellung und Neuorganisation der Weberei hatte die alte Fabrik als Industriebau ausgedient.
Nun stellte sich die Frage, was mit dem rund 80jährigen Bauwerk geschehen sollte. Neuwohnungen anstelle des Altbaues waren wenig attraktiv, standen doch zu dieser Zeit allein in Wädenswil etwa 200 Wohnungen leer. Zudem erkannten die verantwortlichen Leute der Firma Gessner AG, dass nicht unbedingt alles Alte geopfert werden muss. Ueber diese Auffassung lassen wir hier die Gessni selbst zu Worte kommen: « ... Wenn dieses alte Webereigebäude auch recht verwittert und verbraucht aussieht, so ist es doch nach wie vor ein robuster Veteran aus den neunziger Jahren – mit dicken Mauern und starken Böden, schon damals gebaut für hohe Belastungen. Ein Augenschein von aussen zeigt dem aufmerksamen Betrachter, dass der Baukörper mit seinen zahlreichen grosszügigen Fenstern im Grunde einen eindrücklichen, schön gegliederten und ausgewogenen Bau darstellt.
Es liegt uns deshalb viel daran, dieses an sich schöne und auch im modernen Sinne praktische Gebäude zu erhalten und weiterhin sinnvoll zu nutzen, handelt es sich hier doch um ein wertvolles Baudokument aus der Jahrhundertwende, ein Zeugnis für den hohen Maßstab, den die Baumeister des letzten Jahrhunderts auch bei einem reinen Zweckbau an die Aesthetik anlegten.»
Die gute Lage mitten in der Stadt liess die Idee aufkommen, eine Einrichtung für die Oeffentlichkeit zu schaffen. Die Räume sollten sich wieder füllen, diesmal mit Läden, Werkstätten und einer Beiz. Aus der alten Fabrik sollte «DI ALT FABRIK» werden. Die Leitbilder dazu boten der seit Jahren gut besuchte Stoffmarkt der Firma Gessner sowie die ähnlich durchgeführte Umstellung des Auslandbetriebes in Waldshut.
Di alt Fabrik - vor...
 
Trotz Zweckänderung sollte der Industriebau nicht geleugnet werden, was auch vom denkmalpflegerischen Standpunkt aus erwünscht war. Mit geringfügigen Umstellungen konnte bestehende Bausubstanz und Architektur den neuen Funktionen angepasst werden. Innen und aussen sind lediglich schadhafte Stellen ausgebessert und notwendige Anpassungen für Zugänge, Verkehrswege und Installationen vorgenommen worden. Klimatisierte Räume, Rolltreppen Ganzglasabschlüsse oder ähnliche, Schikanen sind keine anzutreffen, hingegen sind in den Hallen unverkleidete Stahlkonstruktionen, rohe Backsteinwände, Scherengitter wie ehemals, offene Leitungen und geflickte Industrieböden charakteristisch.
Auch bei den Reklamen am Marktgebäude wird der Luxus gemieden. Die Beschriftungen sind farblich einheitlich gestaltet, auf ein Sammelsurium von marktschreierischen Tafeln und Leuchtreklamen wurde erfreulicherweise verzichtet.
Die Bauten wie auch das Umgelände sind also spartanisch einfach gehalten. Bauherrschaft und Fachleute bemühten sich jedoch, den Umbau wenig Mitteln so attraktiv wie möglichmit zu gestalten.
Die ganze Anlage enthält ein vielfältiges Raumprogramm: Im Erdgeschoss sind die beiden Geschäfte mit dem grössten Platzbedarf eingerichtet. Die verschiedenen anderen Läden befinden sich im Obergeschoss und sind über eine innenliegende Ladenstrasse zugänglich. Auch in der «Wirtschaft zur alten Fabrik» sollte ein Hauch «alti Fabrik» spürbar sein, was vor allem mit natürlichen Materialien und einfachen Einrichtungen erreicht wurde. Nicht nur als Raststätte für eilige Passanten soll die Wirtschaft dienen, sondern auch als Quartierbeiz ihre Funktionen erfüllen.
... und nach dem Umbau von 1978/79.
 
Zur Ergänzung der bereits vorhandenen Parkplätze wurde ein Neubau notwendig, der jedoch wenig in Erscheinung tritt, da er grösstenteils unter Terrain liegt. Dieses Parkhaus erfüllt noch weitere Funktionen: die stufenlose Erschliessung der oberen Verkaufsebene von der Stegstrasse her und eine gedeckte Verbindung zwischen dem neuen Stoffmarkteingang und dem Trakt «alti Fabrik».
Kernstück und Blickfang der Umgebung bildet das Gartencenter mit Freifläche und Glashäusern. Die Verkaufsebene greift in den Altbau hinein, unter anderem mit einem gekühlten Ladenteil für Schnittblumen.
Dem Erdgeschoss vorgelagert befindet sich der Marktplatz, welcher zum Schwatzen und Verweilen, aber auch für temporäre Verkaufs- und Ausstellungsanlässe gedacht ist. Das Gartenrestaurant sowie ein Brunnen beleben die friedliche Szenerie. Dieser Aussenraum gibt der ganzen Anlage «alti Fabrik» eine wohltuende Grosszügigkeit. Die Laden- und Restaurantbesucher, insbesondere auch die Kinder, können sich hier, abgerückt vom Strassenverkehr, unbeschwert aufhalten. Wieder einmal mehr hat sich gezeigt, dass humanere Lösungen möglich sind, sobald nicht mehr die Maximalausnützung des Grundstückes als oberstes Ziel fixiert wird. Ein Neubau hätte auch diesen positiven Aspekt des Umbauprojektes verhindert.
Für Grünanlagen bleibt derartigen Bauprojekten üblicherweise nicht sehr viel Raum. Wir hoffen, dass die dennoch gepflanzten Jungbäume, Stauden und Hecken in den nächsten Jahren prächtig gedeihen werden. Aber auch das Gartencenter wird mit seinem Pflanzenangebot das Auge erfreuen.
Der Leser möge uns hier eine kleine Zwischenbemerkung erlauben: Warum sollte der Baum nicht obligatorischer Bestandteil eines Stadtleitbildes sein? So wie zum Beispiel für jede Neubauwohnung ein Parkplatz vorgeschrieben wird, könnte man pro Parkplatz einen Baum (irgendwo) verlangen, gleichsam als Gegengewicht zur Reduzierung unserer natürlichen Landschaft. Allein durch «di alt Fabrik» gäbe dies ein stattliches Wäldchen von 150 sauerstoff-, humus- und wasserbildenden Bäumen.
Noch ein kurzer Hinweis auf die Planungs- und Bauzeit: Die Gessner AG mag sich wohl schon lange mit der neuen Verwendung des Areals befasst haben. Im Dezember 1976 gelangte sie dann an die Architekten mit dem Auftrag, erste Studien zu skizzieren. 1977 war das Jahr der generellen Abklärungen. 1978 folgten die Bewilligungsgesuche, der Kostenvoranschlag sowie die Kontakte mit den interessierten Mietern. Der Spatenstich für die Tiefgarage geschah Mitte November 1978, und ein Vierteljahr später konnte mit den Umbauarbeiten begonnen werden. Bis zur Eröffnung am 30. August 1979 stand somit eine 9½monatige Bauzeit zur Verfügung.
Es versteht sich von selbst, dass für ein solches Bauvorhaben zahlreiche Vorschriften und Gesetze zur Anwendung kommen. Viele Behördenmitglieder und Amtspersonen haben das Ihre zum Gelingen beigetragen. Für technische und gestalterische Probleme haben mitgewirkt:
Büro Flückiger + Hartmann, Bauingenieure; Büro Müller + Faisst, Elektroingenieure; Firma Berchtold + Co. AG, Heizungsanlagen; Büro A. Schwyzer, Lüftungsingenieur; Firma J. Bitzer, Sanitäranlagen; Büro Ch. Bartenbach + P. Balla, Beleuchtungen; Büro G. Fischer, Gartenarchitekt. Bauunternehmer und unzählige Handwerker sorgten dafür, dass durch Hände-Werk die Kopfarbeit Gestalt angenommen hat.
Mit der immer gut gelaunten Bauherrschaft war die Zusammenarbeit eine Freude. Die schwierigsten Probleme sind immer in einer optimistischen Stimmung gelöst worden. Wir haben den Schwung und die überaus freundliche Atmosphäre in der Gessni bewundert und geschätzt.

 


Christian Hurter und Arthur Thoma Architekten